Inspiration und Ansporn
Wenn der Bundesverband Schauspiel (BFFS) alljährlich seinen „Deutschen Schauspielpreis“ verleiht, geht es ihm nicht allein um die darstellende Kunst. Eine eigene Kategorie lobt er für Menschen und Institutionen aus, die in besonderer Weise die Schauspielkunst gefördert haben – meist direkt wie der Produzent Günter Rohrbach oder die Regisseurin Isabel Coixet, mitunter auch in einem weiteren Sinne wie der ehemalige Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Oder die „Institution des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, welcher der BFFS im vorigen Jahr diesen „Ehrenpreis Inspiration“ verlieh, als mal wieder besonders heftig über deren Existenzberechtigung diskutiert wurde. Manchmal ist ein Preis auch als politische Stellungnahme zu sehen.
In diesem Sinne wird am 14. September Carl Bergengruen, der Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), ausgezeichnet. Das meldeten zeitgleich die MFG und das Branchenmagazin Blickpunkt Film. Der Schauspielverband selbst hat noch nichts dazu mitgeteilt (auch auf der Nominierungsliste ist die Kategorie nicht aufgeführt), bestätigte aber auf Nachfrage die Meldung.
Laut Mitteilung der MFG wird Bergengruen für seine Initiative für mehr soziale Nachhaltigkeit geehrt: Die baden-württembergische Filmförderung habe seit diesem Jahr als erste regionale Filmförderung in Deutschland die Einhaltung sozialer Standards als Kriterium in ihre Richtlinien bei der Produktionsförderung aufgenommen. Filmproduzenten müssen, wenn sie Fördermittel beantragen, erklären, ob sie „branchentarifvertragliche oder entsprechende“ soziale Standards einhalten. Andernfalls könne die Vergabejury Projekte aus diesen Gründen ablehnen.
Beide Quellen zitieren aus der (noch nicht veröffentlichten) Begründung des Vorstands des BFFS: „Was wie die größte arbeitsrechtliche Selbstverständlichkeit der Welt klingt, ist tatsächlich das Ergebnis des Einsatzes von Menschen, die ihr eigenes Gewissen ernst nehmen und die ihnen übertragene Verantwortung als Chance begreifen. Menschen wie Carl Bergengruen. Dafür verleihen wir ihm den Ehrenpreis Inspiration.“
Bergengruen selbst sehe das als Ansporn: „Wir setzen uns zusammen mit vielen anderen dafür ein, dass die Menschen, die mit Herzblut Filme machen, dafür fair bezahlt und behandelt werden. Der Preis ist hierfür eine wunderbare Ermutigung.“
Und insofern, als politische Stellungnahme eines Berufsverbandes, als Ermutigung für den Preisträger, gar als Inspiration für die ganze Branche, ist das eine sinnvolle Geste. Mehr als das aber auch nicht, denn die Voraussetzungen stimmen nicht:
1. Tatsächlich war nicht die MFG, sondern die Nordmedia die erste regionale Filmförderung, die entsprechende Standards festgeschrieben hat. Das weiß man auch bei der MFG, gleichwohl wiederholt sie die Falschmeldung auch in der aktuellen Pressemitteilung und auf ihrer Website gerne.
Bei der Nordmedia traten zum 1. Januar neue Förderrichtlinien [PDF] für die Länder Niedersachsen und Bremen in Kraft, in denen es unmissverständlich und ohne Ausnahme heißt: „Das Mindestlohngesetz und die für Medienschaffende geschlossenen Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung sind einzuhalten.“
Die MFG hingegen handelt noch nach der Vergabeordnung von 2014, die Regelungen zur sozialen Nachhaltigkeit finden sich bislang lediglich auf einem „Merkblatt für Produzenten zur Einreichung von Förderanträgen“ [PDF] vom 2. Februar – als letzter Punkt auf Seite 8, gefolgt von einer Erklärung, unter welchen Umständen die Verpflichtung auf den Mindestlohn vielleicht doch umgangen werden könnte.
2. Die Regelungen zur sozialen Nachhaltigkeit gelten erstmals für die laufende Antragsperiode, hatte die MFG im Februar gegenüber der Zeitschrift „cinearte“ erklärt. Über diese Projekte wird allerdings erst am 27. September dieses Jahres entschieden. Es gibt also noch keine Erkenntnis, in welchem Maße oder ob überhaupt danach gehandelt wird oder ob dies gar ein Modellversuch für andere Filmförderungen sein könne. Bergengruen selbst hatte auf diese Frage im April der Südwest Presse erklärt: „Dazu ist es viel zu früh. Wir können frühestens in ein, zwei Jahren eine erste Zwischenbilanz ziehen. Dann werden wir genau und selbstkritisch analysieren, was wir mit unserem neuen Kriterium tatsächlich bewirkt haben.“
Bislang steht die gute Absicht nur auf dem Papier, ähnlich dem Passus im neuen Filmfördergesetz, das der bundesweiten Filmförderungsanstalt (FFA) schon ein Jahr länger vorschreibt, für sozialverträgliche Beschäftigungsbedingungen zu sorgen. Seither hat die FFA nirgends erkennen lassen, dass sie diese Verpflichtung irgendwie ernst nähme. Einen Preis hat sie dafür nicht verdient. Doch diesen Nachweis konnten auch MFG und Nordmedia noch nicht erbringen.
3. Wie ein Film, sind auch all diese Regelungen das Werk von vielen in langer Kleinarbeit. In diesen Fällen sogar der Filmschaffenden selbst, was die Branche erst recht inspirieren sollte und Ermutigung verdiente. Bei der Nordmedia gibt man unumwunden zu, dass das Thema erst aus der Branche an die Förderer herangetragen worden sei, in Baden-Württemberg hatte sich zum Beispiel der Filmverband Südwest dafür stark gemacht.
Für die Formulierung des neuen Filmfördergesetzes, das die Aufgaben der FFA?festschreibt, waren die Stellungnahmen von Berufsverbänden und anderer Branchengruppierungen eingeholt worden. Lediglich Verdi und der Bundesverband Filmschnitt Editor hatten Regelungen zu den Beschäftigungsbedingungen bei geförderten Projekten verlangt. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte sich in den Debatten um die Gesetzesvorlage wenig begeistert davon gezeigt und versuchte mit eigener Interpretation, den Inhalt aufzuweichen: Dies bedeute keine Verpflichtung der FFA, im Rahmen der Filmförderung die Arbeitsbedingungen zu überprüfen oder zu überwachen, gemeint sei eher die Unterstützung von allgemeinen Maßnahmen wie Studien, Tagungen oder Fortbildungen zu „arbeitsrechtlichen und sonstigen relevanten Themen“. Dass der Passus schließlich dennoch im Gesetz steht, sei dem Wirken einiger ungenannter Politiker zu verdanken, erzählten Branchenvertreter unter vier Augen.
In diesem Sinne sollte man zuerst den Mitgliedern der inzwischen verblichenen Bundesvereinigung der Berufsverbände „Die Filmschaffenden“ danken, der auch der BFFS in ihren letzten Monaten noch angehörte. Die hatten 2010 mit dem „Hoffnungsschimmer“ (später in „Fair Film Award“ umbenannt) einen Preis geschaffen, der erstmals die Arbeitsbedingungen bei Film- und Fernsehproduktionen ins Schweinwerferlicht rückte und die Branche nachhaltig inspirierte.
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