Vielfalt oder Nische? Wozu Filmfestivals gut sind
Festivals boomen. Kaum eine Stadt, die nicht ihr eigenes Filmfest hat, kaum ein Thema oder eine Gegen dieser Welt, die nicht als Motto für eine eigene Filmschau dient. In den jüngsten zehn Jahren hat sich die Zahl der Filmfestivals auf der Welt vervierfacht! „Schäzungsweise 8.000“ Filmfestivals haben sich inzwischen weltweit miteinander vernetzt, sagt die Medienwissenschaftlerin Tanja Krainhöfer. „Vier oder fünf” wären genug, meinte schon 2010 der Regisseur Werner Herzog. Da ging der Boom erst los. In diesem Jahr war das Phänomen schon für einige Zeitungsartikel gut. Da wurde gestaunt und auch ein bisschen gelästert, doch eingehender hatte sich bisher keiner damit beschäftigt: Was soll das Alles?
Das holten nun Crew United und das Filmfest Hamburg nach und ließen im Festivalzelt auf dem Podium diskutieren. Einen Überblick lieferte Krainhöfer mit einem kurzen Vortrag. Die Medienwissenschaftlerin sieht die „Festivalflut” offenbar entspannter als Herzog, der Regisseur. Gleich zum Einstieg wies sie darauf hin, dass gerade eben auf Rügen ein weiteres Festival seine Premiere hatte. Rügen und Film, da vermute mancher eher Tourismuswerbung, sagte Krainhöfer. Aber: „Warum auch nicht?“ Schließlich hatte der ganze Zauber einst in Venedig begonnen, als Werbeveranstaltung eines Hotels. „Nicht immer“ sei die Gründung eines Festivals der Liebe zur 7. Kunst geschuldet gewesen. Der Großteil aber werde von Menschen getragen, die das Kino lieben. „Und jedes einzelne Teilchen spielt in der Summe eine Rolle.“
Krainhöfer hat Festivals in Deutschland nach ihrer Motivation befragt. Drei Erklärungen führte sie an: Die Alternative zur kommerziellen Filmerfahrung. Die Stärkung der Filmkultur auf dem Lande fernab der Metropolen. Interkulturelles Verständnis zwischen Nationen – dafür sei Film das beste Medium.
Längst ginge es nicht mehr nur ums Filmeschauen: Festivals hätten sich zu einem eigenen Vertriebskreislauf entwickelt, seien Faktoren mit „herausragender Wirkung“ für Wirtschafts-, Kultur-, Bildungs-, Medien- und sogar Außenpolitik. Und sie ziehen jedes Jahr mehr Zuschauer an: Während im Kino die Zahlen zurückgehen. 178 Millionen Kinobesucher waren es 2001, voriges Jahr nur noch 117 Millionen – ein Drittel weniger.
Die Entwicklungen in Gesellschaft und Technik (Stichwort Digitalisierung) allein reichen nicht aus, um das rapide Wachstum in der Festivallandschaft zu erklären. Vier weitere, „filmwirtschaftliche“ Gründe findet Krainhöfer:
- Die Programmkinos sind seit dem Aufstieg der Multiplexe immer weniger geworden.
- Weltweit werden immer mehr Filme gedreht.
- Was gedreht wird, will auch gezeigt werden.
- Festivals sind „Impulsgeber“ für die Filmwirtschaft – längst kreisen um die großen Filmfeste Stoffbörsen, Filmmärkte, Koproduktionsforen und mehr.
Tatsächlich ist seit der Jahrtausendwende die Zahl der Kinostandorte in Deutschland von 1071 auf 892 gesunken. Während die hiesige Kinolandschaft noch von Hollywoodproduktionen beherrscht wird, sieht die Welt schon ganz anders aus – inzwischen wird nicht nur in Indien, sondern auch in China jährlich mehr gedreht, Südkorea hat Deutschland überholt. Wie sollten die Kinos das bewältigen können? Im normalen Programm ist von den neuen Verhältnissen kaum etwas zu sehen, auch die Arthouse-Kinos zeigen sie nicht wirklich, Festivals lassen es zumindest ahnen.
Dabei sind sie mehr als Sneak Previews für Filmliebhaber oder Werbeveranstaltungen für Filmhändler. Viele Werke tingeln über die Festivals dieser Welt und begeistern volle Säle, während sie im Kino keinen Platz oder Publikum finden. Noch sei sich die Branche dieser Rolle nicht richtig bewusst. Die Statistiken der Filmförderungsanstalt (FFA) etwa zählen nur die Besucher in den Kinos, nicht die der Festivalvorführungen. Krainhöfer appellierte daher an die Verleiher, auch diese Zahlen an die FFA zu melden. Ihre These: Die Filmwirtschaft jenseits des Mainstreams können gar nicht ohne Festivals auskommen. Also auch das Europäische Kino.
Torsten Frehse war diese These zu steil. Der Geschäftsführer des Verleihs Neue Visionen kommentierte auf dem Podium die Zahlen aus seinem Blickwinkel: Anderthalb bis zwei Millionen Zuschauer brächten die deutschen Festivals zusammen auf, „inklusive Berlinale“ – dagegen stünden eben die 117 Millionen Kinobesucher im vorigen Jahr. Konkreter: 1,4 Millionen Zuschauer erreiche Neue Visionen mit ihren Filmen – nur 20.000 davon auf Festivals.
Es dauert wohl noch, bis Festivals tatsächlich ein eigener Weg zum Publikum sind, gar eine Art analoges Netflix mit richtigem Filmerleben. Endgültige Antworten wurden an dem Abend nicht gefunden. Das hatte auch keiner erwartet. Vielmehr ging es ja darum, das Thema überhaupt mal auf die Bühne zu bringen, meinte Moderator Rüdiger Suchsland.
Anstöße für weitere Runden wurden während der regen Diskussion jedenfalls reihenweise gefunden. Da vermisst etwa Frehse oft die Zeit und Orte für tatsächliche Gespräche, „dass alle zusammenstehen und über Filme reden.“
Oliver Baumgarten, Mitgründer von Filmplus und Programmleiter beim „Max-Ophüls-Preis“ sieht Festivals als Ergänzung zum Arthouse-Kino, wo mancher Film seinen Verleih findet.
Frédéric Jaeger lobt die Vielfalt, die in der Festivallandschaft gepflegt werde – während doch die Filmförderungsanstalt (mit Zustimmung der Kinobetreiber) mit ihren neuen Leitlinien so ziemlich das Gegenteil ansteuere.
Skadi Loist, Festivalforscherin an der Universität Rostock mahnte ans Geld: Festivals müssten so ausgestattet werden, dass sie ohne freiwillige Selbstausbeutung unzähliger Filmliebhaber auskommen könnten. Denn auch Kuratoren lebten nocht selten unter prekären Umständen. Einen ersten Fortschritt konnte sie bei der Gelegenheit auch melden: Seit September gibt es bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) eine Gruppe der Festivalmitarbeiter. Loist nutzt die Gelegenheit zum Appell, sich zu organisieren – „Verdi kostet nicht viel.“
hey,
wo ist euer artikel von weinstein hin? gabs ärger mit den pädos und vergewaltiger aus tv, musik und film?