Triumph in Hollywood
Vier „Oscars“ für „Im Westen nichts Neues“! Da wird das Filmland gleich ein bisschen mitgefeiert. Dabei kann das gar nichts dafür.
Am Montag gab’s nur ein Thema, denn den Titel haben nicht wir uns ausgedacht, sondern German Films, die Außenhandelsorganisation der deutschen Filmbranche. Weil nämlich endlich mal wieder ein Film aus Deutschland den „Oscar“ für den besten internationalen Film gewonnen hat. Und nicht nur das: Insgesamt vier der neun Nominierungen konnte „Im Westen nichts Neues“ verwandeln! „Dies ist ein Meilenstein in der knapp 100-jährigen Geschichte der ,Oscar’-Zeremonie. Die beeindruckende Anzahl von insgesamt vier ,Oscars’ für den Film ist nicht nur ein Zeichen für die herausragende Qualität deutschen Filmschaffens auf internationalem Parkett, sondern auch Anerkennung und Wertschätzung für ein filmisches Werk, dessen politische Aussage nach wie vor zeitlos ist und nicht an Brisanz verliert“, schreibt Simone Baumann, die Geschäftsführerin von German Films heute in einem Newsletter.
Auch die Kulturstaatsministerin freut sich: Das sei „ein so noch nie dagewesener Rekord für den deutschen Film“ und werde „dem deutschen Film weltweit Beachtung bringen und ihm neue Bedeutung verschaffen“, lässt Claudia Roth gleich per Rund-Mail vermelden. Von der Filmförderungsanstalt gratuliert ihr Vorvorgänger und heutiger Förder-Präsident Bernd Neumann: „Dies ist auch eine große Anerkennung für die Qualität des deutschen Filmschaffens und die Kreativität und Kompetenz der Filmschaffenden in Deutschland.“ In Bayern gratuliert Judith Gerlach, die eigentlich das Staatsministerium für Digitales leitet, sich zur Feier aber eigens als „Bayerns Digital- und Filmministerin“ bezeichnen lässt. Das sei nämlich auch „ein großartiger Erfolg auch für den Filmstandort Deutschland“ und „unterstreicht, dass die deutsche und bayerische Filmbranche auch international ganz vorne dabei ist.“
Die Anerkennung fürs filmische Werk teilen wir gerne. Wie hier aber heftig am Erfolg gerüttelt wird, auf dass auch etwas Feeenstaub auch einen selbst herabfalle – da lassen wir doch gleich Hanns-Georg Rodek in der „Welt“ das Wort: Der Film hat sich „auch in der Konkurrenz mit Hollywoods besten Kameraleuten, Szenenbildnern und Komponisten durchgesetzt. Der Erfolg hat nicht nur einen internationalen, sondern auch einen nationalen Aspekt: ,Im Westen nichts Neues’ wurde komplett ohne deutsche Filmförderung gedreht, im Auftrag von Netflix. Das dürfte in der Debatte um die Filmförderung nicht ohne Folgen bleiben.“ Angemerkt sei lediglich: Der DoP James Friend ist Brite.
Über den Film (und die Diskussionen darum) hatten wir erschöpfend hier auf „Outtakes“ und in cinearte 643 und 648 und 650 berichtet. Im „Spiegel“ streift auch Oliver Kaever noch einmal durch die Streitereien. Anscheinend ist immer noch nicht alles gesagt. In der „Berliner Zeitung“ [Bezahlschranke] tritt Jesko zu Dona jedenfalls nach und erklärt, warum dies „einer der schlechtesten Filme aller Zeiten“ ist: Fehler, unrealistische Darstellungen und falsche historische Klischees.
Eine Antwort hatte vorige Woche schon Joachim Käppner in der „Süddeutschen Zeitung“ [ebenfalls hinter der Bezahlschranke] gegeben: „Eine Verfilmung braucht Freiheit. […] So wird wohl immer subjektiv bleiben, was eine gute Verfilmung ist, vielleicht mit einer Ausnahme: der Botschaft des Buchs. Wird sie geändert oder gar ganz fortgelassen, steigt die Gefahr des Misslingens dramatisch. Zwei Filme nach Erich Maria Remarques Meisterwerk ,Im Westen nichts Neues’ […] sind trotz aller Verkürzungen das, was das Buch war: eine eindringliche Anklage gegen den Wahnsinn des Krieges.“ Anders gesagt: Ein Roman ist kein Drehbuch, ein Drama kein Dokumentarfilm und auch eine Adaption ein eigenständiges Kunstwerk.
So sieht das auch Nico Hofmann, der sich mit historischen Monumentalerzählungen auskennt. Mit der Ufa hat er Serien wie „Charité“ und Fernseh-Mehrteiler wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ produziert. „Jeder Film provoziert unterschiedliche Stimmungen im Meinungsbild. […] Auch wenn man versucht, historisch noch so genau zu arbeiten, bleibt immer auch künstlerische Freiheit. Wer bemängelt, dass ,Im Westen nichts Neues’ historisch ungenau ist, dem kann ich nur sagen – es ist ein fiktionaler Film und keine historische Dokumentation. Die vier ,Oscars’, unter anderem als bester internationaler Film, sind ein Ritterschlag und eine bedeutende Auszeichnung“, sagt er Sebastian Ahlefeld im Interview in der „Berliner Zeitung“. Von dem Erfolg will er aber auch was abhaben: „Es zeigt, dass wir in Deutschland in der Lage sind, große Filme zu produzieren, es zeigt Hollywood und der Welt, wie stark der Standort Deutschland im Kreativbereich funktionieren kann.“
Dass mit dem Erfolg auch Netflix zu tun haben könnte, hatte der Ufa-Chef schon vorher zurechtgestutzt: „Netflix hat den Mut und das Budget aufgebracht, diesen Film zu ermöglichen. Das Wichtigste ist für mich, dass das kreative Paket aus Deutschland kommt. Darauf kommt es bei den Auszeichnungen an und eben nicht, wer der Geldgeber ist.“ Leider wird nicht nachgefragt, wer denn in Deutschland die Ermöglicher sind.
Die „Frankfurter Rundschau“ fieberte mit Daniel Brühl der Preisverleihung entgegen. Wir wissen inzwischen mehr und gratulieren dem Regisseur Edward Berger, dem Produzenten Malte Grunert und dem gesamten Team, besonders aber James Friend für die beste Bildgestaltung, Christian M. Goldbeck und Ernestine Hipper für das beste Szenenbild und Volker Bertelmann für die beste Originalmusik. Und natürlich allen anderen Nominierten, darunter auch die österreichische Editorin Monika Willi für „Tár“. Die Dankesreden von Goldbeck und Hipper sind auf Youtube zu sehen.
Damit nun aber kein falscher Optimismus aufkommt: Das sind herausragende Einzelleistungen. Oder beste Teamarbeit, wie die Ausgezeichneten selbst betonen. Die „deutsche Filmbranche“ aber kann dafür nichts – zumindest nicht der Teil, der oben so jubelt. Die deutsche Filmbranche hat sich für den „Stoff“ (kurzer Pitch: 1. ein internationaler Bestseller, 2. aus eigenem Land, 3. über eines seiner größten Traumata und 4. „nach wie vor zeitlos“) nie interessiert. Nicht 1930, als Carl Laemmle die erste Verfilmung in Hollywood produzierte. Und auch auch heute macht die deutsche Filmbranche lieber in Komödien und Kinderfilmen. „Im Westen nichts Neues“ ist eine internationale Koproduktion, beauftragt vom US-Streamer Netflix, angestoßen durch die britischen Koautor*innen. Auch das gehört zum kreativen Paket: Ideen zu ermöglichen.
Vermutlich hätte sich das als Event-Mehrteiler für Öffentlich-Rechtlich auch anders angehört. Bei den „Oscars“ hat Stefan Hochgesand auf die Musik geachtet: Der „Düsseldorfer Komponist und Klavierspieler, Jahrgang 1966“ Volker Bertelmann (alias Hauschka) war nämlich 2017 schon mal nominiert gewesen, und jetzt trägt sein minimalistischer Score einen Monumentalfilm in Überlänge. Also: „Wer ist der Typ?“ Die Antwort in der „Berliner Zeitung“ ist verwirrend vielseitig, aber „als Produzent von Filmmusik ist sich Hauschka über seine Rolle als Dienstleister im Klaren: ,Filmmusik ist funktional, unterstreicht bestimmte Szenen, muss sich aber auch manchmal zurücknehmen.’ Für im ,Westen nichts Neues’ hat er eine große Basstrommel mit Metall verfremdet. Die Trommel wirbelt nicht triumphal zum Krieg, sondern sie schießt arhythmisch wie Gewehrfeuer. Das eigentlich melodische Thema von ,Im Westen nichts Neues’ besteht nur aus drei Tönen. Gespielt hat sie Hauschka auf einem kleinen, durch Gitarrenverzerrer gejagtem Harmonium, das einst seiner Urgroßmutter gehörte.“
Die „Oscars“ jedenfalls zeigen: mehr wäre möglich in Filmdeutschland – an den Filmschaffenden liegt’s nicht. Das zeigt übrigens auch der beste Dokumentarfilm. Wie bei den „Baftas“ wurde auch hier „Nawalny“ ausgezeichnet. Der kanadische Regisseur Daniel Roher drehte seinen Film über den russischen Oppositionsführer größtenteils in Deutschland und mit deutschem Team.
Dass hohe Budgets und High-End nicht alles sind, betont die Academy schon seit vielen Jahren. Der internationale „Oscar“ ist für den Rest der Welt – der wirklich „beste Film“ kommt in der Regel aus den USA. Nicht mehr unbedingt aber aus Hollywood – die Academy zeigt gerne, dass sie auch anders kann und zeichnet gerne mal sogenanntes Independent-Kino aus, das später dann eher im Arthause-Kino läuft. Auch wenn das dann immer noch 25 Millionen US-Dollar kostet.
Keine Überraschungen erlebten darum Valerie Dirk und Marian Wilhelm im „Standard“ in der „Oscar“-Nacht: „Heuer durfte sich die asiatisch-amerikanische Community freuen. Der große Gewinner war das bereits vorab als Favorit gehandelte Fantasydrama ,Everything Everywhere All at Once’, das in den wichtigsten Kategorien die beliebten goldenen Statuetten abräumte […]. Von elf Nominierungen konnte der wirklich ungewöhnlich erfolgreiche Siegerfilm sieben ,Oscars’ mit nach Hause nehmen. Dem Fantasyfilm gelingt ein Brückenschlag zwischen verrücktem Spektakel und realem (migrantischem) Frust angesichts komplizierter Behördengänge und unbezahlter Rechnungen.“
Für Hanns-Georg Rodek in der „Welt“ ist es einfach „der gedanklich kühnste und filmisch wagemutigste Film, der seit langer Zeit einen ,Oscar’ gewonnen hat.“
In der „Neuen Zürcher Zeitung“ hingegen fragt sich Andreas Scheiner, was bloß alle an dem Film finden. Überhaupt hätten die Gewinnerfilme „nicht im Ansatz die Ausstrahlung von früher“. Offenbar wolle die Academy kein großes Kino mehr auszeichnen: „,Everything Everywhere …’ ist ein hypernervöser, durch und durch sinnbefreiter Fantasy-Schwank, in dem eine chinesische Einwanderin, die in Kalifornien einen Waschsalon betreibt, durch Paralleluniversen geschleudert wird, um eine kosmische Bösartigkeit in Gestalt eines Bagels zu bekämpfen. Oder so ähnlich. Ein höherer Blödsinn jedenfalls […]. Aber der ostentative Schwachsinn steht nicht ohne Grund ganz zuoberst in der Gunst der Academy. Der Film ist hip, divers und ungezogen. Er lässt sich in den sozialen Netzwerken bewirtschaften, das ist mittlerweile matchentscheidend.“
Auch hier die Korrektur: Die Academy hatte den Film mit (bis auf eine Ausnahme) völlig asiatisch-stämmigem Cast zuerst gar nicht auf den Schirm. In der „Süddeutschen Zeitung“ schilderte David Pfeifer im Januar die „Erfolgsgeschichte des Films, der Mitte März 2022 gestartet ist – ein Blockbuster wie der neueste ,Spider-Man’ bringt es zum Vergleich auf mehr als 4.300 Kopien“ –, der „seit bald einem Jahr in vielen Kinos der Welt läuft, sich durch Festivals und unterstützt von einer wachsenden Zahl von Fans“ behaupten konnte und „der Schauspielerin Michelle Yeoh, 60, einen späten, großen Hollywood-Moment“ bescherte – nämlich im Januar bei den „Golden Globes“.
Die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert hatten sich mit nur zwei eigenwilligen Spielfilmen zwar einige Reputation erarbeitet. „Niemand hätte jedoch erwarten können, dass der Film bei den ,Academy Awards’ so viel Aufmerksamkeit erregt. Das heißt, bis der Film zu einem überraschenden Mund-zu-Mund-Hit wurde, Schwung in die Preisverleihungssaison brachte und am Ende satte elf ,Oscar’-Nominierungen erhielt, die meisten von allen Filmen in diesem Jahr“, schrieb Thomas Butt im Januar auf „Collider“ [auf Englisch]. Seine Erklärung, warum das nun ein legitimer Anwärter auf den besten Film sei, klingt ganz anders als in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Im Herzen ist ,Everything Everywhere All at Once’, wenn man über die beeindruckenden visuellen Effekte, die Montage und den Genre-Mix hinausblickt, eine zutiefst menschliche Geschichte über Familie und Wohlwollen. […] Seine übergreifende Botschaft ist zweifellos gesund, und das spricht die Wähler*innen traditionell an. Genrefilme dieses Kalibers, die auf fantastischen Konzepten basieren, werden fast ausschließlich in die technischen Preise verbannt. Die Tatsache, dass ,EEAAO’ um alle großen Auszeichnungen, Schauspiel, Drehbuch, Regie und den besten Film, konkurriert, ist ein Wunder und ein Beleg für die liebenswerte Botschaft des Films angesichts des tief verwurzelten Zynismus, der heute in der Gesellschaft herrscht.“
Was die Wähler*innen natürlich auch mögen, sind Geschichten vom Comeback und Happy End, am liebsten auch ein bisschen über Hollywood selbst. Zumal sich die Regie-Daniels fröhlich durch die Filmgeschichte zitieren. Dass Jamie Lee Curtis, die einstige Scream-Queen aus „Halloween“, für ihre ungewöhnliche Nebenrolle endlich einen „Oscar“ erhält, war zu erwarten. Das männliche Gegenstück für Ke Huy Quan unvermeidlich: in „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ und den „Goonies“ war er kurz ein Kinderstar, später wurde er nicht mehr gebucht. Er arbeitete unter anderem als Stunt-Choreograf, fast zwei Jahrzehnte hatte er nicht mehr vor der Kamera gestanden, als er sich an ein Comeback wagte – die Rollenangebote für asiatischstämmige Personen in Hollywood seien gewachen, erzählte Quan im Interview mit Yang-Yi Goh in „GQ“ [auf Englisch]: „Im Laufe der Jahre habe ich viele asiatische Talente getroffen, die jetzt in Hollywood arbeiten. Sie danken mir immer und sagen: ,Es war so toll, dich dort oben auf der Leinwand zu sehen, weil ich mich selbst sehen konnte. Vielen Dank, dass du den Weg für uns geebnet hast, hier zu sein.’ Und das ist wirklich interessant, weil je doch sie den Weg für meine Rückkehr geebnet haben. Meine Rückkehr zum Schauspiel ist das direkte Ergebnis der Fortschritte, die sie gemacht haben. […] Es ist allmählich passiert, aber ich bin sehr optimistisch und sehr hoffnungsvoll, wie sich das entwickelt.“
In seiner Dankesrede feierte Quan denn auch unverdrossen den Amerikanischen Traum und ein Hollywood, das ihm jahrzehntelang keine Chance gegeben hatte. Gefragt hat bislang noch keiner, wo denn in all den Jahren seine großen Kumpels von einst waren.
Der Außenseitererfolg ist mit 25 Millionen US-Dollar Budget entstanden. Klein für Hollywood-Standards (40 Millionen haben Spielbergs „Fabelmans“ gekostet), aber riesig für deutsche Verhältnisse. Doch auch in den USA müssen Produktionen wie „Everything Everywhere All at Once“ sparen – und ersetzten Geld durch Pragmatik und Kreativität: „Wir beschlossen, den Großteil davon an einer Location einzurichten, was es viel einfacher und uns viel schneller machte, weil wir nicht jeden Tag fahren und Laster entladen und beladen mussten“, erklärte DoP Larkin Seiple. Im Interview mit Jessica Derschowitz in „Backstage“ [auf Englisch] schilderte er auch die Schwierigkeiten seines Gewerks beim Weg nach oben: „Das Ding ist tatsächlich, eine*n Regisseur*in zu finden. Die talentiertesten Regisseur*innen haben einen Kameramensch, mit dem sie zusammenarbeiten. Da gibt es selten eine offene Tür – man muss diese Zusammenarbeit von Anfang an aufbauen. Und hoffentlich nehmen sie einen mit auf die Fahrt, wenn sie Erfolg haben.“
In der Gala-Nacht war Matthias Kalle wieder stinksauer, das hatte er in seiner Kolumne in der „Zeit“ schon angekündigt: „Denn ich verstehe nicht, warum die wichtigste Auszeichnung bei dieser Veranstaltung nicht die für das beste Drehbuch ist. Ohne Drehbuch gäbe es schließlich keinen Film, ohne Drehbuch hätte ein Regisseur nichts zu inszenieren, ohne Drehbuch säßen Schauspieler stumm auf einem Stuhl und guckten geradeaus (obwohl Daniel Day-Lewis wahrscheinlich auch dafür einen ,Oscar’ bekäme). Kein Mensch interessiert sich für die Autoren, alle interessieren sich dafür, wer die beste Schauspielerin und wer der beste Schauspieler wird. Dürfen die Drehbuchautoren überhaupt über den roten Teppich gehen […]? Wahrscheinlich, irgendwie müssen die ja reinkommen ins Dolby Theatre, aber sobald ein Star auftaucht, also ein richtiger Star, einer, den die Journalisten fotografieren oder interviewen wollen, sollen die Autoren schleunigst verschwinden, obwohl es eigentlich eine gute Idee wäre, wenn sie blieben, um schnell und heimlich die Antworten für die Stars aufzuschreiben.“
Stattdessen empfiehlt er, eine Serie auf Netflix zu gucken, in der „wenn man so will, fünf ,Oscars’ und mindestens 15 ,Oscar’-Nominierungen versteckt“ sind: „Die Serie hat drei Staffeln und es geht, etwas verkürzt, um die Unmöglichkeit, sich dem Älterwerden zu verweigern. Der Cast von ,The Kominsky Method’ besteht deshalb auch folgerichtig aus Hollywoodadel, dessen große Zeiten schon eine Weile her sind: Michael Douglas spielt diesen Sandy Kominsky mit viel Selbstironie und wenig Wehmut, denn die Geschichte ist kein Drama, sondern eine Komödie.“ Außerdem dabei: Alan Arkin, Kathleen Turner, Danny DeVito und Morgan Freeman.
Im „Tagesspiegel“ macht Inga Barthels bei der Preisverleihung noch weitere Ereignisse der Filmgeschichte aus: „Eine weitere historische Gewinnerin war die Kostümbildnerin Ruth Carter, die als erste schwarze Frau einen zweiten ,Oscar’ gewann. […] Ein großer historischer Moment kam gegen Ende der Verleihung, als Michelle Yeoh den ,Oscar’ für die beste Hauptrolle entgegennahm – als erste asiatische Frau.“ Und auch das gab’s bisher nur einmal: Der „Oscar“ für den besten Song ging nach Indien. Alle Auszeichnungen des Abends gibt der US-Sender ABC [auf Englisch] mit Video im Überblick.
In der „Presse“ beschäftigt sich Peter Huber mit den Spitzen von Moderator Jimmy Kimmel: „Hollywood gingen die Ideen aus, hieß es an anderer Stelle. Die zehn erfolgreichsten Filme des Jahres seien Sequels oder Franchises. Sogar Steven Spielberg müsse Filme über Steven Spielberg drehen. […] Da ging es fast unter, als er darüber witzelte, dass die ,Oscars’ heuer starke Konkurrenz hätten. Die letzte Folge der Erfolgsserie ,The Last of US’ mit Pedro Pascal, der als Host bei den ,Oscars’ tätig war, laufe nahezu parallel. Es war eine Anspielung darauf, wie bedeutungslos die Gala – was Einschaltquoten betrifft – mittlerweile geworden ist. An das Verschieben eines Sendetermins wegen der ,Oscars’ denkt längst niemand mehr.“
Wie Filmgötter feiern, zeigt ein neuer Fotoband zur Modegeschichte der „Oscars“. In der „Berliner Zeitung“ führt Margit J. Mayer durch die größte Abendmodeschau der Welt. Die Zeitreise endet mit kritischen Ausblick: „Die allerletzten Seiten des Bandes signalisieren dann ebenfalls, welchen Preis eine übersteuerte Globalisierung des Glamour für das Phänomen ,Stil’ hatte und hat. […] Auf den finalen Bildern sehen die Stars jedenfalls nicht glücklich aus vor der immergleichen PR-Wand mit dem goldenen ,Oscar’-Logo. Spielbein, Standbein, alles top, die Kleider sitzen und sind frontal in voller Länge zu sehen, wie es wohl in den entsprechenden Verträgen steht. Aber es ist, als wären diese Schauspielerinnen und Schauspieler bereits zu ihren eigenen Avataren geworden. Glänzend, aber leer wirken sie in ihren Outfits, wie seltsame Industrieprodukte. Oder wie die ,Oscar’-Statuette selbst.“
Eine Hollywood-Geschichte ohne Happy End – sowas geht natürlich gar nicht. Zum Glück erklärt Claudia Reinhard in der „Berliner Zeitung“, warum die „Oscars“ Hoffnung für die Zukunft des Kinos geben. Obwohl auch wenn sie ziemlich düster beginnt: „Es kann nicht gut darum stehen, dachte man unweigerlich, als der Moderator Jimmy Kimmel zu Beginn der Show verkündete, dass die zehn erfolgreichsten Filme an den Kinokassen des vergangenen Jahres ausnahmslos Fortsetzungen oder Teile eines Franchises waren. […] Die Academy breitet ihre Arme aus. Nicht nur für mehr Mainstream, sondern auch für mehr internationale Filme, was sowohl mit den global aufgestellten Streamingdiensten als auch der stetig wachsenden Mitgliederzahl zusammenhängt. Mittlerweile stimmen rund 10.000 Filmschaffende aus 80 Ländern ab. Dass sich daraus eventuell Innovationsbedarf ergibt, zeigte die diesjährige Nominierungsliste in der Kategorie ,Bester internationaler Film’ – zwei der Titel waren auch für den Hauptpreis ,Bester Film’ nominiert.“
Deutlich zeige sich das am Hauptgewinn des Abends „Everything Everywhere at Once“: „Dominiert hat die Verleihung ein Film, der mit visuellen und intellektuellen Ideen fast in Überfülle aufwartet, der mit viel Respekt und großer Begeisterung eine Geschichte aus der Arbeiterklasse erzählt, und der ursprünglich mit nur zehn Kopien in den amerikanischen Kinos anlief. Ein Film, der Frauen ins Zentrum stellt, zwei davon jenseits der Sechzig, gespielt von Jamie Lee Curtis und Michelle Yeoh, die beide für ihre Rolle einen ,Oscar’ bekommen haben. […] Für solche Momente schaut man die ,Oscars’. Freilich muss man dazu keine Esel auf der Bühne oder eine Stunde Werbung ertragen – einzelne Clips in den sozialen Medien genügen. Doch weil die ja irgendwo herkommen müssen, ist es durchaus zu begrüßen, dass es die Show noch gibt, auch wenn die Einschaltquoten in den vergangenen zehn Jahren von 40 auf 15 Millionen gefallen sind. Denn die öffentlichkeitswirksam vergebenen Preise setzen größtenteils einen Trend der vergangenen Jahre fort, den das Kino als Signal dringend braucht: Sie weisen in die Zukunft, anstatt sich in Altbewährtem zu suhlen.“