Gedanken in der Pandemie 123: Kinogott in Frankreich
Über die Filmfestspiele und die Pandemie. Und leider nochmal zum Wahlkampf der Grünen – Gedanken in der Pandemie, Folge 123.
„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hinzuschauen.“
Astrid Lindgren
Halbzeit bei den Filmfestspielen von Cannes. Mein Cannes-Tagebuch mit Impressionen und Filmberichten kann man bei „Artechock“ nachlesen. Aber auch Corona ist hier an der Cote d’Azur ein Thema. Man muss den Verantwortlichen gratulieren, denn es ist ihnen geglückt, ein Filmfestival für rund 20.000 Besucher auf die Beine zu stellen, dass dem Normalfall zum Verwechseln ähnlich sieht.
Man hat dafür direkt neben dem Festivalpalais ein eigenes Testzentrum aufgebaut, das allen Gästen kostenlos offen steht. Jeder Festivalbesucher muss, um überhaupt Einlass zu bekommen, entweder vollständig geimpft sein, oder – da das nur selten der Fall ist – einen negativen PCR-Test nachweisen, der nicht länger als 48 Stunden alt ist.
Das gilt nur nicht für jene Kinos, deren Zugänge außerhalb des eigentlichen Festivalgeländes liegen. Denn in Frankreich sind im Gegensatz zu Deutschland Kinos besonders gesetzlich privilegierte Orte – und das bedeutet: frei! Der Zugang für alle Bürger darf auch nicht durch möglicherweise sinnvolle Zwangstests beschränkt oder gar verwehrt werden. Der zu einem Filmfestival schon, weil das ein Arbeitsort ist, auch ein Ort der Medien und der Vermarktung, also weniger heilig als der Kunsttempel Kino.
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Dafür braucht man in Cannes das Testzentrum, die Apotheken können den Extra-Ansturm nicht allein bewältigen. Denn das ist die nächste Erfahrung beim Besuch in Frankreich: PCR-Tests gibt es in Frankreich in jeder Apotheke. Und sie sind kostenlos für alle Bürger!
Ausländer müssen bezahlen, aber viel weniger als zum Beispiel in Berlin. Der PCR-Test kostet zwischen 19 und 29 Euro. Ein Beispiel dafür, dass das – vor allem in Deutschland – vielgelobte deutsche Gesundheitssystem vielleicht doch nicht perfekt ist.
Auf dem Festival herrscht auch Maskenzwang. Allerdings sind in Frankreich OP-Masken und Stoffmasken erlaubt – eine extreme Erleichterung, dass man nicht 16 Stunden durch FFP2-Masken atmen muss.
Weil jeder geimpft oder frisch getestet ist, fühlen sich alle sicher, und die Festivalatmosphäre ist entspannt. Es geht tatsächlich um die Filme hier.
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Trotzdem macht man sich gerade in Deutschland mal wieder Sorgen. Pünktlich zum EM-Schluß, mit dem man sich keine Sorgen mehr um Fußball als Pandemietreiber machen kann, und es für die Klugen und Vorsichtigen keinen Grund mehr gibt, sich über Fußballfans zu empören, beginnt man den Kopf über Filmfans zu schütteln. Recht alarmistisch ist an diesem Montag der Ton im „Spiegel“, wo hinter der Bezahlschranke mit großen Augen gefragt wird „Steht Cannes vor dem Abbruch?“ In der Unterzeile wird dann weitergeraunt: „Coronagerüchte erschüttern Cannes – der Leiter versichert, dass das Festival kein Pandemietreiber sei. Doch der Topstar der Filmfestspiele hat Corona, die Regeln in den Kinosälen werden lax kontrolliert.“ Das ist ein ganz gutes Beispiel dafür, wie Medien zu oft auf eher üble Weise Gerüchte schüren, ungedeckte Behauptungen in die Welt setzen, und Dinge mit einem kleinen „doch“ zusammengebracht werden, die nichts miteinander zu tun haben.
Beginnen wir bei dem „Topstar’, also der Französin Lea Seydoux, die in vier Filmen auftritt. Sie ist zweimal geimpft, und wurde trotzdem an den Tagen vor den Filmfestspielen positiv getestet. In Cannes kann sie sich das nicht geholt haben, es hat also nicht mit dem Festival zu tun. Sie „hat“ auch nicht Corona, sondern ist eben positiv getestet. Sie ist aber auch, wie längst gemeldet wurde, bisher symptomfrei. Wahrscheinlich wird sie in der kommenden Woche irgendwann beim Festival über den Roten Teppich gehen.
Wie eben berichtet, kommt niemand ins Palais der nicht getestet ist, das wird gut nachgeprüft. Von „laxer“ Kontrolle kann sowieso keine Rede sein, weil man hier seit den Anschlägen von 2001 jede Tasche kontrolliert, und größere Taschen vor dem Kinosaal abgeben muss – im Gegensatz zur Berlinale.
Und Gerüchte über einen Abbruch des Festival habe ich nur in deutschen Zeitungen und einer angelsächsischen gelesen, nicht in französischen. Niemand redet hier über so etwas, überhaupt ist Corona angenehm verblasst in den Gesprächen.
Eher habe ich den Eindruck, dass solche Berichte vor allem Wichtigtuerei sind, und dass man bei manchen, nicht gerade filmaffinen Redaktionen für jeden Grund dankbar ist, nicht über Filmkunst berichten zu müssen.
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Eine umfassende Corona-Datenplattform stellt das statistische Bundesamt zur Verfügung. Ich schaue mir das genauer an und berichte.
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Vor einigen Jahren, in der ersten Saison, in der meine Lieblingsmannschaft Borussia Dortmund vom Schweizer Lucien Favre trainiert wurde, war der BVB die Mannschaft der Vorrunde. Neun Punkte Vorsprung hatten sie vor dem FC Bayern. Und dann kamen ein paar Spiele wie das Absurde 3:3 gegen die TSG Hoffenheim nach 3:0 Führung und ein Pünktchen Vorsprung nach dem anderen schmolz weg. Der FC Bayern war gar nicht mal besonders gut, der BVB war einfach schlecht und am Ende war wieder die Mannschaft Meister, die immer Meister wird: Der FC Bayern.
Ein bisschen wirkt die Performance der Grünen in den letzten drei Monaten, ungefähr seit sie ihre Kanzlerkandidaten benannt haben, wie das Versagen der gelb-schwarzen Mannschaft aus dem Ruhrgebiet: Nichts gelingt mehr.
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Warum muss Annalena Baerbock eigentlich überhaupt ein Buch schreiben?
Natürlich kann man jetzt alle möglichen Gründe dafür anführen, warum die kopierten Stellen nicht so schlimm sind, und nicht mit den gefälschten Doktorarbeiten von Guttenberg und Giffey vergleichbar. Stimmt alles, ist auch alles genannt worden.
Vieles am medialen Umgang mit Baerbock ist jetzt ungerecht. Ich gestehe auch sofort zu: Jeder Journalist wird schon gecopypastet haben, ohne die Quelle transparent zu machen. Aber dann schreibt man den Satz wenigstens um! Ich habe auch schon mal ein Buch geschrieben. Wenn ich mir vorstelle, dass mich irgendeiner dabei erwischt hätte, dass ich aus einem Wikipedia-Eintrag abgeschrieben hatte, und zwar so, das ich noch nicht mal den Satz umgestellt hätte, dann wäre das nicht so cool gewesen.
Vergleichbar mit Giffey ist immerhin, wie schwer sich Baerbock tut, auch nur den Fehler zuzugeben, erst recht, sich zu entschuldigen.
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Andererseits möchte ich nicht wissen, was los wäre, hätte Armin Laschet ein Buch geschrieben und wäre dabei erwischt worden, dass er Wikipedia Passagen gecopypasted hat.
Oder nehmen wir Sahra Wagenknecht. Die hat gerade ein Buch geschrieben. Und bisher hat man dort nichts Entsprechendes gefunden, obwohl höchstwahrscheinlich auch einige Plagiatsjäger viele Stunden mit dem Buch verbringen. Hinzu kommt: viele mögen Wagenknecht nicht, selbst in ihrer eigenen Partei, und warten nur auf so eine Gelegenheit.
Leider muss man dazu sagen, dass Wagenknechts Buch – egal ob man es nun mag oder nicht, und ihre Thesen teilt oder nicht – immerhin politische Substanz hat und mit seiner Kritik an Identitätspolitik seit Wochen viel diskutiert wird. Von Annalena Baerbocks Buch habe ich ähnliches bisher noch nicht erfahren. Ist das nun Mobbing?
Albrecht von Luckes so betitelter Aufsatz in den Blättern für deutsche und internationale Politik ist kluger Lesestoff.
Lucke führt die Debatte um Baerbocks versemmelten Wahlkampf zurück auf Sachfragen: „Sieht man einmal von der absurden Dämonisierung der Generation Baerbock ab, die eher hyper-pragmatisch und alles andere als sozialistisch geprägt ist, liegt hier in der Tat die politische Kardinalfrage: Wer schützt wie die Freiheit? Und was genau haben wir heute unter Freiheit zu verstehen?“
Dafür empfehle ich zum Abschluß auch einen guten Aufsatz über die Grünen in der „Zeit“.