Gedanken in der Pandemie 34: Die Corona-Verschwörung

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Wollen die wirklich nur spielen? Eine seltsame Mischung zeigt sich zur Zeit auf den sogenannten „Hygiendemos“. | Foto © Screenshot

Endlich mal erklärt: Wie wir alle belogen werden: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 34. 

„Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt jedoch in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.  […] Auf allen Gebieten gibt es unter dem Vorwand, daß jeder das Recht auf eine eigene Meinung habe, eine Art Gentleman’s Agreement, dem zufolge jeder das Recht auf Unwissenheit besitzt – und dahinter verbirgt sich die stillschweigende Annahme, daß es auf Meinungen nun wirklich nicht ankommt. Dies ist in der Tat ein ernstes Problem, nicht allein, weil Auseinandersetzungen dadurch oftmals so hoffnungslos werden […], sondern vor allem, weil der Durchschnittsdeutsche ganz ernsthaft glaubt, […] dieser nihilistische Relativismus gegenüber Tatsachen sei das Wesen der Demokratie. Tatsächlich handelt es sich dabei natürlich um eine Hinterlassenschaft des Naziregimes.
Man hat es hier nicht mit Indoktrinationen zu tun, sondern mit der Unfähigkeit und dem Widerwillen, überhaupt zwischen Tatsache und Meinung zu unterscheiden.“
Hannah Arendt, Besuch in Deutschland, 1950

 

Es war einer dieser sonnigen April-Samstage, an denen der Ausnahmezustand seine herrlichsten Effekte zeigt: leere Straßen, leere Plätze, geschlossene Geschäfte, nur in Berlin die offenen Buchhandlungen, die Stadt war so schön wie sonst nie. Trotzdem fuhr ich mit der S-Bahn Richtung Westen, der Nachmittagssonne entgegen. Auf einer Bank am Bahngleis lag eine Zeitung, der Blick fuhr instinktiv über die Schlagzeilen, blieb hängen an der Zeile „Demokratischer Widerstand“ und der fettgedruckten Behauptung „Wir sind die Opposition!“ 

Nichts von allem erscheint mir auch nur seriös und bedenkenswert. Aber nichts von alldem ist umgekehrt bislang gefährlich – noch nicht mal aus gesundheitspolitischen Gründen: 3.000 Menschen, das sind nach den aktuellen Zahlen durchschnittlich sechs Infizierte. Seien wir großzügig und rechnen, es sind 12. 

Das scheint beherrschbar. 

Um so ärgerlicher, dass man ein paar Spinner derart aufbläst. 

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Sie meinen es ganz bestimmt gut. Sie warnen. Sie mahnen. Sie fragen: „Lockert Deutschland zu forsch“? „Kommen die Lockerungen zu früh?“ „Kommt jetzt die zweite Welle?“ Sie stellen fest: „Riskanter Neustart“ oder „Die Politik macht auf – die Unsicherheit bleibt“. 

Sie fragen nicht: „Welche Chancen hat die Öffnung?“ Oder: „Wie vermeiden wir die zweite Welle?“ Sie fragen auch nicht nach den Freiheitskosten und anderen Opfern. Wie gesagt: Sie meinen es bestimmt gut. Aber es wäre nicht das erste Mal, das Wohlmeinen das Gute will und doch das Böse schafft. 

Wieder einmal sprechen die deutschen Leitmedien mit einer Stimme. Tenor: Die Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen, von der Politik beschlossen, von den den Staat beratenden Wissenschaftlern gestützt, ist gefährlich. Tenor: Vielfalt ist schlecht, die Regierenden aller Bundesländer sollten einig sein. Da die Länder aber verschieden entscheiden und sich lokal orientieren, kommentiert man das mit der Formulierung: „Die Länder preschen vor.“ Wie oft haben wir diese Formulierung vom angeblichen „Vorpreschen“ der Bundesländer in der letzten Woche gehört? Als handle es sich um vorlaute, unartige Kinder. 

Wie selten wurde dagegen erklärt, dass die Länder alles verantworten, alles entscheiden, dass die Bundesregierung genaugenommen tatsächlich nur „koordiniert“, wie ein verständlicherweise gereizter Armin Laschet bei „Markus Lanz“ gleich zweimal betonte. 

Wie selten wurde die Frage erörtert, ob es tatsächlich Sinn hat, bei einem Ausbruch beispielsweise in einem Altenheim, eine Schule am anderen Ende der gleichen Stadt vorbeugend zu schließen, und alle Schäden, die diese Schulschließung verursacht, billigend in Kauf zu nehmen? 

Stattdessen wird suggeriert, dass ein neuer Anstieg der Infiziertenzahlen nur eine Frage der Zeit sei. Da heißt es dann (bei „Anne Will“ am 10. Mai): „Schon jetzt wird der Wert überschritten.“ 

Man hätte auch kommentieren können: „Noch wird der Wert vereinzelt überschritten“ – die Fakten wären die gleichen, der Tenor ein entgegensetzter gewesen. 

So wird Stimmung gemacht und Unsicherheit geschürt – ob absichtlich oder nicht, spielt hier keine Rolle. 

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Das ist einstweilen noch kein Fehler. Es ist nur Alarmismus, mit einer Tendenz zur Hysterisierung. Geboren aus den tatsächlichen oder vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten unserer Mediengegenwart, in der Fakten immer kommentiert und mit einer Tendenz versehen müssen. „Aufbereitet“. 

Der berühmte, über hundert Jahre alte Slogan der „New York Times“ „All the news that’s fit to print“ spielt hier keine maßgebliche Rolle mehr. 

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Nun laufen unsere Leitmedien in Gefahr, einen ihrer schwersten Fehler der letzten Dekade zu wiederholen – und da Corona keine Kleinigkeit ist, wiegt auch dieser Fehler schwer: Sie laufen in Gefahr, einen unwichtigen, schwachen Gegner groß zu machen, aus purer Sucht zur Skandalisierung, aus dem Drang zur schnellen Quote, aus Verantwortungslosigkeit. 

Seit letztem Wochenende haben unsere Leitmedien nämlich wieder einen klaren Feind entdeckt: Die Demonstranten die sich in einigen Städten, 1.000 in Berlin, 3.000 in München seit einigen Wochen versammeln, um mit recht kruden „Argumenten“ und in mehr als fragwürdiger Zusammensetzung gegen die Politik der Regierenden zu demonstrieren. 

Zur Erinnerung und um mein Argument klar zu machen: Es hätte schon längst keine Pegida mehr gegeben, es gäbe keine AfD, wenn sich die öffentlich-rechtlichen Medien in Bezug auf diese Parteien einfach zurückgehalten hätten. Wenn sie ihnen ein genauso großes Forum gegeben hätten wie der Tierschutzpartei, der ÖDP, der MLPD, der NPD und den anderen drei Dutzend Splitterparteien unseres Parteiensystems – nämlich gar keines. 

Aber nein: Es war ja sexy, ein paar Euro-Gegner zu Günther Jauch einzuladen, weil alle von der CSU bis zur Linken am Ende 2012 Griechenland nicht aus der EU lassen wollten. Erst recht, wenn das Professoren waren, unterbeschäftigte Rentner und abgeschobene „FAZ“-Redakteure. 

Und später dann ein paar sächselnde Frauen, die was vom „Verrat am Volk“ murmelten, 

Und noch später, dann, als 2015 die Flüchtlinge kamen und für zwei Monate wieder alle von CSU bis Linke in Willkommenskultur machten, nur Sarah Wagenknecht etwas von „deutschen Arbeitsplätzen“ murmelte, war es toll, dass man ein paar echte Rassisten in die Quasselshow einladen konnte, und irgendeinen Verfasssungsrechtler und einen Islamforscher, die etwas von Gefahr, von deutscher Identität, von illegaler Grenzöffnung erzählten. 

Sie haben die Jauchs und Wills (nicht aber Markus Lanz!) den Rassisten und Demokratieverächtern, den Rattenfängern und Brunnenvergiftern wieder und wieder ein Forum gegeben und sie zur Gefahr für die Demokratie hochgejazzt, bis sie es tatsächlich waren. 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erst, vor allem das Fernsehen, hat die Rechtsextremisten mit ihren Positionen erst legitimiert. 

Wenn aber Medien in der Demokratie überhaupt eine erzieherische Aufgabe haben (und ich meine in der Tat: Sie haben sie) dann ist es die, undemokratische Positionen zu deligitimieren. 

Nun laufen die Öffentlich-Rechtlichen gerade Gefahr, ihren Fehler zu wiederholen. Zugleich laufen sie Gefahr, angemessene Kritik an der amtlichen Corona-Politik zu deligitimieren. 

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Die erste Wurfzeitung in der S-Bahn macht mich neugierig. Das liegt auch daran, dass Giorgio Agamben, der zumindest immer interessante Philosoph aus Venedig, einer der Herausgeber ist und einen Artikel beigesteuert hat. Hat er den Text legitimiert? Ich denke schon. Auch in der neuesten Ausgabe schreibt immerhin Yanis Varoufakis einen Text. Andererseits sind die übrigen Texte mindestens wirr – wer’s nicht glaubt, kann das hier überprüfen. Und die Demonstrationen überaus schwer erträglich, in ihrer Dummheit, wie auch ästhetisch. 

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„Gemeinsam gegen Corona …“ Eine junge Frauenstimme redet zu uns. Es erscheint wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film. Ist aber die BVG-Ansage in diesen Tagen. 

Auch eine ästhetische Zumutung. Da kommt das Berlin der Gegenwart dann Science-Fiction am nächsten. Das zweite sind die Bullen. Pardon! Eigentlich wirklich nicht meine Sprache. Aber wie sie dann martialisch aufgemotzt, aber ohne Masken, versuchen, die Hygienedemos zu unterbinden, dadurch der Widerstandsgeste der Teilnehmer noch Munition liefern, das ist die traurige Seite unseres Staats. 

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Sprechen wir noch über Framing. Wenn „Markus Lanz“ so etwas wie der öffentlich-rechtliche Lockerungsvorreiter der letzten Wochen war, dann war ARD-Anne Will die Panikmacherin. 

Es ist ja nicht so, dass Anne Will einfach per se obrigkeitskritisch oder regierungsskeptisch wäre und der Regierung, egal was diese tut, besonders scharf auf den Zahn fühlen würde. Das wäre ja etwas. Sondern ihre Kritik ist parteiisch und hat eine klare Richtung: Grüne und Linke kommen in dieser Krise bei ihr so gut nicht vor, und die FDP nur als der Sack, auf den man draufhaut. 

Anne Will fragt Wolfgang Kubicki: „Ist ihr Vertrauen in das eigenverantwortliche Handeln zu groß?“ Da muss sie sich dann erklären lassen, dass „unser ganzes Gesellschaftsbild auf der Vorstellung der Selbstverantwortung“ basiert, „wenn wir das nicht glauben würden, müssten wir den Menschen das Wahlrecht entziehen.“ 

Frau Will aber scheint insgeheim zu denken „dummes Volk“.

So hießen ihre Sendungen der letzten Wochen: „Deutschland macht sich locker – Ist das Corona-Risiko beherrschbar?“; „Mit Vorsicht aus der Corona-Krise – wie hart trifft uns die ,neue Normalität’“?; „Sorge vor zweiter Infektionswelle – Lockert Deutschland zu forsch?“. 

Ähnlich „Kontrovers“, die zentrale Diskussionssendung des Deutschlandfunks: „,Neue Normalität’: Kommt jetzt die zweite Corona-Welle?“; „Geschäfte und erste Schulen offen – Kommen die Corona-Lockerungen zu früh?“

Ähnlich, aber sachlicher Maybrit Illner: „Riskanter Neustart – wer trägt die Verantwortung?“; „Die Politik macht auf – die Unsicherheit bleibt.“ 

Das ist Framing: Der Sinn-Rahmen und die innere Zielrichtung, in die eine Debatte sofort gesetzt wurde. Die implizit vorgegebenen Antworten. 

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Ausnahme: Frank Plasberg mit „Hart aber fair“. Seine Themen stellen die Bürger, ihre Freiheit und ihre Lage ins Zentrum: „Was lässt Corona von unserem Leben übrig?“; „Wie erleben Menschen unser Land in der Corona-Krise?“; „Wie schädlich wird die Dauer-Quarantäne?“; „Werden Altenheime zur Corona-Falle?“; „Wieviel bleibt von unserem Wohlstand?“; „Wieviel Freiheit lässt uns Corona noch?“

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Über die Protestler, die extrem links und im „Querfront“-Milieu anfingen, hat der Deutschlandfunk ein Interview mit „Dany Le Rouge“, Daniel Cohn-Bendit geführt. Der immerhin ist gelassen: Das Demonstrationsrecht müsse man nun wirklich nicht einschränken. Er wüsste nicht, warum Linke weniger spinnen sollten. 

Aber er frage sich auch bis heute, „warum das deutsche Volk in den Dreißiger Jahren so verrückt geworden ist.“

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Ein Plakat in Berlin-Mitte. Darauf: „Gegen den Kapitalismus, die Seuche der Menschheit!“ Darunter steht der „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ – der weiß wenigstens, wo es für ihn selbst langgeht.

Das ist ja schon mal was.

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Machen wir also die irren Hygiendemos nicht größer als sie sind. Erlauben wir ihren Kritikern nicht, sie als Vorwand für was auch immer zu benutzen. Machen wir sie nicht zum Argument, um jede Infragestellung der Regierungspolitik zu delegitimieren. 

Wenn schon framen, dann bitte richtig!

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