Fachkräfte im Film: Mängelwirtschaft

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Seit einem Jahr stöhnt die Branche immer lauter:?Sie findet kaum mehr Fachkräfte für die Drehs. Selbst Schuld:?Der Mangel in der Filmbranche ist hausgemacht! | Foto © cinearte

Seit einem Jahr stöhnt die Branche immer lauter:?Sie findet kaum mehr Fachkräfte für die Drehs. Selbst Schuld:?Der Mangel in der Filmbranche ist hausgemacht! | Foto © cinearte

Seit ein paar Jahren deutet er sich an. Voriges Jahr wurde er für alle sichtbar. Im Herbst mussten erste Produktionen wegen Fachkräftemangel abgesagt werden. Andere Produktionen drehten bereits etwa ohne Regieassistenz. Jetzt ist der Personalmangel schon im Februar wie Donnerhall zu hören und stellt alle vor eine Zerreißprobe – im Guten wie im Schlechten.

Zahlreiche Filmschaffende haben jetzt schon vor dem eigentlichen Saisonbeginn mehrere Anfragen gleichzeitig und sie können sich das Projekt mit den besten Arbeitsbedingungen heraussuchen. Auch lassen sich nun in den Verträgen Konditionen durchsetzen, die bei vielen Firmen oft schwierig waren, zum Beispiel statt (ohnehin unwirksamer) Pauschalgagen eine richtige Überstundenvergütung mit tariflichen Zuschlägen – das heißt bis zu 100 Prozent.

Anderseits haben die Produktionsfirmen massive Probleme, das notwendige Personal für ein Team zusammenzustellen. Versuche, Filmschaffende im benachbarten Ausland zu akquirieren, scheitern oft an der erforderlichen Qualifikation. Das Problem zeigt sich weniger „above the line“, da die Schauspiel- und Filmhochschulen weiterhin jährlich eine Vielzahl von Regisseuren, Kameraleuten und Schauspielern in den Markt spülen. „Below the line“ sieht es jedoch ganz anders aus. Gesucht sind die „Indianer“, insbesondere Requisiteure, Regieassistenten beziehungsweise 1st AD, Aufnahmeleiter oder Garderobieren.

Der Fachkräftemangel hat vor allem zwei Ursachen: Zum einen mangelt es an Nachwuchs, zum anderen aber verlassen zahlreiche hochqualifizierte und langjährig erfahrene Filmschaffende die Branche. Beide Probleme sind selbstgemacht. Weil die Filmbranche es bis heute versäumt hat, verlässliche und verbindliche Strukturen aufzubauen – weder in der Aus- und Weiterbildung, noch im Arbeitsalltag. Wozu auch? Es ging ja auch so. Das Praktikanten­system als Ausbildungsmodell war billiger.
Im Nachwuchsbereich rächt sich nun, dass die Produzenten und die auftraggebenden Sender für die Nachwuchskräfte (Praktikanten) nicht den seit vielen Jahren geltenden Mindestlohn bezahlen wollen. Auch mangelt es an einer nachhaltigen Personalentwicklung. So wird es etwa genügend qualifizierte 1st AD erst dann geben, wenn zuvor regelmäßig auch genügend 2nd und 3rd AD angestellt und herangezogen wurden. Professionelle Filmschaffende wachsen nun mal nicht auf Bäumen.

Produzenten denken aber selten nachhaltig. Für den kurzfristigen Effekt schöpfen sie sich für jedes Projekt nur die „Fettaugen“ von der Suppe ab: diejenigen Filmschaffenden, die gerade ausgebildet und erfahren genug sind, noch nicht zu alt und ausgelaugt, natürlich nicht krank und nicht schwanger. Woher aber diese ausgebildeten Filmschaffenden kommen, daran denken sie nicht. Die jahrelange Haltung, „der Markt wird es schon richten“, geht einfach ins Leere, wenn keines der Unternehmen mehr Nachwuchs (mit Mindestlohn) für den Markt ausbildet. Verkannt wird auch, dass die jungen Leute von heute nicht mehr fürs Filmemachen sterben wollen, sondern einen Anspruch auf eine „Work-Life-Balance“ erheben – ein Wort, welches die Verantwortlichen in der Branche bis vor kurzem nicht gekannt, ignoriert oder gar verhöhnt haben.

Der größte Aderlass für die Branche geht aber von den „alten Hasen“ aus, welche inzwischen zahlreich die Branche verlassen haben. Ursache für Branchen- und Berufswechsel war zum einen für viele der Wegfall des Arbeitslosengeldes, so dass sie finanziell nicht mehr über den Winter kamen. Vor allem aber sind die meisten Filmschaffenden nicht mehr bereit, ihr Privatleben gänzlich für den Film zu opfern.

Den häufig respektlosen Umgang und Wochenarbeitszeiten von 70 Stunden und oft (deutlich) darüber hinaus, wollen viele einfach nicht mehr mitmachen. Durch den häufigen Freitag-Nacht-Dreh wird dann auch noch der Samstag dem Familienleben und Freundeskreis entrissen. Mit über 60 schließlich stellen viele fest, dass ihre Knochen kaputt, Ehe und Familie ­(soweit jemals vorhanden) zerbrochen sind, ein nachhaltiger Freundeskreis mangels Pflege der sozialen Kontakte nicht wirklich aufgebaut wurde und am Ende die Rente durch die kurz­fristigen Arbeitsverhältnisse kaum zum Leben reicht.
Die Verantwortung daran tragen aber nur zum Teil die Produzenten. Vor allem die Rundfunkanstalten haben in den letzten 15 Jahren die Branche „kaputtgespart“.

Ganzjährig hochbezahlte und mit üppigen Pensionsansprüchen ausgestattete Sender–Manager tragen dafür die Verantwortung. Von den vormals über 30 Drehtagen für einen Fernsehfilm sind kaum noch 20 Tage übriggeblieben. Ein TV-Film dauert aber immer noch 90 Minuten. Das Sparen an allen Ecken und Enden ging immer auf die Knochen der Mitarbeiter. Dass diese inzwischen mit den Füßen abstimmen und der Branche den Rücken kehren, sollte niemanden wundern.

Auch die von den Sendern in der Quoten­diskussion sehnlichst gewünschten weiblichen Regisseure lassen sich kaum finden, solange sie (die Sender) weiter dafür sorgen, dass die Film- und Fernsehproduktion die familienfeindlichste aller Branchen ist – und das betrifft nicht nur die Frauen, sondern alle. Die Vereinbarkeit von Film und Familie ist in Deutschland noch nicht mal als anzustrebendes Ziel definiert.

Immerhin wird das Thema allmählich erkannt. Bei einer kürzlichen Fachdiskussion in Stuttgart wurde ich gefragt, was man gegen den Fachkräftemangel tun kann. Zunächst gilt es, eine Studie für die Branche zu erstellen, um den Ursachen von Abwanderung und Nachwuchsmangel qualitativ und quantitativ nachzugehen. Auf einer solchen Grundlage können gezielte Gegenmaßnahmen besser geplant werden. Aber auch schon nach heutiger Kenntnis würden meines Erachtens in den genannten Bereichen folgende Maßnahmen helfen:

Für den Aufbau von Nachwuchs sollten Produzenten und auftraggebende Sender sich verpflichten, in jeder Produktion mindestens vier zusätzliche Praktikanten-Stellen einzukalkulieren, natürlich mit Mindestlohn, denn der frühere „Praktikanten-Stadl“ nach der Devise „Ausbeutung statt Ausbildung“ ist endgültig vorbei. Diese echten Trainees sollten dann zwar auch in den jeweiligen Abteilungen kräftig mithelfen (und dadurch zum Beispiel die Mehrarbeit der Teammitglieder verringern). Deren Mitarbeit müsste aber anhand eines, auch gemeinsam mit den jeweiligen Berufsverbänden ausgearbeiteten, Ausbildungskonzepts erfolgen.

Auch ist es möglich, in unserer Branche „echte Ausbildung“ einzuführen, etwa in Gestalt eines „Volontariates“, was es auch bei mancher Rundfunkanstalt (zum Beispiel beim SWR zum Requisiteur) gibt. Ein solches zweijähriges Volontariat mag für die einzelne Produktionsfirma zu viel sein. Dafür bietet sich aber eine sogenannte „Verbundausbildung“ von mehreren Firmen an, die quartalsweise wechselt. Diese sollten von einer fundierten, überbetrieblichen, fachlichen Ausbildung begleitet werden, ähnlich wie Berufsschulen durch entsprechende Weiterbildungseinrichtungen wie Filmhaus Köln, Bayerische Presseakademie oder Münchener Filmwerkstatt. Erste Ansätze für so etwas hat nun endlich die Produzentenallianz unternommen, leider nur für den eigenen Produktionsbereich und nicht für all die anderen, auch künstlerischen Berufe.

Denkbar ist es auch, dass hier die Rundfunkanstalten Verantwortung und die Koordination solcher Volontariate übernehmen (wie es der NDR vor Jahrzehnten schon praktizierte) und die Mitwirkenden etwa in den Wintermonaten dann für Studioproduktionen einsetzen, so dass Regieassistenten, Aufnahmeleiter, Requisiteure und andere ihren Horizont erweitern können.

Vor allem aber gilt es, die Abwanderung aus der Branche zu stoppen! Schon der Umstand, dass so viele Abgewanderte sich beruflich dem Unterricht von Yoga und anderen Entspannungstechniken widmen, verdeutlicht die Ursache des Übels. Das Übel an der Wurzel zu packen, gelingt aber nur, wenn der Raubbau an Körper und Seele durch eine Normalisierung der Arbeitsbelastung (wieder) deutlich reduziert wird. Im Jahr 2019 wird ein Jahrhundert der Errungenschaft des 8-Stunden-Tags gefeiert. In unserer Branche sind wir aber auch 100 Jahre später weit davon entfernt. Selbst 10 Stunden tägliche Arbeit würden wohl auch die meisten Filmschaffenden noch mitmachen. Danach muss aber wirklich Schluss sein. Darüber hinausgehende Arbeitszeit ist nicht nur gesundheits- und sozialschädlich, sondern mindert die Konzentration, Kreativität und letztlich die Qualität der Filme!

Auch das Wochenende muss wieder den Filmschaffenden, ihren Familien und der Pflege der sozialen Kontakte gehören. Der Freitag-Nacht-Dreh gehört schlichtweg abgeschafft oder mit so hohen Zuschlägen belegt, dass er von Seiten der Produktionen, Regisseure (aber auch manchen Drehbuchautoren, die leichtfertig viele Nachtszenen schreiben) vermieden wird.

In Frankreich geht man den umgekehrten Weg; dort wird am Freitagmittag Schluss gemacht, damit die Mitwirkenden nach Hause zu ihrer Familie kommen und am Montag mit frischem Tatendrang beim Film zurück sind. Hierzulande haben hingegen auch die Tarifparteien, die Produzentenallianz und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), noch immer nicht die Zeichen der Zeit erkannt und glauben, mit immer (ein wenig) höherer Gage würde man den Interessen der Branche und ihrer Menschen gerecht. Weit gefehlt: Mehr Gesundheit und mehr Lebenszeit steht auf der Agenda und würde dafür sorgen, dass mehr Filmschaffende der Branche erhalten bleiben oder sie gar für junge Leute attraktiv wird.

2 Kommentare
  1. Roland Bauer sagte:

    Danke toller Artikel Grüße Roland Ex Hochleistungs Beleuchter. 14 Jahre Lampen geschleppt sehr viel verdiente , Ruhezeiten abkaufen lassen , Komparsen Scheine ausgefüllt , Familie kaum gesehen aber der Film war ja die Familien. Nu verdiene ich 1/4 als Arbeitsanleiter in einer WFBM alles hat seine Zeit aber es war auch sehr sehr schön

  2. Luigi Rensinghoff sagte:

    Sehr geehrter Herr Schmidt-Hug

    Danke für den Artikel und dass sie auf die Misstände in der Filmbranche aufmerksam machen.

    Als Mitglied des BVFT Vorstandes ist mir aufgefallen, dass ein Bereich, in dem es im Hinblick auf Arbeitsbedingungen und Fairness auch nicht gut aussieht, leider nicht mal in einem Nebensatz auftaucht. Nämlich die Postproduktion / speziell die Tonpostproduktion.

    Wir hätten uns an irgendeiner Stelle gewünscht, dass das auch kurz angesprochen worden wäre.

    Ungefähr so:
    Beklagt werden unfaire Arbeitsbedingungen beim Filmdreh aber auch in Bereichen der Postproduktion, speziell z.B.: der Filmvertonung.

    Es wäre hilfreich für uns, unsere Mitglieder, wenn das in zukünftigen Mitteilungen auch mal zur Sprache kommen würde.

    Dazu können Sie uns natürlich jederzeit gerne Anschreiben unter: vorstand@bvft.de

    Seit Okt/November 2018 kämpfen 99 freiberufliche Sounddesigner für faire Gagen ( wir fordern nicht mehr als das, was für festangestellte als angemessen verhandelt wurde) und kämpfen dafür, dass bei unseren Aufträgen endlich auch unser Arbeitsplatz mit teils teurer Technik, Software und Akustikbearbeitung zumindest ÜBERHAUPT berechnet werden kann.

    Im Zuge der letzten Finanzkrisen, der Umgestaltung der Branche (Angestellte-> Freiberufler) sowie des extremen Preisdrucks durch sendernahe Tochterfirmen, ist eine wirklich unerträgliche Situation entstanden.

    Wenn sie möchten, könnten wir uns da gerne auch mal austauschen, ob das eine eigene Meldung wert wäre.

    Mit freundlichen Grüßen

    Luigi Rensinghoff

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