Unständige Beschäftigung: Sieben Tage sind keine Woche

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Schauspieler (wie hier David Krumholtz in der Krimiserie „Numbers“) werden oft nur für einzelne Drehtage verpflichtet. Das kostet die ­Produktionsfirmen mehr Geld für Sozialabgaben. Billiger wird’s, wenn die Einzeltage zusammengezählt werden. Doch dieser Praxis wurde jetzt höchstrichterlich ein Ende gesetzt. | Foto © Paramount

Schauspieler (wie hier David Krumholtz in der Krimiserie „Numbers“) werden oft nur für einzelne Drehtage verpflichtet. Das kostet die ­Produktionsfirmen mehr Geld für Sozialabgaben. Billiger wird’s, wenn die Einzeltage zusammengezählt werden. Doch dieser Praxis wurde jetzt höchstrichterlich ein Ende gesetzt. | Foto © Paramount

Im EU-Vergleich steht Deutschland zwar erst auf Rang 8, auf sein Sozialsystem ist das Land dennoch stolz. Rund ein Fünftel ihres Einkommens zahlen Arbeitnehmer in die Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, die Arbeitgeber geben den selben Betrag hinzu. Dafür sind die Arbeitnehmer dann gegen jegliche vorstellbaren Widrigkeiten abgesichert. Zumindest in der Theorie. Der Haken: Das System basiert auf einem klassischen ständigen Beschäftigungsverhältnis, das nicht in allen Branchen der Standard ist. An den Sets der Film- und Fernsehproduktionen sind die nur auf Produktionsdauer oder gar „unständig” angestellten Beschäftigten in der Überzahl. Auf 25.000 wird ihre Zahl meist beziffert, zuletzt benutzte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) diese Zahl bei den aktuellen Tarifverhandlungen.

Dauert ihr Engagement eine Woche oder länger, ist alles gut, dann zahlen sie ganz normal ihre anteiligen Sozialbeiträge – das gilt in der Regel für die auf Produktionsdauer angestellten Filmarbeiter. Anders verhält es sich mit der „berufsmäßigen unständigen Beschäftigung” – vor allem Schauspieler sind davon betroffen, die nur für einzelne Drehtage engagiert werden. Für die „Unständigen” gelten klare Kriterien: Die unständige Beschäftigung darf nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sein, die „Unständigen” sind in der Regel nicht ständig beim selben Arbeitgeber beschäftigt und das weniger als eine Woche. Dabei zählen nur die konkreten Arbeitstage (Drehtage), egal, wie viele Stunden der Beschäftigte an einem Tag tatsächlich arbeitet.

Eine Schauspielerin, die drei Tage bei einer Produktion mitwirkt, ist also „unständig beschäftigt”, selbst wenn diese drei Tage unmittelbar aufeinander folgen, ein Postbote, der sich mit seiner Filmbegeisterung etwas dazuverdient und vier Tage im Monat als Komparse an einem Set steht, dagegen nicht. Denn wird diese Komparsentätigkeit nur gelegentlich oder nebenher (und in geringem finanziellen Umfang) nachgegangen, handelt es sich um eine „geringfügige Beschäftigung” – der sogenannte Minijob oder 450-Euro-Job, für die den Arbeitnehmern generell keine Steuern oder Abgaben abgezogen werden.

Wiederholen sich die Arbeitseinsätze von Beginn an vorhersehbar in bestimmten Abständen oder ist der Arbeitnehmer vorhersehbar über ein halbes Jahr hinweg mindestens einmal in der Woche und regelmäßig beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt, liegt eine Dauerbeschäftigung vor – das traditionelle Arbeitsverhältnis, das eingangs erwähnt wurde.

Kompliziert? Das war es schon vor hundert Jahren. 1910 gab es zwar noch keine Filmindustrie in Deutschland, aber reichlich ähnliche Beschäftigungsverhältnisse: In den Städten und Häfen, auf den Feldern und Märkten arbeiteten Tagelöhner, die meist nur kurzfristig beschäftigt und in der Sozialversicherung noch nicht berücksichtigt waren. Für sie wurde die „Unständigkeit” eingeführt, mit besonderen Regeln:

> Ihre Sozialbeiträge werden nicht nur für die einzelnen Beschäftigungstage erhoben, sondern (seit Mitte der 1970er-Jahre) für den ganzen Kalendermonat.

> Der Beitrag zur Krankenversicherung ist ermäßigt, weil unständig Beschäftigte zunächst keinen Anspruch auf Krankengeld haben (es sei denn, sie entscheiden sich gegen den ermäßigten für den normalen Beitragssatz). Aber sie sind bis zu 21 Tage nach dem letzten Arbeitstag (kostenfrei) weiter versichert und müssen sich daher in den „Lücken” nicht teuer freiwillig selbst versichern.

> ­Sie sind von der Arbeitslosenversicherung befreit, weil sie wegen der Art und Weise ihrer Arbeitsverrichtung die erforderlichen Anwartschaftszeiten nicht zusammenbekommen können. Derart beschäftigte Filmschaffende ohne Arbeit rutschen gleich ins ALG II, besser bekannt als Hartz IV, die schickere Verbrämung der guten, alten Sozialhilfe.

Die Vor- und Nachteile dieser Regelungen hat der Bundesverband Schauspiel (BFFS) aus seiner Sicht auf seiner Website aufgezählt (Stand: 2007). Ein angeblich gewichtiger Minuspunkt: Dank der Sonderregeln sind die „Unständigen” zwar nicht nur für wenige Tage, sondern für einen ganzen Monat sozialversichert, sie haben aber netto weniger in der Tasche, weil die Beitragsbemessungsgrenzen dadurch „um ein Vielfaches höher sind als für wenige Tage und dadurch die Sozialabgaben steigen.” Die Beitragsbemessungsgrenzen bestimmen, bis zu welchem Betrag das Arbeitsentgelt eines Versicherten für Beiträge der gesetzlichen Sozialversicherung herangezogen wird.

Der Berufsverband erklärt das anhand einer Beispielrechnung. Ergebnis: Dem „unständigen” Schauspieler blieben von 4.000 Euro Bruttoverdienst für fünf Tage noch 2.872,80 Euro in der Tasche (vor Steuern). Würde er dagegen wie ein „normaler” Arbeitnehmer abgerechnet, blieben ihm 862,77 Euro mehr. Sein Nettoverdienst vor Steuern: 3.769,02 Euro. Dazu hätte er sich auch noch fünf Tage für den Anspruch auf Arbeits­losengeld erarbeitet, auch wenn der unter den ­Bedingungen der Branche eher selten auch erreicht wird. Der Unständige wiederum zahlt ­gemeinsam mit seinem Arbeitgeber fast fünfmal so viel in die Rentenkasse ein und wird dafür später eine wesentlich höhere Altersversorgung haben.

Diese Rechnung taugt freilich nur als Illustration, denn die Unständigkeit ist ja definiert und lässt sich nicht einfach die Bedingungen „normaler” Arbeitsverhältnisse überstülpen. Die höheren Sozialbeiträge hatten auch einen guten Grund:?„Tagelöhner” sind nicht immer und nicht zwingend schlecht bezahlt. Auch Anwälte oder Hebammen etwa können unständig arbeiten. Mitunter verdienen sie an den wenigen Tagen soviel wie andere in einem Monat und mitunter muss das Geld auch genauso lang reichen. Die Sonderregelungen für Unständige berücksichtigen das, indem sie dieses konzentrierte Einkommen rechnerisch auf den ganzen Monat verteilen.

Entsprechend ambivalent ist die Einstellung des BFFS zur unständigen Beschäftigung: Die Sonderregel sei „ein sinnvolles Instrument, diejenigen von uns sozial zu schützen, die zur Gruppe der ›Unständigen‹ zählen”. Damit meint der Verband vor allem die Synchronschauspieler, die oft als Selbständige abgerechnet würden. Auch die verantwortlichen Sozialversicherungsträger hätten „diesem unrechtlichen Treiben” bisher kein Ende setzen können, obwohl doch die Regeln klar seien. Bloß kämen die meisten Fälle nicht vor Gericht „und so geht es in der Synchronbranche leider drunter und drüber.” Den Großteil der Schauspieler betreffe die Regelung allerdings nicht.

Ungeliebt bei Arbeitgebern ist die Unständigkeit schon wegen des Aufwands: Sie müssen wesentlich höhere Sozialabgaben zahlen und dabei auch noch die Beitragsbemessungsgrenzen aufteilen, falls ihr Beschäftigter in dem Monat auch noch für andere Produktionsfirmen arbeitet. „Das geht häufig in die Hose, und nicht selten werden die Sozialabgaben doppelt und dreifach geblecht”, behauptet der BFFS. Machen sie da Fehler, müssten sie die Konsequenzen alleine tragen und auch etwaige Arbeitnehmerbeiträge nachzahlen. Denn nur die Arbeitgeber sind für die korrekte Abgabe des Gesamtsozialbeitrags verantwortlich und haftbar.

Das Gesetz könnten sie nicht ändern, bei der Vertragsgestaltung haben sie allerdings Spielräume: So können „die Film- und Fernsehproduzenten die für sie ungeliebte Versicherung […] bei Ein-Drehtags-Rollen allzu leicht mit einem Wochenvertrag aushebeln – völlig legal”, schrieb der BFFS dazu vor elf Jahren. Denn viele Produzenten nähmen ihre Schauspieler für mindestens eine Woche unter Vertrag und müssten sie deswegen nicht unständig versichern. „Das könnten die Produzenten auch durchsetzen, weil sie praktisch am längeren Hebel sitzen. Gerade die Schauspieler, die auf wenige Drehtage angewiesen sind (zum Beispiel viele der „Unständigen”), haben kaum die Macht, die Wochen-Bedingung zu kippen.

„Un-an-ständig” nennt der Schauspielverband diese Verhältnisse. Bloß ist er daran nicht unbeteiligt. Im Mai 2008 hatten die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Bundesagentur für Arbeit über die Beiträge zu den Sozialversicherungen beraten und dabei auch, wie drehtagverpflichtete Schauspieler beurteilt werden sollten. Das Problem: Schauspieler, die zwar in einer Produktion nur für einzelne Drehtage verpflichtet werden und je Drehtag eine Pauschalvergütung erhalten, hatten sich nach den ausgewerteten Einzelverträgen im Rahmen eines zeitlich begrenzten Abrufrechtsverhältnisses noch an weiteren Tagen für Proben, Ersatzdrehs und Nachsynchronisation, einige sogar für Werbemaßnahmen und Interviews zur Verfügung zu halten. Weil diese zusätzlichen Zeiten bereits mit der Pauschale abgegolten wurden, waren die Sozialversicherer davon ausgegangen, dass die Schauspieler nicht nur an den einzelnen Drehtagen, sondern auch an den übrigen Tagen in einem Dauerbeschäftigungsverhä?ltnis stehen.

Auf Widerspruch aus der Praxis hatten sie das Problem mit BFFS und dem Bundesverband Deutscher Fernsehproduzenten erörtert, der inzwischen in der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen (kurz Produzentenallianz) aufgegangenen ist. „Es wurde festgestellt, dass ­insbesondere die drehtagverpflichteten Schauspieler, abweichend von den seinerzeit ausgewerteten Vertragsvereinbarungen, den Produktionsunternehmen nicht über die gesamte Drehzeit zur Verfügung stehen”, heißt es dazu in der Niederschrift der Besprechung [PDF].

Um die tatsächlichen Verhältnisse zu klären, definierten BFFS und BV drei Kategorien:

  1. Schauspieler, die ausschließlich und ständig während der gesamten Drehzeit der Produktion zur Verfügung zu stehen haben.
  2. Schauspieler, die zwar nur an einzelnen Drehtagen mitwirken, dem Produktionsunternehmen darüber hinaus jedoch auch in bestimmten drehfreien Zeiten prioritär zur Verfügung stehen müssen.
  3. Schauspieler, die nur an den einzelnen Drehtagen zur Verfügung stehen und darüber hinaus keinen Prioritäts- oder sonstigen Bindungen unterliegen .

Zusatz- und Vorbereitungsleistungen wurden seitdem mit einer sogenannten Zusatzleistungsformel berechnet, das Ergebnis auf volle Tage aufgerundet und den eigentlichen Drehtagen zeitlich zugeordnet. Dadurch konnte sich die scheinbare Dauer des Beschäftigungsverhältnis auch bei weniger Drehtagen auf eine ganze Woche oder gar darüber hinaus verlängern.

Wo das nicht der Fall war, galt das Engagement weiterhin als „unständige Beschäftigung”. Es sei denn, ein Vertrag umfasste mehrere Beschäftigungszeiten, die zwar insgesamt weniger als eine Woche umfassen, jedoch bereits von vornherein über einen längeren Zeitraum vereinbart wurden.

Ein Schauspieler jedoch fand diese Absprache zu seinem Nachteil. Er war im März und April 2009 für eine Filmproduktion für insgesamt drei Drehtage innerhalb einer Vertragszeit von mehr als einem Monat verpflichtet worden. Nach der Zusatzleistungsformel wurden ihm in Bezug auf die versicherungspflichtigen Zeiten zu den drei Drehtagen insgesamt vier Zusatzleistungstage hinzugerechnet, also auf insgesamt sieben Tage „ausgedehnt”. Weil sein Arbeitsverhältnis dadurch nicht weniger als eine Woche dauerte, wurde für seine Gage von insgesamt 9.090 Euro nicht die monatliche Beitragsbemessungsgrenze angelegt (damals 5.400 Euro pro Monat in der Rentenversicherung), sondern die wesentlich geringere anteilige Tagesbemessungsgrenze von siebenmal 180 Euro, also 1.260 Euro. So hatte er (vor Steuern) zwar mehr Geld auf dem Konto, aber erheblich weniger Rentenansprüche gesammelt. Er klagte gegen seine Krankenkasse, die als Einzugsstelle für die Sozialbeiträge fungiert.

Vor dem Sozialgericht München war er nach jahrelangem Rechtsstreit 2013 gescheitert, ebenso in der Berufung vor dem Bayerischen Landessozialgericht 2016. Das hatte in seinem Urteil (Az.: L 5 KR 43/14) zwar auch festgestellt, „unständige Beschäftigungen sind Arbeitsverrichtungen von sehr kurzer Dauer, die jeweils getrennt voneinander vereinbart werden. Dagegen ergibt die bloße Aneinanderreihung unständiger Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber noch kein ständiges Beschäftigungsverhältnis.” In diesem Fall läge allerdings „eine vertragliche Vereinbarung vor, die mehrere kurzzeitige Arbeitseinsätze umfasst. Die Drehtage reihten sich mithin gerade nicht unvorhersehbar aneinander, sondern waren […] im Vorhinein festgelegt” und „verteilten sich vielmehr auf den 31.03., 16.04., und 22.04.2009. Damit lagen die Drehtage nicht in einem Zeitraum von weniger als einer Woche.” Folglich nahm das Landessozialgericht keine unständige Beschäftigung an. Dass der Vertrag, der dies „im Vorhinein” festlegt, erst mit dem 23. April 2009 datiert ist, also nach dem Beschäftigungszeitraum, kommentierte das Landessozialgericht nicht.

Am 14. März dieses Jahres hat nun das Bundessozialgericht als höchste Instanz beide Urteile aufgehoben und dem Schauspieler Recht gegeben (Az.: B 12 KR 17/16 R): Über die bereits gezahlten Gesamtsozialversicherungsbeiträge hinaus seien weitere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Monat März 2009 aus 3.030 Euro und für den Monat April 2009 aus 6.060 Euro Arbeitsentgelt jeweils bis zur monatlichen Beitragsbemessungsgrenze einzuziehen.

Die Beschäftigung sei zwar „zeitlich geringfügig”, nicht aber die Höhe der Gage, entschied das Gericht. Somit läge klar eine unständige Beschäftigung vor. Welcher versicherungsrechtliche Status vorliegt, hätten nicht die Arbeitsvertragsparteien zu entscheiden. Dies widerspräche Sinn und Zweck der für unständig Beschäftigte geltenden Sonderregelungen.

Im Vertrag zwischen Schauspieler und Produktionsfirma waren drei Drehtage mit Datum festgehalten. „Damit war bei Beginn der Beschäftigung davon auszugehen, dass die jeweiligen (voraussichtlichen) Beschäftigungen im Zeitraum […] auf weniger als eine Woche befristet waren.” Die Umgehung der Sonderregelungen für die Beitragsbemessung unständig Beschäftigter erklärte das Bundessozialgericht für rechtswidrig: Diese könnten nicht einfach unterlaufen werden, indem die Vertragsparteien „innerhalb eines längeren Befristungsrahmens (hier 10.3. bis 23.4.2009) zusätzlich zu den konkreten Arbeitstagen (hier: Drehtage) vorsorglich einen größeren zeitlichen Korridor um diese Termine herum bilden (hier 30./31., 13./14., 21.-23.4.2009), innerhalb dessen Arbeitseinsätze abgerufen werden können.”

Damit widersprach das Bundessozialgericht der Vorinstanz. Schon 1972 hatte es entschieden, dass eine Sprecherin und Moderatorin beim Bayerischen Rundfunk mit 189 Arbeitseinsätzen (Tagen, an denen sie als Sprecherin für den Sender tätig wurde) als unständig Beschäftigte (und damit nicht als durchgehend Beschäftigte) anzusehen sei, weil ihre Beschäftigung mit dem Ende der einzelnen Sendungen ebenfalls beendet gewesen sei. Entsprechend seien die einzelnen Arbeitseinsätze bei einem Arbeitgeber getrennt zu betrachten und dürften damit gerade nicht zusammengezählt werden (Az.: 12 RK 17/72).

Im aktuellen Fall des Schauspielers sollte gerade keine Arbeitsrechtsbeziehung begründet werden, die vom ersten bis zum denkbar letzten Drehtag dauert, befand das Bundessozialgericht. Vielmehr habe von vornherein festgestanden, dass der Kläger ausschließlich an drei Drehtagen für den Arbeitgeber tätig wird, „dazwischen Zeiträume liegen, in denen die Vertragsparteien vertraglich ungebunden sind und darüber hinaus kein Rahmenvertrag weitere Einsätze des Klägers für eine andere Produktion [dieser Arbeitgeberin] vorsah. Die Beschäftigung […] war damit nicht regelmäßig.” Andernfalls hätte ja auch das „allgemeine und umfassende Weisungsrecht” des Arbeitgebers gegolten und es hätten nicht konkrete einzelne Drehtage festgeschrieben werden müssen, an denen sich der Schauspieler für Aufnahmen zur Verfügung halten musste. Dementsprechend habe die Produktionsfirma auch für die jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse gesonderte Abrechnungen erstellt.

Letztlich bestätigt das Bundessozialgericht ausdrücklich die Auffassung des klagenden Schauspielers: „Insoweit weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass bei Zugrundelegung einer nur anteiligen Beitragsbemessungsgrenze zwar zum Vorteil seiner Arbeitgeberin erhebliche Teile des Arbeitsentgelts wegen Überschreitens dieser Beitragsbemessungsgrenze beitragsfrei blieben, dadurch aber letztlich keine ausreichende Altersvorsorge in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Kläger möglich wäre”

Das Urteil des höchsten Sozialgerichts ist rechtskräftig und wirkt nicht nur für die Zukunft. Die fehlenden Beiträge zur Sozialversicherung müssen nun nachbezahlt werden. Im Sinne der Sozialgesetzgebung würde das zu gleichen Teilen aufgeteilt. Rückwirkend kann der Arbeitgeber den Anteil der Arbeitnehmer aber nur bis drei Monate nach Ende des Beschäftigungsverhältnis einfordern. Auch alle anderen Betroffenen können nun in der Vergangenheit zu wenig entrichtete Beiträge über ihre Krankenkasse einfordern.

Dem Schauspieler werden nun Rentenversicherungsbeiträge gutgeschrieben, die mehr als sechseinhalb mal so hoch sind wie die, die er nach der Zusatzleistungsformel erhalten hätte. Durch dieses Urteil hätten „Schauspieler (wieder) eine echte Chance, angemessene Rentenansprüche zu erwerben”, meint der Interessenverband Deutscher Schauspieler (IDS), der den Kläger durch alle Instanzen unterstützt hatte.

Vereinfacht zusammengefasst, hat das Bundessozialgericht entschieden, dass Film- und Fernsehschauspieler ihre Arbeit (beitragsrechtlich) als unständig Beschäftigte ausüben, wenn sie nicht in einem durchgehenden Arbeitsverhältnis vom ersten bis zum letzten denkbaren Drehtag stehen. Daran ändert auch eine vorangegangene „feste Anstellung” oder eine etwaige andere Hauptbetätigung nichts. Ob eine unständige oder „durchgehende” Beschäftigung vorliegt, muss zu Beginn einer Beschäftigung entschieden werden; etwa anhand der Drehpläne, so der IDS. Falls Zweifel bestehen, sei das nach den gesetzlichen Vorschriften im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens der Clearingstelle zu klären. „Diese entscheidet nach unserer Kenntnis ganz überwiegend nach den höchstrichterliche Urteilen des Bundessozialgerichts und nicht nach den Besprechungsergebnissen der Spitzenverbände der Sozialversicherungen.” Das Bundessozialgericht habe „schon mehrfach entschieden”, dass solche Besprechungsergebnisse rechtlich nicht bindend sind. „Maßgebend für die Beurteilung, ob eine unständige Beschäftigung […] vorliegt, können aber nur objektive, nach außen in Erscheinung tretende Umstände sein, nicht aber der unkontrollierbare Wille des Beschäftigten”, urteilte es schon 1962 (Az.: 3 RK 2/58) und wiederholte diese Auffassung zuletzt vor einem Jahr im Falle eines Synchronsprechers (Az.: B 12 KR 16/14 R).

Der BFFS reagierte auf das Urteil mit Unverständnis: „Die Rechtsprechung scheint ihre Auffassung zur Unständigkeit zu ändern”, schrieb das Vorstandsmitglied Heinrich Schafmeister im April in einem Blog zu dem Urteil. Die Begründung lag ihm da noch nicht vor. Bisher habe sich die Sozialgerichtsbarkeit der Ein-Wochen-Grenze orientiert, behauptet Schafmeister: „Und diese ›Woche‹ wurde von den Gerichten immer als Frist interpretiert – und nicht als die Menge von sieben Tagen. Diese Auslegung des Gesetzes war bislang einem Credo vergleichbar fest in der Rechtsprechung der Sozialgerichte verankert.”

Diese Auffassung teilt der IDS nicht und rät Schauspielern daher, den Beginn ihrer derartigen unständigen Beschäftigungen der zuständigen Krankenkasse zu melden, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist: „Sich (weiterhin) auf bestehende oder zukünftige Besprechungsergebnisse oder gar die mündlichen Auskünfte der Krankenkasse […] zu berufen, halten wir für völlig unangebracht.” Durch den eindeutigen Hinweis des Bundessozialgerichts, dass die Sonderregelungen für die Beitragsbemessung unständig Beschäftigter nicht unterlaufen werden dürfen, hält der IDS eine andere Handhabung für nicht vertretbar: „Ob Schauspieler im Stammblatt ankreuzen, dass sie unständig Beschäftigte sind, ist in Bezug auf ihre sozialversicherungsrechtliche Beurteilung unerheblich – sie riskieren aber bei etwaigen falschen oder unvollständigen Angaben, von ihrem jeweiligen Arbeitgeber haftungsrechtlich in Anspruch genommen zu werden.” Außerdem gilt generell: Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen ist strafbar!

Ohnehin sei die Sonderregelung „im Sinne einer scheinbaren Abrechnungssicherheit im Sinne der Produzenten” gewesen, meint dazu Thomas Bauer, der Herausgeber des Schauspieler-Magazins „Cast” [siehe auch seinen Artikel dort]. „Allerdings hat sie nur wenige besser gestellt, viele schlechter gestellt – und zudem war die Vereinbarung zulasten der Sozialkassen/Versicherungsnehmerschaft schlicht nicht zulässig, wie das Bundessozialgericht ja nun schriftlich begründet hat. Sie wäre Sache des Gesetzgebers gewesen, der aber ja eine eindeutige Position bereits festgelegt hatte. An diese hatten sich freilich viele nicht gehalten – oder nur, wenn der Schauspieler/die Agentur klar darauf bestand”, kommentiert er auf der Facebook-Seite von Crew United die Meldung zum Urteil.

Für die Arbeitgeberseite wird die Einordnung dadurch schon gar nicht leichter: Allein auf die Angabe der Schauspieler könne sie sich dabei nicht verlassen. „Bisher habe ich im Zweifel bei der Krankenkasse des Schauspielers nachgefragt, wie sein Status ist, und dann entsprechend abgerechnet”, kommentiert die Filmgeschäftsführerin Hanne Krenz das Urteil an gleicher Stelle.

Für die Arbeitnehmer sieht der IDS das Urteil als Erfolg. Zwar würden durch die höheren Beiträge die Nettoeinkünfte geringer, dem ständen aber „erheblich bessere Leistungen, insbesondere im Bereich der Renten- und der Krankenversicherung gegenüber, die die höheren Abzüge mehr als rechtfertigen. So sind sie bis zu 21 Tage nach dem letzten Arbeitstag kostenfrei weiter krankenversichert.”

Das sieht Schafmeister für den BFFS inzwischen offenbar genauso: „Was heute unsere Geldbörse schont, rächt sich im Alter.”

Dazu noch ein Kommentar zur Meldung auf ­Facebook: „Hoffentlich leisten IDS und BFFS hier gemeinsam Aufklärungsarbeit. Das wäre im Sinne ihrer Mitglieder sehr wünschenswert!”

 

 

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