Gegensätzliche Perspektiven und markige Ansagen gab’s auch in Filmen und den anschließenden öffentlichen Pressekonferenzen. Sie mutierten aber mitunter zu inspirierenden Filmgesprächen. Szenenfoto aus „My Favorite Cake“. | Foto © Hamid Janipour

Auf der Berlinale wurden übrigens auch Filme gezeigt. Als vielfältig, unabhängig und risikobereit wurde das Programm angekündigt. Das sei auch gelungen, findet unsere Autorin. Dabei konnte sie nicht mal alles im Wettbewerb sehen. 

Die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin gehen mit einer heftigen Unstimmigkeit zu Ende. Die auf der Abschlussveranstaltung geäußerten Meinungen einzelner Preisträger*innen zum Nahostkonflikt und die Reaktion von Teilen des Publikums darauf werden von einigen als antisemitisch wahrgenommen. Eine kulturelle Großveranstaltung, die nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, also dem 7. Oktober 2023, in Deutschland stattfindet, sollte mit einer solchen Herausforderung rechnen. Die Frankfurter Buchmesse hatte es im Oktober 2023 vorgemacht. Eine Rede des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek löste zum Auftakt der Buchmesse eine scharfe Diskussion aus. In Frankfurt gelang es den Verantwortlichen und dem Publikum, die mitunter als Zumutung empfundenen Einlassungen auszuhalten. Möge es auch in Berlin gelingen.

Denn wie jedes Jahr öffnete die Berlinale 2024 auch wieder weite Horizonte. Das Programm wurde als vielfältig, unabhängig und risikobereit angekündigt. Und so ist es schließlich auch. Die Vielfalt der gezeigten Filme beweist, dass es geht: Verschiedene Perspektiven dürfen nebeneinander stehen und auch in den Dialog treten. Monologe, bisweilen auch markige Ansagen gab es auf den Pressekonferenzen. Sie mutierten aber mitunter zu inspirierenden Filmgesprächen, die – ganz wichtig! – für alle öffentlich zugänglich sind auf Youtube. So erklärte der in Berlin lebende russische Dokumentarist Victor Kossakovsky die großen Zusammenhänge, die wichtig sind fürs Verständnis seines Wettbewerbsbeitrags über Baumaterialien (dazu mehr weiter unten im Text). Dann wurde er dringlich und rief seinen Appell ins Publikum: „Wacht auf! Zement und Zucker ruinieren euer Leben!“ Am Ende gratulierte er den Berliner*innen ausdrücklich zum Erhalt des unbebauten Tempelhofer Feldes. 

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Nicolas Philibert mit seinem „Goldenen Bären“. Noch sieben weitere in Silber werden im Berlinale-Wettbewerb vergeben – keiner verlässt Europa! Ist das jetzt Zeitgeist oder Zufall? Nicht mal die Hälfte der Filme im Wettbewerb stammte aus anderen Gegenden der Welt. | Foto © Berlinale

Endlich wieder richtig Festival! Nach drei Jahren im Schatten der Pandemie präsentierte sich die Berlinale im alten Glanz. Doch im Wettbewerb und den Preisvergaben ließ sich auch durchaus Neues erkennen.

Im Sommer des Jahres 1951 finden sich mehr als 20.000 Zuschauer*innen in der Berliner Waldbühne ein, um eine Open-Air-Filmvorführung zu sehen. Es ist das Gründungsjahr der Berlinale.

72 Jahre später, im kalten Februar 2023, kreuzen sich die Wege von 20.000 Akkreditierten, darunter 2.800 Medienvertreter*innen aus 132 Ländern, am Potsdamer Platz. Sie sind wieder da, die echten Menschen. Die Kinos sind voll. Im Laufe der 73. internationalen Filmfestspiele Berlin werden 320.000 Tickets für eine Auswahl von knapp 400 Filmen und Serien verkauft. Dem Ruf des Berlinale-Duos Mariëtte Rissenbeek (Geschäftsführung) und Carlo Chatrian (künstlerische Leitung) „Let’s get together“ folgen die Filmbranche und das Publikum gleichermaßen. Selbst die saftigen Ticketpreise von 15 Euro schrecken anscheinend nicht ab. Und das in Zeiten, in denen wir fast alle an irgendetwas sparen müssen. 

Im internationalen Wettbewerb konkurrieren 19 Produktionen um acht Preise. Die Jury, unter Leitung von Kristen Stewart, muss sieben „Silberne Bären“ für besondere Leistungen und einen „Goldenen Bären“ für den besten Film vergeben. Soviel vorweg: Kein Bär verlässt Europa!

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