Verteidiger der Freiheit 

,
 

Der neue Kulturstaatsminister hat einen Artikel geschrieben. Die Kulturseiten lesen es als „seine ultimative Antrittsrede“. Darin geht es weniger um die Kultur, sondern um der Kampf darum.(Szenenfoto aus „Das weiße Band“, 2009). | Foto © X-Filme

Die Kunst wird von allen Seiten bedroht und muss geschützt worden, warnt der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. Die Gefahren schätzt er allerdings recht unterschiedlich ein.

Der Kulturkampf hat längst begonnen, weiß Wolfram Weimer. In einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ [Bezahlschranke] sieht sich der neue Kulturstaatsminister in der Verantwortung: „Wenn Kulturkämpfe ausgefochten werden, geht es selten um Kultur. Es geht um Macht. Verhandelt wird über Deutungsmacht, welche Ideen, Perspektiven, welche Kunst und Wissenschaft erwünscht ist und welche nicht. […] Linke wie Rechte wollen die Kunst politisieren, haben sich aber ein denkbar ungeeignetes Objekt ausgesucht. Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren gilt es zu weiten, anstatt sie zu verengen. […] Nach wie vor entsteht Kunst auf dem Resonanzboden einer vielfältigen Gesellschaft mit unzähligen mentalen Strömungen und schert sich nicht um Vorgaben, Vereinnahmungen oder Verbote. Gerade deshalb muss sie gefördert werden. […] Der Staat kann […] als Mäzen auftreten, sollte sich aber inhaltlicher Einmischung enthalten. Er degradiert ansonsten die Künste zur Platzanweiserin der jeweiligen politischen Korrektheit.“ 

Die „zentrale Programmatik“ der neuen Bundesregierung sei, „dass wir die Mitte stark machen müssen, weil wir sie sonst an die Ränder verlieren.“ 

In der „Berliner Zeitung“ gibt Ulrich Seidler eine wohlwollende Zusammenfassung. Beim „Altpapier“ hingegen ist Ralf Heimann skeptisch, wo der BKM die Mitte vermutet. „Weimer macht im Prinzip das, wovor er eigentlich warnen möchte. Er politisiert die Kunst. Er nutzt sie als Projektionsfläche, und damit wird sie zum Schauplatz dieser Auseinandersetzung. […] Weimer wirft beiden Lagern, dem linken und dem rechten, pauschal Bevormundung vor, kritisiert aber deutlich schärfer die ,Cancel Culture’ der Linken, die er mit Begriffen wie ,Tugendterror’ belegt – also dem Fachvokabular des rechten Kulturkampfs. […] Weimer transportiert schon durch das Framing: Die eigentliche Gefahr ist aus seiner Sicht die übergriffige Identitätspolitik.“ 

Wie Kulturpolitik von rechtsaußen betrieben wird, beschreibt Johann Hinrich Claussen im evangelischen Monatsmagazin „Chrismon“ mit einem aktuellen Beispiel.

Dirk Peitz hätte sich vom Kulturstaatsminister mehr Inhalt gewünscht, „aus dem sich seine künftigen politischen Entscheidungen ableiten ließen oder seine Idee von Kulturförderung zum Beispiel“, schreibt er in der „Zeit“. Jedoch: „Nur am Rande erwähnt Weimer, wie sich der Staat, den er nun mit repräsentiert, zu all dem verhalten solle. Der Staat, schreibt Weimer in bloß einem Satz, könne als ,Mäzen’ der Kunst auftreten und solle sich ,inhaltlicher Einmischung enthalten’. […] Ein Mäzen, mag er die Künste noch so lieben, kann seine Unterstützung jederzeit und ohne Begründung entziehen, wenn ihm danach ist.“  

Weimers Artikel stelle mehr „eine Sammlung von losen Anekdoten dar, als dass sie die These des umfassenden Kulturkampfes stützen würden, der auch Deutschland drohe. Diese Behauptung ist ohnehin eher ein Topos von Talkshows, in denen sich vermeintlich aus dem öffentlichen Diskurs Gecancelte regelmäßig sehr öffentlich über ihr Gecanceltsein äußern können und so einen prächtigen performativen Widerspruch produzieren. Das Sprechen über ,Cancel-Culture’ ist längst Teil einer aufmerksamkeitsökonomischen Zweitverwertung genau dieser ,Cancel-Culture’, selbst wenn man deren vermeintliche Auswüchse immer wieder suchen muss. […] Selbstverständlich gibt es Kulturkämpfe. […] Nichts, was Wolfram Weimer dazu schreibt, ist grundlegend falsch oder skandalös. An seinem Text ist jedoch auch nichts neu oder originell. Außer der Tatsache, dass nun Weimer über Kulturkämpfe schreibt, dem schon vor Antritt seines neuen Amtes unterstellt wurde, er sei selbst ein Kulturkämpfer.“

Auch der Kulturausschuss des Bundestags hat einen neuen Vorsitzenden: Sven Lehmann ist Abgeordneter der Grünen und hat ebenfalls in einem Gastbeitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ [Bezahlschranke] geantwortet. Der BKM ziehe „höchst fragwürdige Parallelen zwischen rechter und linker Kulturkritik“, schreibt Lehmann. „Was Wolfram Weimer als ,linken Kulturkampf’ beschreibt, ist oft nichts anderes als ein Diskurs im demokratischen Raum um Anerkennung und Teilhabe. Der Kulturkampf von rechts hingegen zielt auf Kontrolle, Einschränkung, Ausgrenzung. Genau hier müssen wir widersprechen – als Gesellschaft und als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Die Aufgabe des Bundestags ist es, die Kunst- und Meinungsfreiheit zu schützen, dafür das notwendige Fundament auszubauen und ihre Vielfalt zu sichern.“ 

Weimer schmeißt alles in einen Topf, bemängelt auch Dirk Knipphals in der „Taz“ – „die jüngsten Angriffe Donald Trumps auf Harvard, das Aussortieren Tausender Bücher wegen angeblicher Pornografie in den US-Bibliotheken, ja sogar die blutige Unterordnung der Künste in China und Russland zusammen mit der Kritik hierzulande an den Kabarettisten Dieter Nuhr, der Autorin J. K. Rowling sowie unkritischer Ausgaben von Karl May. Über das Ungleichgewicht der jeweiligen Machtverhältnisse kein Gedanke. […] Sensivity Reading und rechtsradikaler Kulturkampf, moralische Bedenken und tatsächliche Verfolgung von Intellektuellen – sollte man da nicht differenzieren?“ 

Der Kulturstaatsminister hat „seine ultimative Antrittsrede“ gehalten, doch die sei „sehschwach auf dem rechten Auge“, schreibt Gerrit Bartels im „Tagesspiegel“: „,Verteidigt die Freiheit’ ist Weimers Gastbeitrag überschrieben, und unbehaglich wird einem da schon bei der Unterzeile, die einen der zentralen Sätze von Weimers Beitrag zitiert: ,Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren gilt es zu weiten, anstatt sie zu verengen.’ Nicht nur, dass hier eine bis zum Überdruss von den Rechten und Rechtsextremen verwandte Metapher leicht abgewandelt wird […]; sondern dass es genau diese Rechten und Rechtsextremen sind, […] die seit einem Jahrzehnt diese Korridore weiten, um einmal in Reimers schiefem Bild zu bleiben […]. Weimer liebt seine Feindbilder und beklagt, dass Differenzierung ,keine Option, mehr sei, will aber selbst kaum differenzieren.“