Auf dem Weg nach Europa: Belarusian Filmmakers’ Network 

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Die Kultur hat’s in Belarus schwer, wenn sie nicht der Staatsräson folgt. Nicht wenige Filmschaffende haben das Land verlassen und versuchen, anderswo weiterzuarbeiten. Das ist nicht leicht, berichtet Leonid Kalitenya (vorne, mit Brille) vom Belarusian Filmmakers’ Network. | Foto © BFN/Ali Ghadtschi

Gleich hinter der Grenze der EU und fast ganz unten im Demokratieindex liegt Belarus. Auch viele Filmschaffende mussten das Land verlassen und suchen ihr Glück in Europa. 30 von ihnen haben sich im Belarusian Filmmakers Network vereinigt. „Wir wollen Teil der EU-Filmindustrie sein“, sagen sie. „Dauerhaft. Nicht nur als Gäste.“  

Etwa 30 Mitglieder hat das Belarusian Filmmakers’ Network (BFN). Filmschaffende unterschiedlicher Gewerke, die sich entschieden haben oder gezwungen waren, ihr Land zu verlassen, in dem der dienstälteste Diktator Europas herrscht. Jetzt bauen sie alle sich ein neues Leben in einem anderen Land auf. Zum einen kämpfen sie darum, ihren Beruf beizubehalten, zum anderen versuchen sie, irgendwie ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Leonid Kalitenya ist Mitbegründer des Netzwerks. Kalitenya hat mehr als 30 Projekte produziert, die „Dutzende von Preisen“ auf Festivals gewonnen haben: Seinen letzten Film hatte er nach der Revolution in Belarus gedreht, „in einer Zeit, als ich hätte verhaftet werden können“, sagt er. Seine Koffer waren gepackt, die Festplatte mit den Daten schickte er kurz vor seinem Umzug nach Litauen an den Editor. „Wir haben einige Taxifahrer unter uns“, sagt Kalitenya. „Einige preisgekrönte Filmregisseure haben in Polen auf dem Bau gearbeitet. Andere arbeiten im Immobiliensektor in Litauen. Und das liegt daran, dass es sehr schwierig ist, in das System eines neuen Landes einzusteigen.“

Um diesen Einstieg ging’s bei einer Konferenz für junge belarussische Regisseur*innen und Produzent*innen vor zwei Wochen in Berlin, veranstaltet vom BFN und Smart DE, der deutschen Tochter der internationalen Freiberufler-Kooperative. Crew United nahm an einem der Panels teil und überreichte den Teilnehmer*innen ein kostenloses Premium-Abonnement für 3 Jahre. 

 

Herr Kalitenya, „das zeitgenössische belarussische Kino liegt in Trümmern“, schreibt das BFN auf seiner Website. Sie beklagen Bürokratie, Zensur, Angepasstheit Geldmangel und mehr …
Die belarussische Regierung war nie wirklich daran interessiert, die europäische Richtung der Filmentwicklung zu verfolgen. Sie orientierte sich nur an dem, was die Russische Föderation tat. Deshalb begannen einige von uns, unabhängige Kurzfilme zu drehen. Finanziert mit unserem eigenen Geld und ohne jede Art von Förderung. Das war in den 2010er-Jahren. Damals hatten wir ein belarussisches Filmfestival, Bulbamovie, das in Warschau stattfand. Im Jahr 2016 gelang es uns, es nach Minsk zu holen. Danach haben wir unser Bestes gegeben, um Teil der europäischen Industrie zu werden.

Aber dazu brauchten Sie die Unterstützung Ihrer Regierung?
Das größte Problem war, die Unterstützungsschreiben unseres Kulturministeriums zu bekommen, zum Beispiel als wir uns für die Berlinale beworben haben. Das ist nie passiert. wir haben sie nie bekommen. Ihre Antwort im Jahr 2016 war: „Tut uns leid, wir wissen nicht, wer Sie sind.“ Zwei Jahre später schrieben sie zurück: „Jetzt wissen wir, wer Ihr seid, aber wir glauben nicht, dass Ihr das gesamte belarussische Kino repräsentiert.“
Mit der Revolution im Jahr 2020 änderten sich die Dinge. Wir begriffen, dass wir nicht mit unserem Minister zusammenarbeiten konnten, solange die politischen Gefangenen inhaftiert waren. Im Jahr 2022 gelang es uns, auf der Berlinale in den European Film Market aufgenommen zu werden, ohne dass wir ein Unterstützungsschreiben erhielten. 

Wie groß war das Interesse an Ihren Filmen auf der Berlinale?
Diese Ausgabe des EFM fand aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen von Covid online statt. Wir organisierten einige Online-Vorführungen, an denen 46 Vertreter aus verschiedenen Ländern teilnahmen. Zu diesem Zeitpunkt beschlossen wir, eine Art Initiativgruppe zu organisieren. Wir bauten unser Netzwerk auf: ein Gremium, das unsere Rechte irgendwie vertreten könnte.  

Was sind Ihre größten Erfolge mit dem BFN?
Wir sind jetzt Teil des European Film Market auf der Berlinale, wo wir im Februar 2024 wieder dabei sein werden. Vorigen August haben wir den großen Kongress der belarussischen Filmemacher in Warschau veranstaltet. Wir hatten 100 Teilnehmer aus zwölf Ländern, darunter Deutschland, Polen, die Tschechische Republik und Israel. Jetzt sind wir hier in Berlin auf der Konferenz über die Sozialisierung und berufliche Eingliederung belarussischer Filmemacher in die deutsche und europäische Filmindustrie. Bald werden wir in Cottbus sein, um mehrere Filme vorzustellen und hoffentlich Partner für unsere nächsten Projekte zu finden.

Wie weit sehen Sie die Arbeit des Netzwerks in der Zukunft?
Unsere Pläne für das nächste Jahr sehen vor, unsere Aktivitäten zu verstärken, mehr Dienstleistungen anzubieten, mehr Netzwerke zu bilden und mehr Möglichkeiten zu schaffen. Wir haben ein Ziel: ein Teil der Infrastruktur der europäischen Gemeinschaften in der Filmindustrie zu werden. Dieses Ziel wollen wir in den nächsten zwei Jahren erreichen. Wir wollen in diese Struktur einbezogen werden. Als fester Bestandteil, nicht nur als Gäste.  

Wir haben über  Filmschaffende gesprochen. Aber lassen Sie uns über das belarussische Kino sprechen. Wohin entwickelt es sich? Was können Sie über die Filme sagen, die dort gedreht werden?
Wir machen kein europäisches Mainstream-Kino. Ich glaube, wir versuchen, über die Gewalt und den Umgang mit ihr zu diskutieren und einen interessanten und anderen Ansatz zu finden, um die Geschichten zu erzählen. Kürzlich habe ich zum Beispiel einen Film mit dem Titel „Fostering“ gezeigt. Darin geht es um einen Polizisten, der gezwungen ist, drei Aktivisten als Gefangene in seinem eigenen Haus zu halten, weil die Gefängnisse überfüllt sind.
Ein weiteres Beispiel ist das letzte von mir produzierte Projekt: „Summer of ’89“. Der Film spielt wie eine Zeitmaschine: Wir wollten die Mentalität einer Generation erforschen, die schließlich für eine Regierung arbeitet, die kriminelle Handlungen begeht. Aber wir erzählen von diesen Figuren, wenn sie noch jung sind: Was ging ihnen damals durch den Kopf? Wie sahen ihre Gespräche aus? Als wir den Film in Berlin gezeigt haben, haben viele Leute darauf reagiert, sowohl weil ’89 ein bedeutendes Jahr für Deutschland war, als auch weil sie einen Vergleich mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine zogen: Sie fragten sich, was in den Köpfen der Leute vorgeht, die den Krieg mit Putin führen? Was haben sie gedacht, als sie jung waren?

Wird es in Zukunft Vorführungen belarussischer Filme geben, die man in Deutschland besuchen kann?
Ich arbeite mit der Stadt Berlin zusammen, um die erste Woche des belarussischen Kinos zu organisieren. Ich hoffe, dass es dazu kommen wird. In letzter Zeit haben wir einige Filmvorführungen in der Stadt im Kino „Krokodil“ organisiert. Wir planen gerade die nächste für Ende November. Wir werden einen Film mit dem Titel „Na zywo“ („On Air“) zeigen, der zwei Journalisten begleitet, die während der Proteste 2020 über Polizeigewalt berichten und schließlich verhaftet werden. Der Film zeigt sie, wie sie in ihrer Wohnung arbeiten und bei ihren Familien leben. Und sie warten auf das Eintreffen der Polizei. Unser Ziel ist, diese Filme weiterhin zu drehen: Je mehr unsere Profis daran arbeiten, desto schneller werden wir zur Überwindung der politischen Krise in Belarus beitragen.

 

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