Ein Brief ans Filmset

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Oft verteufelt und doch vermisst: „Am Set habe ich arbeiten gelernt“, meint unsere Autorin. Und noch einiges mehr. | Stockfoto

Schlechtes Wetter, kleine Katastrophen und hinten läuft die Zeit … Unsere Gastautorin vermisst die Zeit beim Dreh. Wirklich.

[Wunsch und Anmerkung der Autorin: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.]

Ich möchte eine bekannte Geschichte erzählen, die jeder so oder so ähnlich nachvollziehen kann, der mal am Set gearbeitet hat. Ich war ein junges Mädchen Anfang 20, das mit ihrem ersten Studiengang auf die Schnauze geflogen ist. Zuviel gefeiert, zu wenig gelernt, das erste Mal von Zuhause raus. Da blieb nicht viel Zeit fürs Studium – und schon kamen auch die ersten Zweifel auf. Wollte ich nicht lieber was mit Medien machen? So wie alle? Das ist doch heutzutage angesagt und cool. Die Entscheidung stand. Der Studiengang sollte gewechselt werden, doch erstmal war Sommer. Ein Besuch bei der Familie und eine Tante, die in der Filmbranche tätig ist. So bekam ich ein Praktikum am Filmset. Ohne überhaupt je darüber nachgedacht zu haben, dass es so etwas wie Filmsets überhaupt gibt, stand ich auch schon mittendrin. 

Ein Haufen bunt zusammen gewürfelter Menschen. Lampen hier, Stative dort. Gesichter, die man aus dem Fernsehen kennt und eine ganze Mannschaft in Funktionskleidung. Alles war ziemlich einschüchternd. Auch die Hierarchien irritierten einen. Was der Chef sagt, wird gemacht.

Festes Schuhwerk, Wechselkleidung, am besten noch Gummistiefel mit zum ersten Arbeitstag bringen. Filmset … war das nicht so etwas, für das ein roter Teppich ausgerollt wird? Kaum darüber nachgedacht, stand ich mit den Schuhen auch schon knöcheltief im Schlamm auf einem Bauernhof. Immer wieder in das Kabel vom Headset des Funkgeräts verheddert, stellte ich Biergarnituren auf, stand stundenlang an der Straße und bat Menschen, die nichts mit dem Dreh zu tun hatten, kurz zu warten, damit sie nicht direkt durch unser Bild laufen. Manche interessiert und verständnisvoll, andere schon genervt von diesem Filmset, das den Bauer von der Arbeit abhält. Irritierte Familienväter, die ihren Samstag dazu nutzen möchten, endlich den Rasen zu mähen, wurden gebeten, alle paar Augenblicke für ein, zwei Minuten zu unterbrechen oder gar das Rasenmähen auf einen anderen Tag zu verschieben.

Ich war eine der Ersten und auch eine der Letzten am Set. Befehle kamen von oben. Wenn jemand sagt: „Das muss jetzt passieren“, musste das am besten schon vor zwei Minuten passiert sein.

Es wurde ein strammes Tempo an den Tag gelegt. Jede Minute kostete Geld. Neue Begriffe mussten erlernt werden. Was zum Teufel ist ein Schuko? Für was brauchen wir einen Gardena-Anschluss? Wer oder was ist Continuity, und warum sagt der Typ Zahlen, der diese Klappe schlägt? Warum freuen sich alle, wenn jemand „Martini“ brüllt?

Schnell wurde einem klar, dass es an einem Filmset nicht so zugeht wie bei den „Oscar“-Verleihungen auf dem Roten Teppich, sondern eher wie auf einer Baustelle – nur oft war nach acht Stunden noch kein Feierabend in Sicht.

Nach einem verregneten Tag und schmutzig von der Arbeit war man endlich zuhause, schaffte es gerade noch so, sich in die Dusche zu schleppen und fiel danach todmüde ins Bett.

Nach ein paar Tagen, immer noch etwas eingeschüchtert, begann man langsam, die Strukturen zu durchschauen. Alles machte ein bisschen mehr Sinn. Man merkte, dass die Hierarchien, in denen gearbeitet wurden, nötig waren, um die Zeiten einzuhalten. Man lernte viel, wenn man einfach machte. Aber man konnte auch fragen. Alle waren erfreut, wenn man sich für ihr Department interessierte, und erzählten gerne darüber, wenn es die Zeit zuließ. 

Verwundert hatte mich auch die Art, wie die Menschen miteinander umgehen. Klar wurde manchmal ein strengerer Ton angeschlagen, und es war nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber schon nach ein paar Tagen wurde man morgens umarmt, es wurde sich abends oft beieinander bedankt. Der Tag wurde beim Feierabendbier im Hotel aus Sicht der verschiedenen Departments besprochen, man bekam mit, was bei den anderen gut und schlecht gelaufen ist. Es war wie eine Familie auf Zeit. Alle wussten, dass sie die nächsten Wochen kaum Zeit für sich, für einen Partner oder die eigenen Kinder haben werden. Das bringt der Job mit sich. Deshalb werden die Menschen am Set zu einer Art Ersatzfamilie. Man wird mal laut, man ist mal gestresst, aber man albert auch herum, man lacht oder weint miteinander, man erlebt kleine Abenteuer zusammen, die verbinden. Selbst, wenn man sich danach nie wieder sieht, behält man von jedem Dreh Geschichten, die man nicht mehr vergessen wird.

Nachdem mein erster Dreh vorbei war, ging es mir eine Woche lang richtig schlecht. Ich hatte Set-Heimweh! Ich vermisste die Leute, ich vermisste sogar den Stress und das Gewusel. Meine Mutter hat nach meinem ersten Dreh über mich gesagt, dass ich noch nie in meinem Leben so brav war. Davor bin ich aus jedem Nebenjob herausgeflogen oder irgendwann nicht mehr hingegangen. Aber am Set arbeitete ich noch mit der schlimmsten Erkältung, weil ich wusste, wenn ich fehle, müssen andere mehr arbeiten, und ich wollte nichts verpassen, weil alles so aufregend war. Jeden Tag stand ich pünktlich auf der Matte. Am Set habe ich arbeiten gelernt.

Nach ein paar Wochen bekam ich einen Anruf von meinem Aufnahmeleiter, ob ich ihnen bei einer anderen Produktion aushelfen könnte. Und damit war ich drin. So lief das einige Zeit. Ich arbeitete an verschiedenen Filmsets und studierte eher nebenher. Meine Profs räumten mir Freiheiten ein, damit ich die Jobs am Set machen konnte – Filmset hatte schließlich auch was mit Medien zu tun, also irgendwie auch mit meinem neuen Studiengang. An meiner Hochschule war ich „die vom Filmset“. Das erfüllte mich insgeheim schon ein bisschen mit Stolz.

Nach einigen Produktionen wurde ich von der Praktikantin zur Set-Aufnahmeleitungsassistentin.

Auf einmal trug ich nicht mehr so viele Wasserflaschen von A nach B, sondern war die Verbindungsstelle zwischen Set und Büro – ich lernte Praktikanten ein, ich erteilte Produktionsfahrern Aufträge und kümmerte mich darum, dass die Zeitpläne der Schauspieler für Maske und Garderobe eingehalten wurden. Auf einmal hatte ich richtig Verantwortung. Schon am Abend vor dem nächsten Drehtag setzte ich mich hin und überlegte, wie man was organisieren könnte. Wann ist welcher Schauspieler fertig mit seinen Bildern für diesen Tag? Wie lange braucht der Produktionsfahrer, um den Schauspieler zum Hotel zu fahren und wieder zurück ans Set zu kommen? Was müssen für Einkäufe erledigt werden? Haben wir noch genug Klopapier? Habe ich in meinem kleinen Büro im Sprinter noch genügend Stundenzettel?

Die Dispo bunt angemalt und kleine Anmerkungen darauf gekritzelt, startete der so schön von mir geplante Tag erstmal mit einem Regieauto, das im Stau steckte. Dort im Stau wurde sich überlegt, ob es nicht schlauer wäre, einige Szenen zu tauschen – schon war mein Plan dahin. Zusammen mit meinem Chef musste in Minutenschnelle geplant werden, dass der eine oder andere Schauspieler früher geholt werden muss, das Büro musste Bescheid wissen, alle am Set mussten informiert werden. 

Das war keine Seltenheit. Meistens ging mein Plan vom Vorabend nicht auf. Immer kam etwas dazwischen. Aber so wusste man schon einmal, an was man alles denken musste, wenn die Pläne geändert werden. 

Ich habe gemerkt, wie sich der Körper an die Belastung gewöhnt und wie man sich nach der Arbeit, statt ins Bett zu fallen, noch von seinem Chef auf ein Bier einladen lassen kann, weil er die Drehschlusswette verloren hat. Das Gefühl, wie man beim Abschied versucht, eine Träne zu unterdrücken, werde ich nie mehr vergessen. Die Kombination aus körperlicher Arbeit und Arbeit mit dem Kopf hat mir immer gut gefallen. Mit dem Headset in einem Ohr, dem Chef im Büro am Handy auf dem anderen Ohr, mit der Dispo in der Hand und einem Schauspieler vor der Nase, der eine Frage hat – war ich in meinem Element und fühlte mich von Produktion zu Produktion sicherer.

Wieviel mir die Arbeit am Set gebracht hat, realisiere ich erst, seit ich am Anfang von Corona eine befristete Stelle an meiner Hochschule angenommen habe und dort am Schreibtisch sitze. Dort ist das Arbeitstempo ein anderes. 

Obwohl mich diese Filmsets auch oft an meine Grenzen oder gar an den Rande eines Nervenzusammenbruchs brachten, merke ich aber, dass mich die Arbeit am Set einiges gelehrt hat. Ich kann in Sekundenschnelle Dinge in meinem Kopf organisieren. Ich merke, wie ich gezielt und effektiv Probleme lösen kann oder Pläne entwerfen kann. 

Ich habe ein so großes Selbstbewusstsein entwickelt, was meine Arbeit angeht. Ich weiß inzwischen genau, was ich gut kann. Das Gefühl, wenn man Praktikanten am Set eingelernt hat und sie die Aufgaben irgendwann erledigen, ohne, dass man etwas sagen muss. Das Gefühl, dass Leute auf einen hören. Die vielen unterschiedlichen Menschen, die man kennenlernt und mit denen man zusammenarbeitet (und das alles in so kurzer Zeit), lehren einen, mit verschiedenen Arbeitsweisen und Charakteren umzugehen und sich schnell auf neue Situationen einzustellen. 

Film – ich habe dich auch oft verteufelt, aber ich vermisse dich. Ich komme wieder! Du hast mein Leben verändert.

Theresa Annika

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