Kino in Zeiten von Corona 33 – 1
Kein Kino … in der Woche vom 5. November 2020 – Teil 1.
Es ist eine Vollbremsung. Die Kinos wurden vom Spieltisch gefegt. „Ohne kUNSt und Kultur wird’s still“ prankt jetzt auf vielen kulturellen Häusern, auch auf Kinos. „See You Later“ steht auf dem Berliner Zoo Palast und wir hoffen, dass dieses Später pünktlich eintrifft. Die große Plakatwand vom „Delphi Filmpalast“, in Laufnähe vom „Zoo-Palast“, zeigt noch das Plakat von „Und morgen die ganze Welt“, was ja auch irgendwie passt. Es tröstet wahrlich nicht, dass (wir verlinken die Verordnungen), auch in Großbritannien, Frankreich und Österreich die Kinos im Lockdown feststecken.
„Und morgen die ganze Welt“ hatte nur vier Tage Auswertungszeit und setzte sich sogleich an die Spitze der Arthouse-Charts, sowohl im Kopienschnitt als auch in Gesamtbesucherzahlen. „Schwesterlein“ ist im Kopienschnitt Zweiter und bei den Gesamtbesucherzahlen auf Platz 3. Das für mich nahegelegene „Bundesplatz-Kino“ schreibt auf seiner Website: „Bis zum Sonntag war unser aktueller Film ,Schwesterlein‘ immer ,ausverkauft‘ und die Bestätigung für uns, dass unter den vorgegebenen und von uns umgesetzten Maßnahmen das Kino von Ihnen angenommen wird.“ Knapp 720.000 Tickets wurden allein am letzten Wochenende gelöst, nennt das Branchenportal „Blickpunkt Film“. Der beste Neuzugang in den allgemeinen Charts war der Animationsfilm „Yakari – Der Kinofilm“.
Der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier. Beim letzten Lockdown habe ich mich auf die Suche nach Sehenswertem im Bereich Autokino und Homestreaming und weiteren Online-Angeboten begeben und darin auch eine gewissen Routine erworben. Als die Kinohäuser wieder aufmachen durften, holte ich vom Januar und Februar liegengebliebene Filmbesprechungen wieder hervor und machte gewissermaßen weiter wie zuvor. Sehr schnell gewöhnte ich mich an das steigende Angebot. Der Startplan normalisierte sich stetig, er führte zwar noch keine Blockbuster auf, hatte aber von Woche zu Woche ein reichhaltigeres Angebot. Und jetzt steht alles wieder auf Null. Auch darauf muss man sich wieder einstellen, auch daran muss man sich wieder erst gewöhnen.
Zugleich will man sich nicht gewöhnen. Es lief so gut, zumindest besser … Die steigenden Infektionszahlen will ich sicherlich nicht kleinreden, und inzwischen kennt wohl jede*r irgendwen in seinem*ihrem Bekanntenkreis der*die erkrankt ist oder war, aber mit der Angst vor Ansteckungen müssen wir zu leben lernen. Ich wünsche mir (kontrollierendes) Personal auf U-Bahnhöfen statt geschlossene Kinos. Ein Leben ohne kulturelle Impulse – ach, lassen wir das. Was bei den aktuellen Maßnahmen gar keine Berücksichtigung erfährt, ist, dass das Kino mit den Kinostarts und dem Marketing und der Filmkritik zeitversetzt arbeitet. Die Novembertitel lagen vor, zum großen Teil hat man sie schon gesehen, die Texte liegen jetzt auf Halde. Die Agenturen arbeiten Monate im Voraus. Die Verleiher justieren genau, welche Startwoche passen könnte, und dann muss auch noch die Mischung stimmen, damit man in der jeweiligen Woche nicht zu große Konkurrenz hat.
Und dann jetzt die Vollbremsung. Filme, die jetzt eine verkürzte Laufzeit hatten (darunter die deutsche „Oscar“-Einreichung „Und morgen die ganze Welt“ und die Schweizer Einreichung „Schwesterlein“) wollen im Dezember gleich weitermachen. Wenn sie denn dürfen. Ausnahme: „Wildherz“, den wir vorige Woche besprochen hatten, ist ab 6. November 2020 exklusiv über die Produktionsfirma Catamaran Films als Streaming-Angebot verfügbar. Diese Woche sollte der Berlinale-Gewinner „Doch das Böse gibt es nicht“ starten (jetzt unbestimmt). Wir hätten den neuen Xavier Dolan-Film „Matthias & Maxime“ (voraussichtlich 7. Januar 2021) besprochen und den aktuellen Heinz Emigholz-Film „Die letzte Stadt“ (voraussichtlich Februar 2021). Warner Bros. hätte „Résistance – Widerstand“ mit Jesse Eisenberg als Marcel Marceau und Matthias Schweighöfer als Klaus Barbie in die Kinos gebracht (neuer Termin 21. Januar 2021), und Grandfilm wollte die „Goldene Taube“ des Dok Leipzig 2019, „Zustand und Gelände“, starten (jetzt vorerst ohne Startdatum).
Die letzte Pressevorführung vor dem Wellenbrecher-Lockdown war in Berlin Pietro Marcellos Jack London-Verfilmung „Martin Eden“. Ursprünglich sollte er am 3. Dezember 2020 in die deutschen Kinos kommen. Wie eine Lawine prasselten am 30. Oktober 2020 die Startänderungen ein. Keiner kann sich darauf verlassen, dass am 1. Dezember 2020 wieder alles „normal“ weiter laufen kann. Trotzdem wollen alle gleich wieder am 3. Dezember dabei sein. Die abgewürgten Filmeinsätze, die verhinderten November-Filme, und die vermeintlich Glücklichen, die am 3. Dezember starten sollten. Da schaue man sich auf VDF Kino den aktuellen Stand mal an. Das wird ein Hauen und Stechen, von dem die Filme nichts haben und das Publikum schon gar nicht. Piffl Medien, der Verleih von „Martin Eden“, hat sogleich entschieden, den 3. Dezember zu kippen. „Martin Eden“ startet jetzt, hoffentlich, Mitte Januar. Laut VDF Kino liegen zur Zeit 20 Filme für den 3. Dezember bereit, einige Filme setzen auch auf den 1. Dezember. Das wird so sicherlich nicht stehen bleiben. Aber wie kann man den Stau der Start willigen Titel entzerren?
Die Constantin Film, die mit „Kaiserschmarrndrama“ einen voraussichtlichen Publikumsliebling im Angebot hat, legt sich noch nicht fest. „Startet so bald wie möglich in den Kinos“, heißt es in der Pressemeldung. Man wolle Franz Eberhofer unbedingt noch dieses Kalenderjahr in den Dienst schicken. Weihnachtsfilme wie „Elise und das vergessene Weihnachtsfest“ (Capelight Pictures, ursprünglich 12. November, jetzt 3. Dezember) sind auf einen Advent-Start angewiesen. Nur ein einziger Film hält an seinem Start im November fest und wählt die On-Demand-Variante. Dazu mehr im zweiten Teil unserer Kinostartkolumne.
Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt? Open Air oder Rooftop-Kinos haben im Winter einen schlechten Stand. Autokinos dürfen zumindest in Nordrhein-Westfalen weitermachen. Die Streamingangebote gibt es und es werden auch mehr werden. Grandfilm stellt Roberto Minervinis „What You Gonna Do when the World’s on Fire?“ auf seinen Vimeo-Kanal. Darüber hat unser Kollege Rüdiger Suchsland bereits am Montag berichtet. Wir hatten den Film in unserer 18. Ausgabe im Juli besprochen.
Der Salzgeber Club arbeitet kontinuierlich und zuverlässig. Diese Woche kommt Rhys Ernsts „Adam“ ins Programm. Adam besucht seine lesbische Schwester in New York und wird auf einer Party für einen Trans-Mann gehalten. Soweit die Inhaltsangabe in einem Satz. Aber es gibt auf dem Kanal noch mehr zu entdecken. Die Filmgalerie 451 hat ihr On-Demand-Programm seit dem ersten Lockdown kontinuierlich ausgebaut, teils sind das Titel, die erstmals und ausschließlich auf dem Kanal zu sehen sind. 15 Filme von Heinz Emigholz, 24 Titel von Christoph Schlingensief, 4 von Angela Schanelec, 7 Titel von Roland Klick und so weiter. Auch W-Film hat einen On-Demand-Kanal, und als aktueller Titel ist zum Beispiel „Der Geburtstag“ zugänglich. Unsere Besprechung kann man in der 14. Ausgabe nachlesen. Filme vom Verleih Rapid Eye Movies kann man unter diesem Link aufrufen.
Das On-Demand-Portal „Kino on Demand“ reagiert ebenso und stellt unter dem Label „Lieblingskino“ mit dem Hashtag #streamenfürskino ein Paket zusammen. Für 24,95 € kann man fünf Filme schauen, erhält einen Gutschein, den man im Kino seiner Wahl im Anschluß einsetzen kann und weitere 5,- € gehen an ein Lieblingskino direkt. Als Unterstützung.
Das ist sicherlich nur ein Anfang. Nächste Woche mehr. Zwei Filmbesprechungen bringen wir doch. Diese im zweiten Teil unserer Kolumne.