Kino in Zeiten von Corona 14

,

Gelbe Plakate werben für „Fortsetzung folgt“: Die Kampagne soll den Berliner Programmkinos durch die Krise helfen. Das Spendenziel ist noch nicht erreicht, bis Mitternacht kann heute noch geholfen werden. | Foto © Elisabeth Nagy

Kinostarts und Streams der Woche. Von Elisabeth Nagy

In einer Woche geht es auch in Berlin wieder los mit dem Kinoprogramm. Und nicht nur das. Nächste Woche wird in Berlin ein Kino eröffnet, neu eröffnet. Das Charlottenburger „Klick“ an der Windscheidstraße wurde 2004 geschlossen. Eine kurze Zeitspanne lang, vom März 2017 bis April 2018 wurde es neu belebt. Als der Hauptmieter der Immobilie aufgeben musste, wurde auch den Kinobetreibern gekündigt. Christos Acrivulis und sein Team (Martina Klier, Alessandro Borrelli und Sascha Grunow) haben jetzt renoviert und machen wieder Programm. „Die Geschichte des ,Klick’-Kinos zeigt seinen Charakter als Kiez-Kino. Mit Respekt für seine Geschichte werden wir das Kino wiedereröffnen. Wir möchten einen Ort etablieren, der die Menschen vor allem, aber nicht nur wegen interessanter Filme anzieht. Kunstausstellungen und Autorenlesungen, Liederabende und Poetry Slams – Kultur in all ihren Facetten soll einen einzigartigen Platz in der Winscheidstraße 19 finden“, schreibt Acrivulis in der Pressemitteilung. Im ersten Monat übernimmt Lars Eidinger die Patenschaft, die jeden Monat wechseln wird. Das heißt, man zeigt eine Auswahl seiner Filme, zum Beispiel „Alle anderen“ von Maren Ade und ein paar seiner Lieblingsfilme, darunter „Les mépris“ von Jean-Luc Godard und „Anticrist“ von Lars von Trier. Am ersten Wochenende wird es zwei Tage der offenen Tür geben. Mit Abstand eine gute Sache.

Die Berliner Kinos hatten sich zu einer Unterstützungskampagne zusammengeschlossen. Wenn man denn Augen dafür hatte, entdeckte man im Stadtbild und in den Kinoschaukästen die gelben Plakate für „Fortsetzung folgt“. Die Berliner Programmkinos, 33 an der Zahl mit insgesamt 73 Leinwänden, hat auf Startnext.com eine Kampagne aufgestellt. Man wollte zum einen Spenden sammeln, die das Fortbestehen der Häuser zumindest zum Teil sichern könnten. Zum anderen wollte man Eigeninitiative vorweisen, auch um die Politik, im Verbund, auf die Wichtigkeit filmkultureller Arbeit hinzuweisen. Am 27. März 2020 lief die Aktion an und sie läuft heute abend um 23.59 Uhr aus. Das Ziel war 730.000 Euro. Leider ist man von der Summe noch etwas entfernt. Jeder Euro zählt, darum hier der Hinweis, auch 5 vor 12 kann man noch spenden.

Die Filmkritikarbeit hat diese Woche begonnen. Die Agenturen freuen sich Presseeinladungen verschicken zu können. Wie das dann vor Ort aussieht, kann ich noch nicht berichten. Im Emailordner liest sich das ganz unterschiedlich. Teilweise muss man sich im Vorfeld anmelden. Teilweise gibt es dann wohl Rückbestätigungen. Vielen Einladungen wurden auch der Kontaktverfolgungsbogen angehängt, den man bitte ausgefüllt mitbringen möge, um vor Ort Wartezeit zu sparen. „Hygienevorschriften“ – ein Wort, das mir immer wieder aufstößt, weil Umsicht, Respekt gegenüber den Mitmenschen und Eigenschutz eigentlich keiner Vorschrift bedürfen, müssen eingehalten werden. Einige Agenturen nennen es „Hygieneauflagen“, was sich für mich einen Tick besser anhört. In einigen Kinos werden zur Verpflegung nur verschlossene Getränke bereitstehen. Vorführungen ohne Kaffee? Seufz.

Bevor nächste Woche der Startplan Normalität suggeriert, ist selbiger diese Woche überschaubar. Zum ersten Mal seit langem werden auch wieder vermehrt Spielfilme angekündigt. Nicht alle konnte ich im Vorfeld sichten. Aber bevor ich zu den Filmen der Woche komme, möchte ich noch auf ein Sonderprogramm des Hannoveraner Kinos „Lodderbast“ hinweisen. An diesem Samstag wird man eine Tour durch die Kinos Europas unternehmen. „Cineurope – Eine Reise durch die spannendsten Kinos in Europa“: „In einem 12-Stunden-Livestream reisen wir live durch die spannendsten Kinos in Europa, schnacken mit Kinobetreiber*innen, erkunden außergewöhnliche Kinosäle und lassen euch an dieser Reise teilhaben.“. Das konkrete Programm gibt es ab heute auf der Webseite. Man kann sich jederzeit dazuschalten.

Das Kinokompendium in Berlin setzt seine Interviewreise durch die Berliner Säle fort und spricht im dritten Interview der Reihe mit Christian Suhren vom Kreuzberger Kino „FSK“. Wer schon immer mal wissen wollte, woher der Name des Kinos kommt, erfährt das und noch mehr von der Geschichte des Kinos selbst. Und wenn ich schon die Stadtgeschichte bemühe: Die Geschichte des Stadtmagazins „Zitty“, die wohl auch über Berlin hinaus ausstrahlte, ist leider Geschichte.

Der größte Name der Woche ist sicherlich Clint Eastwood. „Der Fall Richard Jewell“ greift eine wahre Begebenheit auf. Richard Jewell war Sicherheitsbeamter im Centennial Olympic Park in Atlanta, als dort 1996 ein Anschlag verübt wurde. Jewell hatte einen verdächtigen Rucksack entdeckt und schlug Alarm. Bei dem Inhalt der Tasche handelte sich tatsächlich um eine Bombe. Durch die frühzeitige Entdeckung konnte die Anzahl an Verletzten zumindest gering gehalten werden. Aber. Jewell wurde erst als Held gefeiert, und dann verdächtigt selbst der Täter zu sein, der Aufmerksamkeit wolle. Das FBI wandte zahlreiche fiese Tricks an, um ihn vermeintlich zu überführen, und die Presse machte ihn ohne hinreichende Ermittlungsergebnisse fertig. Clint Eastwood inszenierte das Drehbuch von Billy Ray („Captain Phillips“). Vorlage war ein „Vanity-Fair“-Artikel, der bereits kurz nach den Ereignissen veröffentlicht worden war. Der Cast mit Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Jon Hamm und Olivia Wilde kann den Figuren jedoch kaum Tiefe geben. Immerhin Kathy Bates in der Rolle der Mutter von Jewell sticht hervor. Eastwood bezieht in seiner Inszenierung klar Stellung gegen Behörden und Medien. Letztere begriffen dies, als der Film in den USA in die Kinos kam, eindeutig als Angriff auf die Presse.

„Blue Story – Gangs of London“ ist das Langspielfilmdebüt von Andrew Onwubolu, der unter den Künstlernamen Rapman für seine Youtube-Serie „Shiro’s Story“ bekannt geworden ist. Er thematisiert die brutalen Gangkriege, die zwischen den Bewohnern verschiedener Postleitzahlen Londons herrschen und verarbeitet gleichzeitig eigene Erfahrungen. Timmy und Marco waren befreundet, bis Timmy die Schule wechseln musste. Aus Freunden wurde auf der Straße Feinde. Rapman verwendet die Musik nicht nur als Kommentar, sie leitet durch die Handlung, die Kamera von Simon Stolland ist immer mittendrin. Wer in welche Gang gehört, ist kaum auszumachen und doch überlebensentscheidend. Rapman schreckt nicht vor der Darstellung von Gewalt zurück und als der Film in Großbritannien im November in die Kinos kam, setzte sich die Gewalt bei den Aufführungen fort, so dass die Kinos den Film bald aus dem Programm nahmen. Die „Blue Story“ zeigt den Hass wie eine tragische Oper und doch geht es darum, Versöhnung zu finden.

Ein ganz anderes Kaliber ist „Guns Akimbo“. Ursprünglich sollte das Videogame-Spektakel, das in Toronto debütierte, 2019 ins Kino kommen. Damals wäre das noch unter dem Banner von Universum Film gewesen. Universum ging im dem neuen Verleih Leonine auf. Selbst die Presseagentur wechselte. Der Ausdruck „Guns Akimbo“, was mir, da ich keine Videospiele spiele, in der Startmeldung erklärt wird: in beiden Händen hält man gleichzeitig die Waffen. Daniel Ratcliffe spielt einen Loser, der in der Videospielentwicklungsbranche arbeitet, irgendwas in dem Umfeld, aber ziemlich unten in der Hierarchie. Plötzlich findet er sich in einem Live-Game wieder, mit reichlich Schießkraft an den Händen getackert. Was natürlich bei zahlreichen Bedürfnissen echt Probleme bereiten kann. Die Kamera dreht in dem Actioner frei, windet sich in Horizontale und Vertikale und überhaupt, während der Schnitt voll durchrattert. Miles muss mitspielen in dieser Art Gladiatorenkampf, der für eine deutsche FSK-16-Freigabe minimal gekürzt worden ist. Produziert und gedreht wurde nicht nur in Neuseeland, sondern auch in München. DFFF und FFF Bayern förderten. Die Filmmusik kommt mit dem Komponisten Enis Rotthoff auch von deutscher Seite. Regie führte Jason Lei Howden, der bisher 23 Credits unter Visual Effects auf seiner IMDb-Seite zu stehen hat.

Der Verleih Universal kehrt mit einer britisch-amerikanischen, romantischen Komödie zurück und startet ihren ersten Film sowohl im Kino als auch auf den Streamingportalen: „The High Note“ von Nisha Ganatra („Late Night“) erzählt von Maggie (Dakota Johnson, Tochter von Melanie Griffith, die auch kurz auftaucht), die als persönliche Assistentin der Sängerin Grace Davis (Tracee Ellis Ross, Tochter von Diana Ross) arbeitet. Ein anstrengender Job, aber Maggie möchte am liebsten auch noch Graces Karriere managen und für sie neue Songs produzieren. So funktioniert das mit den Hierarchien aber natürlich nicht, da schüttelt Graces Manager Jack (Ice Cube) den Kopf und das Publikum ebenso. Wie praktisch, dass Maggie auf David (Kelvin Harrison Jr.) trifft, der noch keine Karriere hat, aber anscheinend trotzdem gut situiert ist. „The High Note“ verknüpft romantische Gefühle zwischen Maggie und David, wenn man es denn glaubt, mit einem Coming-of-Age und der gleichzeitigen Verwirklichung des Lebenstraumes. Verantwortlich ist die Produktionsfirma Working Title.

Auch W-Film setzt auf einen zweigleisigen Start. „Der Geburtstag“ startet in den Kinos und gleichzeitig auf der On-Demand-Plattform des Verleihs. An den Einnahmen aus dem digitalen Start können Kinos, die auf ihren Seiten den Film hinweisen, beteiligt werden. Richtig gut macht sich „Der Geburtstag“ des Uruguayers Carlos André Morelli („Warisover“) allerdings im richtigen Kino, denn während die Handlung, dazu komme ich gleich, überschaubar bleibt, ist es die visuelle Umsetzung (Kamera Friede Clausz, „Los Ángeles“, „24 Wochen“), die Spaß macht. „Der Geburtstag“ ist nämlich ein Film Noir-Film, der zwar in Halle gedreht worden ist, aber an das Wien aus „Der dritte Mann“ erinnert. Und überhaupt hat der Film hier seine Spuren hinterlassen. Also, Matthias (Mark Waschke) ist der Typ Mann, der immer viel um die Ohren hat, der Versprechungen macht, auch wenn er diese nicht einhalten kann und der sein Leben so gar nicht auf die Reihe kriegt. Selbstverschuldet. Sein Sohn Lukas (Kasimir Brause) hat Geburtstag, aber der Papa hat das mit dem Geschenk nicht hin gekriegt. Mutter Anna (Anne Ratte-Polle), man lebt getrennt, entlässt den Vater nicht aus der Verantwortung. Er hat zur Geburtstagsfeier anzutanzen. Danach könnte er wieder gehen, wenn da nicht … Da ist ein Kind zu viel in der Wohnung, ein Kind wurde nicht abgeholt. Matthias soll sich kümmern, den Jungen nach Hause bringen. Was sich schwieriger gestaltet, als es sein sollte. Großes Drama und das eben auf Film Noir. Arbeitet Matthias nur sein eigenes Kindheitsdrama auf? Wieso, weshalb, warum, zweitrangig, das Wie ist es, worauf das Publikum sich freuen kann. Premiere hatte der Film auf dem Max-Ophüls-Preis-Festival. Regie führte Carlos André Morelli, der 2008 als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des DAAD nach Berlin kam und inzwischen hier lebt.

Einen Dokumentarfilm gibt es diese Woche auch: „Brot“, ein Grundnahrungsmittel, aber Brot ist nicht gleich Brot. Harald Friedl („What Happiness Is“) stellt traditionsbewußte Bäcker und Großbetriebe, die bereits auf digitalisierte Fertigungsprozesse setzen und von 4.0 sprechen, nebeneinander. Auf Zutaten und Backzeit kommt es an. Das macht gutes, gesundes Brot vergleichsweise teuer. Anderen geht die praktische Verfügbarkeit mit optimierten Vorbackwaren für den schmalen Geldbeutel vor. Schadet die Massenproduktion der Gesundheit oder sollte man sich schon Gedanken machen, wie man Brot auf dem Mars backen kann?

Ferner: Koch Films rückt noch einmal mit „Ip Man 4: The Finale“ in den Kinoeinsatz. Auch so ein Film, der nach einer Woche Kino vom Lockdown abgewürgt worden ist. Leider. Ip Mans berühmtester Schüler ist wohl Bruce Lee. Die Serie umfasst einzelne Stationen im Leben des Großmeisters. Der vierte Teil führt Ip Man, gespielt von Donnie Yen, nach Amerika, auf die Suche nach einer Schule für seinen Sohn. Die Serie, Regie führte Wilson Yip, konzentriert sich nicht nur auf gute Kampfszenen. Man besinnt sich auf die Stärken einer Lebensphilosophie und versucht nicht mit allen dramaturgischen Tricks ein Franchise zu etablieren, um es dann bis zur bitteren Neige in die Belanglosigkeit ausbluten zu lassen. 

Ein Kampffilm, zumindest suggeriert das Plakat es, aus deutsch-österreichischer Produktion ist „Gipsy Queen“ von Hüseyin Tabak („Das Pferd auf dem Balkon“). Alina ?erban spielt eine junge Mutter, die von ihrer Familie verstoßen worden ist. Ihr Vater hatte ihr einst das Boxen beigebracht. In Hamburg entdeckt Tobias Moretti ihr Talent.

Den On-Demand-Angeboten widmen wir weiterhin etwas Platz in der Kolumne. Schließlich werden sich noch nicht alle gleich wieder in die Kinos wagen.

Grandfilm und der Kooperationspartner Filmgarten setzen den Film „Cocote“ des Dominikaners Nelson Carlo de los Santos Arias auf ihren Vimeo-Channel. Der Film wurde 2017 auf dem Filmfest Hamburg gezeigt. Ein Mann, gespielt von Vicente Santos, kehrt zur Beerdigung seines Vaters in sein Heimatdorf zurück. Die Zeremonien sind jedoch nicht mehr die seinen. Der Film reibt sich an der Unversöhnlichkeit der religiösen Traditionen. Die bildliche Umsetzung übersetzt das im Wechsel von Formaten und Farben wechseln mit Schwarz-Weiß-Sequenzen. Wahrlich kein leicht zugänglicher Film.

Der Salzgeber Club setzt seinen jüdischen Juni fort. „Gett“ ist der Abschluss einer Trilogie der Regie-Geschwister Ronit und Shlomi Elkabeth („Getrennte Wege“, „Shiva“), hier behandeln sie den „Prozess der Viviane Amsalem“. Gett ist der Scheidungsbrief, mit dem eine Frau das Recht erhält, frei über sich zu entscheiden und eine neue Familie zu gründen. In Israel ist die Eheschließung immer noch eine religiöse Angelegenheit. Über die Scheidung entscheidet allein der Mann, das Rabbinatsgericht kann zwar ein Urteil sprechen, aber nicht durchsetzen. „Gett“ ist ein klaustrophobisches Kammerspiel. Selten verlässt die Handlung den kleinen Raum mit dem Richterpodest. Die Wände sind farb- und schmucklos. Die Kamera verwehrt die Totale und hat den Blick stets auf die gerade im Fokus befindliche Figur. Die Regie ist trotz des kafkaesken Verlaufs des Prozesses über Jahre, mit sowohl hoch dramatischen als auch absurden Verhören, nicht parteiisch. Die Akzente sind wohl überlegt gesetzt. Nur zweimal setzt Musik ein. Viviane, die um ihre Würde mit zunehmender Verzweiflung kämpft, verändert sich merklich durch ihr Kostüm und ihr dezentes Make Up. „Gett“, eine deutsche Koproduktion mit Riva in Hamburg debütierte 2014 in Cannes und gewann auf dem Filmfest Hamburg den „Art Cinema Award“.

Der zweite Film des Doppelpacks ist „Du sollst nicht lieben“. Chaim Tabakman wirft einen Blick auf die Liebe zwischen zwei Männern. Aaron Fleischmann (Zohar Strauss) gehört eigentlich zur ultra-orthodoxen Religionsgemeinschaft, ist natürlich verheiratet, und verliebt sich doch in Ezri (Ran Danker), den er für sein Metzgergeschäft eingestellt hat. Das tut er natürlich nicht leichtfertig. Im Gegenteil, er kämpft gegen diese Gefühle an. Von der Gemeinde her erfährt er schließlich, als er zu seinen Gefühlen steht, angefeindet. Die Dreharbeiten in Jerusalem waren damals schwierig gewesen. Die Reaktion in der orthodoxen Gemeinde war Schweigen. 2009 stellte Tabakman den Film in Cannes in der Reihe Un certain regard vor.