Corona: Brancheninfo 101

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2020 war „ein beschissenes Jahr“ für Europas Filmschaffende. An den Filmen lag’s nicht. Am Wochenende wurden in einer virtuellen Mini-Gala die „Europäischen Filmpreise“ verliehen. | Screenshot

Es kann ja immer noch schlimmer gekommen. Der verlängerte Lockdown wird weiter verlängert und noch strenger. Und in all der Sorge ums Weihnachtsfest ging die jährliche Glanzstunde des Europäischen Films etwas unter. Obwohl das ja auch vor Corona nicht so viel anders war. Wir gratulieren den Nominierten und Preisträger*innen umso mehr. 

Beim „Europäischen Filmpreis“ sahnte am Wochenende vor allem einer ab: Die Tragikomödie „Der Rausch“ erzählt von vier Männern, die sich konstant betrinken, um die Möglichkeiten des Alkohols auszutesten. Thomas Vinterberg aus Dänemark wurde für die beste Regie, den besten Film und das beste Drehbuch (zusammen mit Tobias Lindholm), Mads Mikkelsen für die beste schauspielerische Leistung ausgezeichnet.
Die deutsche Schauspielerin Paula Beer wurde für ihre Rolle im Nixendrama „Undine“ als beste Darstellerin gekürt. Für Dascha Dauenhauers Musik zu „Berlin Alexanderplatz“ ging ein weiterer Preis an einen deutschen Film (die Preisträger*innen in den Einzelgewerken hat die Europäische Filmakademie hier versteckt).
Die diesjährige Gala war in Island geplant, wurde wegen der Pandemie aber abgesagt. Stattdessen wurden die Auszeichnungen an mehreren Abenden hintereinander online vergeben. „Moderator Steven Gätjen stellte gleich zu Beginn der Preisverleihung in Berlin unverblümt fest, dass 2020 ein ,shitty year’, ein ,beschissenes Jahr’ für alle gewesen sei. Und er musste keinem erklären, was er damit meinte“, berichtet die Deutsche Welle.
„Dieses Jahr hatte nur ein Thema. Seine Filme, die in den paar Monaten vor dem ersten und bis zum zweiten Lockdown europaweit liefen, hatten dagegen viele. So war eine traurige Diskrepanz zu fühlen bei der klitzekleinen Gala der 33. European Film Awards, welche die Woche über online verliehen und am Samstag mit den Hauptpreisen abgeschlossen wurden“, bedauert die „Taz“.
„Wie seltsam dieses Jahr zu Ende geht, zeigt sich schon daran, dass mit ,Der Rausch’ vom dänischen Dogma-Mitbegründer Thomas Vinterberg, der im Mai das Cannes-Siegel erhielt, ein Film zum Sieger des Abends wird, der in Deutschland dank geschlossener Kinos bislang noch gar nicht zu sehen war. Es ist ein Déjà-vu aus dem Frühjahrs-Lockdown, als mit Christian Petzolds ,Undine’ und ,Berlin Alexanderplatz’ von Burhan Qurbani zwei Filme aus dem engeren Favoritenkreis für den ,Deutschen Filmpreis’ gerade noch so ihre Berlinale-Premiere erlebt hatten“, meint „Der Tagesspiegel“.
Eine Neuerung lobten mehrere – wohl auch wegen des Themas, mit dem der schottische Regisseur Mark Cousins in der neuen Kategorie „Innovatives Storytelling“ ausgezeichnet wurde. Seine 14-stündige Dokumentation „Women Make Film“ beleuchtet die Geschichte von Frauen im Filmgeschäft. Der Dokumentarfilm werde viel zum Ausgleich des Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern in der Filmindustrie beitragen, sagte EFA-Präsident Wim Wenders bei der Preisverleihung.

 

Die Kinos stehen vor einem radikalen Wandel. Warner Bros. will seine Filme nächstes Jahr zugleich online und im Kino herausbringen. Den Regisseur Christopher Nolan macht das wütend: Filme würden für die große Leinwand als Zugpferd für die Streamingdienste missbraucht. Sein Kollege Steven Soderbergh findet das gut: Filme, die im Kino floppen, könnten so eine zweite Chance bekommen. Auch hierzulande wird über die digitale Zukunft diskutiert, berichtet der Deutschlandfunk und fragt zum Beispiel Björn Hoffmann vom Pandora-Filmverleih. Der sieht da „auch eine Chance, sowohl für die Kinos als auch die Verleiher und ganz besonders fürs Publikum.“ Gerade Arthouse-Filme seien in vielen Städten und Dörfern einfach gar nicht zu sehen. Für die Verleiher gehe es allerdings hierzulande im Moment um die Existenz. Auch weil sie bei den staatlichen Hilfen für November und Dezember leer ausgehen: „Da müssten wir 80 Prozent tatsächlich mit den von der Schließung betroffenen Kinos erwirtschaften, und diese 80 Prozent kann meines Wissens nach kaum irgendein Verleih in Deutschland darstellen.“
Streaming war auch das Thema auf dem Online-Bundeskongress der Kommunalen Kinos – und da scheiden sich die Geister. Doch die haben ganz andere Sorgen, erwähnt der Bericht: „Anders als der Name vermuten lässt, wird nur ein Drittel der 130 kommunalen Kinos des Verbandes von den Städten infrastrukturell gefördert. Seit Jahrzehnten gibt es Forderungen, kommunale Kinos als Kulturstätten wie Bibliotheken und Theater anzuerkennen. Durch die Corona-Krise sind die Kinos ihres Verbandes bisher mit einem blauen Auge davongekommen, meint [die Verbandssprecherin Borjana] Gakovic.“

 

Der „Tatort“ aus Münster war mal wieder Quotenkönig. Die gestrige Folge war so gerne gesehen wie seit über drei Jahren keine mehr und erzielte gar die höchste Zuschauerzahl für einen Fernsehfilm im Jahr 2020. Derart begeistert listet die „Frankfurter Rundschau“ die Rekorde  auf, als kommentierte sie das Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft. Und dass die Folge im Sommer unter Corona-Bedingungen abgedreht wurde, sei „kaum zu bemerken“.
„Der Spiegel“ bemerkt es schon: „Vielleicht wirkt das Spektakel über die blutrünstigen Wiedertäufer-Zeiten deshalb so aseptisch.“ Und tritt gleich nochmal nach: „Volkshochschule trifft Mittelaltermarkt: Der Münster-,Tatort’ über die brutale Herrschaft der Wiedertäufer kommt behäbig daher – vielleicht auch deshalb, weil er unter Corona-Bedingungen entstanden ist.“ Von „ungewohnten und sicher auch erschwerten Drehbedingungen“, hatte der WDR dort selbst noch im Sommer gesprochen.
Zweigespalten bleibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“,wie sich Thiel und Boerne unter solchen Bedingungen „durchs Mittelalter kaspern“.
Die „Taz“ aber sieht hier die Krise als Chance: „Seine Kompaktheit ist die besondere Qualität dieses ,Tatorts’. Während andere Ermittler*innen meist mit einer überladenen Handlung zu kämpfen haben, fiebert man in Münster bis zum Schluss mit, wer denn nun den Schlossherrn umgebracht hat. Was dieser ,Tatort’ zeigt: Einschränkungen aufgrund von Corona können der Fernsehlandschaft nicht nur schaden – sie bergen auch Potenzial.“

„Famoses Serienentertainment mit erstklassiger Besetzung“ hat „Der Tagesspiegel“ auf TV Now entdeckt und meint den Vierteiler „Unter Freunden stirbt man nicht“. Die deutsche Adaption der israelischen Romanverfilmung „Stockholm“ sei „eine vergnügliche Erzählung über alters(un)weise Freundschaft“, eine „Serieneskalationsspirale von tiefschwarzer Heiterkeit.“

 

Eigentlich ist Knut Elstermann als Filmkritiker bekannt, jetzt hat er selbst einen Film zu einem unerwarteten Thema gedreht: „Sorben ins Kino“ beleuchtet das sorbische Filmerbe und Filmleben. Der Teile sei schon „sehr polemisch“, gesteht er im Interview mit MDR Kultur. „Aber was wirklich fehlt, ist der große sorbische Spielfilm. Warum gibt es eigentlich keinen Neunzigminüter, wo vor allem Sorbisch gesprochen wird? Warum gibt es diesen Film nicht, wo Geschichten erzählt werden, die die Sorben täglich erleben, die sie umtreiben, wie Heimatverluste, Veränderung der Natur, natürlich auch Veränderung in der eigenen Kultur, auch da könnten Verluste beschrieben werden. Und auch der Versuch, Tradition zu bewahren. Den gibt es nicht.“

Das Filmfestival Cottbus läuft online, dafür aber noch den Rest des Jahres. Zum 30. Jubiläum würdigt die „Berliner Zeitung“ das „Geschenk für alle Osteuropa-Liebhaber“, mit dem sich „einige Cineasten in Cottbus ihren Lebenstraum“ erfüllt hatten: „Es gibt weltweit kein Festival, an dessen Programm die Verwerfungen des einstigen Ostblocks während der letzten 30 Jahre so eindringlich abgelesen werden.“   

 

Für die meisten Musiker*innen war 2020 eine Vollkatastrophe, bemerkt die „Taz“: Live-Konzerte fielen weg, die Zahlungen von Streamingdiensten seien „bestenfalls Zubrot“. Für die allerdings lief’s hervorragend: Das Coronajahr 2020 bescherte dem Marktführer Spotify rund 50 Millionen neue Kund*innen. Bei den Künstler*innen kam kaum etwas davon an. Mehrere Initiativen fordern einen gerechteren und transparenten Abrechnungsmodus.

Das Bundesjustizministerium soll die EU-Urheberrechtsrichtlinie nationales Recht fassen. Doch der Entwurf ärgert die Künstler. Die stören sich vor allem an der „Bagatell“-Klausel: Zwanzig Sekunden Musik oder Film, tausend Zeichen Text, 250 Kilobyte für Fotos und Grafiken sollen frei nutzbar sein. „Anders gesagt: Den Rechteinhabern wird de facto die Kontrolle über ihr Werk entzogen“, meint Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie, in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: Das zeige, „wie gering man dort den Wert kreativer Leistungen schätzt“ und „wie wenig man bereit ist, sich die Wirkweisen und Refinanzierungsmechanismen in komplexen digitalen Märkten anzuschauen“.  Letztlich werde damit „wieder einmal politisch das Lied der Plattformen gesungen.“

 

Baden-Württembergs Filmförderung wird 25. Im Interview mit „Blickpunkt Film“ zieht MFG-Geschäftsführer Carl Bergengruen eine Jubiläumsbilanz und blickt vorsichtig ins nächste Jahr: „Am meisten beunruhigt mich die Situation der Kinos. Baden-Württemberg hatte bisher eine im Ländervergleich überdurchschnittlich hohe Kinodichte und ich bin nicht sicher, ob das so bleibt. Das jetzt so viel gestreamt wird wie nie zuvor, war klar. Aber die entscheidende Frage ist, ob die Menschen nach der Pandemie wieder in die Kinos strömen werden oder ob die Kinos einen Teil von uns für immer an Netflix & Co. und an die immer größeren Fernseher mit ihren gestochen scharfen Bildern verloren haben.“
Angesprochen wurde auch die soziale Nachhaltigkeit, die die MFG vor drei Jahren zum Förderkriterium erhoben erhoben hat. Da sei man „ein gutes Stück weiter, aber noch nicht am Ziel“, antwortete Bergengruen. „Nach wie vor lassen wir alle Produktionen vor der Fördersitzung von einem Fachmann durchprüfen, ob nach Tarif gezahlt werden soll, soziale Standards eingehalten werden etc. Und noch immer erhalten wir Anträge, die diesen Stresstest nicht bestehen, wenn auch bedeutend weniger als am Anfang. Die werden dann abgelehnt, und darunter sind leider auch ambitionierte, aber unterfinanzierte Produktionen. Manchmal stellen wir unsere Förderzusagen auch unter den Vorbehalt, dass bei der sozialen Nachhaltigkeit noch nachgebessert wird. Im besten Fall erhöhen die Sender dann noch mal ihren Koproduktionsanteil, damit gerecht bezahlt werden kann.“

Eine „Gründerinitiative“ startet die Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) zum Jahreswechsel. „Media Start“ soll jährlich bis zu zehn neue Medienunternehmen begleiten – von der klassischen Film- und Fernsehproduktion bis hin zu den neuen Medienrichtungen wie Virtual oder Augmented Reality und Games. Angesprochen sind Absolvent*innen von Hochschulen wie auch Branchenangehörige, die sich mit einer Firma in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen niederlassen wollen. Sie erhalten für ein Jahr einen monatlichen Betriebskostenzuschuss, nehmen an eigens konzipierten Workshops teil, bekommen erfahrene Mentor*innen zur Seite gestellt und werden mit regionalen und überregionalen Unternehmen sowie potenziellen Auftraggebern vernetzt.

 

Der süd-koreanische Regisseur Ki-duk Kim hat einige Skandale ausgelöst – nicht nur mit seinen Filmen, erinnert die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem Nachruf: Seine Filme „sind wagemutig und zugleich von einer Brutalität und Düsternis, die es ihnen schwer machten, ein großes Publikum zu finden“, doch er war „ein Regisseur für Regisseure – und einer für Filmfestivals“: Ausgezeichnet in Venedig, Berlin und Cannes, in seiner Heimat später des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Am 11. Dezember ist er während einer Covid-19-Behandlung in einem Krankenhaus in der lettischen Hauptstadt Riga gestorben. Kim wurde 59 Jahre alt.

Jean-Louis Trintignant wird 90, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ gratuliert mit einem Rückblick vom Alterswerk in Michael Hanekes Film „Liebe“ bis zum Leinwanddurchbruch in Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau“: „Die Bewegtheit eines undurchdringlichen Gesichts: Das war Trintignants Markenzeichen, das Talent, das ihn für die Besetzung als Gangster und Polizist prädestinierte, aber auch für die Rollen der Mittäter und allzu guten Beobachter im Zeitalter der Extreme …“ Kein Zufall, erklärt die Zeitung: „Hinter diesem Gesicht verbergen sich die Geheimnisse zweier französischer Schauspielschulen“, seine Ausbildung stand „im Zeichen des Widerstreits von Maximen zweier klassischer Epochen der Schauspielkunst.“

 

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