Zukunftspläne auf Sendung
Das lineare Fernsehen ist tot. Glauben zumindest die Leute, die sich lieber ihr eigenes Programm über Streaming-Plattformen wie Netflix und Amazon zusammenstellen. Und das werden immer mehr. Auch die linearen Fernsehsender stellen sich auf diese Zukunft ein. Die Öffentlich-Rechtlichen vertrauen anscheinend auf die Kraft ihrer Mediatheken und die Hilfe der Politik. Am 14. Juni hatten die Ministerpräsidenten beschlossen, den Spielraum der Mediatheken zu erweitern, auf Europäischer Ebene gibt es Bestrebungen, die Ländergrenzen bei der Verbreitung niederzureißen (cinearte 396). In beiden Fällen protestieren die Branchenverbände, die das als Nachteil der Urheber sehen.
Unterdessen haben die Privatsender ihre eigenen Pläne vorgestellt. Pro Sieben Sat.1 und der US-Medienkonzern Discovery wollen mit einer gemeinsame Streaming-Plattform mitmischen, die schon in der ersten Jahreshälfte 2019 Filme, Serien und Live-Sportübertragungen zeigen und innerhalb von zwei Jahren zehn Millionen Nutzer gewinnen soll. Dazu bringen sie ihre bisherigen eigenen Internet- und Video-on-Demand-Dienste Maxdome, 7TV und Eurosport Player ein. RTL, ARD und ZDF seien eingeladen mitzumachen, sagte der neue ProSiebenSat.1-Chef Max Conze auf den Screenforce Days am 20. und 21. Juni in Köln.
Die RTL-Group plant Ähnliches und hat angekündigt, ihren VoD-Dienst TV Now deutlich auszubauen und mit eigenen Inhalten anreichern zu wollen. „Das lineare Fernsehen ist unser Rückgrat, aber wir werden in den nächsten Jahren stark in unsere Video-on-demand-Angebote investieren“, sagte der Chef der RTL-Group, Bert Habets, vor zwei Wochen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Die Digitalisierung werde die Angebote der Sender auch inhaltlich verändern, denn „die junge Generation konsumiert Medien anders.“ Deshalb „müssen wir verstärkt Formen finden, die nur noch 10 bis 15 Minuten dauern und anspruchsvolle Inhalte bieten.“
Am 27. Juni wurde bekannt, dass die drei Pay-Sender RTL Crime, RTL Passion und RTL Living ab Mitte Juli nicht mehr auf Sky ausgestrahlt werden. Das dürfte eher ein Verlust für Sky sein, denn RTL investiert in eigene Produktionen – im April wurde das Remake von Fritz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“ mit Moritz Bleibtreu als Miniserie für RTL-Crime abgedreht. Und das wird, wie die beiden anderen Bezahlsender weiterhin bundesweit über Kabel und IPTV ausgestrahlt.
Ein paar Tage vorher hatte RTL mit Sony Pictures Entertainment eine Partnerschaft ausgehandelt und wird mehr als 160 Stunden Programm in Sonys Streaming-Angebot Watchbox einspeisen – vor allem Animationsfilme und -serien.
„Immerhin versucht man jetzt Allianzen zu schmieden, also niemand versucht mehr, das alleine zu machen“, meint dazu Thomas Lückerath, Chefredakteur des Medienmagazins „DWDL“. Fraglich sei allerdings noch, ob diese anderen über ihren Schatten springen, um tatsächlich einen „gemeinsamen deutschen Champion zu schaffen“, wie es sich etwa Conze vorstellt. Und mit welchem Programm man den Streaming-Platzhirschen Konkurrenz machen könnte. „Hier könnten die exklusiven Sportrechte, die Discovery für Deutschland besitzt, ein wichtiger Aspekt sein, um neue Kunden zu gewinnen“, meint Lückerath. Das letzte Wort hätte allerdings das Bundeskartellamt. Das hatte schon vor gut fünf Jahren solche Pläne verhindert. Damals wollten die Öffentlich-Rechtlichen mit Germany’s Gold und die Privaten mit Amazonas gemeinsame Mediatheken starten.
In Frankreich hat unterdessen die Canalplus-Group den Kampf gegen die US-Konkurrenz aufgegeben und angekündigt, ihren Streaming-Service Canal Play sieben Jahre nach dem Start einzustellen. Seit dem Erscheinen von Netflix sei die Zahl der Abonnenten von 800.000 auf 200.000 geschrumpft. Schuld seien auch hier die Kartellwächter gewesen: „Erneut versetzt uns das Kartellamt in die groteske Situation, dass wir nach dreieinhalb Jahren die internationalen Rechte für unsere eigenen Produktionen verlieren. Wir müssen sie zurückkaufen, um sie international auswerten zu können“, sagte Maxime Saada, Präsident der Canalplus-Group.
Die Pläne von RTL gehen aber noch über das Streaming hinaus. Sogar noch viel weiter. Die RTL-Group ist mit 57 Sendern Europas größte Privatfernsehbetreiberin. Und selbst wiederum Teil von Bertelsmann, eines der größten Medienunternehmen der Welt. Zur RTL-Group gehören außerdem der Verleih Universum Film, die Produktionsfirma Ufa Fiction mit ihren Töchtern, der Studiobetrieb Cologne Broadcasting Center und einiges mehr, mit denen die Gruppe 2016 einen Jahresumsatz von 6,2 Milliarden Euro erwirtschaftete – halb so viel wie Netflix weltweit. Bei dieser Größe plant man nicht klein und situationsbedingt, sondern langfristig und in größeren Dimensionen.
Nun sind in den jüngsten Wochen aus verschiedenen Ecken der Gruppe plötzlich auffällig viele Meldungen erschienen, die jede für sich kein übermäßiges Aufsehen erregten. Zusammengefügt vermitteln diese Mosaiksteinchen aber eine Ahnung, was der Konzern vorhaben könnte.
Im kommenden Jahr soll „Der Club der roten Bänder in die Kinos“ kommen. Der Film ist ein Prequel zur gleichnamigen hochgelobten Fernsehserie. Während der Fernsehsender schon seit einiger Zeit an neuen Serien (auch als internationale Koproduktionen) arbeitet, ist seine Liebe zum Kino noch frisch. Im Interview mit „Blickpunkt Film“ [nicht frei zugänglich, Red.] erklärte RTL-Fiction-Chef Philipp Steffens, selbst Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, die „Fiction-Offensive“ ziemlich idealistisch: „Wir haben beschlossen, uns noch konkreter und stärker auszutauschen, um auf allen Ebenen eine Heimat für die Kreativen zu sein. Autoren, Regisseure, Produzenten und auch Schauspieler sollen nicht nur zu uns kommen, wenn sie mit einer bestimmten Farbe ein großes Publikum bei RTL oder Vox ansprechen wollen. Auch wenn sie Lust haben, einen Kinofilm zu machen, finden sie bei uns den richtigen Partner.“
Zwei Fragen später brachte er es auf den Punkt: „Die Mediengruppe hat ein Alleinstellungsmerkmal in der Verbindung von mehreren starken Sendern und einem starken Kino- und Home Entertainment Verleiher. Für die Produzenten und Kreativen in Deutschland entsteht dadurch eine ganz besondere Situation, nicht nur in der Entwicklung und Finanzierung der Projekte, sondern später auch in der Bewerbung, in allen Auswertungsstufen. Das macht die Mediengruppe zu einem starken Partner, der in Deutschland einzigartig ist.“ Zudem habe man noch so „einiges im Köcher“, über das er jetzt noch nicht reden wolle, weil „so ein Unterfangen nicht von heute auf morgen funktioniert.“
Ob man daraus schließen könne, dass der größte Privatsender auch die erste Anlaufstelle fürs Kino werden sollte? „Natürlich“, sagte Steffens. Den großen Geldregen muss die Branche deshalb aber nicht gleich erwarten. „Wir haben jetzt nicht den Gedanken, dass ein Film zwingend sechs, sieben Millionen Euro kosten muss“ sagte an gleicher Stelle Max Conradt, bei Universum für Produktion, Koproduktion und Ankauf deutscher Filme verantwortlich. „Das ist nicht der Ansatz und entspricht auch nicht dem Budget, das ,Club der roten Bänder‘ hat oder braucht, um seine Geschichte zu erzählen. Es kommt immer auf die Geschichte an, damit begeistert man uns und am Ende die Zuschauer. Es wäre ein Fehler, einen Film, nur weil er kein großes Budget erfordert, von vorneherein auszuschließen.“
Es gehe genauso um den Aufbau von Talenten, fügte Steffens an: „Wir haben die Infrastruktur und geben ihnen jetzt die Möglichkeit, ihre Karriere weiter bis ins Kino auszubauen. Das ist doch der Traum eines jeden Schauspielers. Wir schauen intern ganz genau darauf, welche Talente den Wunsch haben, auch fürs Kino zu arbeiten. Es ist eine zusätzliche Chance für diejenigen, die wir gerade mit all unseren Eigenproduktionen aufbauen.“ Das Ganze gelte natürlich auch für Autoren oder Regisseure, ergänzte Conradt.
Da stolpert man über ein ganz anderes Mosaiksteinchen. Anfang Juni war in Auszügen das vorläufige Ergebnis der aktuellen Tarifverhandlungen für Film- und Fernsehschaffende gemeldet worden. Erstmals seien darin auch Regelungen für Hochschul-Abschlussfilme getroffen worden, die in Zusammenarbeit mit Produktionsfirmen entstehen. Nun könne man endlich auch dort den Produktionsprozess verbindlich gestalten, freute ich die Produzentenallianz. Sie räumte aber auch ein, dass die Regelungen vom üblichen Tarif „(nach unten) abweichen“ und „mehrjährige Anläufe“ nötig waren. Die Überschrift zu dem Abschnitt sagt außerdem, dass darin auch Debütfilme eingeschlossen sind – im Text selbst werden sie nicht erwähnt. Der Kompromiss „wurde ganz wesentlich und nachhaltig vom Produzentenallianz-Mitgliedsunternehmen Ufa initiiert.“
Noch ein Steinchen: Zur Verleihung des „Fair Film Awards“ im Februar wurde auch die Durchschnittsbewertung nach Produktionsfirmen ermittelt [PDF]. Die Ufa Fiction landete mit einer guten 3 plus im hinteren Mittelfeld: Platz 65 von 105.
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