Deutscher Filmpreis: Kulturkämpfe

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Mitten in die Preisgala platzte die Nachricht vom Tod der 103-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer. Der Pianist Igor Levit hielt eine spontane Trauerrede. | Foto © Eventpress Fuhr

Die „Lolas“ zeigen sich politisch, und der neue Kulturstaatsminister hatte seinen ersten Auftritt vor der Branche. In den Berichten zur Verleihung des „Deutschen Filmpreises“ hat der Kulturkampf schon begonnen.

Ein klares Votum haben die Mitglieder der Deutschen Filmakademie abgegeben. Am vorigen Freitag wurde in Berlin der „Deutsche Filmpreis“ verliehen, und dass „viele Ehrungen an politische Filme“ gingen, bemerkt nicht nur Jenni Zylka in der „Taz“. 

Genauer genommen, waren es fast alle. Als bester Film wurde „September 5“ geführt, und Tim Fehlbaums Kammerspiel über das Olympia-Attentat von 1972 räumte noch acht weitere „Lolas“ ab. Mit Silber gewann Mohammad Rassoulofs Drama „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ um die Proteste im Iran seit 2022. Bronze ging an „In Liebe, Eure Hilde“, Andreas Dresens Geschichte der Widerstandskämpferin Hilde Coppi. Und der beste Dokumentarfilm ist „Petra Kelly – Act Now!“, in dem Doris Metz die Politikerin porträtiert. 

Unerwartet platzte auch die Wirklichkeit in die Preisgala. Der Pianist Igor Levit sollte die Laudatio für die beste Filmmusik halten. Stattdessen übermittelte er die Nachricht vom Tod der 103-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, die er mit einer spontanen Trauerrede ehrte. 

Und dann war da noch der neue Kulturstaatsminister, der bei der Preisgala seinen ersten großen Auftritt hatte. Viele spannende Themen also für die Feuilletons, die sich für die Filme selbst nicht weiter interessieren.  

Marius Nobach sieht’s im „Filmdienst“ ebenfalls politisch: Die Preisverleihung „machte Empathie gleichsam zu ihrem Leitbegriff. Der Schauspieler Christian Friedel, der die Gala erstmals moderierte, widersprach bereits in seiner Eröffnungsrede der Auffassung von Elon Musk, dass Empathie eine Schwäche sei: ,Das ist falsch!’ Friedels unaufdringliche, grundsympathische Aura erwies sich als ideale Stütze, um den Appellen für den Zusammenhalt gegen autokratische Tendenzen und gegen die Einschränkung von Freiheit und Kunst Nachdruck zu verleihen. Damit war der Ton für den Abend bereits zu Beginn gesetzt. […] Die Filmbranche – nicht nur, aber gerade auch in Deutschland – steckt nach wie vor in einer Phase tiefer Verunsicherung. […] Viele Laudationes und Dankesreden berührten den weltweiten Aufstieg von Feinden freiheitlicher Gesellschaften, aber auch die hierzulande immer größer werdende Bedrohung, die sich mit aktuellen Ängsten unter Filmschaffenden verbanden.“ 

„Warten auf den Kulturkampf“ hat Daniel Kothenschulte über seinen Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ getitelt. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, ficht er nochmal einen Kulturkampf von einst. Die Auswahl der Filmakademie hatte er Kritiker schon früher gerügt – dass ihr nun auch das Preisgeld gestrichen wurde, sieht er als Folge seiner Bemühungen. Da will er auch noch ein bisschen Nachtreten: „Erst jetzt, als undotierter Preis, ist die ,Lola’ ein Äquivalent zu den amerikanischen, französischen oder spanischen Akademiepreisen. Nur die mit der Verleihung verbundene Fernsehgala offenbart noch immer beträchtliche Mentalitätsunterschiede.“ 

In der „Welt“ tobt der Kulturkampf wohl schon. Da ist Jan Klüver deutlich genervt „von der improvisierten Monstranz der Ergriffenheit“ auf der Bühne, und „ansonsten wurde viel gegendert.“ Dazwischen gibt’s noch manche tiefe Seitenhiebe, bis der neue Kulturstaatsminister auftritt: „Wolfram Weimer, gerade mal ein paar Tage im Amt, aber schon übel beleumundet. Der Mann hatte wahrscheinlich seinen ersten großen Termin und musste schon allerlei neuen Tadel über sich ergehen lassen. […] Weimer machte seine Sache ganz gut. Mit lockerer Gravitas bekannte er seine Liebe zur Kunst im Allgemeinen und zum Film im Besonderen. Und: ,Der einzige Kulturkampf, den ich führen werde, ist der Kampf für die Kultur.’“  

Der Satz war schon oft zu lesen, unter anderem in einem knappen Interview mit Veit Medick im „Stern“.  Denn was Deutschlands neuer Kulturchef so denkt und tut, wurde schon vor der Preisverleihung rege diskutiert, und es gibt „viele Meinungen über ihn. Vor allem aber von ihm. Bei denen, die von ihm selbst kommen, handelt es sich um verlässlich konservative Positionen, manchmal mit Hang zum Konspirativen, praktisch nie in irgendeiner Weise überraschend. So gesehen macht Weimer schon seit Langem Politik“, schreibt Klaus Raab im „Altpapier“ beim MDR, der dazu noch weitere Lesetipps hat. „Es war deshalb, als Weimer kürzlich in einem ,Stern’-Interview, in dem er den Unmut erklären sollte, der sich gegen seine Ernennung richtet, sagte: ,Weil es im politischen Lagerdenken natürlich immer eine Seite gibt, die die andere skeptisch beäugt und ihr misstraut. Gegenüber diesem Lagerdenken war ich immer schon skeptisch.’ Selbstbehauptung und Fremdeinschätzung klaffen da schon sehr deutlich auseinander.“ 

Lediglich Hannah Pilarczyk sorgt sich im „Spiegel“ [Bezahlschranke] um die Filmkunst – und das hat nichts mit dem neuen BKM zu tun: Bei den Preisen selbst fehlte ihr der Mut: „Die Bandbreite des Filmschaffens in Deutschland bekommt der ,Deutsche Filmpreis’ selbst nach der zigsten Reform seines Auswahlprozesses einfach nicht abgebildet. Gleich zweimal stutzte die Akademie einen eh schwachen Jahrgang nochmals zusammen. Erst bei den Nominierungen, bei denen in gleich drei Kategorien Kreative doppelt nominiert wurden: zweimal Sam Riley als bester Hauptdarsteller (für ,Cranko’ und ,Islands’ ), zweimal Alexander Scheer als bester Nebendarsteller (für ,In Liebe, eure Hilde’  und ,Köln 75’) sowie zweimal Dascha Dauenhauer für die beste Musik (für ,Islands’ und ,Kein Tier. So Wild’). Dass sowohl Riley und Scheer doppelt unterlagen und nur Dauenhauer für ,Islands’ ausgezeichnet wurde, macht die nutzlosen Zweifachnominierungen fast schon brutal. Und dann wurde bei den Auszeichnungen nochmals geholzt: Neunmal setzte sich Tim Fehlbaums Medienthriller ,September 5’  […] gegen die Konkurrenz durch – zum Schluss mit der ,Lola’ in Gold als bester Film des Jahres. Unverdient war das auf keinen Fall, Fehlbaum und sein Team haben auf allen Ebenen – vom Drehbuch über die Ausstattung bis zum Schauspiel – sensationell präzise gearbeitet. Aber alternativlos war dieser Siegeszug auch nicht.“