Ein Dokfest der Demokratie

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„Im Dokumentarfilm heißt es immer, dass ich mich einem vertiefenden Blick widme“, sagt Dokfest-Leiter Daniel Sponsel. Das sei schon etwas anderes als die täglichen Nachrichten. | Foto © Dokfest München

Dem Zustand der Demokratie widmet sich das Dokfest München in diesem Jahr mit Themenreihen und Eröffnungsfilm. Der Ton in der Gesellschaft ist rauer geworden, sagt Festivalleiter Daniel Sponsel: „Und wenn eine Kulturgattung da etwas leisten kann, dann doch der Dokumentarfilm.“ 

Viel Politik zeigt die Homepage des Dokfests. Digitale Überwachung im Eröffnungsfilm, die Fokus-Themenreihe blickt auf den Zustand europäischer Demokratien, ein weitere widmet sich Filmemacher*innen, die im Exil leben und aktuell nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. Ähnliches findet man sogar auf Festivals, die sich eher dem Spielfilm verschrieben haben. Fühlt sich die Filmwelt zurzeit besonders aufgefordert?
Wir als Dokumentarfilmfestival fühlen uns seit jeher gefordert, in bestimmten Bereichen Aspekte des gesellschaftlich Politischen abzudecken. Das spiegelt das Programm der letzten Jahre eigentlich immer wieder. Vielleicht hat das nochmal ein Stück weit zugelegt, weil tatsächlich der Ton in der Gesellschaft rauer geworden ist, die Konflikte größer, die Lagerbildung ist expliziter geworden. Und wenn eine Kulturgattung da etwas leisten kann, dann doch der Dokumentarfilm. Dieser Anspruch gilt möglicherweise nicht für alle Filmfestivals – ob jetzt ein Trickfilmfestival oder ein Kurzfilmfestival das so leisten kann, weiß ich nicht, aber wir als Dokumentarfilmfestival auf jeden Fall.

Den leisten Sie zum Beispiel wie?
Die Fokusreihe DOK.focus Democracy ist uns tatsächlich ein großes Anliegen, weil die Frage der Perspektive der Demokratien in den Ursprungsländern oder den Kernländern ja so erstaunlich wichtig geworden ist. Wer hätte je gedacht, dass es in Österreich so schnell gehen kann mit den Versuchen zur Abschaffung der Demokratie? In den 1990ern bei Haider haben wir gesagt, das ist ein Populist, aber wir haben nicht darüber nachgedacht, dass man die Demokratie irgendwann mal zu Grabe tragen möchte in dieser Weise. Das Ganze steht bei uns auch im Kontext des Europatags am 9. Mai, wo wir mit dem „Projekt Ballhausplatz“ über Sebastian Kurz auch noch ein Rahmenprogramm haben werden zum Aufruf zum Wahlgang zur Europawahl am 6. Juni. Das steht so in einem größeren Kontext, dass wir quasi die Demokratie und die Möglichkeit, da demokratische Prozesse zu initiieren, auch nutzen wollen. Also wirklich als Botschaft. Leute, geht’s wählen. Nutzt die Demokratie!

In meiner gefühlten Erinnerung waren Dokumentarfilm vor 20 Jahren freier in Raum und Zeit – sie schauten in ungeahnte Richtungen, mit längerem Blick und suchten vielleicht sogar größere Zusammenhänge und Erkenntnisse. Heute  entsteht mitunter der Eindruck, Dokumentarfilme füllen die Lücken, die die Nachrichtenmedien hinterlassen. Wie sehen Sie das als Dokumentarfilme und Dokfest-Leiter? 
Anders. Aber das ist ein interessantes Spannungsfeld. Der Dokumentarfilm kann nicht entsprechend der Nachrichtenlage oder der Aktualität agieren. Dokumentarfilm braucht ja in der Regel ein Jahr Produktionszeit, meistens sogar mehr. Was aber nicht heißt, dass er sich nicht aktuelleren Themen widmet, nur tut er das halt in einer anderen Form. Also er hat mehr Zeit, die Hintergründe anzuschauen, zu beleuchten, andere Kontexte zu erstellen, umfassender zu erzählen. Und das war schon immer eine Qualität des Dokumentarfilms. Und das ist auch heute noch eine, auch bei den aktuelleren Themen.
Im Dokumentarfilm heißt es immer, dass ich mich einem vertiefenden Blick widme. Und das erwartet auch das Publikum von uns. Denn sonst gucke ich halt Nachrichten oder Magazine und werde informiert. Aber der Dokumentarfilm ist ein erzählerisches, langes Format, was genau die Lücken schließt, die die News überhaupt gar nicht erfüllen können. 

Die Nachrichten vielleicht nicht, aber bei den Magazinen ist eine Grenze zum Dokumentarfilm schwer auszumachen – falls es so eine Grenze überhaupt gibt.
Wir haben heute natürlich eine größere Formvielfalt beim Dokumentarfilm, und wir haben auch eine größere Möglichkeit, mit technischen Raffinessen zu arbeiten. Man erwartet heute vom Dokumentarfilm schon, dass er mehr ist als nur ein persönlich interpretiertes Dokument. Tatsächlich hat der Dokumentarfilm sich enorm weiterentwickelt, sowohl in Sachen Dramaturgie als auch Ästhetik. Und wenn er denn dann im Kino läuft (was die Dokumentarfilme tun, die wir zeigen), dann muss er im Kino auch bestehen; auch ein Stück weit formal bestehen. Das betrifft auch das Sounddesign, den Ton und so weiter.

All das macht Dokumentarfilme auch teurer und schwieriger zu produzieren.
Ja, da gibt es auch zwei sich widerstrebende Entwicklungen. Einerseits ist die Produktion von Dokumentarfilmen immer günstiger geworden, weil die Technik tatsächlich immer günstiger wird, immer zugänglicher. Man kann heute Filme in technischen Standards produzieren, die man fast wirklich @home macht. Angefangen von der Kamera, die wir haben, über den Schnittplatz, den wir haben, die Möglichkeit, da auch schon Sounddesign zu machen und und und … Das alles ist sehr deutlich billiger geworden. Andererseits: Wenn man jetzt wirklich einen Hochglanzdokumentarfilm machen will, dann ist alles teurer geworden. Denn dann brauche ich ein Studio, dann brauche ich halt wirklich einen Mischtonmeister und so weiter.
Diese beiden Facetten gibt es. Jedenfalls ist das allgemeine Niveau der technischen und der erzählerischen Standards über die letzten zwei Jahrzehnte wohl schon gestiegen.

Im VR-Pop-Up-Kino kann ich sogar die Welt mit dem Blick eines Hundes sehen oder mich in eine andere Wahrnehmungswelt oder Perspektive anderer Menschen reinversetzen. Da wird das Dokumentarfilm zur Simulation oder umgekehrt? Ist das vereinbar mit den Gedanken oder wie ist es vereinbar?
Wenn wir auf die technischen Innovationen der letzten 15 Jahre zurückschauen, wo ja dann Crossmedia, Transmedia, VR, AR und so weiter uns tatsächlich zur Verfügung standen, hat natürlich auch der Dokumentarfilm davor nicht Halt gemacht. Das ist nicht analog vergleichbar zum dokumentarischen Erzählen über 90 Minuten. In der Regel sind diese Stücke deutlich kürzer. Es sind so Experiences, die einen in eine andere Welt schlüpfen lassen.
Das kann man ruhig als Erfahrung sehen, die zwar interessant ist, die jetzt aber nicht erzählerisch das leisten kann, was ein Dokumentarfilm leisten kann. Das ist auch nicht der Anspruch. Nicht umsonst sind diese Formate in der Regel kürzer und widmen sich dann tatsächlich der Sicht eines Hundes – sozusagen eine spielerische Komponente, die den Leuten ja auch ein Stück weit Spaß macht. Das ist auch ein Element, was es dann im Dokumentarischen auch geben kann.

Vor ein paar Jahren schien es fast, als sei VR das nächste große Ding. Das Interesse an der Virtuellen Realität war beim Film dann doch nicht so groß. Aber sie scheint eine ziemlich große Nische gefunden zu haben und ist ja nicht nur beim Dokfest ständig präsent.
Ja. Vor sieben, acht Jahren dachten mal ein paar Leute, das sei die Zukunft des Laufbildmarktes. Das hat sich nicht bewahrheitet und das wird es auch nicht mehr. Es ist ein ausgeprägter Nischenbereich, auch für die Kunst zum Beispiel. Es bietet sich auch an, tatsächlich damit in Museen oder in Galerien zu arbeiten. Und das Gleiche gilt ja selbst für den Games-Bereich: Da gibt es nach wie vor ganz klassische zweidimensionale Spiele, die einen Riesenmarkt bedienen, und es gibt die Brillenprojekte für Games. Es ist so eine duale Welt geworden, in der beides Platz hat. Wo aber auch die Differenzen herrschen: Wir alle wissen, dass so eine Brille auf dem Kopf immer noch anstrengend ist. Nicht nur wegen ihres Gewichts, sondern auch für die Augen. Das ist eine Erfahrung, die ich auch nicht abendfüllend machen möchte – zwei Stunden so eine Brille aufhaben und dann so angestrengt in eine Welt eintauchen. Aber es ist eine gute Nische, in der sich das Dokumentarische auch, Gott sei Dank, ein Stück weit entfaltet.

Bei der künstlichen Realität sind wir gleich bei dem großen Thema dieser Zeit: Was macht KI mit unseren Bildern von der Wirklichkeit? Unterdessen wurde Oliver Stone ertappt, dass er gegen Geld Imagefilme für Autokraten dreht, als Dokumentarfilm getarnt. Kümmern wir eigentlich zu sehr um die KI und zu wenig um die ganz offenkundige Manipulation, die da stattfindet?
Naja, das geht ja Hand in Hand. Die offenkundige Manipulation war schon immer möglich bei Abbildungen und bei Tönen. Jetzt haben wir aber tatsächlich eine technische Möglichkeit dazugewonnen, die die Offensichtlichkeit vielleicht ein Stück weit verschleiern kann. Das ist schon etwas, was uns tatsächlich zunehmend beschäftigen wird, gerade im dokumentarischen Bereich oder noch mehr im News-Bereich. Da kommt man ja dann vielleicht gar nicht mehr hinterher, die Dinge wirklich zu prüfen und zu fragen, wann ist es ein Fake oder sogar ein Deepfake.
Da gehen schon einige Türen auf, und einige Arbeitsplätze werden entstehen; auch neue Arbeitsplätze, die nicht nur durch die Maschine ersetzt werden, sondern durch intelligente Menschen, die dann rückkoppeln müssen, was die Maschine da macht. Es ist eine Innovation oder eine technische Erweiterung, die raumgreifend stattfindet. Die ist ja nicht nur bei den Bildern, die wir sehen. Das fängt ja an mit der Recherche, die KI leisten kann, mit der Ausarbeitung von Skripten, Drehbüchern, bis hin zur Manipulation oder zur Nutzung für die Zielgruppen, sprich das Tracking, das ich nutzen kann, um Filme unter die Leute zu bringen. Das Feld KI ist schon groß, und ich glaube nicht, dass wir uns damit zu viel beschäftigen. 

Filmarbeit und Festivals erleben zunehmend Druck von Außen. Die Berlinale hat kein besonders politisches Programm gebraucht, damit es gleich zu zwei Eklats kommt. Wie gehen Sie denn mit den Einwirkungen von außen um – sowohl AfD als auch Cancel Culture?
Ja, das Spannungsfeld der Kräfte, die an der Kultur ziehen, ist tatsächlich ein Dreieck geworden. Damit setzen wir uns intensiv auseinander. Einerseits wollen wir eine Plattform sein oder ein Ort und ein Forum für Kontroversen, die wir zulassen. Nun werden Kontroversen aber zunehmend dazu genutzt, um einfach nur gewisse Botschaften zu platzieren und zu verlängern. Das ist also eigentlich ein Desinteresse an der Kontroverse, sondern nur ein Interesse an der Botschaft. Es kann nicht unser Anliegen sein, dass wir nur genutzt werden, um Botschaften loszuwerden.
Wir bereiten uns darauf vor. Und wollen andererseits dann versuchen, in der jeweiligen Situation auch klug zu agieren, indem man schnell reagiert bei gewissen Dingen, indem man sie einordnet … Auch wenn die Einordnung quasi via Social Media manchmal tatsächlich nicht gelingt, weil die, die am lautesten schreien, auch am weitesten kommen. Aber wir müssen es auf jeden Fall versuchen, um eine Offenheit auch weiterhin gewährleisten zu können.

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