Lola 2022: Zwischen Feier und Krisen
Am Freitag wurde der „Deutsche Filmpreis“ verliehen. Die Berichte von der Gala machen sich große Sorgen ums Deutsche Kino.
Anscheinend muss man’s immer noch erklären: „Der ,Deutsche Filmpreis’ ist die wichtigste nationale Auszeichnung der Filmbranche“, beginnt die Deutsche Welle ihre Fotogalerie zur Preisverleihung am vorigen Wochenende. Dabei war dies nun schon das 72. Jahr.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte sich Peter Körte vorab Gedanken gemacht, was wohl bei der Preisverleihung zu erwarten sei. Schließlich hatte sich im vorigen Jahr gezeigt: Auch Favoriten können abstürzen. Mit seiner Prognose soll er richtig liegen. „Es ist also nicht damit zu rechnen, dass aufregende Dinge geschehen werden. Sollte jemand eine Rede halten wie Thomas Brasch 1981 beim ,Bayerischen Filmpreis’, die Franz Josef Strauß provozierte, wäre der Shitstorm in den sozialen Medien schon wieder vorbei, wenn die bräsige ARD um 22.55 Uhr ihre Aufzeichnung der Gala sendet. ,Abschied von morgen Ankunft gestern / Das ist der deutsche Traum’, heißt es in einem Gedicht von Thomas Brasch.“
Das Biopic „Lieber Thomas“ war der große Sieger des Abends: In zwölf Kategorien nominiert, erhielt der Film neun Auszeichnungen: bester Spielfilm, beste Regie, bestes Drehbuch, männliche Hauptrolle und weibliche Nebenrolle, Bildgestaltung, Montage, Szenen- und Kostümbild. In Schwarzweiß erzählt Regisseur Andreas Kleinert vom Leben des Schriftstellers Thomas Brasch (1945-2001), der in der DDR im Gefängnis landet und schließlich seine Heimat Richtung Westen verlässt. Eine silberne „Lola“ erhielt die Politsatire „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von Regisseur Andreas Dresen. Zehnfach nominiert, konnte sie nur bei der weiblichen Hauptrolle und der männlichen Nebenrolle punkten. Mit Bronze (und außerdem Gold fürs beste Maskenbild) wurde „Große Freiheit“ ausgezeichnet, Sebastian Meises Drama über einen Mann, der Männer liebt – was verboten ist im Deutschland der Nachkriegszeit. Sämtliche Preisträger*innen listet die Website zum „Deutschen Filmpreis“. Und warum Schauspieler*innen in der Pandemie am allerwichtigsten waren, erklärt Bjarne Mädl hier.
Der Krieg in der Ukraine war auch auf der Gala gegenwärtig. Zugeschaltet per Smartphone-Video, kündigte Wladimir Klitschko, der Bruder des Kiewer Bürgermeisters, die Dokumentarfilmkategorie an. Deren Regisseur*innen seien „Soldaten der Wahrheit“. Über eine Liveschaltung berichteten zwei Dokumentarfilmerinnen aus der Ukraine. Und auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth schilderte ihre Eindrücke von ihrer Reise nach Odessa (ein Interview darüber führte Sarah Zerback in Deutschlandfunk Kultur). „Der Krieg verändert alles, auch einen Abend wie diesen“, sagte Roth. Könne man den Film dennoch feiern? „Man kann es nicht nur – man soll es, man muss es.“ Um alldem etwas entgegenzusetzen.
Doch eben daran scheint es zu hapern. Nicht der Krieg oder die Preise beschäftigt die Berichte von der Gala, sondern was es überhaupt zu feiern geben soll. Mit Hanns-Georg Rodek fängt es in der „Welt“ noch freundlich an: „Wäre das am Freitagabend im Palais unter dem Berliner Funkturm alles gewesen, man könnte das Schaulaufen der deutschen Filmbranche abhaken; einer der besseren Kinojahrgänge, aber noch pandemiegeschädigt. Doch es war auch eine ,Lola’ in Zeiten des europäischen Krieges in der Ukraine. […] So balancierte die Gala drei Stunden lang zwischen Feier und Krise. Oder genauer: Zwischen Feier und Krisen – Plural. Es gibt ja auch noch die Krise der Ausgehkultur nach der Pandemie. […] Es war auch ein Selbstermutigungsabend für die Branche, die sich aber darüber im Klaren ist, dass es eines Kampfes bedarf, die Zuschauer vom Streaming-Sofa zurückzuholen.“
„Heftige Schmerzen am Freitagabend“ verspürte hingegen Lukas Rogalla in der „Frankfurter Rundschau“: „Zu Beginn erinnert nicht viel an eine hochkarätige Preisverleihung. Eher fühlt man sich, als sei man einer weiteren satirischen Wochenschau der öffentlich-rechtlichen Sender ausgesetzt, inklusive Witze über Inflation und Tankrabatt sowie Frisuren oder Kleidung von Schauspielenden. […] Auch wenn der Auftritt ironisch gemeint ist und Bauerfeind die Gäste bewusst nervt, stellt sich die Frage: Muss der ,Deutsche Filmpreis‘ so aufgezogen werden wie jede x-beliebige Comedyshow?“ Im Laufe des Abends wurde es zum Glück besser: „Lobenswert ist, wie die Kostümbildnerinnen vor ihrer Preisverleihung erklären können, was sie zu ihren Entscheidungen für den jeweiligen Film bewegt hat, auch anhand von kurzen Szenen. Eine hervorragende Idee, die nicht nur Lust auf Kino macht, sondern auch eine Hommage an das Handwerk Film ist und Wertschätzung fördert. Das gleiche Prinzip wird ebenso gut in den Kategorien Maskenbild und Tongestaltung umgesetzt. Leider kommt so etwas an einem Abend, an dem Filme und die Hunderten von Beteiligten im Rampenlicht stehen sollten, zu kurz.“
Dass ein Film reihenweise Preise abräumt, ist ja eigentlich eine feine Sache. „Aber es spricht eher für die Monokultur des Deutschen Kinos als für die Qualität des Films“, meint Andreas Busche in den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“. „Dass zwei Filme die wichtigsten Preise unter sich ausmachen, ist wiederum bezeichnend für diesen Kinojahrgang. […] Diese Monokultur könnte lediglich ein Problem der Wahlmodalitäten darstellen, welches die Filmakademie allerdings schnellstens beheben müsste – wenn der Deutsche Filmpreis nicht auf Dauer ähnlich vorhersehbar werden soll wie die Fußball-Bundesliga. Es könnte sich aber auch schlicht um ein, nicht nur pandemiebedingt, Qualitätsproblem handeln. […] Der deutsche Film kommt, auch wenn er sich wie im Fall von Dresen und Kleinert, politisch gibt, selten über Allgemeinplätze hinaus; er bleibt stets auf der persönlich-biografischen Ebene hängen.“
Es war ein trister Abend, dem Anlass entsprechend, findet Dirk Peitz in der „Zeit“, denn „dem Kino in Deutschland geht es dramatisch schlecht. […] Seit dem Frühjahr 2022 gibt es faktisch keine Corona-Beschränkungen mehr in den Kinos, aber die Leute kommen nicht zurück. […] Und in dieser Lage feierte die Deutsche Filmakademie am Freitagabend ihre alljährliche Filmpreisverleihung in Berlin, und alle taten so, als ob nichts wäre. Oder, so sie sich vielleicht doch ein bisschen Sorgen machen: als ob man ,das Kino’ nur laut genug beschwören müsse und alles werde gut. Es folgte aber keine Erklärung, was genau man sich denn unter diesem ,Kino’ vorstellt. Jedenfalls würden die Leute wieder in die sogenannten Lichtspielhäuser strömen, wenn es dieses Kino wieder oder überhaupt gäbe, so musste man die Beschwörung verstehen. Dann müssten die deutschen Filme aber auch wieder richtig gut sein, würde man einwenden. Denn offen gestanden sind sie es derzeit meist nicht. Sie sind sogar sehr oft äußerst mittelmäßig und langweilig und augenscheinlich gegenstandslos und gar nicht lustig und nicht im mindesten unterhaltsam; sie sind oft ungegenwärtig und ästhetisch und erzählerisch derart unambitioniert, dass man sich fragt, warum eigentlich weiter so Filme gedreht werden, ein akuter Bedarf existiert ja offenbar nicht in der Zuschauerinnenschaft, von den ohnehin wenigen Kinogängern haben in diesem Jahr nur rund ein Fünftel deutsche Filme gesehen. […] Aber nun ja, es gibt offenkundig längst einen Vorbehalt gegen deutsche Filme auch in der Zuschauerschaft und so gucken Publikum und Filmschaffende in Deutschland recht angestrengt aneinander vorbei. Alte Story, wie gesagt, kennt man alles, ändert sich nichts dran, muss man nicht weiter drüber reden, lassen wir’s gut sein.“