Kino in Zeiten von Corona 37 – 2

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„Das Geheimnis des Totenwaldes“. | Foto © Bavaria Fiction/NDR/Conrad Film

Advents-Aktionen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 03. Dezember 2020 – Teil 2.

Welche neuen Wege die Dramaturgie im öffentlich-rechtlichen Sender geht, lässt sich aktuell an der dreiteiligen Dokumentation „Eiskalte Spur“ und dem sechsteiligen Spielfilm „Das Geheimnis des Totenwaldes“ beobachten. Beide seriellen Erzählungen handeln von Mordfällen, die erst nach 30 Jahren zum Teil gelöst werden konnten: Ausgangslage ist das von der Polizei lange Zeit als „Vermisstenfall“ eingestufte Verschwinden einer Frau – es ist die Schwester des bekannten Kriminalisten der Hamburger Polizei, Wolfgang Sielaff. Im Spielfilm heißt diese Hauptfigur Thomas Bethge (Matthias Brandt) und ist der hochangesehene Chef des Landeskriminalamts Hamburg. Er selbst wird von den Polizeikollegen vertröstet, von der Staatsanwaltschaft nicht ernst genommen. 30 Jahre lang bleibt seine Schwester (Silke Bodenbender) verschwunden. Der Fall in der eigenen Familie lässt dem Mann jedoch keine Ruhe. Er ermittelt mit befreundeten Kollegen auf eigene Faust. Und verfolgt die Spur eines Friedhofgärtners (Hanno Koffler), der in einem Wald nicht nur zwei Paare kurz nacheinander in einem Wald erschossen haben könnte – sondern auch seine Schwester auf dem Gewissen hat. Ein „geheimes Zimmer“ in dem Haus des mutmaßlichen Mörders offenbart dessen sado-masochistischen Praktiken …
Der Drehbuchautor Stefan Kolditz, der auch das Buch zu den Fernseh-Mehrteilern „Dresden“ (2006) und „Unsere Mütter, unsere Väter“ (2013) schrieb, fiktionalisierte den Stoff. Regie führte Sven Bohse, der mit „Ku’damm 56 und 59“ ebenfalls TV-Mehrteiler-Erfahrung vorweisen kann. Spannender ist die dramaturgisch von herkömmlichen Dokumentationsansätzen abweichende Serie „Eiskalte Spur“ (auch schön: den schon fast gebräuchlicheren englischen Ausdruck „Cold Case“ hat man hier ins Deutsche übersetzt, auch auf die Gefahr hin, etwas bieder zu wirken) von NDR-Journalist Björn Platz. Der kennt Wolfgang Sielaff noch aus der Zeit als Polizeireporter – und konnte so die von Sielaff zusammengetrommelte „Einsatztruppe“ – jeder ein hochrangiger Experte seiner Zunft – für spielfilm-artige Szenen gewinnen. Um das dramaturgische Storytelling in seiner Dokumentation auf die Höhe der Zeit zu bringen, gibt es noch wenig aussagekräftige, dafür bildstarke Grafiken und einen erkennungsmelodischen Soundtrack.

Einen gänzlich anderen Ausflug in den Wald, nämlich in tarantinoesquer Manier, präsentiert dagegen Detlev Buck („Männerpension“, „Hände weg von Mississippi“) mit dem Gangsterfilm „Wir können nicht anders“, ab dem 4. Dezember als Stream auf dem Dienstleister Netflix abzurufen: Samuel (Kostja Ullmann) und Edda (Alli Neumann) sind ein frisch verliebtes Pärchen und mit ihrem Campingbus auf dem Weg zu Eddas Großvater ins ländliche Friedberg. Auf ihrem Weg bleiben sie in einem Waldstück hängen, wo sie eine Hinrichtung vereiteln. Denn der Gangsterboss Hermann (Sascha Alexander Gersack) will den Geliebten (Merlin Rose) seiner Frau (Sophia Tomalla) aus dem Weg schaffen… Der gelernte Landwirt Buck macht aus seinem Landlust-Faible nun eine schwarze Komödie und zeigt die Kehrseiten aller Provinz.

Ebenfalls ab dem 4. Dezember auf demselben Streamingdienst läuft die US-amerikanische Filmbiografie über den Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz. Regisseur David Fincher verfilmte mit „Mank“ das Drehbuch seines Vaters, des 2003 verstorbenen Jack Fincher, mit Gary Oldman in der Hauptrolle. Der New Yorker Dramatiker ist alkoholkrank und versenkt seine Hollywood-Karriere im Glas. Bis er auf Orson Welles trifft, der ihn beauftragt, die Geschichte von „Citizen Kane“ aufzuschreiben … Kamermann Erik Messerschmidt („Fargo“ – die Serie) erzählt die Lebensgeschichte in den 1940er Jahren stilecht in Schwarzweiß.

Stilecht und sogar unerwartet mondän sind dagegen Lederhosen tragende Bayer. Das gilt zumindest für Julian und Thomas, Brüder und kaum 20 Jahre alt – und „Ausgrissen!“. Ihr Abenteuersinn führt sie auf den nordamerikanischen Kontinent, wo sie mit zwei Zündapp-Mopeds und in Lederhosen auf Reisen gehen. Ihre kulturelle Identität im Herzen und auf der Zunge macht sie im Land der Freiheit zu einer Kuriosität. Anleihen in der Schelmengeschichte mag man in dem Kinofilm von Julian Wittmann erkennen, der mit seinem Bruder aufs Moped stieg und Auszug, Bayern bekannt zu machen. Wer den Roadmovie noch nicht im kurz im Sommer eröffneten Kino gesehen hat, kann ab dem 3. Dezember die DVD erwerben oder den Download.

Ein halbherzig eingedeutschtes Thema ist wiederum der Kinospielfilm „Into the Beat – Dein Herz tanzt“ von Regisseur Stefan Westerwelle, der seine Vorbilder mit den US-amerikanischen Produktionen „Street Dance“, „Step up“ oder „Center Stage“ hat und diese auch nicht so recht loslassen will. Als ob Stuttgart oder Berlin keine Street Credibility hätten: Katya (Alexandra Pfeifer) ist ein herausragendes Ballett-Talent der New Yorker Ballet Academy. Als sie jedoch eine Gruppe Streetdancer kennen lernt, taucht sie in eine völlig neue Tanzwelt ein. Hier lernt sie auch den introvertierten Tänzer Marlon (Yalany Marschner) kennen, der sie überreden kann, an einer Audition der weltbekannten Street Dance-Crew Sonic Tigers teilzunehmen. Ganz zum Missfallen ihres Vaters, für den ihre Ballett-Karriere schon feststeht. der ab dem 17. Dezember als DVD herauskommt und ab dem 3. Dezember digital zu sehen ist.

Die Brasilianerin Fernanda Bianchini führt in Sao Paolo eine Ballettschule, die sich an blinde Kinder richtet. Aber eigentlich unterscheidet diese Schüler nichts von denen ohne Behinderung: auch sie brauchen Disziplin und Hingabe, um diesen Tanz zu erlernen. Doch anders als Menschen ohne Behinderung lernen sie anders, nämlich durch das Gehör, durch Berührungen und vor allem durch ihren Mut. Vorbild für viele Schüler ist die blinde Primaballerina Geyza, der man tanzend nicht anmerkt, dass sie blind ist. Der Dokumentarfilmer Alexandre Peralta blickte erst mit einem Kurzfilm auf die Geschicke der Ballerinas und gewann damit 2015 den „Studenten-Oscar“. Dann entschloss er sich, die Komplexität ihrer Arbeit nun in Spielfilmlänge festzuhalten. „Looking At The Stars“ ist zugleich sein Langfilmdebüt.

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