Corona: Brancheninfo 96
Krisengefühle gab’s nicht erst, seitdem das Virus über die Filmbranche kam. Und längst werden auch ihre grundsätzlicheren Probleme diskutiert. Den Eindruck erweckt zumindest unser heutiger Überblick.
„Die Welt ist ja eine einzige Enttäuschung. Darum hat der Mensch wohl die Kunst erfunden“, sinniert „Die Zeit“ in ihrer Besprechung eines außergewöhnlichen Bildbands: „Accidentally Wes Anderson“ zeigt Instagram-Fotos, die aussehen, als seien sie Filmen des Regisseurs entnommen.
Eine Empfehlung für die Preisgestaltung bei Teameinsätzen will der Bundesverband der Fernsehkameraleute (BVFK) eben diesen an die Hand geben: „Teampreis 1000+“. „Der Claim ist die Botschaft. Es soll sich in den Köpfen festsetzen, dass ein Team nicht für unter 1.000 Euro zu haben ist, auch bei den Sendeanstalten, wenn sie ihre Budgets aufstellen“, erklärt der Verbandsvorsitzende Frank Trautmann im Interview mit „Film & TV Kamera“: Bei den Ausschreibungen der Sender stagnierten die Teampreise „seit Ende der 1990er Jahre, aber gleichzeitig werden die Ansprüche vor allem an die Technik immer höher“, so Trautmann. Der „griffige Claim ,Teampreis 1000+’“ soll klarmachen: „Unter 1.000 Euro ist es nicht möglich, einen rechtssicheren Auftrag zu übernehmen, der sich rechnet und der auch den Arbeitsschutzrichtlinien entspricht.“
Die Initiative Docs for Democracy und die AG Dok wollen die Produktion und den Vertrieb öffentlich-rechtlich finanzierter Dokumentar-Formate neu aufstellen. Im Februar hatten sie ein Konzept vorgestellt, nach dem Landesmedienanstalten über Fördervergaben entscheiden und alle Werke frei lizenziert und vielfältig nutzbar sein. „Öffentliches Geld soll hier ohne Wenn und Aber zu öffentlichem Gut werden“, heißt es darin.
Der Dokumentarfilmer Thorolf Lipp, Vorstandsmitglied der AG Dok, erklärte jetzt „Planet Interview“ nochmal ausführlich das Konzept und die gegenwärtige Lage des Dokumentarfilms: Die Gesamtausgaben der ARD für alle dokumentarischen Auftragsproduktionen ab 15 Minuten hätten 2018 „gerade einmal 0,77 Prozent der kumulierten Gesamteinnahmen“ betragen, beim ZDF 2,13 Prozent. „Besonders beklagenswert ist die finanzielle Ausstattung des langen, unformatierten Dokumentarfilms. Sein Anteil an den Gesamteinnahmen von ARD und ZDF liegt im Promillebereich“, sagt Lipp. Gemessen an der Bedeutung, die dokumentarische Formate für die Erfüllung ihres Programmauftrags haben, sei das „viel zu niedrig.“
Stirbt das Arthouse-Kino? Auch bei der ARD sorgt man sich: „Titel, Thesen, Temperamente“ blickt in der jüngsten Ausgabe auf „ein Dreivierteljahr Krise in der Kultur“ und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verleiher, die nur geringe Corona-Unterstützung erhalten. „Was die Major-Companies möglicherweise wegstecken können, ist für viele Verleiher, die sich dem Arthouse-Film widmen, existenzbedrohend.“
Die Corona-Pandemie wirbelt viele Branchen durcheinander – selbst das milliardenschwere Hollywood. Weil die Kinos geschlossen haben, suchen die Studios nach neuen Abnehmern. Die Streaming-Revolution verändert das Machtgefüge nachhaltig, erklärt der Medien-Experte Yorck von Borcke dem „Stern“: „Die Corona-Pandemie wird Umwälzungen beschleunigen. Ein Kino der alten Schule anzubieten, wird in Zukunft nicht mehr reichen. Ein Besuch dort muss noch mehr zum Event werden: Die Sitze müssen bequemer, der Service besser werden. Viele Menschen haben gemerkt, dass das Leihen eines Filmes zuhause eine kostengünstige Alternative zum teuren Kinobesuch sein kann. Deshalb wird das Drumherum um den eigentlichen Film wichtiger.“
Philosophen halten sich mit Wortmeldungen in der Pandemie zurück. Die Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen findet das positiv: „Vieles, mit dem sich Theoretiker in den ersten Wochen zu Wort gemeldet haben, hat nicht gegriffen. Natürlich kann man sagen, Covid-19 sei die Konsequenz der Globalisierung etc. Es bringt uns aber nicht weiter. Ich sehe diese allgemeine Ratlosigkeit eher als Appell, noch mal über die Bücher zu gehen und zu überlegen, wie wir unser theoretisches Gerüst adjustieren können. Ich sehe das positiv. Antworten geben im Moment die Naturwissenschafter.“
Sie selbst hatte den ersten Lockdown genutzt, ein Buch über Pandemie-Romane und -Filme zu schreiben. „Der Standard“ fragt sie, was wir daraus lernen können. „Sie zeigen, dass wir bei dem, was wir empfinden, nicht allein sind. Das nicht Einzigartige ist beruhigend“, sagt Bronfen und: „Nach der Pandemie werden wir das Faktum unserer Sterblichkeit wieder vergessen. Romane, Filme oder Serien werden versuchen, uns daran zu hindern.“
Auch der Star-Philosoph Slavoj Zizek kann sich das Infektionsgeschehen nicht wirklich erklären, macht sich in seinem neuen Buch aber Gedanken, wie Covid-19 die Welt erschüttert. „Die Pandemie ist nur eine Probe für die wirkliche Krise“, sagt er im Interview mit der „Berliner Zeitung“: „Es ist doch komisch, dass die Zahlen viel schlimmer sind als im Frühling, und die Menschen die Situation trotzdem nicht ernst nehmen. Sie gehen shoppen. Die Straßen sind voll. Es ist eine Art Verleugnungsstrategie. Ich vermisse eine gesunde Panik. Ich denke, die Menschen sind verzweifelt. Sie registrieren, dass eine Epoche zu Ende geht. Die dritte Welle wird eine Welle psychischer Krankheiten sein. Das wird dramatisch zunehmen. Das kann man jetzt schon anhand des psychischen Zustands von Kindern und Jugendlichen beobachten. Die sind sozial isoliert und deprimiert. Niemand gibt ihnen eine klare Perspektive. Klar, der Impfstoff kommt. Aber wie schon der Soziologe Bruno Latour gesagt hat: Diese Pandemie ist nur eine kleine Probe für die wirkliche Krise, die später noch kommt: andere Viren, globale Katastrophen und vor allem – die Erderwärmung.“
Die Krise ist ab heute auch Thema beim diesjährigen Bundeskongress der Kommunalen Kinos. Eine Woche lang geht es um das Kino und sein „enormes Potenzial, wenn es darum geht, gesellschaftspolitische Themen zu verhandeln und Diskurse zu setzen“ – aber auch darum, was der „zunehmende ,Umzug’ in den virtuellen Raum und die pandemiebedingten Einschränkungen für die Kinos bedeuten. Und schließlich: „Welche Antworten kann das Kino auf die Krise geben, wie kann Kino auf die Krise produktiv reagieren?“ Die Antworten kommen in vorab aufgezeichneten Videogesprächen und Live-Online-Diskussionen aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Beiträge sind im virtuellen Kino 3 des Filmhauses Nürnberg zu sehen.
Gestern startete die Filmschau Baden-Württemberg, seit heute ist online alles zu sehen, was die Branche im Südwesten zu bieten hat: 130 Filme stehen auf dem Programm. Teil der Filmschau ist der mehrtägige Fachkongress „Set-up Media“: Die Workshops, Interviews und Seminare für Filmschaffende wurden vorab im Studio aufgenommen. Am Freitag allerdings gibt’s eine Podiumsdiskussion im Live-Stream: „Start-up meets Film Industry“ läuft von 12:30 bis 14 Uhr. Was beide voneinander lernen können, diskutieren Veit Haug (Wirtschaftsregion Stuttgart), Andrea Eberhart vom SWR und Oliver Zenglein von Crew United.
Einen kostenlosen Online-Workshop zur Berechnung des CO2-Verbrauchs von Produktionen bietet Hessen Film am 10. Dezember an.
Um Macht dreht sich die Winterausgabe des „Schauspiegel“. Das Magazin des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) will aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, „was Macht mit unserem Beruf zu tun hat. Wie bewerten Produzent*innen ihre Macht, was hat es mit Machtmissbrauch in der Schauspielbranche auf sich und gibt es Diskriminierung am Mikrofon?“
Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) bezieht seit diesem Sommer erstmals Diversitätskriterien ein. Wer im Norden Förderung beantragt, muss nun auch eine „Diversity Checklist“ einreichen. Inzwischen liegen erste Entscheidungen für Projekte vor. Das Gewerkschafts-Magazin „Menschen machen Medien“ hat mit zwei geförderten Produktionen über ihren „Diversity Check“ gesprochen.
Die Schauspielerin Julianne Moore wird 60. „Was Frauen zustossen kann, hat sie schon verkörpert“, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“ zum Geburtstag: Die ,Oscar’-Preisträgerin sei eine Spezialistin für tragische Frauenrollen zwischen Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Zwängen. Julianne Moore mag heute eine hoch angesehene Charakterdarstellerin sein. Doch angefangen habe für sie alles bei einer Seifenoper.
Die Sender haben ihre Mediatheken entdeckt. Doch womöglich übertreiben sie’s in der Begeisterung ein wenig. Der Produzent und frühere RTL-Programmdirektor Marc Conrad („Im Angesicht des Verbrechens“) jedenfalls kritisiert im Interview mit „DWDL“, dass TV-Events unnötig leiden, weil Sender zu früh auf Binge-Watching setzen: „Das ist natürlich Sache der ARD, ich habe als Produzent nicht die Feinheiten der Auswertungsstrategie in der Hand. Grundsätzlich würde ich sagen: Wenn man ein echtes TV-Event kreieren will, wäre es sinnvoll, erst nach der linearen Ausstrahlung der letzten Folge alle Folgen zum Binge-Watching online zu stellen. Warum man es oft andersrum macht, erschließt sich mir persönlich nicht. Es würde doch auch niemand auf die Idee kommen, ein Fußballspiel live in der Mediathek zu zeigen und dann am Tag drauf noch einmal im linearen Fernsehen.“
Der „Tatort“ als Spiegel der Gesellschaft? Da wünscht sich der Kulturwissenschaftler Hendrik Buhl doch mehr Mut zu Provokation und Reibung. Die Reihe finde keine ganz neuen Themen und Probleme, sondern greife lediglich Vorhandenes auf führe das einer breiten Öffentlichkeit zu, erklärt er im Deutschlandfunk.: „Im ,Tatort’ ist abzulesen, was eigentlich schon sag- und wissbar ist und zustimmungsfähig und auch zustimmungspflichtig.“ Das zeige sich an vielen Stellen eher Wunschdenken als ein reales Abbild der Gesellschaft. Ein Beispiel dafür hat er auch: Die hohe Quote an weiblichen Ermittlerinnen – „das ist natürlich wünschenswert, ja, natürlich, aber ist das auch die Realität? Hier wird im Grunde genommen auch was konstruiert, wie es sein sollte.“
Als Comedyformat starte im Frühjahr „Liebe. Jetzt!“ auf ZDF Neo. Mit Witz und Whats-App-Gesprächen aus Altbauwohnungen nahm es die Nöte hipper Kreativer im Lockdown aufs Korn. Eine Weihnachtsedition setzt das mit ernsteren Themen und Tönen fort, berichtet die „Taz“: „Nun wird all das thematisiert, was zuvor noch übergangen wurde. Der gesamte Ton hat sich verändert, ist an angebrachten Stellen ernster geworden und trifft nun das tatsächliche Lebensgefühl unter Corona wesentlich besser.“ Die Kombination sei gelungen: „Man kann sich jetzt schon vorstellen, was für ein hervorragendes Analysematerial die Serie einmal abgeben wird, um herauszufinden, wie sich das allgemeine Mindset in der Krise verändert hat.“
Der Animationsfilm bekommt eine eigene Sektion in der Deutschen Filmakademie (DFA). Das wurde in der Novembersitzung des Vorstands beschlossen. Damit besteht die DFA künftig aus 14 Sektionen. Animationsfilmschaffende, die bereits Mitglied der Filmakademie sind, können nun selbst entscheiden, ob sie in die neue Sektion wechseln wollen.
Südtirol hat die Corona-Hilfen für freischaffende Künstler*innen erhöht, teilt die Landesverwaltung mit. Die Kulturschaffenden konnten bereits im Sommer eine außerordentliche Corona-Beihilfe des Landes von 2.000 Euro beantragen. Sie erhalten nun eine Aufstockung von 1.000 Euro. Wer dies noch nicht beantragt hat, aber die Voraussetzungen erfüllt, könne das noch bis zum 31. Dezember 2020 in den Landeskulturämtern nachholen.
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