FFG 2022 – Stellungnahmen 1: Zukunft Deutscher Film und Hauptverband Cinephilie
Gemeinsam äußern sich zwei Initiativen, die die Kunst im deutschen Kino (und das Kino überhaupt) bewahren wollen. Die „Zukunft Deutscher Film“ hatte vor einem Jahr die „Frankfurter Positionen“ formuliert, auf die sich auch der „Hauptverband Cinephilie“ stützt, der sich während der diesjährigen Berlinale gründete.
Wer beide Male aufmerksam zugehört hatte, kennt die Forderungen. Die „Frankfurter Positionen“ wollen bekanntlich sehr vieles ganz anders machen als bisher. Und so ist auch die Stellungnahme mit zehn A4-Seiten ein Vielfaches länger als die der anderen Interessengruppen. Wir konzentrieren uns hier auf die ganz dicken Pinselstriche (was die kleineren Tupfer nicht weniger wichtig macht) – allen voran jene, die künstlerische Kriterien bei der Förderung zu stärken.
Das stehe „gerade nicht im Gegensatz zu einer wirtschaftlichen Herangehensweise“, behaupten die Verfasser, „denn künstlerisch eigenständige Filme sind nicht wirtschaftlich weniger aussichtsreich.“ Jedenfalls nicht automatisch: In der Produktionsphase wirken sich Budget und Fördermittel vielleicht auf die Qualität eines Films aus – ein Kassenerfolg muss er deshalb nicht unbedingt werden. Anders im Vertrieb: Je höher das Werbebudget, desto mehr Zuschauer. Ihre Forderung würde also die Chancengleichheit an der Kinokasse wahren, meinen die Initiativen. Weshalb „mindestens 50 Prozent der Förderung“ sich an künstlerischen Kriterien orientieren solle. Und zwar „durch alle Förderungen in Deutschland hindurch“.
Ob damit alle Förderinstitutionen oder Förderarten gemeint sind, liest sich nicht eindeutig heraus, ist aber letztlich wohl auch egal, denn die Frankfurter und die Cinephilen folgen insgesamt einen „ganzheitlicheren“ Ansatz: Gerne hätten sie einheitliche Förderregularien für Bund und Länder und wollen Regionaleffekte abschaffen, weil die nur „zur gegenseitigen Kannibalisierung der regionalen Filmwirtschaften führen und den Produktionsalltag praktisch immens erschweren.“
Bei den Förderarten bemängeln sie, dass sich Filmförderung bislang stark auf die Produktion von Filmen konzentriert habe, und zu wenig auf Stoffentwicklung und Vermarktung. Die Folgen: Oft müssten auch unausgereifte Projekte verwirklicht werden, weil nur so die Investitionen amortisiert werden könnten. Und diese halbgaren Projekte finden dann nur wenige Zuschauer, weil auch kein Geld da ist, um für sie zu werben.
Mindestens 10 Prozent ihrer Fördermittel soll die FFA darum in Drehbuchförderung und -Fortentwicklung stecken. Dazu soll die Entwicklungs-Förderung um strukturelle Förderung erweitert und eine anonymisierte Stoffentwicklungs-Förderung eingerichtet werden – auch wieder im Gedanken der Chancengleichheit, der sich ebenfalls durchs gesamte Konzept zieht.
Darum soll auch die Verleihförderung auf 100.000 Euro begrenzt werden. Daneben sollte es (nach französischem Vorbild) eine strukturelle Förderung für unabhängige Verleiher geben, die sich für künstlerisch wertvolle Filme einsetzen.
Für die Produktion soll der Eigenanteil abgeschafft werden – und damit die Notwendigkeit, einen Sender dazuholen zu müssen, was wiederum gerade für künstlerische Film mit niedrigen bis mittleren Budgets die Wettbewerbsfähigkeit erhöhe. Ein erster Schritt könne sein, die Deckelung der öffentlichen Förderhilfen auf 50 Prozent zu beenden.
Letzteres wäre nicht unbedingt nötig, denn das FFG (wie auch die Richtlinien von Regionalförderern) halten den Deckel eh nur locker auf dem Fördertopf. Paragraf 67, Absatz 2: Bei „schwierigen Filmen“ könne man eine höhere Förderintensität zulassen. Was diese schwierigen Filme sein sollen, ist im Amtsblatt der Europäischen Union vom 26. Juni 2014 [Ziffer 140] recht weiträumig umschrieben: „Kurzfilme, Erst- und Zweitfilme von Regisseuren, Dokumentarfilme, Low-Budget-Produktionen oder sonstige aus kommerzieller Sicht schwierige Werke.“ Wieviel höher da die Förderintensität sein darf, legt das FFG nicht fest. Der Spielraum ist damit grenzenlos. Denn genau genommen, erklären gleich zwei Regionalförderer unter vier Augen, seien ja die meisten deutschen Produktionen „schwierige Filme.“
Ein weiterer Schritt: Mindestens 30 Prozent des Budgets soll für den Erstförderer angesetzt werden, um Geklecker bei Filmen zu vemeiden, an die sich keiner so recht rantraut, wegen künstlerischem Anspruch und Kassenerfolg und so.
Und schließlich sollen die Handlungskosten und Produzentenhonorare „auf europäischen Standard“ von 10 beziehungsweise 5 Prozent angehoben werden, um die Produzent*innen zu stärken.
Das nicht weniger Wichtige im Schnelldurchlauf: Transparente Entscheidungsverfahren, deren Kriterien und Spruchpraxis einsehbar sind. Rotierende Mini-Jurys aus drei Fachleuten für Entwicklungs- und Produktionsförderung. Sozialverträgliche Arbeitsbedingungen, seit der letzten Novelle noch unerledigte Aufgabe der FFA, sollen durch angemessene höhere Förderbeträge sichergestellt werden. Und: Die Hälfte der Fördermittel soll an Projekte gehen, bei denen Frauen „entweder in der Produktion, Regie oder im Drehbuch verantwortlich mitwirken“. Da scheinen sich die Verfasser verkalkuliert zu haben, denn über eine solche Quote dürften sich sogar jene freuen, die schon freiwillige Selbstverpflichtungen für eine Zumutung halten: Nur eine von drei Positionen muss weiblich besetzt sein, und das auch nur bei der Hälfte der Filme – macht 17 Prozent Frauenanteil in diesen Schlüsselpositionen.
Dem Kino als Abspielort, Begegnungsstätte und Brutkasten der Filmliebe gilt die besondere Aufmerksamkeit: Wo sie Orte der Filmkultur sind, hätten sie meist „gar nicht die Chance, einen publikumsträchtigen Film zu buchen und werden als Startkino übergangen oder sie werden mit unrealistischen Anforderungen konfrontiert.“ Das zwinge cinephile Kinos „in eine Abspiel-Nische, in die sie selbst „im Hinblick auf die sinnvolle Mischprogrammierung gar nicht wollen“.
Die Entscheidung zwischen „Kunst“ und „Kommerz“ ist also keine ganz so freie Entscheidung. Wo Kinos solche Orte der Filmkultur sind, bräuchten sie Grundförderung, meinen die Initiativen. Mit Kinoprogrammpreisen allein lasse sich das nicht ausgleichen; sie seien dafür zu niedrig dotiert und wirkten nicht nachhaltig. Ähnliche Probleme hätten auch die kommunalen Kinos, deren kommunale Förderung meist bei weitem nicht ausreicht.
Unbemerkt kratzen die beiden cinephilen Initiativen da an einer grundsätzlichen Frage: Wieso eigentlich fördert die FFA den Verleih von Filmen, die einem Teil der Branche gezielt vorenthalten werden, um einem anderen Teil der Branche Wettbewerbsvorteile zu verschaffen?
Fortsetzung folgt.