ARD?nimmt Dokumentarfilmer auf den Arm
Erst neulich hatte sich Volker Herres wieder für Dokumentationen stark gemacht. „Wir waren und sind überzeugt, dass diese Filme auf einen Primetime-Platz gehören, abseits aller Quotenerwartungen“, sagte der ARD-Programmdirektor Anfang Juni dem „Hamburger Abendblatt“. Damit meinte er die Reihe von „aktuellen und relevanten Dokumentationen“, die im Frühjahr montags um 20.15 Uhr unter dem Titel Was Deutschland bewegt gezeigt wurden.
Was den großen, eigenständigen Dokumentarfilm angeht, sieht es weniger gut aus. Zum Kongress beim Dokfest München hatte der Medienforscher Jörg Langer mal selber ins Programm geschaut: In einer Woche im Januar hatte Das Erste 22 Stunden Sport ausgestrahlt, 21,5 Stunden Soaps, 14 Stunden Krimi – aber nur 7 Stunden Dokumentationen. Dokumentarfilme waren nicht darunter.
Dabei gibt sich die ARD alle Mühe, jetzt gar zum siebten Mal: Bis zum 31. August sind TV-Produzenten mit Sitz in Deutschland aufgerufen, „ihre exklusiven Konzepte und Ideen“ einzureichen – „gesucht wird ein kreatives und innovatives dokumentarisches TV-Highlight für einen Sendeplatz im Ersten“ mit 70 bis 90 Minuten Länge. Erwartet werden „ein klarer Bezug zu Deutschland” und zugleich „internationale Relevanz“, „tiefgründige Recherche, exklusive Zugänge und eine außergewöhnliche, neuartige und kreative Handschrift.“ Was geeignet ist für diese „Top of the Docs“, entscheidet eine Jury aus Redakteuren der ARD-Sender unter der Leitung von Chefredakteur Rainald Becker. Das Gewinner-Projekt soll von ihnen mit bis zu 250.000 Euro finanziert werden. Mit einer Einschränkung: „Vorschläge, die bereits einem oder mehreren ARD-Häusern zur Prüfung vorgelegen haben, werden von diesem Wettbewerb ausgeschlossen.“
Damit machen die versammelten Redakteure also nichts anderes als ihre tägliche Arbeit, nennen es aber Wettbewerb: Schaut her, welche Mühen das Fernsehen auf sich nimmt, um den Dokumentarfilm in die Primetime zu bekommen!
Denn offenbar ist das, was den ARD-Redaktionen sonst so vorgelegt wird, schlecht gemacht und ohne Relevanz – anders lässt sich die Beschreibung zum Wettbewerb wohl nicht verstehen. Das würde dann auch erklären, wieso so wenige Dokumentarfilme im Fernsehen laufen:?Es gibt keine;?zumindest keine, die den strengen Kriterien der ARD und ihres Wettbewerbs?gerecht würden.
Also zum Beispiel Filme, die „vom Leben im Krieg aus den Augen der Kinder“ erzählen und „mit außergewöhnlichen Bildern, kraftvollem Sounddesign und präziser Montage […] aus einer individuellen Geschichte eine universelle“ entwickeln. Filme, in denen sich „unterschiedliche Stilelemente am Ende zu einer Arbeit aus einem Guss verbinden“, die auf seltene Weise „poetisch erzählen“, gar „Geschichten aus dem Morgenland ins Abendland“ tragen. Vielleicht sogar „der Film, der uns nicht loslässt und mitunter verstört“, der „großes erzählerisches Talent beweist und einer kühnen visuellen Vision folgt“, „tiefgründig recherchiert“ ist und „eine überzeugende Feinfühligkeit im Umgang mit dem Schnittmaterial“ beweist …
Diese Zitate stammen aus den Jurybegründungen zu den Preisträgern des diesjährigen Münchner Dokfests, für die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kein Platz ist. Den Jurys gehörten übrigens auch zwei der sechs ARD-Wettbewerbs-Redakteure an.
Allzu große Hoffnungen sollte sich die Dokumentarfilmszene deshalb nicht machen. In einer Diskussionsrunde des Grimme-Instituts vorigen Dezember in Berlin hatte Becker gesagt, es werde nicht passieren, dass sein Sender demnächst 20 lange Dokumentarfilme pro Jahr zeigen werde (zum Nachrechnen: das wäre nicht mal ein Film alle zwei Wochen). Und: „Der reguläre Platz für den 90-minütigen Dokumentarfilm ist um 22:45Uhr.“
In der Sprache der Sender wird das als „zweite Primetime“ beschönigt, die an gleicher Stelle auch die damalige ARD-Vorsitzende Karola Wille verteidigt hatte: „Wir diskutieren zu viel analog.“ Struktur und Verlässlichkeit seien wichtig im linearen Fernsehen. Für den Dokumentarfilm gäbe es ja noch die Mediatheken – längere Abrufzeiten vorausgesetzt.
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