Annäherungen
Die Branche lebt. Immer mehr Veranstaltungen um die Berlinale rücken die Filmpraxis in den Fokus. Am Tag der Eröffnung der Berlinale 2017 in der Kulturbrauerei.
Einen kleinen Fortschritt gibt es doch: Die Berliner Filmfestspiele sind längst nicht mehr nur Glamour fürs Frühstücksfernsehen – der Alltag der Filmproduktion rückt allmählich ins Bewußtsein. Immer mehr Podiumsdiskussionen drehen sich um die Lage der Filmschaffenden, angefeuert durch mehrere Untersuchungen und Umfragen. So stellte die Filmförderungsanstalt (FFA) ihre Studien zur Gendergerechtigkeit in Film und Fernsehen vor, der Berufsdachverband »Die Filmschaffenden« hatte die Situation der Beschäftigten in der Branche erforschen lassen (Seite 5 Cinearte 390).
Deren Ergebnisse überraschen nicht, auch Branchenferne hatten schon vor 15 Jahren von einem Arbeitsmarkt erfahren können, der zum Teil an die Frühindustrialisierung erinnert (cine arte 020). Doch mit 3.827 Teilnehmern und 100 Fragen ist dies nun die bislang ausführlichste Dokumentation des Themas und »garantiert so erstmals eine hohe Aussagekraft und valide Daten«, schreibt Jörg Langer, selbst viele Jahre lang Dokumentarfilmer und heute Berater für Film- und Fernsehproduktionsfirmen und Dozent für an der Beuth-Hochschule für Technik in Berlin.
Den Auftakt machte Crew United. Am Nachmittag vor der Berlinale-Eröffnung und dem traditionellen Crew Call lud man zur Podiums – diskussion in die Berliner Kulturfabrik: »Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir leben?« waren die Frage und das Thema, das vor mehr als 300 Gästen unter der Moderation des Filmjournalisten Rüdiger Suchsland besprochen wurde.
Mit seiner ersten eigenen großen Veranstaltung dieser Art wollte das Branchennetzwerk auf die Probleme aufmerksam machen, eine Bestandsaufnahme versuchen und mögliche Partner für eine Lösung zusammenbringen.
Das ist ziemlich viel auf einmal und umso schwieriger, als die acht Teilnehmer auf der Bühne zwangsläufig aus den unterschiedlichsten Ecken zusammenkamen. Doch die Lösung aller Probleme hatte an einem Nachmittag eh niemand erwartet, und die ersten Schritte waren getan: Fernsehen und Presse berichteten über die Veranstaltung und das Thema, das freilich beim einen oder anderen noch vertieft werden sollte. So zitierte Alan Posener in der Welt, aus der Studie der »Filmschaffenden«, daß man beim Film 38.448 Euro im Durchschnitt im Jahr verdiene – was die Kreativen »natürlich« als Zumutung empfänden, obwohl das doch »weit über dem Schnitt in der Gebäudereinigungsbranche und sogar über dem bundesdeutschen Durchschnittslohn von 34.999 Euro liegt.« Was er nicht schreibt: In Mitteldeutschland verdient der durchschnittliche Filmschaffende sogar noch ein Viertel weniger. Auch das mag vielleicht noch mehr sein, als ein Fensterputzer verdient, aber sicherlich nicht zu vergleichen. Wie auch nicht mit dem Tariflohn eines erfahrenen Tageszeitungsredakteurs, der fast doppelt so hoch ist.
Woher die Häme? Offenbar störte Posener sich an der »Klassenkampfrhetorik« des neuen Berliner Kultursenators Klaus Lederer. Der Politiker der Linken auf dem Podium hatte in der Kreativbranche eine »unheilvolle Allianz von Neoliberalismus und kreativem Freiheitsdrang« ausgemacht und möchte Mindestlöhne und Regelarbeitszeiten durchsetzen.
Einen Anfang hat die neue Berliner Landesregierung schon gemacht. Laut der Koalitionsver- 390 | 16. Februar 2017 Faire Filmproduktion | 13 einbarung von SPD, Linke und Grünen soll das Medienboard Berlin-Brandenburg in Zukunft Fördermittel nur noch vergeben, »wenn das Projekt sozialverträglichen und ökologischen Standards gerecht wird.«
Das trifft offenbar einen wunden Punkt. Sowohl Burkhard Blienert, der filmpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, als auch Christine Berg, die stellvertretende Leiterin der FFA, hielten Lederer vor, das aus dem neuen Filmförderungsgesetz (FFG) abgeschrieben zu haben.
Dabei gibt es da einen grundlegenden Unterschied: Die Koalitionsvereinbarung ist eine deutliche Selbstverpflichtung – im neuen Fördergesetz hingegen steht lediglich, die FFA habe »darauf hinzuwirken, daß in der Filmwirtschaft eingesetztes Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt wird.« Und die Beauftragte für Kultur und Medien Monika Grütters hatte vor dem Bundestag bereits erklärt, daß dies bitte nicht zu ernst zu nehmen sein soll (cinearte 384).
Merksatz 1: Hin und wieder geht es nicht um die Sache an sich.
Liegt’s am Geld? Jedenfalls ist es oft zu wenig. Mit einem Budget von zwei Millionen Euro könne man keinen Kinofilm drehen und zugleich die Leute angemessen bezahlen, sagte der Filmproduzent Sol Bondy (The Happiest Day in the Life of Olli Mäki). »Wir haben auch schon Filme gemacht, für die wir keinen Mindestlohn zahlen konnten. Das ist nichts, worauf wir stolz sind.« Sonst hätte seine Produktionsgesellschaft aber keinen einzigen Film machen können Lisa Marie Basten, Autorin und Wissenschaftlerin. Klaus Lederer, Bürgermeister von Berlin, Senator für Kultur und Europa. Christine Berg, Stellvertretender Vorstand der Filmförderungsanstalt und Leiterin der Förderung. Rüdiger Suchsland, Moderator. 14 | Faire Filmproduktion 390 | 16. Februar 2017 Fotos: Crew United c Wenn ein Projekt nicht finanziert ist, lassen andere Branchen die Finger davon. Beim Film wird oft trotzdem gedreht – schließlich geht es bei alldem auch um das Projekt, das doch allen Widrigkeiten zum Trotz verwirklicht werden soll: »Wir machen halt auch Kunst…« Auch Bondy entwischte dieser Halbsatz; er war nicht der letzte. Auf den Veranstaltungen war der Satz immer wieder zu hören.
Merksatz 2: Filmemacher haben ein schlechtes Gewissen, daß Filme machen Geld kostet.
Dennoch führte der Artikel in der Welt ausgerechnet den Produzenten als Zeugen an: In Israel etwa würden Filme für 600.000 Euro gedreht, die auch nicht schlechter seien als doppelt so teure deutsche Produktionen. Man müsse sich fragen, warum das so sei.
Man könnte freilich auch fragen, warum in anderen Ländern auch für 1,2 Millionen Euro mancher Film nicht gedreht würde. Warum Filmemacher aus Übersee Deutschland schon als Billiglohnland umschrieben haben (der tatsächliche Vergleich war weniger umständlich, dafür politisch nicht so ganz korrekt). Oder warum, wenn das Geld knapp wird, ausgerechnet an den Löhnen gespart werden soll.
Merksatz 3. Kunst zu machen, ist Lohn genug, glaubt mancher außerhalb der Branche. Vielleicht nicht nur da.
Ein Umdenken ist im Gange – jedenfalls bei den Einzelnen, meinte Ursula von Keitz, Leiterin der Filmmuseums Potsdam und Professorin an der Filmuniversität Babelsberg »Konrad Wolf«: »Eine Verbürgerlichung direkt kreativen Berufe ist im Gange, auch wenn ich an das Thema Altersvorsorge denke.« Soviel zum neoliberalen Freiheitsdrang.
Doch nicht allzu viele können sich das leisten, erklärte die Medienwissenschaftlerin Lisa Basten, die gerade ein Buch über das Selbstverständnis der Branche veröffentlicht hat (siehe Seite 16): Nur jeder zehnte Filmschaffende zahle für seine Altersvorsorge ein – »Nicht weil das cool ist, sondern das Geld nicht da ist. Die Gagen reichen nicht!« Andreas Schreitmüller, langjähriger Spielund Fernsehfilmleiter bei Arte, zeigte sich von den Zahlen überrascht. Überraschend. Er stellte aber auch fest: Man wisse viel über Sehverhalten und Zuschauer, aber fast nichts über die Situation der Branche. Das sei ein großer Kontrast.
Merksatz 4: Es gibt verschiedene Wahrnehmungswelten in der Branche.
Damit wäre auch das zweite Ziel erreicht: Schön, daß alle miteinander geredet hatten. Das sollten sie bald wieder einmal tun. Jedenfalls bekundete Christine Berg eine solche Absicht, als sie einen Runden Tisch zum Thema anregte. Das tut man manchmal so, um eine Sache abzuhaken. Manchmal ist es auch ernst gemeint und es wächst etwas daraus.
Das Panel können Sie komplett hier auf Youtube anschauen:
Und im Folgenden der aktuelle Pressespiegel zu unserem Panel:
auch in der ARD Mediathek