Das kleine Trauerspiel: Wie das ZDF vom Nachwuchs profitiert

Von wegen klein! Das kleine Fernsehspiel ist heuer auch schon 48. Da kann man sich schon so seine Gedanken machen, wieso es immer noch so gerne mit den kleinen Filmemachern abhängt. | Foto © ZDF

Der Nachwuchs liegt den öffentlich-rechtlichen Sendern besonders am Herzen. Seit 1963 hat das ZDF „Das kleine Fernsehspiel“ und ist dafür schon oft und reichlich gelobt worden. Nicht nur die kleinen Fernsehspiele selbst gewinnen regelmäßig Preise, auch die „Nachwuchsredaktion im ZDF“ ist für ihre Verdienste um die Filmkultur schon ausgezeichnet worden.

Das konnte auch die ARD irgendwann nicht mehr auf sich sitzen lassen, und dachte sich 2001, zusätzlich zum bisherigen Engagement in den Dritten Programmen, ihr „Debüt im Ersten“ aus – für „interessante und spannende Erstlingswerke junger Filmemacher“, als die zwar auch noch deren zweite Filme gelten, was aber ansonsten gar nicht übertrieben ist, wie ein Blick ins bisherige interessante und spannende Werkverzeichnis zeigt.

In der Handhabung sind sich beide Reihen ähnlich, aber doch nicht ganz: Das ZDF sendet beinahe wöchentlich übers ganze Jahr, die ARD beschränkt sich auf einen Block in den Sommermonaten, wo zuletzt elf Filme liefen. Das sind Filme, an denen ein oder mehrere Sender der ARD als Koproduzenten beteiligt waren, die Filme werden zuerst im Kino ausgewertet (sofern sich ein Verleih findet), und erst nachträglich unter der Marke zusammengefasst. Zwischen Kinostart und dem Debüt im Ersten können ein paar Jahre vergehen.

Das ZDF definiert seine Produzentenrolle wesentlich stärker. Nicht alles ist für die große Leinwand gedacht beziehungsweise landet nach einer Festivalpremiere gleich auf dem Bildschirm, wie es sich für ein Fernsehspiel ja auch gehört. Was doch vorher ins Kino kommt, kann nach vier Monaten schon im öffentlich-rechtlichen Nachtprogramm auftauchen. Mitunter hat man den Lauf der Dinge auch schon umgekehrt und strahlte einen Film auch gerne mal kurz vor Kinostart aus – es wird sich schon noch einer finden, der sich trotzdem eine Eintrittskarte kauft. Falls es bei dieser Form der Nachwuchsförderung darum geht, die nächste Generation ganzheitlich für den Filmmarkt fit zu machen, ist das vielleicht nicht die geschickteste Terminplanung. Es scheint aber ohnehin eine Ausnahme gewesen zu sein.

Problematischer ist die Zeitplanung an sich. Beide Sender geben sich nämlich größte Mühe, ihr Engagement, auf das sie so stolz sind, im Programm möglichst so zu verstecken, dass es auch ja niemand mehr sehen kann – wochentags in der Nähe von Mitternacht das ZDF, die ARD eine Stunde früher. Da will zwar ein unbekannter Autor der Wikipedia eine „zweite Prime Time“ verorten, doch das ist Unsinn, weil es die nur in Ländern gibt, wo die Tagesabläufe etwas verschoben sind, also die Zuschauer später ins Bett gehen, weil sie auch später aufstehen – womit die Schiene zwischen 22 Uhr und Mitternacht deren erste Prime Time ist. Besser gesagt: einzige. Weil die flockige Prime Time ja nichts anderes ist als die gute, alte Hauptsendezeit. Und wie viele „Erste Zeiten“ kann ein Sender wohl haben?

Wie auch immer – wochentags nach zehn ist ganz schlecht, will man ein möglichst großes Publikum erreichen, weil die einen dann lieber ins Bett, die anderen noch ein bisschen was trinken gehen. Und weil das hoffentlich auch Fernsehredakteure wissen, steckt vermutlich Absicht dahinter, wenn zur (echten) Prime Time lieber Schmonzetten vor englischen Küsten, schwedischen Wäldern oder bayerischen Bergen gesendet werden, bis auch der letzte Gebührenzahler ausgestorben ist.

Vermutlich traut man also dem eigenen Engagement nicht so ganz und fürchtet, die Restzuschauer zu überfordern. Dabei drehen sich längst nicht alle Debüts und Fernsehspiele um alleinerziehende Alkoholiker in Plattenbausiedlungen (obwohl sowas auch nicht schlecht sein muss), sondern sind kluganrührendlustiganregendecht, also all das, was die Prime Time hin und wieder vertragen könnte. Und ja, ich weiß von den Mediatheken beider Sender, die neuerdings das zeitsouveräne Nachschauen erlauben, genauso wie ich Video- und Festplattenrekorder handhaben kann, was man Pilcher-Fans aus irgendwelchen Gründen nicht zumuten will. Doch darum geht’s nicht, sondern darum, welches Selbst- und Zuschauerverständnis das öffentlich-rechtliche Fernsehen über Sendeplätze wiedergibt. Und wie ernst man den Nachwuchs wirklich nimmt. Sat.1 ist da mit seinen neuen Plänen etwas mutiger.

Das Engagement, das so gerne gelobt wird, entzaubert sich so leicht zur reinen Eigenwerbung. Zumal ja gerade das ZDF sich mit den Fernsehspielen auch die Sendezeiten seiner Subkanäle füllt. 26 neue Produktionen entstehen zur Zeit im Jahr, allein 40 Montagnächte werden mit den Fernsehspielen bedient. Und das alles noch recht günstig, weil die „Nachwuchsfilme“ entsprechend niedrig budgetiert werden – da lernen die neuen Filmemacher ja noch und sollen lieber stolz sein: Sie werden ja gesendet.

Genau, höre ich es da rufen, was gibt’s denn da zu meckern? Nun, nicht viel, bis auf das, was ich bereits zur Schelte gegen Sat.1 angemerkt habe. Natürlich könnte das ZDF auch anderes an dieser Stelle senden. Aber das wäre dann eben anders, und keine Romantische Komödie aus Kasachstan, die reihenweise Festivalpreise eingesammelt hat und gar für den „Europäischen Filmpreis“ nominiert war, und auch kein Wettbewerbsbeitrag der Berlinale, der aktuelle Themen mit einigem Unterhaltungswert darstellt, sondern vermutlich doch nur wieder sowas oder sowas.

Soll heißen: Die kleinen Fernsehspiele bringen frischen Wind ins Programm, davon hat auch das ZDF etwas. Wenn der Sender das sonst nicht senden will, ist er selber schuld. Wer allerdings gerne für weniger arbeitet, auch. Das sehen übrigens die meisten Berufsverbände in der Branche genauso.

Tatsächlich ist das Förderprogramm fürs ZDF sogar ein lohnendes Geschäft. Zum einen, weil man wenig Geld ausgibt. Heike Hempel, einstige Leiterin des Kleinen Fernsehspiels gab mal die Herstellungskosten pro Projekt mit „maximal einer Million Euro“ an, wobei „unsere Beteiligung bei höchstens 500.000 Euro“ liege. Denn „wir arbeiten ausschließlich im Low-Budget-Bereich.

Das klingt, als wäre man stolz drauf. Low-Budget, das hat ja auch so einen wild-romantischen Touch, jedenfalls für diejenigen, die so nicht selber Filme machen müssen. Und die überschlagen sich dann mitunter in gedankenlosen Schwärmereien wie: Das kleine Fernsehspiel „überzeugt immer wieder mit Produktionen, die ein niedriges Budget mit hoher Qualität vereinbar machen“ oder finden da „umso erstaunlicher die Tatsache, dass mit einem Etat von zirka 10 Millionen DM Mitte der 90er Jahre etwa 40 Produktionen jährlich realisiert werden konnten (mehr als 2.000 seit der Gründung).“

Sieh an, wofür andere getadelt werden, bringt dem ZDF Lob oder sogar noch einen Preis. Aber die qualitative Überzeugungsarbeit leistet natürlich nicht der Sender oder seine Superredaktion, die hoffentlich nicht allzu weit unter Tarif arbeiten muss, weil die Redakteure so stolz sind, dass sie überhaupt senden dürfen. Sondern die Filmemacher, die trotz (und nicht wegen) knapper Budgets noch etwas Brauchbares zustande bekommen. Mehr als 2.000 Mal seit der Gründung. Überzeugend sind solche Produktionsbedingungen aber nicht, wie etwa hier auf Seite 6 schon vor 15 Jahren gewarnt wurde.

Denn eigentlich ist es noch viel schlimmer. Von der Obergrenze sind die meisten Produktionen weit entfernt. Obwohl offizielle Zahlen kaum veröffentlicht sind, ist bei den kleinen Fernsehspielen meist von Budgets zwischen 100.000 und 300.000 Euro zu hören (auch da die Tendenz eher zum unteren Rand), für eine Dokumentarfilmreihe hatte die Redaktion gar mal 80.000 Euro pro Projekt veranschlagt.

Mein absolutes Lieblingszitat, das einiges über das Einfühlungsvermögen der Nachwuchsförderer verrät, war aber vor acht Jahren in der „Blackbox“ zu lesen. Das ist ein filmpolitischer Newsletter, der von der Journalistin Ellen Wietstock herausgegeben wird. Und weil Das kleine Fernsehspiel damals 40 wurde, gab es auch ein Interview, über das ich neulich wieder gestolpert bin. Das heißt, gestolpert bin ich über eine Antwort der damaligen kleinen Fernsehspielleiterin Heike Hempel, als Wietstock folgendes feststellte: „Filmemacher und Produzenten beanstanden, daß Kleine Fernsehspiele nur unter Selbstausbeutung realisierbar sind.“ Heike Hempel: „Low-Budget kann in der Tat heißen: Man mobilisiert all seine Freunde, nutzt deren Autos und Wohnungen. Es ist klar, daß solche Produktionsbedingungen nur bei ein oder zwei Filmen durchzuhalten sind. Aber manch ein Regisseur, der dann später mit 80 Wohnwagen und dem Verleiher im Nacken arbeiten muß, sehnt sich zuweilen danach, wieder einen kleinen Film zu drehen. Geld kann auch behindern.“

Die drei Pünktchen sollen meine vorübergehende Sprachlosigkeit ausdrücken. Tatsächlich ist die Bettelmasche aber Programm. Denn zur gleichen Zeit stellte Claudia Tronnier, die Hempel inzwischen auf den Posten gefolgt ist, fest: „Alle Filme sind Low-Budget-Produktionen, die zum Teil einen erheblichen Mehrwert durch die Zusammenarbeit mit Förderungen und anderen Kooperationen erzielen.“

Und wer meinte, das sei alles schon ziemlich skandalös, kann nach diesem Satz noch etwas mehr lernen. Zum Beispiel wurde „Kiss and Run“, das Regiedebüt von Annette Ernst von 2002, nach einem Drehbuch von Maggie Peren, in der Reihe gefördert. Gefördert wurde es aber vor allem von den Institutionen, die für sowas eigentlich zuständig sind: Mit (von Mark umgerechnet) rund 50.000 Euro vom Kuratorium junger deutscher Film, 30.000 Euro von der MFG Baden-Württemberg, 102.200 Euro vom Medienboard Berlin-Brandenburg (damals noch FBB), die zur Hälfte bereits als ZDF-Mittel ausgewiesen sind, 179.000 Euro vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und 5.000 Euro von der Hessischen Filmförderung (anteilig umgerechnet aus einer Anschubförderung über 30.000 Mark, die der neugegründeten Produktionsfirma für ihre ersten drei Filme bewilligt worden war). Den „Thomas-Strittmatter-Drehbuchpreis“ über 25.000 Euro, den die MFG Maggie Peren verliehen hatte, rechne ich nicht ein und komme trotzdem auf eine Summe von 366.200 Euro. Allzu teuer kann die »kleine wilde Low-Budget-Spielfilmproduktion« das ZDF da wohl nicht mehr gekommen sein. So macht man Programm.

2 Kommentare
  1. ada sagte:

    Danke, ein mehr als notwendiger Beitrag. Die engagierten Filmemacher werden vor geschoben um Ihr gesamtes Umfeld, inclusive sich selbst, auszubeuten, und die Sendeanstalten billig mit Qualitätsmaterial zu beliefern, Immer öfters auch gesendet zur Hauptsendezeit anstatt in einer eigenen Programnische , Damit schießen sich die Filmschaffenden,welches dies durch kostenarmes Engagement fördern, doppelläufig selbst ins Knie. Faire Produzenten mit regulärer Bezahlung kommt der Sendeplatz abhanden.

  2. evarella sagte:

    Von früher weiß ich: Was wir wollten, war spielen. Spielen, spielen, spielen. Und nichts anderes. Das war der Job.

    Es ist im Grunde sehr einfach. Als ich meinen Beruf- oder besser mein Handwerk erlernt habe, ging man nach seinem Abschluss zum Vorsprechen und wurde engagiert oder eben nicht. Man bekam, wenn die Nase ins Ensemble gepaßt hatte, seinen 2-Jahresvertrag und spielte mehr oder weniger alles hoch und runter was Gott verboten hat und Dichter, Intendanten, Dramaturgen und Regisseure sich so einfielen ließen.

    An den Theatern hatte man bezahlt die Möglichkeit sein Handwerk auszuüben. Fein. Sicher waren die Arbeitsbedingungen nicht immer rosig, die Bezahlung von jungen Kollegen lag schon damals teilweise unter der eines Technikers, aber wir konnten uns großteils doch um das kümmern, was wir gelernt hatten, das Schauspielen!

    Wir haben gelernt, daß das, was wir machen, Mannschaftssport ist. Spielst du mir den Ball nicht zu, kann ich ihn nicht weiterpassen und wir schießen dann auch keine Tore.

    Wir sind es gewohnt in einem Gefüge innerhalb des uns bestimmten Platzes dann doch auch zu funktionieren. Wir sind primär keine Dichter, keine Erfinder, keine Vorprescher und eigentlich auch nicht sehr glücklich in der Selbständigkeit, denn die läßt uns nicht arbeiten, sonder erfordert unglaublich viel an Verwaltung. Wir sind Kämpfer für eine gelungene Inszenierung. Wir verteidigen unsere „Kunst“-Figuren. Wir sind eingebunden in ganze Produktionsprozesse und dahingehend wirklich abhängig.

    Schauspieler sind in ihrem Torteneck des Figur-Suchens, Figur-Er-Findens, zwar eigenkreatürlich, aber sonst angewiesen auf alle anderen, die nötig sind, um eine gute Inszenierung zu Stande zu bekommen. Angefangen von den Regisseuren, deren Spiegel sie benötigen bis hin zur Garderobiere, die sich darum kümmert, dass der Knopf des Bühnen-Kleides wieder angenäht wird.

    Von Schauspielern kann man alles verlangen, wenn es der gelungenen Inszenierung dient. Welcher Mensch würde sonst freiwillig nackt, grotesk herumturnen, sich im Schlamm wälzen, sich anbrüllen lassen und teilweise Arbeitsbedingungen mit Marathonarbeitszeiten auf sich nehmen?

    Der Schauspieler tut es, weil er an das Endergebnis glaubt. Ja, man kann ihm das vorwerfen, seine Gläubigkeit, sein Sich-Ausliefern und man kann ihn auch als Masochist beschimpfen. Und selbst das stört ihn nicht wirklich, weil er nach Wahrhaftigkeiten in seine Figuren sucht, weil er will, dass sich ein großes Ganzes zusammenfügt, das den Zuschauer mitreißt, in Atem hält, in irgendeiner Art und Weise bewegt.

    Vor über 20 Jahren, als ich diesen Beruf auszuüben begann, gab es für diese Art Menschen ( denn Schauspieler sind einfach mal ein eigener Schlag) noch die geschützten Räume, die es braucht um permanent mit allem guten Handwerk dann doch an die Grenzerfahrungen einer Figur herangehen zu können. Man wußte auch damals von der manchmal bedingungslosen Auslieferung des einzelnen Schauspielers an die jeweilige Produktion und seine zu spielende Figur. Aber man hat diese Auslieferung nicht als Argument dazu benutzt, ihn nicht mehr bezahlen zu müssen. Nach dem Motto: sei froh, wenn du darfst.

    Was heutzutage mit Schauspielern gemacht wird, sie für ihre Arbeit ( und ich schwöre, trotz aller lustvoller Erfahrung: ES IST ARBEIT) immer geringer zu entlohnen, ist schlichtweg Schweinerei! Gerade weil bekannt ist, wie leicht Schauspieler der guten und schönen Sache willen zu ködern sind. Daß genau die Eingebundenheit in einen ganzen Produktionsprozess und die damit verbundenen Abhängigkeiten des Schauspielers und sein innerer Drang eine tolle Aufführung, einen großartigen Film zu machen, als Argument benutzt werden, seine Gagen gleich ganz zu streichen, ist unmoralisch, verantwortungslos und ethisch verwerflich und infam.

    Und wenn die verantwortlichen Schalthebeldrücker das nicht begreifen ist es Zeit, in Generalstreik zu treten. Wir lassen uns nicht in die Existenzvernichtung treiben, von ihrer Dreistigkeit in ihren warmen Bürosesseln…..Im übrigen, meine sehr verehrten verantwortlichen Damen und Herren, machen sie dadurch auch ihre Posten überflüssig, denn irgendwann werden sie durch ihre Sparpolitik niemanden mehr haben, den sie engagieren können, weil der nächste Kollege inzwischen schlicht an Armutsverwahrlosung verstorben ist, auf Grund ihrer gedankenlosen, selbstbezogenen Eitelkeit und Selbstbereicherung.

    Alles was wir auch heute noch wollen ist spielen, spielen, spielen, aber nicht mehr für sie!

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