Von Kulturlingen und Filmtätigen

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Drehrbeiten zu „Metropolis“. Ab 1925 drehte Fritz Lang seinen Science-Fiction-Film über eine in Klassen eingeteilte Gesellschaft. | Foto © Murnau-Stiftung

„Kulturschaffende“ ist ein beliebter Begriff. Er fasst so wunderbar zusammen, was sich anders kaum formulieren lässt. Eben darum ist das Wort aber gar nicht so harmlos. Und nicht bloß wegen seiner Nazi-Vergangenheit.

„Kulturschaffende“ ist ein beliebtes Wort in Reden, Texten und Statements. Es klingt unschuldig und inklusiv zugleich. Dabei ist sein Ursprung im Nationalsozialismus zu finden, ließ sich Gabi Wuttke schon vor zwei Jahren bei Deutschlandfunk Kultur von der Historikerin Isolde Vogel erklären. Und auch im „Standard“ erklärte Michael Wurmitzer das Problem: „,Kulturschaffende’ bezeichnete Künstler, die Mitglied der Reichskulturkammer waren. Wer kulturell tätig sein wollte, musste ihr angehören, was sonst einem Berufsverbot gleichkam. Doch stand die Mitgliedschaft nur Ariern offen. Wer drin war, war ,völkisch’ und ,deutsch’, wer nicht drin war: ,artfremd’, ,unerwünscht’, ,entartet’.“ 

Auf der Kulturplattform Oberösterreich wurde derweil (mit Deutschlandfunk und „Standard“) eine Alternative gesucht. Der beste Einfall im Wettbewerb: „Kulturtätige“. So richtig durchgesetzt hat sich der Begriff noch nicht –selbst „Der Standard“ schrieb vor zwei Wochen über „österreichische Kunst- und Kulturschaffende“. 

In der „Berliner Zeitung“ mahnt nun Harry Nutt noch einmal: „,Kulturschaffende’ sind historisch gleich doppelt belastet. […] Nach 1945 schien sprachliche Sensibilität besonders vonnöten, weshalb der Schriftsteller Wilhelm Emanuel Süskind das Gerundivum Kulturschaffende in das ,Wörterbuch des Unmenschen’ (zusammen mit Dolf Sternberger und Gerhard Storz) aufnahm. Das jedoch schien in der bald darauf entstehenden DDR niemanden zu beeindrucken. Weil das Wort zur Ausbildung einer proletarischen Existenz gut geeignet schien, siedelte es kurzerhand in den Jargon des sozialistischen Staates über. […] Mehr als eine sprachliche Verlegenheit – von einem schönen Wort kann nicht die Rede sein – gilt der häufige Einsatz ,Kulturschaffender’ inzwischen als Nachweis gesellschaftspolitischer Fortschrittlichkeit. Schon um in Reden und Statements nicht andauernd von Künstlerinnen und Künstlern sprechen zu müssen, hat sich das Wort als gefällige Alternative breitgemacht. […] So verwies Kulturstaatsministerin Claudia Roth zuletzt während der Berlinale in beinahe jedem ihrer Interviews auf die prekäre Lage der Filmschaffenden in Iran. Diese wahrzunehmen ist in der Tat wichtig. Aber wäre es nicht längst überfällig, die ,Kulturschaffenden’ endlich aus der sprachlichen Praxis zu entlassen?“ 

Nun sind es jedoch nicht nur Künstlerinnen und Künstlern, die an der Kultur schaffen. Weshalb der Begriff schon vor den Nazis in der Welt war. Das spielt im „Wörterbuch des Unmenschen“ [PDF] aber keine Rolle, weil es den Autoren um mehr ging: nämlich wie die Sprache der Gewaltherrschaft auch nach deren Ende weiter wirkte. Zwischen 1945 und 1948 schrieben die drei Autoren ihre Artikel für eine monatliche Kulturzeitschrift, 1957 als Buch erschienen. 28 vermeintlich alltägliche Begriffe nehmen sie sich vor, darunter auch „Anliegen“ etwa, „Durchführen“, „Gestaltung“, „Problem“ oder „Zeitgeschehen“.  

In der Wortwahl ist Süskind selber nicht zimperlich, denn schon das Wort „Kulturschaffende“ sei „eine bastardhafte Zusammensetzung“ – „und zwar von jener hybridischen Sorte, wie sie dann entsteht, wenn Zucht und Ordnung aufgehoben sind und im Interesse einer schrankenlosen Fruchtbarkeit alles mit allem zusammengesetzt werden darf. Man stelle sich’s ruhig im Bilde einer obrigkeitlich stimulierten geschlechtlichen Vermischung, eines ,Lebensbornes’, vor: wo es nur auf die reichliche Produktion von Material ankommt. […] Was ist denn ein ,Schaffender’? Das Wort ist eine von jenen fatalen Substantivierungen der partizipialen Zeitwortform, von denen eigentlich nur der ,Reisende’ ein Bürgerrecht im Lande der Hauptwörter gewonnen hat. Bedarf besteht nach dem Wort ,Schaffender’ gewiß erst, seit die Bevölkerungsstatistik ihr Netz über das Gebäude der Stände und Klassen hinspinnt. Das ist noch nicht allzulang, und noch neueren Datums ist das Bedürfnis (oder der Zwang?), sich dabei immer neuer Gruppierungen und einer immer umschreibenderen, vergoldeteren Sprache zu bedienen. Die Sprache geht immer ,schonender’ mit den Lebenserscheinungen um – das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Bei gleichzeitiger Steigerung der tatsächlichen Eingriffe in die Lebenssubstanz. […] Auch mit den Berufen ist es so. Von der Magd zur Hausgehilfin, vom Fabrikanten zum leitenden Betriebsangestellten, vom Händler zum Verteiler, vom Arbeiter zum Schaffenden – lauter Umbenennungen in eine andere Dimension hinein, mit dem Gesamteffekt, dass die Menschen als das erscheinen, als was sie geführt werden (in irgendwelchen Listen), und nicht als das, was sie tun. […] Der unbestimmte Ausdruck ,kulturschaffend’ ist dazu trefflich gewählt. Wer genau hinhört, erkennt ohnedies im Partizip eine merkwürdig passivistische Form des Tätigkeitsworts: der Liebende ist eine sanftere, gefügigere Gestalt als der Liebhaber, der Strampelnde ist passiver als der Strampler – es widerfährt ihnen eigentlich, was sie tun. So wird auch der Reisende mehr dahingetragen als der Wanderer, und der Schaffende sieht sich eingeteilt in Verrichtungen, die zwar von ihm getan, aber wie von unsichtbaren Fließbändern der ,Fachschaft’ an ihn herangetragen werden. Denn es versteht sich, daß Kulturschaffende in Fachschaften eingeteilt sind und nicht in Berufe. Der Begriff des Berufs ist in den Augen des Unmenschen überhaupt ein wenig veraltet. Ihm haften fatale Erinnerungen an freie Berufswahl und selbständigen Werkstattbetrieb an, und die heilige Überzeugung des Unmenschen, daß Systeme wichtiger sind als Menschen, diese Überzeugung geriete ins Wanken, wenn die Schaffenden sich auf ihren Beruf versteiften und kurzerhand etwas zu tun, selber zu arbeiten begännen, statt auf ihren Einsatz zu warten.“

„Verbrannte Wörter“ hat auch der Journalisten und Historiker Matthias Heine zusammengetragen: „Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht“ zeigt er an 90 Wörtern, die oft arglos verwendet werden, aber unter Verdacht stehen. Für ihn sind die Kulturschaffenden „ein Wort, das nun wirklich ganz eindeutig im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus aufgekommen ist und sich vorher überhaupt nicht nachweisen lässt“, sagte er vor vier Jahren im Interview mit Sabine Peschel bei der Deutschen Welle: „Als die Reichskulturkammer geschaffen wurde, stand das zwar nicht in den offiziellen Dokumenten, aber es gab dann einen Aufruf der sogenannten Kulturschaffenden, die sich als solche bezeichneten, die das begrüßten und dazu aufforderten, da mitzumachen. Und in diesem Zusammenhang kommt das Wort zum ersten Mal auf, und das ist natürlich eine hübsche Pointe, dass es dann nach einem Nachleben in der DDR auch eher im linken Sprachgebrauch heute verwendet wird. Es gab ja vor zwei Jahren diesen Aufruf der Kulturschaffenden gegen Seehofer. Und es war immer, wenn nicht von diesen Leuten selbst, doch zumindest in der Presse von Kulturschaffenden die Rede. Das ist genau wie Eintopf – es ist eher interessant, zu wissen, dass das im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus aufgekommen ist. Es ist jetzt kein vergiftetes Wort in dem Sinne, wie Untermensch und Rassenhygiene vergiftete Worte sind. Sie werden nicht zum Nazi, wenn Sie Kulturschaffender hundertmal sagen oder Eintopf hundertmal sagen, aber ich finde das erst mal einfach interessant.“

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