Gedanken in der Pandemie 131: Auch Macht hat eine Ästhetik

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Gestern, am Wahlabend. | Foto © ARD

Die politische Daily Soap: Claus Klebers allerletzter Auftritt und noch einmal das Skelett, die Seenixe, der Scholzomat und die Schlussrunde vor dem Beginn des Corona-Herbstes – Gedanken in der Pandemie, Folge 131.

„Politische Kommunikation darf sich nicht davor drücken, Probleme zu benennen und Fehler anzusprechen […] Niemand hat von vornherein die richtige Antwort auf gesellschaftliche Fragen.“
Carsten Brosda, „Die Zerstörung“

„Passive aggression is rebellion of retaliation that is sugar-coated by nonaggressive behavior.“
B. T. Goodwin „Surrounded by Idiots. How Ineffective Communication Causes Chaos“

Jetzt ist sie vorbei, die Wahl, und wie nach Weihnachten, bleibt ein leichtes Katergefühl zurück. Über die politischen Folgen der Wahl und über die Chancen der wahrscheinlichen sozialliberalen Koalition werden wir nach bei vielen Gelegenheiten debattieren. Vielleicht wird irgendwann auch im Rückblick voller Überraschung darüber gesprochen werden, das Corona eigentlich gar keine Rolle spielte. Dass die Pandemie schlichtweg kein Thema war; auch nicht das Versagen der Regierung an bestimmten Stellen, auch nicht Maskenskandale und Beschaffungsprobleme, auch nicht die rechtsstaatliche Bedenken der Verfassungsjuristen, der FDP und von Minderheiten in anderen Parteien. Alles das kam im Wahlkampf so wenig zur Sprache, wie Außenpolitik – und beides ist ein schweres Versäumnis. Sowieso stellt der zurückliegende Wahlkampf unbequeme Fragen unsere politische Kultur betreffend. 

Schon vor zwei Jahren hat der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda, der wenn es gut läuft, die so eitle wie überforderte amtierende Kulturstaatsministerin ablösen wird, ein kleines, handliches, gut lesbares Buch geschrieben: „Die Zerstörung. Warum wir für den gesellschaftlichen Zusammenhalt streiten müssen.“ (Hoffmann und Campe, Hamburg 2019). Der Titel wurde in Anlehnung an das berühmte Video des Youtubers Rezo gewählt. 

Brosda, der dort auch keineswegs unkritisch mit seiner eigenen Partei umgeht, erklärt dort kurz gesagt, warum die heutige Öffentlichkeit nicht mehr funktioniert und zunehmend zerfällt, warum die Kluft zwischen Parteien und Institutionen und verschiedenden Milieus und der Wirklichkeit immer größer wird. 

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Was neben den ersten Dingen, um die es inhaltlich ging, am Wahlabend noch interessanter war, das waren natürlich die ästhetischen Aspekte des Ganzen. Also das politische Drama, das sich da vor unserenm Augen entfaltete.

Dazu gehört zum einen der Reshuffle der Hauptfiguren unserer politischen Daily Soap, aus der nun manche Figuren auf Nimmerwiedersehen verschwinden, wie Angela Merkel, die als Mutti Beimer des Berliner Betriebs in der nächsten Staffel einfach nicht mehr mitspielt, oder Wolfgang Schäuble, der ein bisschen aus seiner Hauptrolle rausgeschrieben wurde. Oder sie kämpfen noch darum ob sie Schurke oder Held, Haupt- oder Nebenfigur sein werden, wie Armin Laschet. 

Auch Macht hat eine Ästhetik, und tatsächlich ist es ein Genuß für sich, das über mindestens fünf Akte gehende Königsdrama zu betrachten, dass sich die Union gerade liefert: Laschet, als schwacher aber auch milder leutseliger König, der im Stillen härter ist, als es scheint, Söder der zwischen der Figur des verräterischen Hagen und dem des schwarzen Prinzen, der die Tugenden alten Rittertums noch hochhält schwankt. Der aber auch zu Fasching im Narrenkostüm herumläuft. 

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Möglicherweise ist dies alles aber weder Drama noch Tragödie noch moralische ASnstalt, sondern schrille Farce. 

Zu einer solchen lädt dieser Tage die Berliner Volksbühne wieder alle Berliner und Anreisende. Wahlsonntage haben dort schon Tradition: 1998 endete Christoph Schlingensiefs Wahlkampf mit „Chance 2000“. Als Angela Merkel 2005 die Wahl gewann, nannte Schlingensief die CDU-Vorsitzende „supersüß“ und verlangte, dass man ihre eine Chance geben sollte. Diese Chance hat sie wahrgenommen – viermal hintereinander. Nun ist es an der Zeit, sich von ihr zu verabschieden. 23 Jahre nach dem kollektiven Bad im Wolfgangsee, um Helmut Kohls Feriendomizil unter Wasser zu setzen, wurde „Chance 2000“ für einen kurzen Moment wieder zum Leben erweckt: Denn wie damals 16 Jahre Helmut Kohl liegen jetzt 16 Jahre Angela Merkel hinter uns. Kommen nun 16 Jahre Olaf Scholz? Oder 26? Der Scholzomat wäre im Jahr 2037 immerhin erst 79 Jahre alt. Ein Bestager In dem Alter hatte Konrad Adenauer noch mehr als die Hälfte seiner Amtszeit vor sich. 

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Am Wahlsonntag gab es an der Volksbühne das großartige Programm einer „Berliner Runde reenacted“ 5 Stunden 45, also eine solide Castorf-Länge. 

Inga Busch spielte dort Olaf Scholz mit vollem Macho-Sound. Andere Politiker wurden durch große Puppen dargestellt. Armin Laschet zum Beispiel als Untoter, ein Skelett mit Perücke, das von der Aufgabe eines großen Modernisierungsschubs redet.

Während die anderen Darsteller den Namen des CDU-Chefs immer wieder falsch sagten: Laschek, Aschet, Lasset. 

Vieles was die Politiker in der live ohne Ton übertragenen „Elefantenrunde“ sagten, mussten die über Kopfhörer zugeschalteten Schauspieler bloß wiederholen, und schon klang es wie Realsatire: „Man muss einmal ganz menschlich sagen Ich habe großen Respekt vor Armin Laschet.“ (Markus Söder). 

Auch der echte Söder behauptete im Fernsehen, dass es „ein Votum gegen Rot-Grün“ gebe – kontrafaktisch, hatten doch SPD und Grüne jeweils über 5 Prozent gewonnen. 

Annalena Baerbock wiederum war eine Seenixe, deren Gesicht an „Chucky, die Mörderpuppe“ erinnerte, und die folgende Original-Baerbock-Sätze sagte: „Es ist der Auftrag dieses Wahlabends, dass die nächste Bundesregierung die Weichen dafür stellen muss, dass das Land in den nächsten zwei Jahrzehnten klimaneutral wird.“ Puppenspielerin Suse Wächter machte die Grünenvorsitzende zu einer gruseligen Figur. Mit schriller Stimme und bösen Blick ist diese jederzeit bereit, sich in Olaf Scholz zu verbeißen. 

Olaf Scholz und Christian Lindner sind die einzigen Politiker in dieser Volksbühnen-Schau, die als zurechnungsfähig erscheinent – das geht wohl nicht nur der Volksbühne so, sondern auch dem Volk.

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Und dann gab es da noch die Fernsehaufführung, auf mehreren Kanälen parallel: Wahlsieger die Zahlen betreffend war wieder eindeutig das ZDF. Dort meldete man von Anfang an einen kleinen aber festen Vorsprung der SPD vor der Union, während bei der ARD beide noch fast eine Stunde bei 25 Prozent lagen, und auch der Rest ungenauer war. 

Dann gab es die Talkunden – diesmal vor lauter Wahlaufregung nicht ohne Pannen. Anne Will verhaspelte sich gleich zu Beginn ziemlich lustig: „Die Schlussrunde“ nannte sie die Elefantenrunde – aber es war nicht als Witz gemeint. Maybrit Illner verwechselte dagegen Scholz und Laschet. Schon um 18 Uhr hatte Stefan Aust bei Welt-TV die Falschbehauptung in die Welt gesetzt, dass Helmut Schmidt nach dem Wahlsieg über Helmut Kohl die FDP „abhanden gekommen“ sei. Tatsächlich war dies erst eine Legislaturperiode später der Fall, nach dem Sieg über Strauß 1980. 

Illner war trotzdem wieder die Siegerin des Abends, weil sie ihre Gäste aus der Facon und zum Streiten brachte, während bei „Anne Will“ wieder hauptsächlich Politfloskeln abgeseilt wurden. 

Die tatsächliche Elefantenrunde, traditionell bei ARD/ZDF zu Gast, wurde – aufgeblasen auf über eine Stunde Länge – zu einer der langweiligsten in der Geschichte des Formats. Keinerlei Gespräch entwickelte sich, wie an einer Perlenschnur aufgereiht hakte man die Teilnehmer ab, stellte einfallslose, vorgestanzte Phrasenfragen, zum Teil zweimal die gleiche zehn Minuten später noch mal, und wusste erkennt man nichts mit der ungewöhnlichen Situation anzufangen, obwohl es doch zum ersten Mal eine Drei-Parteien Koalition geben würde, obwohl die LINKE nur knapp am parlamentarischen Aus vorbeigeschrammt war. 

Nur Olaf Scholz versuchte in der Elefantenrunde die Prioritäten zu setzen: „Wir haben ja drei Parteien die hinzugewonnen haben. Auch das ist eine Botschaft.“

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Ansonsten muss man sich fragen, nach welchen politischen und ethischen Maßstäben beim ZDF eigentlich entschieden wird? 

Hat das ZDF eigentlich eine Medienpartnerschaft mit dem Axel-Springer-Verlag? Oder nehmen die anderen Verlage keine ZDF-Einladungen an?

Dieser Eindruck kommt schon länger auf, wenn man die erstaunliche Häufigkeit der Auftritte der politischen Chefjournalisten der WELT, Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander im ZDF beobachtet. Und warum müssen es immer diese beiden doch durchaus begrenzten, und nur zum Teil interessanten Leute sein? Bereits im September an gleich zwei aufeinanderfolgenden Tagen erlebte man es wieder. Nur weil sie Unionsnahe sind? Oder weil sie die GRÜNEN kritisieren? Solche Leute findet man bei anderen Verlagen auch. 

Warum nicht mal einer von der TAZ oder Heribert Prantl oder Jakob Augstein? Zu regierungskritisch? Zu Unionsfern? Das wollen wir nicht glauben.

In den letzten drei Tagen konnte es aber selbst wohlwollenden Beoabachtern zuviel werden: Zunächst saß Chefredakteurin Rosenfeld am Donnerstag bei „Maybrit Illner“, dann direkt danach Robin Alexander bei „Markus Lanz“, wo Rosenfelds Stellvertreter bereits seit eineinhalb Jahren mehrmals im Monat zu Gast ist. Und dann drei Tage später am Sonntagabend gleich wieder: Da durfte Robin Alexander dann bei „Maybrit Illner Special“ kommentieren. Gegengewichte bildeten nur je einmal Anja Meier vom Weser-Kurier, und Markus Feldenkirchen vom Spiegel. 

Zusätzlich pikant wird diese einseitige Auswahl „unabhängiger Medienbeobachter“ dadurch, dass sowohl Rosenfeld wie Alexander politisch sehr klare neoliberale bzw. konservative Positionen vertreten. Rosenfeld macht aus ihren FDP-Sympathien kein Hehl, zugleich legen weder sie noch das ZDF offen, dass Rosenfeld neun Jahre lang mit FDP-Chef Christian Lindner verheiratet war. Vielarbeiter Alexander ist neben seinen regelmäßigen journalistischen Texten auch Autor brillant analysierender Sachbücher, die aber zugleich eindeutig der Agenda des rechten Unionsflügels in die Hände arbeiten. 

So auch bei „Maybrit Illner Special“: „Noch liegt Scholz vorne …“ meinte der Söderknappe – eine gewagte Relativierung am Abend eines der größten SPD-Wahlerfolge der letzten Jahrzehnte. Aber selbst Alexander konnte das Ergebnis der Union nicht auf Dauer schönreden und beschränkte sich auf nicht falsche, aber recht hochnäsige Ratschläge an die Wahlsieger der Grünen: „Sie müssen aus ihrer Haut, wenn Sie die Leute abholen wollen.“

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Überhaupt war man beim ZDF deutlich mehr als bei der ARD bemüht, der Union ein paar Rückzugslinien und Haltepunkte zu sichern, und dafür den Wahlsieg der SPD kleinzureden und zu relativieren. 

Ein weiteres Beispiel war die Moderation von Claus Kleber im „Heute Journal“ vom Sonntag. Zunächst raunte der Kommentar: „Scholz kennt die Geschichtsbücher. Schon vor ihm wurden Männer nicht Kanzler, obwohl sie im Ergebnis vorne lagen.“ 

Im Interview danach unterbrach Claus Kleber Scholz schon bei seiner ersten Antwort, und wies darauf hin, dass beide Parteien „ja nur Bruchteile eines Prozents“ auseinander lägen – zu diesem Zeitpunkt führte die SPD in der ZDF Hochrechnung mit 1,5 Prozent. 

Scholz hielt denn auch dagegen: „Die CDU ist ja abgewählt worden durch dieses Wahlergebnis – anders kann man die Wählerbotschaft gar nicht verstehen.“ Worauf Kleber erkennbar schlecht gelaunt konterte: „Das hat Gerhard Schröder vor 16 Jahren auch geglaubt, dass der Verlauf der Kurve vor der Wahl die Wahl entscheidet und nicht das Ergebnis.“ Damals wurde Angela Merkel Kanzlerin – sie führte übrigens mit gerade mal einem Prozentpunkt, 0,7 % weniger als Scholz’ jetzige Führung.

Geradezu postfaktisch machte Kleber danach gleich weiter, als er das direkt folgende Interview mit Alexander Dobrindt (CSU) der gerade in Bayern 7,1 Prozent verloren und das schlechteste Ergebnis der CSU-Geschichte eingefahren hatte, mit dem Satz anmoderierte: „Die befürchtete Niederlage ist nun ausgeblieben.“

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Ein Thema der nächsten Wochen könnte nichts weniger sein, als die Zukunft der Demokratie. Zum einen, weil Corona zurück kommt, Aber auch, weil die kommende Regierung echte Alternativen zum Merkelismus bieten muss, ohne in Radikalrezepte zu verfallen. 

Ansonsten drohen tatsächlich autoritäre Krisenlösungen, ob in Form einer „Öko-Diktatur“ oder einer populistisch grundierten Realitätsverweigerung. 

In der durchaus hörenswerten „Maybrit-Illner-Runde“ am Donnerstag vor der Wahl ging es mit großer Klarheit genau um diese demokratieskeptische Kardinalfrage – Ist die Demokratie den kommenden Herausforderungen gewachsen? – und um entsprechende Gegenargumente. 

Die Bevölkerung weiß zwar dass man eigentlich viel tun müsste, aber wünschen tun wir alle es uns nicht wirklich. Und wir tragen es auch nur bedingt mit. Und die grünen Fundamentalrezepte werden keineswegs von einer Mehrheit geteilt, noch nicht mal, von einer Mehrheit der Jungen. Mit 30 Prozent bekam die FDP mehr Erstwählerstimmen als die Grünen und viel mehr als die AfD. 

Auch die gerade als Allheilmittel gepriesene Umstellung der Automobilindustrie auf die E-Autos ist keine Lösung, sondern nur ein Konjunkturprogramm für die Automobilindustrie. Das Klima-Problem bleubt bestehen, im Gegenteil kommen neue Probleme: Den schon füpr die E-Autos brauchen wir mehr Strom, als man Windräder aufstellen kann. 

Der Wahlkampf verwies nun auf Grundsatzprobleme der Demokratie, denn Ernsthaftigkeit wird vom Wähler bestraft, und auch Bürger und Medien geben Nebensächlichkeiten eine viel zu große Aufmerksamkeit.

Das ist ein Zeichen von Unreife des Systems – egal ob Baerbock und Laschet auch noch viele selbstverschuldete Fehler gemacht haben. 

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„Zurück nach vorn“ heißt ein „sozialrepublikanisches Panorama“, das dieser Tage online geht. Die Autoren, das sind der Sozialwissenschaftler Holger Marcks und der Historiker Felix Zimmermann haben das Panorama in Zusammenarbeit mit dem Verein für konstruktiven Sozialismus verfasst: einer Fördergesellschaft für liberale Formen sozialistischer Politik.

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