Branchen-Umfrage: Was ist die Normalität?

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Jörg Langer hatte 2015 die erste umfassende Studie zur Situation der Filmschaffenden erstellt – Vorbild für die aktuelle Umfrage. | Foto © Privat

Auch die Branche sehnt sich zurück nach der Normalität. Aber wie sieht die aus? Zurzeit läuft die Umfrage zur sozialen Lage und den Arbeitsbedingungen der Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland. Der Medienwissenschaftler Jörg Langer erklärt, worum es geht und warum die Zahlen wichtig sind. 

Herr Langer, wir weisen regelmäßig darauf hin: Zurzeit läuft die Umfrage zur sozialen Lage und den Arbeitsbedingungen der Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland. Es ist nicht die erste.

Ja, den Anfang machten vor sechs Jahren Die Filmschaffenden, die Vereinigung zahlreicher Berufsverbände der Branche, mit einer Umfrage unter 3.800 Film- und Fernsehschaffenden. Damals gab es zwar schon einige Untersuchungen – die erste wohl 2003 vom Institut für Wirtschaftsforschung, und zwei von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) aus den Jahren 2001 und 2007. Und daneben noch kleinere Umfragen, etwa innerhalb der Berufsverbände. Aber das waren entweder Einzelinterviews oder Umfragen mit einer überschaubaren Zahl von Teilnehmer*innen – einmal 871, einmal 375 Personen. Also nicht unbedingt repräsentativ. 

Diese Untersuchungen zeigen aber auch: Das ist ein Thema in der Branche! Die Filmschaffenden wollten dafür nun endlich verlässliche, „belastbare“ Daten haben, mit denen sie argumentieren und arbeiten können.  

„Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden 2015“ ermittelten sie da. Und fragten nach „sozialer Lage, Berufszufriedenheit und den Perspektiven“. Das Ergebnis bestätigt die vorherigen Untersuchungen: Ein erheblicher Teil lebt prekär, die Sozialsysteme passen nicht zu den Beschäftigungsverhältnissen der Branche, die Chancen sind ungleich zwischen den Geschlechtern, das Familienleben leidet …   

Und dies waren nun die Zahlen dazu. An der Befragung nahmen bundesweit 3.827 Personen teil. Das waren damals etwa 10 Prozent der sogenannten Filmschaffenden. Die Abschlussquote lag bei 72 Prozent. Zusammen mit der absoluten Anzahl der Teilnehmenden gab das eine sehr stabile Basis für die Aussagen. 

Ich hatte die Daten der Umfrage auch nach einzelnen Bundesländern ausgewertet. Besonders in Thüringen und in Baden-Württemberg ist das gut angekommen. Und in Baden-Württemberg ist die Einhaltung sozialer Mindeststandards ja inzwischen sogar Förderkriterium. Auch für Berlin und Brandenburg hatte ich eine Auswertung erstellt – und jetzt schließt sich der Kreis: Es wurde ein Runder Tisch für Verbesserung der Situation der Film- und Fernsehschaffenden uns Leben gerufen. Als Grundlage für die Diskussionen des Runden Tisches wurde ein Gutachten zur aktuellen Situation ausgeschrieben.

Sie haben die Ausschreibung gewonnen. 

Ja, und neben meinem Konzept hat sicherlich auch vorherige Studie positiv beigetragen, nehme ich an. 

Seit 2015 hat aber nichts darauf hingedeutet, dass sich an der Situation etwas geändert hätte. Wozu eine neue Studie?

Ich hoffe schon, dass sich seit 2015 Dinge geändert haben – aber das werden wir herausfinden. Aber vor allem das vergangene Jahr dürfte Spuren hinterlassen haben. Auch das gälte es noch zu untersuchen – ich hatte im Herbst dazu eine Umfrage gemacht, die ich gerade auswerte. 

Doch hier, in dieser Umfrage wollen wir uns auf die „Normalität“ konzentrieren, zu der alle zurückfinden wollen. Wir fragen also nach dem Jahr „vor Corona“ – 2019. 

Die Studie hat der Berliner Senat in Auftrag gegeben. Gedacht war das für die Hauptstadtregion. Sie fragen jetzt aber sogar deutschlandweit. 

Der Aufwand unterscheidet sich zunächst nicht wirklich – ob ich nun regional frage oder deutschlandweit, das Konzept ist gleich. Außerdem gibt es ja Filmschaffende, die in Berlin/Brandenburg wohnen, aber ganz woanders arbeiten und umgekehrt. Da wären einige dieser Menschen durch das Raster gefallen, hätten wir nur regional gefragt. Also haben wir beschlossen: Wenn wir schon Daten erheben und sich das ohne Mehraufwand bewerkstelligen lässt – warum nicht?

Die Umfrage selbst läuft online, es kommt hier also vor allem auf eine möglichst aussagekräftige Zahl und Verteilung von Teilnehmer*innen an. Tatsächlich aufwändiger ist der dritte Schritt, die Auswertung. Hier werte ich dann die Daten für die Region Berlin/Brandenburg aus. Natürlich soll es später noch eine Auswertung für den Gesamtstandort Deutschland geben, denkbar auch wieder für andere Medienstandorte. Hierfür suche ich zurzeit noch Partner.

Haben denn auch andere Länder oder Regionen Interesse gezeigt?

Wir haben schon Feedback aus einigen Bundesländern erhalten. Die finden die Umfrage auch gut und wollen die Ergebnisse. 

Wie kommen Sie an die Daten?

Die Umfrage läuft bekanntlich online. Zum Start haben so ziemlich alle Berufsverbände der Branche ihre Mitglieder zur Teilnahme aufgerufen, ebenso die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft und die Branchenplattform Crew United. Die hatte bereits die Studie für die Filmschaffenden vor sechs Jahren unterstützt und erreicht etwa 90 Prozent aller Filmschaffenden.

Die Daten sind sicher, die Umfrage ist anonym, schreiben Sie. 

Absolut. Nicht mal ich könnte herausfinden, wer genau da teilgenommen hat. Es muss also niemand aus Datenschutzgründen vor einer Teilnahme Angst haben.

Wieviele haben Ihnen inzwischen geantwortet?

Rund 5.000. Was auch zeigt, wie wichtig das Thema ist.

Also fast ein Drittel mehr als beim vorigen Mal. Da können Sie doch zufrieden sein. 

Ja. Allerdings nehmen bei solchen Umfragen sicherlich vor allem diejenigen teil, die besonders vom Thema betroffen sind. Überspitzt gesagt: da zeigt sich auch ein besonders großer Leidensdruck. Es ist wichtig, das in Zahlen zu fassen. Um gesicherte repräsentative Ergebnisse zu erhalten, ist deshalb einerseits wichtig, dass möglichst viele Menschen aus der Branche teilnehmen. Andererseits legen wir besonderen Wert darauf, alle Berufsfelder und Einkommensgruppen zu erreichen, eben auch diejenigen, für die es sehr gut läuft. 

Ich weiss natürlich, dass es in letzter Zeit viele Umfragen gab. Aber ich möchte dennoch aufrufen, sich die 20 Minuten Zeit zu nehmen. Unsere Branche mit den vielen verschiedenen Berufsgruppen, Arbeitsmodellen und Tätigkeitsformen ist für Außenstehende immer noch ein diffuses Gebilde – „irgendwas mit Kunst und Medien“. Klar gibt es hier und da die Berichte von Selbstausbeutung und dem „kreativen Prekariat“, aber nur mit gesicherten Zahlen und Fakten lassen sich Sachverhalte und mögliche Probleme darstellen und damit natürlich dann auch Dinge verändern. Aber dazu braucht es Initiative, und wenn es nun erst einmal die Beteiligung an der Umfrage ist.

Wie lange ist das noch möglich?

Die Umfrage läuft noch bis Ostern. Im Juli soll das auf Grundlage der Umfrage erstellte Gutachten für Berlin und Brandenburg vorliegen. Dann geht es weiter mit der deutschlandweiten Auswertung. 

 

 

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