Kino in Zeiten von Corona

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„Isadoras Kinder“ gewann in Locarno den Regie-Preis und sollte eigentlich im April in die deutschen Kinos kommen. Doch die sind nun geschlossen. Die Verleiher haben sich darum etwas Neues ausgedacht. | Foto © Eksystent

Die Kinos sind geschlossen. Eine Filmerfahrung, die man in der Regel gemeinsam erlebt, wird so eine ganze Weile lang nicht mehr stattfinden. Darunter leiden die Kinos und ihre Betreiber und ihre Mitarbeiter*innen. Darunter leiden die Verleihfirmen, und mitnichten sind das nur die Majors. Und Filmemacher*innen, die lange auf einen Kinostart hingearbeitet haben, werden geradezu unsichtbar. In Zeiten, wo der nächste Film als Heimkino nur einen Klick bei den großen Streamingdiensten entfernt ist, braucht es besondere Anstrengungen Präzens zu zeigen – auch um den Kontakt zum Publikum nicht zu verlieren. Was tun?

Grandfilm, ein kleiner Verleih aus Nürnberg machte den Anfang. Da trudelte eine Pressemitteilung in die Mailbox, bereits am 17. März, dass sie jetzt einen Vimeo-Channel eröffnet hätten. Der Geschäftsführer von Grandfilm, Patrick Horn, formuliert es in der Mitteilung so: „Es ist ein Zeichen der Solidarität, die Kinos sind genauso wie wir Verleiher existenziell von dem aktuellen Lockdown betroffen. Wir wollen nun ein Zeichen setzen und bieten über Vimeo unsere Filme zu minimalen Vertriebskosten an. Die Einnahmen werden wir mit den von den Ausfällen unserer Kinostarts betroffenen Kinos teilen. Wir hoffen auf all die Kinozuschauer*innen zuhause und appellieren an deren Solidarität.“

Die Einnahmen werden also mit den Kinos, die regelmäßig die Filme von Grandfilm im Programm haben, geteilt. Fifty-Fifty, nach Abzug der Bereitstellungsgebühr auf Vimeo. Ein Film kostet 9,99 Euro, die Leihdauer beträgt 30 Tage. Das Angebot wird nach und nach ausgeweitet. Grandfilm ist sich dabei bewußt, dass unter der Krise auch das Publikum finanziell eingeschränkt ist. Jede Woche gibt es darum einen Film zum Sonderpreis von 99 Cent.

Der kleine Verleih Eksystent wählte einen anderen Weg. Auf der VoD-Plattform Kino on Demand stellte er den Locarno-Gewinner für die beste Regie, „Isadoras Kinder“, ein, der ursprünglich am 23. April in die Kinos hätte kommen sollen. Das ist natürlich eine Premiere, wird der Titel doch noch vor der Kinoauswertung zum Publikum gebracht. Geht man auf die Plattform, bezahlt man den Betrag einer Eintrittskarte und wählt das Kino aus, das man mit seinem Ticket unterstützen möchte. Dieses Kino erhält dann den Anteil, der dem Umsatz entsprochen hätte. Ganz bewußt hat man sich entschieden, nicht das eigene Repertoire noch einmal sondern einen neuen Titel anzubieten. Für die Kinos entsteht dabei kein finanzielles Risiko.

Auch der Verleih Rise and Shine schließt sich der Initiative von Grandfilm an. Auch sie wählen die Plattform Vimeo. Erst am 5. März war der Dokumentarfilm „Waterproof“ ins Kino gekommen. Der Auswertung wurde durch die Schließung der Kinos abrupt ein Ende gesetzt. Vorerst bis zum 15. April setzt man diesen Titel als VoD an. Die beteiligten Kinos werden zur Hälfte am Erlös beteiligt, wobei von der Leihgebühr 1 Euro für die technische Bereitstellung verwendet wird.

Die Preisgestaltung der Anbieter will und soll sich mit den großen Streaming-Portalen nicht messen. Vielmehr setzen die Verleiher auf die Solidarität der potenziellen Zuschauer*innen gegenüber den Kinobeteiber*innen, den Verleiher*innen, Agenturen und Filmemacher*innen.

 

La Flor. Drama. Argentinien 2018 | Regie und Drehbuch: Mariano Llinás | Bildgestaltung: Agustin Mendilaharzu | Montage: Alejo Maguillansky, Agustin Rolandelli | Szenenbild: Laura Caligiuri, Flora Caligiuri | Musik: Gabriel Chwojnik

Sechs Episoden, spielbar in drei Blöcken oder in acht Akten, zollen der Kinogeschichte. Zu sehen gibt es unter anderen einen B-Film, ein Musical, einen Spionagefilm – es sind Abschnitte des Lebens von vier Menschen (Elisa Carricajo, Valeria Correa, Pilar Gamboa, Laura Paredes).
Zehn Jahre lang hat Mariano Llinás an seinem 14-stündigen Epos gearbeitet und darin verschiedene Filmkunstformen aufgegriffen. Eine Serie, die eigentlich ausschließlich für die Leinwand konzipiert wurde. Und die der Filmemacher und sein Team wegen der Quarantäneprogramme in Europa und Argentinien ins Internet stellen. Der Verleih Grandfilm schaltet in seinem „kinosolidarischen VoD-Angebot“ den Film in seinen acht Akten nach und nach frei – nämlich jeden Dienstag und Freitag seit dem 20. März. Es gibt ein Gesamtabo für alle Teile, aber auch ein Kaufangebot für jeweils einen Teil. Die Einnahmen teilt der Verleih mit seinen deutschlandweit zu findenden unabhängigen Stamm-Kinos 50/50.
Grandfilm. 8 Teile, Leihgebühr jeweils 3,99 Euro.

 

Die Maske. Drama. Polen 2018 | Regie und Drehbuch: Malgorzata Szumowska | Bildgestaltung: Michal Englert Montage: Jacek Drosio | Szenenbild: Marek Zawierucha | Kostüm: Katarzyna Lewinska, Julia Jarza-Brataniec | Musik: Adam Walicki

Jacek ist ein cooler Außenseiter, der Heavy Metal liebt und am liebsten Spritztouren mit seinem Auto und seinem Hund unternimmt. Er arbeitet an der deutsch-polnischen Grenze beim Bau der weltgrößten Jesusstatue mit. Als er einen Arbeitsunfall erleidet, wird er von der polnischen Öffentlichkeit zum Nationalhelden und Märtyrer stilisiert: Denn die hat seinem entstellten Gesicht mit Spenden eine Gesichtstransplantation ermöglicht.
Die Bigotterie im eigenen Land porträtiert Malgorzata Szumowska („Body“) mit dieser schwarzhumorigen Satire.
Grandfilm. Leihgebühr für 30 Tage: 9,99 Euro.]

 

Der Junge und die Welt. Animationsfilm. Brasilien 2013 Regie und Drehbuch: Ale Abreu

Der kleine Cucas hofft, seine Familie wieder zusammen zu bringen. Deshalb begibt er sich auf eine Reise, um seinen Vater zu suchen. Der verließ seine Familie, um in der Stadt Arbeit zu suchen.
Die bildgewaltige Reise des kleinen Jungen zeichnete Ale Abreu aus dem Blickwinkel des Kindes und in eigener Handarbeit vor. Dann machten sich 150 Künstler, darunter 20 Trickfilmspezialisten fünf Jahre lang daran, den Film zu erarbeiten. Ohne Dialoge erzählt er vom Konflikt zwischen arm und reich, dem Land und der Stadt, den indigenen Einwohnern und den Weißen, der Handarbeit und der industrialisierter Arbeit.
[Grandfilm. Leihgebühr für 30 Tage: 9,99 Euro.]

 

Angelo. Drama. Österreich/Luxemburg 2018 | Regie: Markus Schleinzer | Drehbuch: Markus Schleinzer, Alexander Brom | Bildgestaltung Gerald Kerkletz | Montage: Pia Dumont | Szenenbild: Andreas Sobotka | Kostüm: Tanja Hausner

Anfang des 18. Jahrhunderts wird ein zehnjähriger Junge vom afrikanischen Kontinent nach Europa verschleppt. Eine Comtesse tauft ihn auf den Namen Angelo und macht ihn zu ihrem Studienobjekt. Er wird sprachlich-musisch unterrichtet und avanciert als europäisierter Kammerdiener. Er wird von Adelshaus zu Adelshaus herumgereicht. Nur das Dienstmädchen Magdalena erkennt in ihm mehr als den Exoten.
Beruhend auf wahren Begebenheiten erzählt Markus Schleinzer vom Alltagsrassismen, die auch in der heutigen Zeit ihre Gültigkeit behalten haben. Und insistierte auf möglichst historisch korrekte Lichtführung: Allein in einem Barocktheater hat das Filmteam 2000 Kerzen heruntergebrannt.
[Grandfilm. Leihgebühr für 30 Tage: 9,99 Euro.]

 

Félicité. Drama Frankreich/Senegal/Belgien/Deutschland/Libanon 2017 | Regie und Drehbuch: Alain Gomis | Bildgestaltung: Céline Bozon | Montage: Fabrice Rouaud | Szenenbild: Oumar Sall Kostüm Nadine Ostobogo Boucher, Emma Zola Musik The Kasai Allstars

Die Sängerin Félicité (Véro Tshanda Beya) ist eine stolze und unabhängige Frau, die sich mit ihren Auftritten in einer Bar in Kinshasa ein kleines Stammpublikum erarbeitet hat. Darunter ist auch der Schwerenöter Tabu (Papi Mpaka). Als Félicités Sohn einen schweren Unfall hat, muss sie Geld für eine Operation auftreiben. Sie begibt sich auf eine Reise durch die kongolesische Metropole zwischen Armut und dekadentem Reichtum.
Einen Einblick in eine uns Europäern weitgehend fremde Welt gibt Regisseur Alain Gomis, dessen Film Teil des Berlinale-Wettbewerbs im Jahr 2017 war.
[Grandfilm. Leihgebühr für 30 Tage: 9,99 Euro.]

 

Isadoras Kinder. Drama. Frankreich/Südkorea 2019 | Regie: Damien Manivel | Drehbuch: Damien Manivel, Julien Dieudonné | Bildgestaltung: Noé Bach | Montage: Dounia Sichov

Der ehemalige Tänzer Damien Manivel erzählt mit leisen Gesten vom Tanz und von Trauer. Isadora Duncan, Schöpferin des modernen Tanzes, verlor ihre beiden kleinen Kinder 1913 bei einem Unfall. Ihre Trauer konnte sie nicht überwinden, aber sie setzte diese um, indem sie das Tanzstück „Die Mutter“ schuf. In drei Akten spürt Manivel der Annäherung, der Recherche, der choreografischen Umsetzung und der Wirkung dieses Tanzes nach.
[Eksystent. Leihgebühr für 48 Stunden: 10 Euro.]

 

Waterproof. Dokumentation. Deutschland 2020 | Regie und Drehbuch: Daniela König | Bildgestaltung: Patrick Richter | Montage: Aleksei Bakri | Musik: Basel Naouri

Wasser ist eine kostbare Ressource in Jordanien und wird streng rationiert. Rohrbrüche und schmutzige Wassertanks erleichtern die Sache nicht. Deshalb entscheidet sich Aysha nach dem Tod ihres Mannes, in Lehre zu gehen. Sie wird die erste Klempnerin des Landes. Doch ihr Erfolg ruft auch Neid hervor. Sie wird wegen Korruptionsverdacht angeklagt.
Das Langfilmdebüt von Daniela König zeigt den Kampf für mehr Selbstbestimmung in Jordanien und gibt einen berührenden Einblick in eine Frauenfreundschaft.
[Rise and Shine. Leihgebühr für 72 Stunden: 9,99 Euro.]

 Mitarbeit: Karolina Wrobel

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