Gedanken in der Pandemie 19: Lasst uns Orgien feiern!

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Knapp 130 Millionen US-Dollar haben Popstars mit ihrem Wohltätigkeitskonzert „One World: Together at Home“ für die Weltgesundheitsorganisation gesammelt. Und schon ist die Welt wieder ein bisschen besser geworden. | Screenshot

Not & Spiele: Öffnungsdiskussionsorgien, Corona-Moralismus und Aufmärsche: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 19. 

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.“
Friedrich Nietzsche

„Kommunikation ist das, was ankommt.“
Markus Lanz 

 

„Eine Lebenshymne“, sagte Igor Levit, sei Beethovens „Waldsteinsonate“. Wer es noch nicht bekommen oder es im Corona-Stress einfach wieder vergessen hat (kann passieren), den möchte ich hier mal daran erinnern, dass dieser sehr besondere Pianist während unser aller Corona-Zeit, die ins Beethoven-Jubiläumsjahr fällt, aus seinem Home-Office jeden Abend gegen 19 Uhr „Hauskonzerte“ gibt, in denen er Beethoven-Sonaten spielt. Vorige Woche tat er das ausnahmsweise woanders, nämlich in „Schloß Bellevue“ auf Einladung des Bundespräsidenten. Als Anregung, auch die anderen Konzerte nachzuhören, hier der Link zu diesem Termin. 

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Es lohnt sich immer noch, „Extra 3“ und die „Heute Show“ anzusehen. Allerdings sind beide Formate genau genommen weniger lustig, als auch die Intendanten glauben. Weil das, wovon sie erzählen, eigentlich sehr ernst und sehr nahe an der Wahrheit ist. 

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Das kann man von der „Jauch-Gottschalk-Schöneberger-Show“ auf RTL nicht behaupten. Dafür, dass es dann doch noch ernst wird, sorgte dann nach der Sendung die biedere Mehrheit der deutschen Medienöffentlichkeit. 

Allen Ernstes wurde dann im Netz darüber schwadroniert, dass es die Show-Größen Barbara Schöneberger, Günther Jauch und Thomas Gottschalk, die hier übrigens komplett improvisieren, nicht so genau mit dem Kontaktverbot genommen hätten. 

Gottschalk wurde von einem „Bodo Klarsfeld“ vorgehalten, er habe „danebengegriffen“ weil er mangelnde Abstandshaltung mit dem Spruch „Man darf sich aussuchen, wen man ansteckt“ kommentierte, später notierte der Mann, „dass Günther Jauch Thomas Gottschalk anstandslos abstandslos in eine Art Regenhose half“. Klarsfeld meint es keineswegs witzig, wenn er hier die Moralkeule rausholt, und „Fauxpas“ notiert, das Kontaktverbot einklagt, und mahnt: „Diese Inkonsequenz muss nicht sein“. Ein spießiger Philister, der tatsächlich glaubt „Vorbild geht anders!“ „Das Propagieren körperlicher Distanz seitens eines deutschen Senders sollte auch mit Protagonisten aus den eigenen Reihen einhergehen, die in der Umsetzung Konsequenz demonstrieren, anstatt so zu agieren, als ob man das offizielle Ende des Kontaktverbots zelebrierte.“

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Was sich an diesem Beispiel zeigt, ist der zunehmende Corona-Moralismus, der unsere Gesellschaft durchzieht. Menschen kümmern sich nicht nur um ihre eigenen Angelegenheiten, sondern glauben einen von der Kanzlerin und ihrem Spahn ausgestellten Freibrief dafür zu haben, dass sie ihre Mitmenschen erziehen dürfen. 

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Man weiß schon seit langem, dass Unterhaltungs-Shows eine ernste Sache sind. Gelegenheit an den Film zu erinnern, den Lutz Dammbeck, einer der avanciertesten und spannendsten deutschen Dokumentarfilmregisseure, über das Thema gemacht hat. Geboren 1948 in Leipzig, begann der gelernte Grafiker in der DDR als Regisseur von Animations- und Experimentalfilmen, die von Collagetechnik geprägt waren. Mehr und mehr beschäftigte er sich dann aber dem Dokumentarfilm und wurde zum Spezialisten für historische Stoffe. Dammbecks Film „Das Netz“ über den „Unabomber“ genannten US-Terroristen und dessen Wurzeln in der amerikanischen Kultur-Geschichte wurde 2004 ein internationaler Erfolg. 

„Overgames“ heißt Dammbecks überraschender, fesselnder Film über die faszinierende Geschichte, was die deutsche Fernsehunterhaltung mit der Psychoanalyse und den amerikanischen Plänen zur „Reeducation“ zu tun hat: Es ging um die demokratische Umprogrammierung einer als autoritär gestört empfunden deutschen Nation nach dem Zweiten Weltkrieg und den NS-Völkermorden. 

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Sachsen und Bayern führen jetzt den Maskenzwang in bestimmten Teilen der Öffentlichkeit ein. 

Gleichzeitig sind Gottesdienste in Sachsen und Bayern nach wie vor verboten. 

Gleichzeitig wurde heute in Dresden ein „Pegida“-Aufmarsch für den Montagabend erlaubt. 

Man muss eben Prioritäten setzen. 

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Was zu der empörenden Dresdner Entscheidung hinzukommt, bei der 250 Polizisten, 15 „auf Abstand“ marschierende Pegidisten bewachen, während eine Gegendemonstration natürlich nicht genehmigt wurde, ist noch etwas ganz anderes: Das keineswegs zufällig gewählte Datum: Der „20. April“ wurde in Deutschland zu anderen Zeiten mal gefeiert: „Führers Geburtstag“. 

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Ich weiß: alle finden gerade Angela Merkel toll. Was von solchen Ansichten allerdings zu halten ist, belegt schon die Tatsache, dass die gleichen einen anderen noch toller finden: Markus Söder. 

Bei einer CDU-Präsidiumssitzung rutschte Merkel heute ein Wort heraus, das sie bei Pressekonferenzen sorgsam vermeidet. Dort agiert sie lieber als mahnende Kindergärtnerin, verteilt Bonbons, droht aber auch mal mit der Rute. „Öffnungsdiskussionsorgien“. So was aber auch! Diese unartigen Bürger. Wollen doch tatsächlich auf die Straße. Und weil sie das nicht können, jammern sie und reden darüber. So richtig orgienhaft. Was erdreisten die sich!

Wenn schon Diskussion, dann aber bitte ordentlich. Nicht so durcheinander, sondern der Reihe nach, nur, wenn Mutti Euch drannimmt. 

Sorry, aber geht es nicht. Ziviler Ungehorsam ist gefordert. Also nichts wie los: Feiern wir viele Öffnungsdiskussionsorgien. 

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Wer hat am Wochenende das achtstündige Charity-Konzert „One World: Together at Home“ gehört? Mir ist das, was ich davon gesehen habe, ehrlich gesagt ziemlich auf die Nerven gegangen. Nicht allein, weil ein Großteil der „Talents“ Dinosaurier aus der Pop-Risikogruppe waren, wie Elton John oder die Rolling Stones, an denen man sich ehrlich gesagt irgendwann auch mal sattgehört hat. Immerhin waren ja auch Billie Eilish und Lady Gaga dabei. 

Sondern vor allem wegen der amerikanischen Einheits-Pathos-Gehirnwäschesoße, mit der sich diese Gesellschaft seit Jahrzehnten um ihre eigenen Abgründe hinweglügt. 

Dazu gehört einerseits, dass plötzlich das ganze Pflege-Prekariat zu „Helden“ erklärt wird – was sie nicht sind, und auch nicht sein wollen. Sie möchten einfach gut bezahlt werden, und da könnte die Pop-Stars statt auf Charity zu machen, einfach die kompletten Tantiemen dieses Jahres zur Verfügung stellen – es würde mehr zusammenkommen. So macht der Pop, was der Rest unserer Gesellschaft auch tut: Wegschauen und sich aber eine kleines Bißchen  Gewissenserleichterung verschaffen. 

Und dann treten da noch Ex-First-Ladys Madame Bush und Madame Obama zusammen auf, im Wechselspiel, ohne auch nur wenigstens leicht ironisch zu reflektieren, dass man sich politisch wie weltanschaulich spinnefeind ist, und dass die beiden Göttergatten im Weißen Haus zusammen nicht nur an Donald Trump schuld sind, sondern vor allem an jenen Zuständen, die dieses Charity-Konzert überhaupt nötig machen. Man möchte kotzen!

Das Schlimmste an alldem aber ist natürlich, dass eine Popszene, die mal rebellisch und Gegenkultur war, hierzu die Maskerade liefert. 

Die gesammelten Spenden in Höhe von knapp 130 Millionen US-Dollar sollen jetzt an den Solidaritätsfonds der WHO gehen. Und da klopfen sich noch einmal alle auf die Schulter, flankiert von den Mainstream-Medien der ganzen Welt, weil dies doch „die vielleicht wichtigste Botschaft dieses Abends“ gewesen sei: Denn US-Präsident Trump hatte der WHO Missmanagement im Kampf gegen die Corona-Krise vorgeworfen.

Wenn es nur so einfach wäre. Denn dass der Joker im Weißen Haus die WHO angreift, macht sie noch nicht zu einer über alle Zweifel erhabenen Organisation. Vielleicht sollten die, denen es mit dem Thema ernst ist und nicht nur um ein kurzes gutes Gefühl geht, sich mal mit den Beziehungen zwischen WHO und Pharmaindustrie beschäftigen. 

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Das Heldengeschwafel passt zu der sonstigen Alltags-Rhetorik der Amerikaner. In einem „New-York-Times“-Bericht über den desaströsen Alltag in den US-Altenheimem heißt es „The cavalry hasn’t arrived.“ Und später über einen alten Insassen: „He is on the Titanic, but there are no lifeboats.“

So kann man sich auch noch das Sterben poetisieren.

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Ein gutes Interview zu unserem rassistischen China-Bild in der Viruskrise hat die Sinologin Lea Schneider gegeben. 

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