Corona: Brancheninfo 81
Wie die Kulturstaatsministerin und die Filmförderungsanstalt mit ihren Hilfen hantieren, verrät auch deren Selbstverständnis. Mit alten Karten sucht man nach einem Weg aus der Krise. Dabei wäre es jetzt Zeit für grundsätzlichere Gedanken.
Die Infektionszahlen steigen, die Angst vor einem zweiten Lockdown wächst, der Gesundheitsminister hat sich angesteckt, und der Bundestag erhebt seine Stimme: Gesetze sollten immer noch vom Parlament ausgehen. Nicht nur die FDP spricht von einer „regierungszentrierten Corona-Verordnungspolitik“. Auch in den Fraktionen der Regierungsparteien sei „das Unbehagen groß, dass die wichtigen Entscheidungen in den Kreisen von Kanzlerin Merkel und den Ministerpräsidenten getroffen werden“, schreibt „Der Tagesspiegel“.
Ein großes Thema, das sich im Kleinen auch durch die Themen dieser Woche zieht: Die Lage in der Filmbranche ist nach wie vor dramatisch, es gibt noch viel zu tun und noch große Löcher zu stopfen. Das sieht auch die Kulturstaatsministerin so, nur nicht das mit den Löchern. Auch wenn zum Beispiel der Bundesrat völlig anderer Auffassung ist. Die Äußerungen der BKM und der FFA zu den verschiedenen Fragen zeigen nicht nur, wie sie die Branche sehen. Sie führen unbeabsichtigt auch zu den größeren, den eigentlichen Fragen, die erst noch gestellt werden müssen.
Es klingt zynisch, wenn die BKM die Nöte der Soloselbständigen etc. beiseite schiebt, indem sie auf die vereinfachte Grundsicherung hinweist. Im Grunde hat sie aber recht: Damit soll aufgefangen werden, wer sein Existenzminimum nicht selbst erwirtschaften kann – ganz gleich, ob eines nun auf der Bühne große Kunst erschafft oder am Fließband kleine Kartons packt.
Was viele stört, ist, was damit einhergeht: die völlige wirtschaftliche Selbstentblößung, die Gängelung durch Behörden, die Demütigung, plötzlich auf „Hartz IV“ angewiesen zu sein. Dahinter steckt ein generelles Misstrauen gegen die „Hartzer“, über viele Jahre mit einschlägigen Beispielen illustriert, ohne dass dem genauso eindringlich widersprochen wurde. Bloß: Das demütigt nicht nur die Künstler – andere kennen das schon seit Jahren.
Zugegeben: Die Kreativen dürfen verbittert sein. Schließlich sind viele in diese Situation geraten, weil „die Regierung“ mit ihren Verordnungen ihnen die -Arbeitsmöglichkeit entzogen hat. Und die entzieht sich der Verantwortung für den Schaden: Es gibt ja die Grundsicherung. Umso mehr ist keine Sonderregelung für Kreative gefragt – die Frage sollte vielmehr lauten: Wie angemessen ist diese Sicherung generell? Kann eines überhaupt mit 432 Euro im Monat leben, auch wenn die Miete bezahlt ist? In München dürfte das knapp werden.
Und wenn wir schon dabei sind: Wieso wird die pauschale Diskriminierung einer gesellschaftlichen Gruppe immer noch akzeptiert? Auch viele Filmschaffende in Not wollen nicht dazu gehören und verzichten lieber auf die Hilfe, die ihnen zusteht. Wozu freilich auch beitragen mag, dass der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung doch nicht so einfach ist, wie Regierung und Behörden das darstellen.
In anderen Bereichen helfen BKM und FFA mit schwindelerregenden Beträgen (jedenfalls nach den Maßstäben der Branche). Doch auch die Hilfspakete sind zum Teil Mogelpackungen. In die Zahlen, mit denen da hantiert wird, wird regelmäßig einiges gepackt, was eh bezahlt worden wäre, auch ohne Corona.
Als „echten Neustart für künstlerische und technologische Schlüsselindustrie“ preist die BKM ihren Ausfallfonds für Kinofilme und High-End-Serien. Der Neustart ist aber längst nicht für alle Kinofilme und High-End-Serien gedacht: Die 50 Millionen Euro des Bundes kommen nur Projekten zugute, in denen eh schon Bundesfördergeld steckt. Also dem, was die FFA vor drei Jahren mit ihren neuen Leitlinien für die Projektförderung beabsichtigte: „Der Charakter der geförderten Filme sollte dabei eher der höher budgetierte und qualitativ anspruchsvolle Spitzenfilm sein, der die Erwartungen des Publikums erfüllt und wirtschaftlich erfolgreich sein kann.“
Einen Haken hat der Ausfallfonds übrigens auch für diese: Die Anmeldung „muss spätestens sieben Wochen vor Drehbeginn erfolgen“, erklärt die FFA. Anträge können aber erst ab dem 11. September 2020 gestellt werden.
Mit alten Karten sucht man auch in den Kinos nach einem Ausweg aus der Krise. Die Hygienebeschränkungen sind weniger das Problem, ließ die FFA in einer Untersuchung feststellen: es hinge „hauptsächlich“ am Filmangebot. Ohne neue Publikumsmagnete komme der Betrieb nicht in Gang. Für die Arthouse-Kinos bringt das wenig Trost, für alle anderen allenfalls Hoffnung. Die einst angekündigten Blockbuster werden ja weiterhin verschoben. Schuld sind offenbar die anderen, die Verleiher, die allerdings auch nicht anders können …
Darüber all das lässt sich lange diskutieren. Aber auch über das Selbstverständnis, das in diesen Äußerungen mitschwingt. Über das Kino wird seit Jahren eifrig diskutiert, und warum es besser ist als Streamingdienste. Vom Kartenabtreißer bis zur Kulturstaatsministerin beschwören sie das Kino als Tempel der Filmkultur, Ort des gemeinsamen Erlebens, die Magie der bewegten Bilder. Dass dazu der brandneueste Blockbuster nötig wäre, hatte niemand gesagt.
Ach ja, die Programmkinos. Deren Bestand ist im vorigen Jahr gewachsen. Das hat die FFA vor drei Wochen in ihrer „Programmkinostudie 2019“ selbst festgestellt. Und zwar „etwas stärker“ als der Gesamtmarkt. In Zahlen: Um 4 Prozent (aufgerundet) ist die Zahl der Spielstätten insgesamt gewachsen, um 6 Prozent allein die der Programmkinos, die gut ein Drittel dieses Gesamtmarkts ausmachen (und auch zu dessen Zuwachs beitragen). Das ist nicht bloß „etwas stärker“, sondern anderthalbmal so viel – beziehungsweise 50 Prozent mehr. Normalerweise formuliert die FFA ihre Erfolgsmeldungen weniger zurückhaltend.
Und nicht nur diese Formulierung zeigt eine Haltung – auch der Verweis auf den Gesamtmarkt lenkt vom eigentlichen Ergebnis ab. Um die Entwicklung der Programmkinos zu einzuordnen, müsste man ihnen die Zahlen der „normalen“ Kinos gegenüberstellen. Die aber werden in der (immerhin schon 20.) Studie nicht separat angeführt. Sie lassen sich aber aus den absoluten Zahlen leicht herausrechnen: Um 2,5 Prozent ist ihr Bestand gewachsen. Zum Vergleich: Die Programmkinos haben fast zweieinhalbmal soviel zugelegt – 140 Prozent mehr! Die vielen Zahlen mögen verwirren. Doch wer sich über die Zukunft des Kinos oder das Kino der Zukunft Gedanken macht, sollte das wissen.
Seit den ersten Corona-Tagen wird in der Branche „Solidarität“ beschworen, nur „gemeinsam“ könne die Krise überstanden werden. Doch das geht nur auf Augenhöhe und mit aller Offenheit. Wenn die Kulturstaatsministerin Bedenken einfach mit einem Satz beiseite wischt und lieber die eigenen Erfolge lobt, die Filmförderungsanstalt den Besitzstand wahrt und mit schrägen Zahlen jongliert, fehlt beides.
Seit Anbeginn der Pandemie, also nach deutscher Zeitrechnung Mitte März, als der große Stillstand anbrach, rollen die Hilfspakete. Und ebenso lange wird auf die größte Lücke im Sicherheitsnetz hingeweisen: Die meisten der vielen Soloselbständigen und Freien im Lande haben nichts davon. Ihr Schicksal wurde in zahllosen Beiträgen in allen Medien geschildert: Unterstützung gibt es nur für Betriebskosten, nicht aber für die Lebenshaltung – gerade die wird aber benötigt.
Selbst der Bundestag mahnte schon bald zur Korrektur: Anfang Mai hatten die Landesregierungen von Berlin und Bremen beantragt, „Akteure in der Kreativwirtschaft sowie Medienschaffende und Mediendienstleister ohne eigene Betriebsstätte, deren Einnahmen durch die Absage von Veranstaltungen oder Aufträgen in der Zeit der Corona-Pandemie entfallen, Regelungen zum Ausgleich ihrer substanziellen Umsatzeinbrüche zu entwickeln.“ Und schlugen einen pauschalen Betrag von monatlich 1.180 Euro vor.
In der Bundesratssitzung am 5. Juni wurde auch die Kulturstaatsministerin gehört. Ausführlich schilderte Monika Grütters ab Seite 155 des Protokolls die bisherigen Leistungen zu Rettung der Kultur und skizzierte im letzten Drittel, was vom „Neustart Kultur“ zu erwarten sei. Auf die eigentliche Frage antwortete sie in ihrer Rede nur mit einem Satz, und der war gut versteckt: „Wir blicken nach vorne. Es werden nicht rückwärts gewandt Einnahmeausfälle kompensiert, sondern wir blicken nach vorne.“
Die Länderkammer wollte trotzdem niemanden zurücklassen und hatte den Antrag beschlossen, der die Bundesregierung zur Nachbesserung beim „Neustart Kultur“ mahnte.
Die nahm am 5. Oktober durch die BKM erneut Stellung: Man teile die Einschätzung „zur schwierigen wirtschaftlichen und beruflich existentiellen Situation der Kunst-, Kultur- und teilweise auch Medienschaffenden sowie weiterer Gruppen von Selbständigen und Freiberuflern“ und räumt auch ein, dass „die Schutzmaßnahmen im Zuge der Covid-19-Pandemie“ die Ursache sind. Doch „die vom Bundesrat erhobenen Forderungen nach spezifischen Hilfsmaßnahmen“ seien durch die Maßnahmen der Bundesregierung „in hohem Maße bereits erfüllt worden.“ Das allerdings widerspricht nicht nur der Auffassung des Bundestags, sondern auch so ziemlich allen anderen Darstellungen aus der Branche. Und auch Grütters kann nur ein konkretes Beispiel für solche Hilfe anführen: Der Zugang zur Grundsicherung wurde erleichtert – und inzwischen sogar bis Jahresende verlängert.
Bernd Neumann war selbst lange Kulturstaatsminister, jetzt ist er Präsident der Filmförderungsanstalt. Im Interview mit dem „Weser Kurier“ schildert er die Probleme der Kinobranche in der Corona-Krise und sagt, „es gibt beträchtliche Hilfen in diesen schwierigen Zeiten, wir sind mit Frankreich spitze in Europa.“ Er weiß aber auch, dass nicht alle dieser Meinung sind: „Allerdings darf man nicht vergessen, seit wann wir uns mit dieser schwierigen Lage beschäftigen, die auch die gesamte Filmbranche vollkommen unvorbereitet getroffen hat. Die Hilfsprogramme wurden schnell auf die Beine gestellt, um möglichst zügig zu helfen. Es spricht nichts dagegen, hier und da noch nachzubessern. Aber das kostet Zeit.“
Zudem habe Neumanns Nachfolgerin Monika Grütters bereits ein „Zukunftsprogramm III“ angekündigt, meldet die Zeitung: „30 Millionen Euro zur Hilfe beim Tragen der Betriebskosten.“ Den tollen Titel „Zukunftsprogramm III“ verwendet die Kulturstaatsministerin selbst auf ihrer Website (Stand: Montag) nicht, die Ankündigung folgt ganz am Schluß in einem Satz unter der Überschrift „Förderung digitaler Angebote“: „Schließlich ist im Rahmen von Neustart Kultur ein weiteres, derzeit in der Erarbeitung mit den beiden Kinoverbänden befindliches Hilfsprogramm für die Kinos geplant, für das bis zu 30 Millionen Euro vorgesehen sind.“
Alles in allem bleibt Neumanns Vergleich mit dem Nachbarland ziemlich kühn: Das CNC, die staatliche Filmförderung Frankreich verfügt schon in normalen Zeiten über ein zehnmal so hohes Budget wie die FFA.
Der Umgang mit den Kulturschaffenden im Land verblüfft einen anderen ehemaligen Kulturstaatsminister: Julian Nida-Rümelin, Vorvorvorgänger der amtierenden BKM. Wirtschaftlich werde die Krise sehr gut abgefedert, aber das kulturelle Leben sei in einer miserablen Verfassung, sagte er im Deutschlandfunk. „Wir müssen den Fokus justieren, und das Kulturelle als systemrelevant in den Blick nehmen.“ Die bisherigen Hilfspakete würden dazu nicht ausreichen, so Nida-Rümelin. Die Kultur wurde „merkwürdigerweise in dieser Krise marginalisiert“ und sei auf ein Minimum heruntergefahren worden. Wenn sich nun viele Menschen für einen Berufswechsel entscheiden würden, „dann werden wir das bitter bereuen.“
„Arbeit statt Almosen“: Ein Dokumentarfilm setzt sich mit der Lebens- und Arbeitssituation von Künstlern in Zeiten von Corona auseinander. Die niederösterreichische Literatin Marlen Schachinger spricht da mit anderen Künstler*innen und Autor*innen über ihre Erlebnisse. Hinter vielen Absagen vermutet sie „eher beinharte wirtschaftliche denn coronabedingte Gründe“. Und glaubt auch nicht, dass sich das rasch ändern wird. Aufgearbeitet werde darum auch der Literaturbetrieb an sich: „Warum bekommt von den 22 Euro Verkaufserlös eines Buches der Autor gerade mal 2 Euro, warum setzten die Verlage nicht auf Nischen, warum wird die Schere zwischen Autorinnen und Autoren immer größer, und warum werden in den Medien hauptsächlich die Werke von Männern besprochen, obwohl das Gros der Schreibenden weiblich ist?“ Im November soll die Doku in ausgewählte Kinos kommen.
Den Kinos entstehen durch die Covid-19-Pandemie erhebliche wirtschaftliche Schäden. So viel ist bekannt. Die Filmförderungsanstalt (FFA) hat nun vorige Woche Zahlen vorgelegt. Vom 11. Juni bis zum 15. Juli 2020, also kurz nach der Wiedereröffnung der Lichtspielhäuser in den meisten Bundesländern, analysierte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers die Kosten und Einnahmen der Kinos bis zum Jahresende.
Aufgrund der Daten für die vorherigen drei Jahre, die von der FFA geliefert wurden, kommen die Wirtschaftsprüfer auf einen durchschnittlichen Gesamtjahresumsatz aller Kinobetreiber von rund 1.500 Millionen Euro. Für das aktuelle Jahr zeichnen sie zwei Szenarien: Bei beiden wird der Kinobetrieb im Juli 2020 wiederaufgenommen, es kommt zu keiner neuerlichen Einschränkungen durch eine zweite Covid-19-Welle, Abstandsgebot und Hygienemaßnahmen bleiben bis zum Ende des Jahres bestehen.
Im ersten Szenario werden im Dezember 80 Prozent des durchschnittlichen Besucheraufkommens wieder erreicht, „das reduzierte Sitzplatzangebot führt zu keiner zusätzlichen Beschränkung der Nachfrage.“ Der Umsatz für 2020 um fast die Hälfte schrumpfen, auf 800 Millionen Euro.
Im zweiten Szenario sind es sogar nur noch 650 Millionen, die Besucherzahlen im Dezember liegen nur bei der Hälfte des Vorjahresmonats, weil Filme „mit besonders hoher Attraktivität für Kinobesucher“ weiterhin zurückgehalten werden.
Der Gewinn vor Steuern lag in den Vorjahren bei durchschnittlich 75 Millionen Euro. 2020 werden daraus massive Verluste: minus 225 (Szenario 1) oder gar minus 325 Millionen Euro (Szenario 2).
Die Abstands-oder Hygieneregeln sind laut PwC nicht das Problem. „Lockerungen haben nur eine geringe Auswirkung auf den Umsatz, da hauptsächlich das Filmangebot die Nachfrage beeinflusst.“ Dieses Argument wird auch immer wieder von Kinobetreibern, ihren Interessenvertretern und vielen anderen angeführt. Dem ist auch schwer zu widersprechen, belegt ist es freilich ebenso wenig. Auch PwC liefert zu der Behauptung, die sie mehrmals wiederholt, keinerlei Daten.
Zweifel an der eigenen These streut die Untersuchung in einem Ausblick, wie sich das Verhalten der Kinobesucher durch die Pandemie verändern wird: „Potenzielle Kinobesucher, gerade die der Risikogruppen, verspüren angesichts bestehender Infektionsrisiken Unbehagen, mit einer größeren Gruppe unbekannter Personen längere Zeit in einem geschlossenen Raum zu verbringen, und gehen daher nicht ins Kino. Gerade das junge Publikum geht auch in Kleingruppen ins Kino. Das damit verbundene Kinoerlebnis ist durch die Abstandsregelungen nicht möglich.“
Welche Auswirkungen haben die verschärften Corona-Beschränkungen für das Kino? Der HDF Kino nahm schon zum Ende voriger Woche Stellung, berichtet das „Filmecho“: Weil die Entscheidungen über eventuelle Maßnahmen teilweise auf kommunaler Ebene getroffen werden, sei die Situation „sehr unübersichtlich“ (einen Überblick der Kino-Abstandregeln in den einzelnen Bundesländern liefert der Verband auch). Einige Gebiete hätten bereits die Maskenpflicht im Kinosaal eingeführt und damit auch den Verzehr verboten. Dies sei „absolut untragbar“. Kinos müssten auch von der Sperrstundenregelung ausgenommen werden, die Regeln einheitlich und umsetzbar sein. Der Kinoverband erklärt, dass es bisher weltweit noch keinen bestätigten Infektionsfall in einem Kino gegeben habe. Der Verwaltungsrat der FFA hat sich heute in einer Pressemitteilung in der gleichen Weise geäußert.
Doch wie ist das tatsächlich in den Kinos? „Nur maximal 30 Prozent“ der Plätze kann das „Cinemaxx“ in Hamm zurzeit besetzen, sagt die Unternehmenssprecherin Ingrid Breul-Husar dem „Westfälischen Anzeiger“. Und „natürlich ist es eine große Herausforderung, dass ein großer internationaler Film wie Bond verschoben wurde. Wir sehen hier jedoch eine große Chance für deutsche Produktionen, dass diese die entstandene Lücke füllen. So hat beispielsweise Constantin schnell reagiert und den Start von ,Contra’ vorgezogen. Als Unternehmensgruppe schätzen wir uns glücklich, nach einem Rekordjahr 2019 und einem ersten Rekordquartal 2020 generell gut gewappnet in die aktuelle Situation gegangen zu sein.“
In Überlingen am Bodensee hatte Thomas Lailach im Sommer einen ersten Neustart deines Kinos „Cinegreth“ versucht. Nach zwei Wochen zog er wieder den Stecker – wie mehrere seiner Kollegen, berichtet der „Südkurier“. Im Herbst wagte Lailach einen zweiten Anlauf und wurde zuversichtlicher. Dann stiegen Zahlen wieder an. Besonders seine Stammkunden halten sich wieder spürbar zurück, die Besucherzahlen sackten „von wenig auf dramatisch wenig“ erzählt er der Tageszeitung: „Was ich nicht verstehe, ist, dass dieselben Leute dann Gasstätten besuchen, wo sie Schulter an Schulter mit anderen Leuten sitzen.“
Auch in Österreich sei die Lage der Kinos desaströs, berichtet der „Standard“: „Ökonomisch, sagen Kinobetreiber, wäre es tatsächlich sinnvoller, zuzusperren. Zu stark sind die Besuche eingebrochen. Man spricht von 50 Prozent im Segment der kleineren Programm- und Arthousekinos, große kommerzielle Kinoketten traf es noch härter mit bis zu 70 Prozent Einbußen. Im November könnte Cineplexx, die größte Kinokette Österreichs, bei 20 Prozent Auslastung landen. Und dennoch: Schließen kommt nach wie vor nur für wenige infrage.“
An ein Ende des Kinos wollten Österreichs Kinobetreiber nämlich nicht glauben: Disneys Stramingstart von „Mulan“ sei stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben. „Dass das mit Begeisterung fortgesetzt wird, sehe ich nicht“, sagt Christian Dörfler, der Präsident des Österreichischen Kinoverbands. Und Cineplexx-Geschäftsführer Christof Papousek meint, „Wenn die großen Märkte in Nordamerika wieder öffnen, dann wird es auch hier wieder gehen.“ 2019 jedenfalls sei trotz Streaming-Zuwächsen ein hervorragendes Kinojahr gewesen.
Mal ganz ehrlich: Wie sehr vermissen Sie’s, ins Kino zu gehen? Die „New York Times“ wischt mal alle Nostalgie beiseite und erinnert daran, dass die Vergangenheit auch nicht immer glänzend war. „Was, wenn wir uns jetzt daran gewöhnt haben, Filme in unseren Wohnzimmern oder auf unseren Laptops zu schauen, und die Lust verlieren, Teppichflure hinunterzustolpern, streunendes Popcorn zu jagen und gigantische Becher mit Coke Zero zu balancieren, einen Platz am Gang zu ergattern und zu hoffen, dass wir nach all der Cola nicht ausgerechnet während der großen Action-Sequenz auf die Toilette rennen müssen?“
Die endgültige Katastrophe vermag sich die Zeitung dennoch nicht vorzustellen – „aus gutem Grund: Die Geschichte des Kinos ist zum Teil eine Sammlung vorzeitiger Todesanzeigen. Ton, Farbe, Fernsehen, die Vororte, der Videorecorder, das Internet – sie alle sollten das Kino begraben, und keine hatte Erfolg.“ Vielleicht keine andere Kunstform habe sich in so kurzer Zeit so häufig und dramatisch neu erfunden wie der Film. Und so sei auch diese Krise eine Chance: „Einige der interessantesten Filme der jüngsten fünf Jahre“ hatten es schwer, überhaupt einen Platz im Kino zu finden. doch nun, „wo die Blockbustern fehlen, sind kleine, kühne Filme wie Pilze aus einem Waldboden geschossen – Lebenszeichen inmitten des allgemeinen Verfalls, aber zerbrechlich und zu leicht zu übersehen oder mit den Füßen zu zertreten.“ Jetzt sei die Zeit nachzudenken, was wir wirklich vom Kino erwarten.
Übers Kino und mehr machen sich auch Veronika Franz und Severin Fiala Gedanken. Das Regie- und Drehbuchteam hat sich mit Arthouse-Horrorfilmen einen Namen gemacht. Und weil man außerdem eh in Wien ist, geht’s im Interview mit dem „Standard“ auch ums Sterben und um Kaffee: „Es ist mit dem Kino wie bei vielen guten Dingen. Ich kann mich noch erinnern, als in Wien fast alle Kaffeeröstereien zugesperrt haben. Zehn Jahre später ist Barista als Bobo-Tool auferstanden. Die Dinge kommen wieder, meist in einer anderen Form, teurer und elitärer. Das finde ich nicht gut. Ich hätte gern viele normale Kaffeeröstereien – und Kinos“, sagt Franz. Denn „gewisse Filme sind zu Hause schwieriger anzuschauen. Es sind ja paradoxerweise nicht die Blockbuster, für die es die große Leinwand unbedingt braucht, sondern die Arthouse-Filme, die fordernder sind, bei denen man schon mal dazu tendiert, sie beim Anschauen zu Hause zu unterbrechen. In einem Kino übt ein Film Macht aus, er zwingt Menschen, hinzuschauen. Wir denken, dass das etwas Positives ist. Ohne Kino geht die sinnliche Erfahrung verloren.“
„Die ständige Angst vorm Drehstopp“ beschreibt das NDR-Magazin „Zapp“. Zwar nur kurz und allgemein, doch für eine Einschätzung ist dennoch Platz: Über einen „Ausfallfonds II“ für Fernsehproduktionen werde seit Monaten verhandelt, bislang noch ohne Ergebnis. „Jetzt, wo sich die Situation wieder verschärft, wird offensichtlich, dass unnötig viel Zeit verstrichen ist.“
Maßgeblich für die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandards in der Filmproduktion ist die Berufsgenossenschaft ETEM. Die hat am 20. Oktober ihre Empfehlungen aktualisiert. Somit liegt nun die fünfte Version vor.
Erweitert wurden insbesondere die Hinweise zum Lüften. So wird unter anderem empfohlen, Räume im Herbst für fünf Minuten und im Winter für drei Minuten zu lüften. Wie oft das gemacht werden muss, hängt von Raumgröße und Personenanzahl ab. Einen Anhaltspunkt soll die App „CO2-Timer“ geben, die von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen entwickelt wurde. Bei Raumlufttechnischen Anlagen wird empfohlen, auf Umluft zu verzichten oder diese zumindest zu minimieren.
Die aktualisierte Handlungshilfe kann bei der BG ETEM heruntergeladen werden.
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