Humor, Herz, Hirn: Buskers Solo
Herr Busker, im Sommer beim Filmfest, wurden Sie in Ihrer Heimatstadt Emden ganz schön gefeiert. Mit „Zoros Solo“ gewannen Sie Regie- und Nachwuchspreis, der NDR berichtete von „jubelndem Applaus und stehenden Ovationen“. War das nun Lokalstolz oder haben Sie tatsächlich einen Nerv getroffen?
Ich habe geahnt, dass ich in meiner Heimatstadt mit großem Stolz und Jubel erwartet werde. Aber dass die 600 Zuschauer auf der Festivalpremiere so ausrasten, haben meine Kollegen und ich nicht erwartet. Schließlich war es für uns die erste Vorführung vor Publikum und man ist extrem nervös, ob der Humor des Films zündet und später auch die Taschentücher gezückt werden. Dann passierte es tatsächlich ständig, dass die Stimmung so abhob, dass man mitunter vor Lachen und Zwischenapplaus den Ton des Films nicht mehr hören konnte. Der Funke zum Publikum war in großem Maß übergesprungen und das hat uns sehr glücklich gemacht.
Gespannt war ich dann vor dem Screening im ausverkauften Kurhaus auf der Nordseeinsel Norderney, wo das Festival ebenfalls stattfindet. Hier kennt mich niemand, und somit gab es auch keinen Lokalbonus. Doch das Publikum, übrigens überwiegend im Rentenalter, hatte ebenso schallend gelacht, an den dramatischen Stellen die Luft angehalten und uns am Ende mit langem Beifall bedacht.
Ich spürte, dass mir das gelungen war, wofür ich angetreten bin: ich wollte einen Film machen, der ganz normale Menschen unterhaltsam mit Humor, Herz und Hirn an ein wichtiges Gesellschaftliches Thema heranführt und sie begeistert. Die Festivalpremiere dazu in Emden zu machen, war für mich eine wundervolle Sache, denn die Idee, Regisseur zu werden begann in mir bereits als Teenager zu keimen, als ich im Nebenjob Karten beim Festival abgerissen habe und Bernhard Wicki unwissend nach seinem Ticket fragte.
Schlitzohriger Flüchtling trifft auf pedantische Schwäbin … So richtig neu ist die Konstellation in „Zoros Solo“ ja auch nicht – und noch dazu ein ziemliches Klischee.
So richtig neu ist seit den Griechischen Dramen eh nichts mehr, und ich bin ein Verfechter etablierter Dramaturgie und gewohnter Helden. Für mich ist es eine Königsdisziplin, einen guten Drei-Akter zu machen, der auf den ersten Blick die Sehgewohnheiten bedient und dann doch im Detail überall gegen den Strich bürstet und wendet.
Besonders ist darüber hinaus, dass ich mich entgegen allen klugen Ratschlägen entschlossen habe, die Story nicht etwa aus der Perspektive von Andrea Sawatzkis Figurs „Frau Lehmann“ zu erzählen, was ein moderner Dangerous Minds hätte sein können. Nein, ich wollte die Geschichte aus den Augen eines Geflüchteten erzählen und dann auch noch aus der eines Jungen, der erwachsener sein muss, als er es eigentlich möchte. Das Ganze ohne in eine polictical correctness abzudriften, die viele Menschen mittlerweile nervt. Der Film ist an den entscheidenen Stellen mutig und ungewöhnlich, doch in seiner Kerndramaturgie klassisches Handwerk.
Wirklich sympathisch ist Ihr Hauptdarsteller erstmal nicht.
Das höre ich oft und erinnere dann zuerst gerne daran, dass die deutsche Hauptfigur der Chorleiterin in den Sympathiepunkten mit dem afghanischen Jungen auf Augenhöhe ist. Man gesteht ihr das vielleicht mehr zu, als dem Jungen, der dankbar sein muss, hier zu sein.
Mir war es zudem ausgesprochen wichtig, den Film so zugespitzt und hart wie möglich zu beginnen. Mit Hauptfiguren, die einem erstmal nicht direkt ans Herz wachsen und in ihren Extremen gefangen sind. Schließlich ist die Flüchtlingsdebatte geprägt von Klischees und oberflächlichen Einschätzungen. Sowohl bei den Migranten, bei den sogenannten Gutmenschen, als auch bei den sogenannten Wutbürgern. Selten macht sich jemand die Mühe, herauszufinden, was die Menschen im Kern zu ihren Haltungen bewegt, im Guten wie im Schlechten. Ich habe während meiner zwölf-monatigen Recherche mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen, wie auch in meiner Arbeit mit dem wütenden Teil der Gesellschaft erkannt, dass alle im Herzen doch das Gleiche bewegt.
Das war jetzt keine große Überraschung, doch bleibt es ein Rätsel, wieso wir uns dann doch so sehr voneinander abgrenzen, nur weil wir eine andere Sprache sprechen oder uns in kulturellen Dingen unterscheiden. „Zoros Solo“ sollte daher so gegensätzlich wie möglich beginnen und dann Minute für Minute zum Kern dessen vordringen, was die beiden streitenden Protagonisten letztlich dann doch miteinander verbindet.
Sie hatten mit ihren Kurzfilmen an der Filmakademie Baden-Württemberg etliche Preise gewonnen. „Halbe Portionen“, Ihr Abschlussfilm und der von Produzentin Kathrin Tabler, gewann unter anderem den „Max-Ophüls-Preis“. Wieso dauerte es nochmal neun Jahre bis zum Debüt?
Es waren nur acht Jahre (lacht). Ich hatte mit meinem Drittjahresfilm „Höllenritt“ großen Erfolg in der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale und mit dem Abschlussfilm „Halbe Portionen“ wie geschildert ebenso. Das waren aber viele Jahre extrem harter Arbeit für die Kunst, und es juckte mir in den Fingern, endlich mal für jemanden zu arbeiten und mit meiner Tätigkeit auch Geld zu verdienen. Da es reichlich Angebote vom Fernsehen gab, konnte ich mich viele Jahre in TV-Serien austoben und habe das auch sehr genossen. Besonders spannend war, dass zwischen den Projekten so wenig Zeit verging und ich mehr am Set stand, als Stoffe zu entwickeln.
Doch mit den Jahren baute sich auch die Lust auf, wieder einen eigenen Film zu machen. Nachdem ich die erste Staffel von „Die Mockridges“ 2015 erfolgreich abgeschlossen habe, entschied ich (besonders nach einem sehr unangenehmen Treffen mit dem neuen Producer der Sendung), die zweite Staffel abzusagen und mich voll einem Debüt zu widmen. Eine gute Entscheidung! Aber ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass ich die Jahre von Stoffentwicklung, Drehbuch und Produktion nicht hätte machen können, wenn sich mein Konto davor nicht gut gefüllt hätte. Denn so ein Debütfilm ist leider kein Projekt, dass die Brötchen auf den Tisch bringt.
„Debüt“ ist ja eigentlich nicht ganz passend. Sie waren mit Serien ja gut beschäftigt. Viele Filmschaffende sehen dort eine bessere Zukunft. Wieso tun Sie sich da das Risiko Kino an?
Ich habe gerne für Serien gearbeitet, weil ich selbst ein Serienjunkie bin. Gleichwohl spüre ich in mir die Sehnsucht nach Kino, denn dort hat meine Leidenschaft für den Film begonnen. Als Knirps im Emder „Apollo“, als „Zurück in die Zukunft“ lief oder „E.T.“ oder „Moonwalker“. Selten hat mir etwas so viel Bauchkribbeln breitet wie die 90 Minuten in einem Kinosaal. Und so sehr ich begrüße, dass Netflix & Co. unseren Markt kräftig aufmischen und ich auch bereits sehnsüchtig auf den Anruf eines Streaming-Anbieters warte, hoffe ich dennoch, dass das Kino uns erhalten bleibt und sich immer wieder neu erfindet.
Das Deutsche Kino sei zu zaghaft und zu einfallslos, wird zurzeit oft beklagt, und Schuld seien vor allem Sender und Förderer, die zu viel reinreden. „Zoros Solo“ entstand mit Förderung und Senderbeteiligung.
Ja, aber in der Redaktion „Debüt im Dritten“ vom SWR, Redakteurin Stefanie Groß. Und dort gilt, dass sie mich berät, ich aus ihrer langen Erfahrung schöpfen kann, aber am Ende meinem kreativen Geist vertraut wird. Oder dass wir so lange ringen, bis wir kreativ die beste Möglichkeit gefunden haben, ganz ohne Druck von außen. Auch die Förderung fördert in diesem Fall einfach nur und vertraut den Filmemachern, die sie schließlich selbst ausgewählt hat. Beim Verleih waren die Diskussionen zunächst heftiger, aber wir haben es am Ende geschafft, ein Top Team zu werden.
Mein Film wäre nicht so steil und frech, wäre er ein typischer Fernsehfilm gewesen, bei dem alle zufrieden sein müssen. Auch wäre kein Kind die Hauptfigur und schon gar nicht ein Migrant. Ich habe zwar mit allen Redakteur*innen bisher hervorragend zusammen gearbeitet, aber insgesamt fehlt mir manchmal der Mut, ungewöhnliche Entscheidungen zu treffen – und auch hin und wieder das Vertrauen, dass ich als „junger Filmemacher“ schon weiß, was ich tue. Obwohl ich als fast 40-Jähriger gerne als jung bezeichnet werde, frage ich mich schon manchmal, wann das mal aufhört.
Gedreht haben Sie trotzdem mit einem recht überschaubaren Budget von einer Million Euro. Ist das eine Perspektive fürs Kino?
Nein, das ist eine Perspektive für ausgebeutete Filmemacher und Schauspieler. Wir sind nicht mehr in einer Zeit, wo man für ein Debüt 20 Praktikanten beschäftigen und Teammitglieder 16 Stunden am Tag für die Kunst verheizen kann, was schon schlimm genug war. Mittlerweile ist man gegenüber der Förderung verpflichtet, Tariflöhne zu zahlen, aufgrund von geltenden Gesetzen Praktikanten nicht auszubeuten und der Ländereffekt der Förderungen ist strenger denn je [„Zoros Solo“ wurde von der MFG Baden-Württemberg gefördert, Red.]. Alles gut so!
Bei „Zoros Solo“ mussten wir wegen des 15-jährigen Hauptdarstellers in 25 kurzen Drehtagen von acht Stunden einen Kinofilm nach Hause bringen, ohne Überstunden. Das ging nur, weil ich aufgrund meiner Serienerfahrung sehr schnell bin, ein ebenso schnelles Team und hervorragende und professionelle Schauspieler am Start hatte.
Aber vor allem ist es gelungen, weil Produzentin Kathrin Tabler und ich bis zum heutigen Tag sämtliche Jobs übernehmen, für die kein Geld da ist. Ebenso haben wir unser Erspartes in Dinge investiert, ohne die ein Kinofilm kein Kinofilm wäre. Wie man das ändern kann, weiß ich auch nicht, doch so kann es nicht weitergehen. So werden wir es nie schaffen, eine neue Generation von kreativen und erfolgreichen Kinoregisseuren heranzuziehen. Und das wäre die beste Rettung für unsere schwächelnde Kinolandschaft.