FFG 2022 – Stellungnahmen 6: AG Kino

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Das Kino ist wieder mal in Gefahr – die Streamingdienste machen sich immer breiter. Die AG Kino plädiert für die Bewahrung der ­Kinokultur. ­Wie beides zusammen geht, machen derweil andere vor: Die britische Arthouse-Kette Curzon Cinemas stellt zeigt ihre Filme parallel auch als Bezahlstream. | Foto © Screenshot

Das Kino ist wieder mal in Gefahr – die Streamingdienste machen sich immer breiter. Die AG Kino plädiert für die Bewahrung der ­Kinokultur. ­Wie beides zusammen geht, machen derweil andere vor: Die britische Arthouse-Kette Curzon Cinemas stellt zeigt ihre Filme parallel auch als Bezahlstream. | Foto © Screenshot

Siebeneinhalb Seiten »Vorbemerkungen« schickt die AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater ihrer Stellungnahme zur anstehenden Überarbeitung des Filmförderungsgesetzes (FFG) [PDF] voraus. Ein kritischer Blick auf die Branche und das Fördersystem, den wir gekürzt und mit weiterführenden Links wiedergeben:

Der Film- und Kinomarkt befindet sich in einem radikalen Umbruch. Global agierende Streamingplattformen gewinnen an Einfluss bei der Produktion, Finanzierung und Verwertung audiovisueller Inhalte. Dies verändert den Fernseh-, den Video- und den Kinomarkt und fordert alle Unternehmen in diesen Bereichen heraus. Wir beobachten, wie der Weltmarktführer immer aggressiver seine Vorherrschaft auszubauen versucht, während andere global agierende Konzerne stärker an diesem Wachstumsmarkt partizipieren wollen. 

Begleitet wird diese Entwicklung von einer zunehmenden Marktkonzentration. Noch in diesem Jahr wird Disney den bisherigen Konkurrenten Fox übernehmen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Streamingmarkt. Auch im Kinomarkt beobachten wir eine immer stärker voranschreitende Marktkonzentration. Die Folgen wirken sich auch auf den nationalen Markt aus, der bei Produktion, Verleih und Kino unverändert stark fragmentiert und von mittelständischen Unternehmen geprägt ist. Am Ende geht es auch darum, dass der (deutsche) Mittelstand sich gegen die stetige Globalisierung halten kann, die verstärkt durch die allumfassende Digitalisierung Tendenzen zu weltweiten Monopolen aufweist.

Während manchen das Gefühl beschleicht, dass allein Serien der Internetgiganten Innova­tionen wagen, und diese mit immensen Investi­tionskapital Kreative und Filmhandwerker an sich binden, fehlen trotz Ausbau der Förderung ­zugkräftige Filme für das Kino. Zurecht beklagte die Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters zu Jahresbeginn das Missverhältnis zwischen Investition und Ertrag. International ist der deutsche Film mit überschaubaren Ausnahmen nicht wettbewerbsfähig. Das Ergebnis ist bekannt: 2018 war insgesamt betrachtet ein katastrophales Kinojahr [Die FFA-Studie „Das Kinojahr 2018 – Marktzahlen aus Deutschland“ als PDF].

Dies wirkt sich natürlich massiv auf die unabhängigen Filmtheaterbetriebe aus, deren Erlösstruktur schon vor diesem Markteinbruch nicht ausreichend war, um den Erhalt, die Modernisierung und den Ausbau der digitalen Infrastruktur ihrer Kinos voll aus eigener Kraft zu stemmen. Zugleich kommt dem Kino gesellschaftlich, kulturell und filmwirtschaftlich eine herausragende Rolle zu. Als Kulturorte sind sie mehr als bloße Wiedergabeplattformen. „Nur sie machen das einzigartige ,Erlebnis Film‘ möglich, dort finden Verhandlungen über gesellschaftliche Themen statt“, so die Kulturstaatsministerin zu Beginn der Berlinale. Dies gilt in besonderer Weise für die Filmkunsttheater. Dank ihrer Programmauswahl sind sie ein Spiegel unserer Gesellschaft. Sie gehören zu den selten gewordenen kollektiven Räumen, wo sich Kulturschaffende und Publikum begegnen können, wo es freie und offene Diskussionen gibt, wo Meinungen geäußert werden und wo Ideen Gestalt annehmen.

Während die Streamingplattformen (abgesehen von Prestigeprojekten) vorrangig für einen amerikanischen und amerikanisierten Content für den Weltmarkt stehen, stehen die Filmkunsttheater für ein Kino, das uns nicht nur zum Träumen bringt, sondern vor allem auch in die Pflicht nimmt, einen offenen Blick auf die Welt in der Krise zu richten. Filmschaffende aus aller Welt führen uns mit Talent, Feingefühl und Einsatz vor Augen, wie wichtig die Freiheit der Meinung und der Kunst ist.

Mit ihrer Arbeit stehen die deutschen Filmkunsttheater für eine auch im internationalen Vergleich herausragende Kino- und Programmvielfalt. Als Heimstätten für Autoren- und Dokumentarfilmer, für den Nachwuchs und für die ­großen alten Meister des Films haben die Mitglieder der AG Kino – Gilde e.V. mit ihren vielfältigen Programmen, Festivals, Filmreihen, Events und in ihren Schulkinoaktivitäten allein in 2018 ihren Gästen in rund 660.000 Vorstellungen über 5.600 unterschiedliche Werke gezeigt – ein Dank der digitalen Technik vollzogener sprunghafter Anstieg in der angebotenen Filmvielfalt gegenüber dem analogen Zeitalter. Zugleich beobachten wir, dass überall dort, wo es engagierte Filmkunsttheater gibt, die Menschen durchschnittlich häufiger ins Kino gehen. Im besten Sinne zahlen die Filmkunsttheater damit die Digitalisierungsförderung zurück: an den Markt. Vor allem aber an das Publikum.

Tief kulturell, sozial und wirtschaftlich verwurzelt am jeweiligen Ort und verbunden mit den vielfältigen Rahmen- und Begleitprogrammen leisten sie damit einen entscheidenden Beitrag für eine lebendige Kultur, steigern die Lebensqualität und bieten den Menschen „in mancher Hinsicht des Wortes Heimat“ (Iris Berben).

Mit ihrer Leistung bereichern die Filmkunstkinos indes nicht nur die kulturelle Vielfalt. Von ihr profitiert die gesamte Filmbranche und ganz besonders der deutsche und europäische Film! Denn der Programm- und Besuchermarktanteil mit deutschen und europäischen Produktionen liegt in diesen Kinos weit über dem bundesdeutschen Marktdurchschnitt. In den Arthousecharts 2018 lagen 27 deutsche und 39 europäische Filme in den Top 100. […] Dabei sind die erfolgreichen Filme über Monate im Einsatz, Kinos im ländlichen Raum und kleine Filmtheater in Stadtteilen werden oftmals erst nach Wochen beliefert. Denn Arthousefilme kommen erst (und nur dann), wenn sie erfolgreich in den Filmkunstkinos in Städten laufen, auch in Multiplexen und traditionellen Kinos in der Fläche breiter zum Einsatz. Experimentalfilme und Werke, die nicht aus den großen Filmländern stammen, sind meist nur in spezialisierten Kinos in Städten zu sehen.

Doch diese einzigartige Vielfalt der deutschen Filmkunstlandschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Denn der Betrieb von Filmkunstkinos ist aufwendig und kostenintensiv, wie die Kinostudie der HMS zeigte. Die wirtschaftliche Situation der Filmkunsttheater ist weiter fragil. Nicht zuletzt da sich auch im digitalen Zeitalter die Belieferungsbedingungen nicht grundlegend änderten und die Filmmieten im Schnitt merklich höher sind als am Mainstreammarkt. Zudem ist die Kostenstruktur kleiner Einheiten grundsätzlich höher und die Programmarbeit fordert hohen personellen Einsatz.

Der hohe Instandhaltungs- und Modernisierungsbedarf der traditionellen Kinos ist bekannt, schon bald müssen die Kinos ihre Projektionssysteme erneuern und zugleich ihre digitale Infrastruktur auch zur Gewährleistung einer zeitgemäßen Kundenkommunikation ausbauen. Die Arthousekinos und viele traditionelle Kinos werden dies allein nicht stemmen können. Viele Innovationen in den vergangen Jahren zeigen, dass die Filmkunsttheater technischen Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen sind und auch in vielen analogen Bereichen ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln. Es geht um den Fortbestand des Kulturorts Kino und wir hoffen, dass das Zukunftsprogramm Kino mit angemessener Ausstattung bald breitgefächert sowie ortsgrößenunabhängig startet und Filmkunsttheater sowie traditionelle Kinos in kleinen Ortschaften besonders in den Fokus nimmt.

Die Zeit drängt auch deshalb, da die einleitend dargestellte strukturelle Revolution andernfalls rasch zu einem irreversiblen Kinosterben führt. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt des Kulturorts Kino als Gebäude mit zeitgemäßer technischer Ausstattung. Es geht auch darum, das Geschäftsmodell der unabhängigen Kinowirtschaft in Europa angesichts der rasant voranschreitenden globalen Marktkonzentration zu sichern.

Es gilt, den digitalen Wandel auch im Filmmarkt aktiv zu gestalten. Dazu zählt zuallererst die Wahrung des exklusiven Kinofensters und damit verbunden der Medienchronologie. „Ein bewährtes Modell, das sich nun schon rund 100 Jahre als konkurrenzlos erwiesen hat“, wie VUE-Geschäftsführer Tim Richards dies jüngst im Interview mit „Blickpunkt:Film“ darstellte. Wie er sind auch wir der Auffassung, dass die Sperrfristen keineswegs obsolet geworden sind. Im Gegenteil: Wenn Konzerne die Regeln setzen, werden sie mächtiger als Staaten. Genau dies passiert, wenn Netflix in immer aggressiverem Stil versucht, mit Prestigeprojekten und immensen Marketingbudgets sein erzkapitalistisches Geschäftsmodell durchzusetzen. Wenn Werke, die dezidiert für die große Leinwand geschaffen sind, missbraucht werden, um Kinofilmfestivals als Marketingarena für die Streamingplattform umzufunktionieren und eine begrenzte Kinoauswertung zu betreiben, die den Minimalanforderungen für die Qualifizierung von Kinofilmpreisen dienen und daneben die Kinoexklusivität außer Kraft setzen sollen, ist die Zeit zum Handeln überreif.

Uns ist bewusst, dass Netflix wie andere Internetgiganten des Silicon Valley mit seinem vor allem auf Bequemlichkeit setzenden Geschäftsmodell Realität ist. Doch wir sind tief besorgt, wenn mit brachialen Methoden und scheinbar einfachen Aussagen versucht wird, funktionierende Marktstrukturen zu zerstören. Dies umso mehr, als dies eingebettet ist in einer Phase globaler Marktkonzentration. Mit der Übernahme von Fox durch Disney verlieren wir einen Partner, der regelmäßig auch Filme für Arthousekinos mit hoher Kompetenz und vergleichsweise fairen Konditionen verliehen hat. Zugleich schreitet auch am Kinomarkt die globale Konzentration voran. Hierzulande ist dies zum einen sichtbar an der UCI, die Tochter der Odeon-Gruppe ist, Europas größtem Kinokonzern. Dieser wiederum gehört AMC Theatres, der größten Kinokette der Welt. AMC Theatres schließlich ist im Besitz der Wanda Gruppe, einer chinesischen Investmentgesellschaft. Zum anderen soll noch in diesem Jahr der Marktführer CineStar von Cinemaxx übernommen werden, die zur britischen VUE International gehört, die im Besitz einer kanadischen Investmentgesellschaft ist. […] 

Das Netz ist kein Paralleluniversum. Es durchdringt alle Lebensbereiche. Lassen wir es zu, dass dieser öffentliche Raum nicht mehr demokratisch reguliert wird, begeben wir uns nicht nur dort in die Willkürherrschaft neoliberaler Digitalkonzerne. Gerade die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien hat sich in diesem Wissen zuletzt bei der Novellierung des Urheberrechts sowie bei der Sicherung des Territorialitätsprinzip für Regeln eingesetzt, die die kulturelle Vielfalt und faire Wettbewerbsbedingungen dem hier ansässigen Mittelstand ermöglichen. Derselbe Einsatz ist bei der Bewahrung der gesetzlichen Medienchronologie erforderlich, die sich künftig wie in Frankreich auf alle, nicht nur die geförderten Filme beziehen sollte. Erforderlich ist auch eine Präzisierung der Regularien der Berlinale, beim DFFF sowie gegebenenfalls für den „Deutschen Filmpreis“. Wünschenswert wäre, wenn wie im Vertrag von Aachen am 22. Januar 2019 vereinbart, sich Frankreich und Deutschland im Zuge der angestrebten Vertiefung des gemeinsamen Kultur- und Medienraums auf einheitliche Parameter verständigen würden.

Ohne geschütztes Kinofenster ist das Filmförderungsgesetz obsolet. Denn wie Nicolas Seydoux, als Präsident von Gaumont sowohl Kinobetreiber als auch Film- und Fernsehproduzent, gehen wir davon aus, dass wenn die Filmindustrie einknicken und eine deutliche Reduzierung des Zeitfensters für den Kinostart erlauben würde, dies zu einem Ende der Filmtheater führen würde. Seydoux prognostizierte im Gespräch mit „Screen Daily“, dass das Kinopublikum wegbrechen würde, genau wie es in den 1950er Jahren nach dem Aufkommen des Fernsehens der Fall gewesen war. […] Er glaube, dass das französische Kino neben dem der USA als eine von nur zwei großen Filmindustrien in der westlichen Welt bislang nur deshalb überlebt habe, weil es umsichtig gemanagt worden sei. [Das Interview auf Französisch mit Bezahlschranke.]

In diesem Sinne sind funktionierende Sperrfristen, wissenschaftlich ausgedrückt, das notwendige Kriterium für den Erfolg der Novelle. Denn als standortgebundene kulturelle Institutionen, die nicht immer und überall verfügbar sind, sondern die zur gleichen Zeit am selben Ort und zum selben Film ein Publikum für ein Gemeinschaftserlebnis versammeln, sind Kinos auf die Exklusivität existenziell angewiesen. So machen die Filmkunstkinos ein Drittel ihres Umsatzes mit Filmen, die sie in den ersten drei Wochen ab Bundesstart spielen, ein Drittel mit Filmen zwischen der vierten und sechsten Woche sowie ein weiteres Drittel ab der siebten Spielwoche. Dies hat zwei Gründe. 

Erstens: Oftmals werden Kinos erst ab der vierten Spielwoche oder später mit Filmen beliefert. 

Zweitens: Anders als im Mainstreammarkt leben die Filme angesichts des begrenzten Marketingbudgets von der Mundpropaganda, zudem ist für das Arthouse-Publikum eine lange Spielzeit ein Qualitätskriterium für einen Film. 

Betreiber setzen diese Filme zielgerichtet, zum Beispiel im Familienprogramm am Wochenende und besonders anspruchsvolle Filme am Nachmittag und in den Matineen ein. So sind gerade Dokumentarfilme und Werke, deren Spielzeit weit über die gewohnten 90 bis 120 Minuten hinausgehen, ebenso lange wie erfolgreich im Schienenspiel im Einsatz. Ebenso werden qualitativ herausragende Filme oftmals über Monate eingesetzt. Dabei zeigt sich immer wieder: Für gut gemachte und herausgebrachte Filme ist der exklusive Kinostart die beste Vermarktungsstrategie.

Kurz: Ohne Kinos gibt es keinen Kinofilm, Kino und Kinofilm bedingen einander. Dass und wie die Kinos diese Herausforderung meistern und dass ein lebhafter und stabiler Arthousemarkt bestehen bleibt, ist aber im Interesse der gesamten Branche. Denn unverändert sind die Filmtheater das Kraftwerk innerhalb der Wertschöpfungskette Film. Als erstes und öffentlichkeitswirksamstes Glied der Verwertungskette trägt die überregionale wie die lokale Bewerbung zum Filmstart und die Resonanz auf der Leinwand weiterhin maßgeblich zur Veredelung in den nachfolgenden Auswertungsstufen bei und ermöglicht im Kontext der gestaffelten Verwertung die Mehrfachauswertung der Filme. Ganz abgesehen davon, dass der Kulturort Kino als Diskursraum weit mehr ist als nur eine Plattform zur Wiedergabe des Kulturprodukts Film, leistet das Kino damit einen elementaren ökonomischen Beitrag zur Filmindustrie.

Doch diese befindet sich in der Krise, wie dies die Kulturstaatsministerin beim Produzententag im Vorfeld der Berlinale richtig analysierte. Das hängt nicht nur mit den globalen Veränderungen zusammen, sondern ist zum Teil auch hausgemacht. Die Filmförderung wurde in der letzten Dekade massiv ausgebaut und die Filmproduktion befindet sich im Wachstum – in Deutschland wie in ganz Europa. Nahezu alle hier hergestellten Werke werden zumindest zum großen Teil, oftmals fast ausschließlich, durch die wachsenden staatlichen Filmförderungen finanziert. 2016 wurden 2.124 und damit 47 Prozent mehr Filme in Europa produziert als 10 Jahre zuvor. Für die Produzenten, Studios und Filmschaffenden sicherlich ein gutes Zeichen.

Aber wer will das alles sehen? Offenbar nicht mehr als früher. Das Filmwachstum führt jedenfalls nicht zu einem Besucherwachstum. Auch bei den großen Festivals hat man nicht den Eindruck, dass diese sich vor Einreichungen künstlerisch herausragender Filme kaum retten können. Bei aller Freude über Erfolge wie Toni Erdmann oder Aus dem Nichts beklagen Kenner und Kritik, dass zu viel Mittelware hergestellt wird, Filme, die man ebenso gut sehen wie auch verpassen kann, die nicht überraschen oder Neues bieten.

Also was läuft schief? Und warum laufen Filme, die Kenner und Kritiker empfehlen, in Deutschland oft weit unter ihrem Potenzial? Warum erreicht zum Beispiel Valeska Grisebachs beeindruckender und in Cannes gefeierter Film „Western“ nicht mehr Zuschauer? Analysen gibt es hierzu inzwischen zuhauf, jedoch kreisen sie, wie auch die Filmförderung, zu sehr um den Akt der Produktion und insbesondere um die Sicherstellung der Finanzierung. Publikum aber, das die Filme sehen soll, taucht in den Überlegungen zu wenig und wenn meist nur am Rande auf. Dabei ist nichts so entscheidend wie der Start im Kino. Nur was auf der großen Leinwand reüssiert, hat auch eine Chance auf dem kleinen Schirm. Dies gilt besonders für europäische Autoren- und Dokumentarfilme jenseits des Mainstreams.

Die Kardinalfrage muss daher lauten: Wie können die Kinos eine so große Anzahl Filme an die Zuschauer bringen, vor allem an die jüngeren? Wie ein Publikum gewinnen, das in zunehmenden Maße von allen Unterhaltungsmedien umworben wird und seine kulturellen Aktivitäten diversifiziert? Wer Filmförderung betreibt und damit nicht allein die Auftragsbücher der Studios füllen möchte, muss deshalb neben einem starken Fokus auf Qualitätsfilme auch den Förderanteil für die Sichtbarmachung der Filme massiv erhöhen.

Notwendig wäre daher ein ganzheitlicher Fokus der Filmförderung von der Ideenentwicklung bis zum Start im Kino. In Hollywood wäre es undenkbar, dass die Studios oder Netflix Filme produzieren, nicht aber zugleich deren Vermarktung mitdenken. In Europa ist dies anders: Während die Budgets der Filmproduktion steigen, sinken die Herausbringungsetats der einzelnen Filme. Das System ist außer Balance.

Durch das reduzierte Engagement der Sender drängen zunehmend für das Fernsehen gedachte Produktionen an die Fördertöpfe. Am stärksten zu beobachten ist dies bei der Flut an Dokumentarfilmen, dessen umfassende Förderung in Europa seinesgleichen sucht. Zugleich berichten Kolleginnen und Kollegen aus Förderkommissionen, dass es bei der Förderung viel zu stark um „Antragslyrik“ gehe, während die Vision der filmischen Umsetzung und die geplante Heraus­bringungsstrategie samt Beschreibung des Zielpublikums zu sehr im vagen blieben. Immer öfter werden Filme halbherzig in die Kinos gebracht, Marketing beschränkt sich auf Plakate und Trailer. Flops mit Ansage sind die Folge. Auf unter­budgetierte, schlecht entwickelte Werke ohne Herausbringungsbudgets wartet niemand. Wenn dann der Ruf nach Sperrfristenverkürzung kommt, ist dies die endgültige Pervertierung des Systems.

Besonders tragisch ist es aber, wenn gelungene und dezidiert für die große Leinwand geschaffene Werke ohne hinreichende Herausbringungsbudgets in die Kinos kommen. Und schlimm ist, dass aussichtsreiche Filme sich zu oft um dieselben Starttermine ballen, während in anderen Zeiten zugkräftige Titel fehlen.

Seit Langem beobachten wir eine Unwucht zu Lasten von Vertrieb und Kino in der Förderung, die es mit der Novelle auszugleichen gilt. Für lokales Marketing und digitale Kundenkommunikation, die angesichts der Contentflut gerade im Arthouse von zunehmender Bedeutung sind, gibt es so gut wie keine Förderung. Dabei ist allgemein bekannt, dass das globalisierte Marketing über das Internet nicht auf den europäischen Autorenfilm zugeschnitten ist. Und der Etat der Referenzkinoförderung, der einzigen Förderart, die dies bedient sinkt. Sofern das Zukunftsprogramm Kino nicht um eine „Programmsäule“ ergänzt wird, müsste an dieser Stelle umso dringender gegengesteuert werden.

Angesichts der Vielzahl der Filmstarts wäre es wichtig, dass bei einem Erfolg nicht nur die Kopien-Zahl verstärkt, sondern auch im Marketing nachgelegt werden kann. Denn erfolgreiche Filme sind noch immer über Wochen im Einsatz und Kinos im ländlichen Raum bekommen die Filme oftmals erst lange nach Bundesstart.

Filme die keiner wahrnimmt, existieren nicht. Und nicht jeder Film, den keiner sieht, ist künstlerisch relevant – oder umgekehrt: die künstlerische Qualität eines Films nimmt nicht mit dem Zuschauererfolg ab. Vielmehr stehen die Filmkunstkinos dafür, dass sich Qualität durchsetzen kann. Sicherlich reichen diese Erfolge in absoluten Werten nicht an den Mainstreammarkt heran, aber die Arthousekinos haben ein Publikum gewonnen, das auf künstlerisch wertvolle Filme jenseits der Hollywood-Blockbuster gespannt ist.

Besorgt sind wir daher um den deutschen Qualitätsfilm. Es fehlt zu oft der große Arthousefilm, der auch auf Festivals reüssiert. Dabei stünde Deutschland der Ehrgeiz gut an, nicht nur bei der Anzahl der (Ko-)Produktionen vorne zu liegen, sondern auch künstlerisch an der filmischen Spitze weltweit mitzuwirken! Um die vorhandenen Potenziale zu schöpfen und dem deutschen Film strukturell zu mehr Erfolg zu verhelfen, brauchen wir einen ganzheitlichen Fokus der Filmförderung von der Ideenentwicklung bis zum Start im Kino. Wichtig wäre eine Evaluierung auf Grundlage geeigneter, relativer Erfolgskriterien sowie die Prüfung innovativer Förderansätze – zum Beispiel Kuratoren, Teamförderung, Slateförderung oder Wild Card – die in anderen Ländern erfolgreich praktiziert werden.

Wünschenswert wäre überdies ein konzertiertes Zusammenwirken der Förderer und ein stärkeres Engagement der Sender. Finanzielle Potenziale sind vorhanden. Denn die Finanzierung von Serien, mit denen die milliardenschwere Streaminganbieter ihr Geld verdienen, ist nicht nachvollziehbar. […]

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