FFG 2022 – Stellungnahmen 3: Crew United

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„Soziale und ökologische Nachhaltigkeit jetzt!“ fordert die Branchenplattform Crew United. Oder einfacher gesagt:? Die Agenda 2030 gilt auch für die Filmbranche. | Foto © Archiv

„Soziale und ökologische Nachhaltigkeit jetzt!“ fordert die Branchenplattform Crew United. Oder einfacher gesagt:? Die Agenda 2030 gilt auch für die Filmbranche. | Foto © Archiv

Das Filmförderungsgesetz (FFG) prägt die deutsche Filmkultur und Filmwirtschaft, der Gesetzgeber schafft damit den gesetzlichen Rahmen und beauftragt die Filmförderungsanstalt (FFA) mit der Umsetzung. Eine Novellierung des FFG muss mit den kultur-, gesellschafts- und umweltpolitischen Zielen der Bundesregierung übereinstimmen.

Eines der wichtigsten Zielsysteme, denen sich die Bundesregierung verpflichtet hat, sind die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030, die „Sustainable Development Goals“. Sie richten sich an Regierung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft.

Die deutsche Filmbranche ist bei sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit leider nicht Vorreiter, sie hinkt vielmehr weit hinterher: Studien weisen auf die drohende Altersarmut vieler Filmschaffender hin; Projektarbeiter*innen (insbesondere Solo-Selbstständige) fallen durch das soziale Netz; Diesel-Generatoren sind der Standard an Filmsets; der Gender Pay Gap ist bittere Realität vieler weiblicher Filmschaffender.

Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit, weniger Ungleichheit, keine Armut, nachhaltige Produktion und Klimaschutz sind globale Ziele, die mit der FFG-Novellierung für die Filmbranche konkretisiert und spezifiziert werden müssen. Die Filmbranche betreibt aktuell Raubbau am Menschen und an der Umwelt. Die FFA und andere Filmförderungen fördern sozial- und gesellschaftskritische Filmwerke, gleichzeitig reproduziert das Fördersystem selbst soziale Mißstände und begünstigt prekäre Arbeit. 

Obwohl ein Hinwirken auf sozialverträgliche Arbeitsbedingungen als gesetzliche Aufgabe der FFA bereits seit der letzten FFG-Novelle verankert ist, hat die FFA im Bereich soziale Nachhaltigkeit bis heute nichts unternommen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit und die Pflicht, diese Mißstände mit der FFG-Novellierung zu verändern.

Die Branchenplattform Crew United macht mit dieser Stellungnahme zur FFG-Novellierung konkrete Vorschläge zur Stärkung der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit in der Filmbranche. 

Mit acht Kernforderungen zeigt Crew United konkrete Möglichkeiten für den Gesetzgeber und die FFA die Filmbranche sozial und ökologisch nachhaltig zu entwickeln. Crew United ist eng verbunden mit der Initiative „Zukunft Deutscher Film“ und sieht in den „Frankfurter Positionen zur Zukunft des Deutschen Films“ Forderungen zur Stärkung der Filmkultur, welche die eigene Stellungnahme ergänzen. Über folgende Frage lohnt sich ein Nachdenken: Führt eine sozial und ökologisch nachhaltige Filmproduktion langfristig nicht auch zu einer wirtschaftlich und kulturell erfolgreichen Filmbranche? Einfach weil Talent die entscheidende Ressource ist, die wir für die Branche begeistern und an sie binden sollten?

Umgekehrt funktioniert es auf jeden Fall nicht: Gut ausgebildete Absolvent*innen von  Filmhochschulen, deren Ausbildung sechsstellige Summen gekostet hat und die dann die Branche verlassen, weil sie keine Chance erhalten sich künstlerisch zu verwirklichen und/oder aus ihrer Passion ein funktionierendes Arbeits- und Lebensmodell zu machen, sind weder kulturell noch ökonomisch nachhaltig.

1. Nachhaltigkeit braucht Mindeststandards!

Wir fordern, dass für Projekte, die mit Mitteln der FFA, des DFFF und des GMPF gefördert werden, die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards auf Basis bestehender Gesetze und ­Tarifverträge durchgesetzt wird. Darüber hinaus müssen in einem Branchendialog Standards entwickelt werden, die den spezifischen Arbeitsformen der Film- und Fernsehbranche gerecht werden.

Begründung: Die FFA vergibt Mittel auf gesetzlicher Grundlage des FFG. Mit der Vergabe dieser Mittel geht aus unserer Sicht eine ethische, soziale und ökologische Verantwortung einher, welche die FFA bisher nicht wahrnimmt. Die zunehmende Prekarisierung von Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland ist hinreichend belegt, die dringende Handlungsnotwendigkeit im Bereich Klimaschutz ist nur noch bei realitätsfernen Gruppen umstritten. Projekte, die durch FFA gefördert werden, sollten auf soziale und ökologische Mindeststandards verpflichtet werden. 

Zudem braucht es eine in Richtlinien mündende Verständigung darüber, was sozialverträgliche Arbeitsbedingungen und ökologische Standards in der Filmwirtschaft sind. Bei einer Förderung durch das Österreichische Filminstitut ist die Kalkulation kollektivvertraglicher Mindestgagen als Fördervoraussetzung beispielsweise in den Richtlinien definiert. 

Eine tragfähige und wirkungsvolle Festschreibung kann nur auf Grundlage eines gemeinsamen Konsenses entstehen, hierbei sollte neben den Sozialversicherungsträgern, den Vertretern der Gewerke, der Produzenten und Förderer auch die Wissenschaft beteiligt werden. 

Ein Nationaler Grüner Drehpass sollte gemeinsam mit der Branche entwickelt werden und verpflichtende ökologische Mindeststandards definieren.

2. Nachhaltigkeit braucht Dialog!

Wir fordern die Gründung eines FFA-Ausschusses für soziale und ökologische Nachhaltigkeit.

Begründung: In den Strukturen der FFA braucht es einen verbindlichen Raum für den Austausch zu sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit und eine Verortung des Themas als Querschnittsaufgabe der FFA. Es ist nicht ausreichend Nachhaltigkeit als Randthema in anderen Ausschüssen zu besprechen, eine Nachhaltigkeitsstrategie der FFA ist bisher nicht ersichtlich. Der Ausschuss für soziale und ökologische Nachhaltigkeit sollte die Berufsverbände und Interessenvertretungen der Filmschaffenden beteiligen und auch Kompetenz aus anderen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft und der Wissenschaft integrieren. Die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie für die Filmbranche, die Nachhaltigkeit nicht nur behauptet, sondern auch selbst lebt, kann nur partizipativ gemeinsam mit der Branche geschehen. Der Ausschuss sollte in Folge auch beauftragt werden, Nachhaltigkeitsrichtlinien für die Förderkommissionen zu entwickeln.

3. Nachhaltigkeit braucht Ressourcen!

Wir fordern, mindestens zwei Prozent des Jahresbudgets der FFA für Fördermaßnahmen zur Stärkung der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit zu reservieren und zwei Vollzeitstellen innerhalb der FFA für diese Themen zu schaffen.

Begründung: Die Jahre seit der letzten Novellierung haben gezeigt, dass die Zuweisung von Aufgaben an die FFA ohne hinterlegte personelle und finanzielle Ressourcen keinen Fortschritt bringt. Nach Paragraf  159 FFG sind bis zu 10 Prozent der Einnahmen für die Erfüllung der Aufgaben nach Paragraf  2 FFG zu verwenden. Wir empfehlen hier zusätzlich einen Mindestanteil von zwei Prozent für Nachhaltigkeitsprojekte zu definieren und zu prüfen, ob die von der FFA verwalteten DFFF- und GMPF-Budgets in die Berechnung einbezogen werden können. Die Bedeutung und der Wert von Nachhaltigkeit für die Zukunft unserer Gesellschaft muss sich finanziell in der Budgetaufteilung der FFA widerspiegeln.

4. Nachhaltigkeit braucht Transparenz!

Wir fordern die Ausweitung der Berichtspflichten von Förderempfängern zu Aspekten sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sowie eine verpflichtende CO2-Bewertung geförderter Projekte und die Einführung von Stichprobenkontrollen durch die FFA.

Begründung: Für die Bewertung und Steuerung von Nachhaltigkeit in der Filmbranche braucht es ein kontinuierliches Monitoring sozialer und ökologischer Themen mit einer einheitlichen, verlässlichen und breiten Datenbasis. Das Kalkulationsschema der FFA ist Branchenstandard und wird zum Beispiel von regionalen Filmförderungen adaptiert. 

Diesem Vorbild folgend, sollte die FFA eine Nachhaltigkeitsbewertung für Filmprojekte und Kinos entwickeln und als Branchenstandard etablieren. Dabei erscheint es sinnvoll, bei Antragstellung verpflichtend einen Katalog der geplanten Maßnahmen abzufragen, über deren Umsetzung Förderempfänger bei Förderabrechnung zu berichten haben. Damit verbunden sollte eine verpflichtende CO2-Bewertung geförderter Projekte (ex ante/ex post) sein. Ziel muss sein, Lernprozesse bei den Fördernehmern auszulösen, öffentlich verfügbare Best Practices aufzubauen und wiederholte Verfehlungen gegebenenfalls auch zu sanktionieren. 

Die aktuell in Paragraf 67 (11) FFG formulierte Informationspflicht des Filmherstellers gegenüber der FFA ist insofern nicht ausreichend, als es natürlich nicht nur darum gehen kann, ob ein Branchentarifvertrag oder vergleichbare soziale Standards „anwendbar sind“, sondern ob und welche sozialen und ökologischen Maßnahmen rückblickend auch wirklich angewendet wurden. 

Zu prüfen wäre auch eine Ausweitung der Transparenzpflichten der FFA hinsichtlich Förderentscheidungen. Die Argumentation der FFA, dass Stichprobenkontrollen zu aufwendig beziehungsweise zu kompliziert sind und personell nicht geleistet werden können, greift aus unserer Sicht nicht. Die Stichproben können einerseits (wie andere Schlussprüfungen) an eine Prüfungsgesellschaft ausgelagert beziehungsweise mit dieser kombiniert werden, zudem kann auch für eine Nachhaltigkeitsbewertung von geförderten Projekten ein standardisiertes Verfahren ähnlich wie bei der Prüfung von Regionaleffekten, deutschen Herstellungskosten oder kulturellem Eigenschaftstest entwickelt werden.

5. Nachhaltigkeit braucht Anreize!

Wir fordern Filmpreise für Fairness, Nachhaltigkeit, Gendergerechtigkeit oder Diversität wie zum Beispiel den FairFilmAward Fiction/Non-Fiction in die Referenzpunkteliste der FFA aufzunehmen.

Begründung: Der Erfolgsbegriff nach Paragraf 73 (2) FFG bedarf einer Nachjustierung. Der Erfolg eines Films sollte sich nicht nur am wirtschaftlichen Zuschauererfolg oder am künstlerischen Erfolg bei international bedeutsamen Festivals und Preisen bemessen, sondern auch an seiner erfolgreichen (im Sinne von nachhaltigen) Filmherstellung. Es sollte für Filmproduzenten ein Anreizsystem geschaffen werden, Filmwerke nachhaltig herzustellen.

6. Nachhaltigkeit braucht Expertise!

Wir fordern, Filmprojekte vor den Sitzungen der Förderkommissionen durch eine*n Sachverständige*n nach sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit beurteilen zu lassen und den Kommissionen fachliche Expertisen an die Hand zu geben.

Begründung: Die rotierenden Förderkommissionen beurteilen Filmprojekte vor allem nach wirtschaftlichen und künstlerischen Gesichtspunkten. Die Kompetenz, die Informationen und die Zeit zur Beurteilung nach sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sind bei der Vielzahl eingereichter Projekte häufig nicht vorhanden.

Die MFG Filmförderung Baden-Württemberg hat mit der Vorprüfung von Projekten durch eine*n Herstellungsleiter*in ein erfolgversprechendes Pilotprojekt gestartet, das ausgeweitet und von der FFA adaptiert werden sollte.

7. Nachhaltigkeit braucht Diversität und ­Gendergerechtigkeit!

Wir fordern die Einführung von Diversitätsstandards nach internationalem Vorbild und die Einführung einer Geschlechterquote vor und hinter der Kamera. Wir fordern, dass mindestens die Hälfte der Filmfördergelder an Projekte geht, in denen Frauen verantwortlich vertreten sind.

Begründung: Chancengleichheit, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Elternhaus und Hautfarbe muss Selbstverständlichkeit werden und ist eine Grundbedingung der Demokratie. Menschen mit Handicap oder Migrationshintergrund sind in der Filmbranche unterrepräsentiert, ihnen sollte der Zugang zur Branche erleichtert werden. 

Wir zitieren in diesem Punkt die Forderungen des Bundesverbands Regie und ProQuote Film, schließen uns diesen an und sehen die Diversity Standards des British Film Instituts und die Gender Equality Strategy von Eurimages als wichtige Referenzpunkte. Die Fördergremien, der Vorstand und das Präsidium der FFA sollen mit ihrer geschlechterparitätischen Besetzung dazu beitragen, dass Geschichten, die diverser und gendersensibler erzählt werden, gefördert werden. 

Für uns sind Geschlechtergerechtigkeit und Diversität untrennbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kinofilmbranche, denn nur so können neue Perspektiven, Diskurse, Dramaturgien und Erzählformen entstehen.

8. Nachhaltigkeit braucht gute Arbeit für Alle!

Wir fordern, die gesetzlichen Regelungen zu Sozialverträglichkeit auf alle Formen projektbasierter Arbeit auszuweiten und zum Beispiel Freelancer, Solo-Selbstständige und hybride Arbeitsformen zu berücksichtigen. Wir fordern eine Aus- und Weiterbildungsstrategie, um Projektpersonal in der Filmbranche nachhaltig zu entwickeln.

Begründung: Der Verweis auf den Tarifvertrag ist ein mögliches, aber kein hinreichendes Kriterium für sozialverträgliche und nachhaltige Arbeit. Dies gilt einerseits deshalb, weil der Anteil tarifgebundener Unternehmen laut Produzentenstudie 2018 nur bei zirka einem Fünftel der am Markt agierenden Produktionsunternehmen liegt, und andererseits, weil nur ein Teil der Beschäftigungsformen in der Filmbranche durch einen Tarifvertrag geregelt werden kann. Der Anteil an Freelancern und Solo-Selbstständigen ist in der Branche (wie in allen kreativen Branchen) überdurchschnittlich hoch. 

Die Filmbranche darf als Teil der Kreativwirtschaft daher nicht nur als Vorreiter in Punkto innovativer, sinnerfüllter und selbstbestimmter Arbeit politisch gepriesen werden, es liegt auch in der Verantwortung des Gesetzgebers, gute und nachhaltige Rahmenbedingungen für Arbeit zu organisieren. Konkret darf sich die Aufgabe der FFA nach Paragraf 2 Ziffer 9 FFG auf sozialverträgliche Bedingungen hinzuwirken nicht nur auf Arbeitnehmer als „beschäftigtes Personal“ beziehen, sondern muss unbedingt auch Freelancer und Solo-Selbstständige als „beauftragtes Personal“ berücksichtigen. 

Der aktuelle Fachkräftemangel bei Filmschaffenden macht deutlich, dass die junge Generation bei der Wahl von Ausbildung oder Studium Film und Medien nicht mehr automatisch auf Platz 1 setzt. Zudem zeigt sich, dass die Branche dabei versagt hat, eigene Ausbildungsstrukturen aufzubauen, Projektpersonal zwischen den Filmprojekten kontinuierlich weiterzubilden und Menschen in der Branche nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen – und sie nicht zu verbrennen.

 

 

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