Eine Weltsprache
Herr Andexel, die Genrenale hat einen neuen Termin – weg von der Woche vor der Berlinale in den Frühling. Was steckt dahinter?
Wir haben uns nun fünf Jahre lang parallel zur Berlinale für mehr Genre im deutschen Film eingesetzt und eine bekannte Marke geschaffen. Wir waren selber überrascht, wie groß und bekannt die Genrenale in den letzten Jahren wurde. Aber die Berlinale-Zeit ist Fluch und Segen zugleich: Auf der einen Seite ist fast jeder in Stadt, alle haben eine Affinität zum Thema Film, und das Publikum läßt sich treiben. Wir hatten etliche Besucher, die auf der Berlinale keine Tickets mehr bekommen haben und dann zu uns gekommen sind und sich vom deutschen Genrefilm und unserer Mission haben inspirieren und mit treiben lassen. Aber speziell viele Branchenvertreter hatten einfach einen engen Zeitplan, und somit war es ihnen selten möglich, auch mal aktiv zu uns zu kommen.
Hinzu kommt, dass die gesamte Presse-Situation während der Berlinale für uns nie die optimale war und viele potenzielle Partner sich einfach ihre Hände nicht schmutzig machen wollten und konnten, wenn sie nun statt der großen Berlinale Geld und Unterstützung für die kleine, etwas wilde Genrenale geben. Und hinzu kam auch der Punkt, dass meine Tochter im Februar Geburtstag hat und der Umfang der kindlichen Geburtstagsparties auch von Jahr zu Jahr steigt. Somit war der Februar speziell für mich auch immer ein extrem anstrengender Monat, sodass wir uns schon vor Jahren die Frage gestellt haben, ob es nicht eine Idee wäre, einmal konsequent den Termin zu verändern und zu schauen, ob die Genrenale nicht sogar an einem eigenständigeren Termin, speziell an einem Wochenende, funktionieren könnte.
Also haben wir nach unserem Jahr Pause vergangenes Jahr entschlossen, es nun einmal zu versuchen und haben uns speziell das Wochenende des „Deutschen Filmpreises“ heraus gesucht, weil es da dann trotzdem wieder etwas zu feiern gibt, fast jeder in der Stadt ist und wir das Thema Deutscher Genrefilm so richtig feiern und die Notwendigkeit thematisieren können.
Ihr Festival will dem „verschmähten deutschen Genrefilm“ einen Platz geben, steht auf der Website. Wir sprachen vor zwei Jahren ausführlich darüber. Hat sich nicht inzwischen viel geändert? Zumindest im Serienboom schlagen sich deutsche Produktionen wacker mit „Genre-Stoffen“.
Absolut. Insbesondere der Einzug der amerikanischen Streamingplattformen in den deutschen Markt und der damit auftretende Konkurrenzdruck haben dazu geführt, dass sich auch die Denke bei deutschen Pay-TV-Sendern und auch TV-Sendern nach und nach wandelt und man das internationale und markenbildende Potenzial von Genrestoffen erkannt hat. Es ist plötzlich mehr Mut bei Entscheidern und Geldgebern vorhanden, nicht nur auf seichte vertraute Formate zu setzen, sondern mit neuem Geld und neuen Zielen gezielt in Genrestoffe oder zumindest Genre-Ästhetik zu investieren. Serien wie „Dark“ oder „Bad Banks“ können da genannt werden. Und es stehen viele weitere deutsche Genre-Serienprojekte in den Startlöchern oder befinden sich in der Entwicklung – ob nun die Alien-Invasion-Serie „Spides“, das Horrordrama „Hausen“, die Mystery-Serie „Souls“, Tech-Thriller wie „Biohackers“ oder Post-Apokalyptisches wie „Tribes of Europe“, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
Sind damit Ihre Ziele nicht tatsächlich erreicht?
All das ist aber immer noch nur ein guter Anfang, der Mut macht, aber auch verlangt, erst recht weiterzumachen. Und das wird keine Selbstverständlichkeit. Die allergrößte Menge an Stoffen und Projekten bei öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern als auch im deutschen Kino folgt noch völlig selbstverständlich den althergebrachten Mustern. Das massiv etablierte System von belanglosen und auch ästhetisch eintönigen Krimi-Reproduktionen, Heimatnostalgie und in großem Maße unterfinanzierten und unerfolgreichen Komödchen und Dramen im Kino hält sich weiterhin aufrecht. Bis Genrefilme und -serien eine Selbstverständlichkeit in Deutschland sind, wird es noch länger dauern.
Und dazu gehört auch ein etabliertes, routiniertes Wissen bei Autoren, Regisseuren und Produzenten, wie Genre erzählt und ästhetisiert wird. Um gerade auch international mithalten zu können, braucht es viel mehr Talente, Ausbildung, Wissen und genre-kulturelle Bildung, um den erhofften steigenden Bedarf an Qualität dann auch decken zu können. Genre als Erzählform entwickelt sich ständig weiter. Die Frage ist also nicht nur, in Sachen Idee, Stoffauswahl, Ästhetik und Finanzierung nicht nur irgendwann den Anschluss zu finden, sondern auch über die nächsten Jahre mithalten oder vielleicht sogar eigene Impulse aus Deutschland heraus setzen zu können.
Sie haben auch große Namen der Filmindustrie fürs Genre begeistern können: Arri Media ist mit einem Pitch, Avid mit einem Panel dabei.
Arri Media und Avid sind nicht erst Partner seit diesem Jahr, sondern stehen uns nun schon seit einigen Jahren als wichtige und leidenschaftliche Partner zur Seite, worüber wir sehr dankbar sind. Wir alleine als Einzelpersonen Paul Andexel und Krystof Zlatnik mit einer kleinen Gruppe von jungen Filmemachern werden das System und das Bewusstsein nicht verändert bekommen, da braucht es schon strategische und leidenschaftlichen Partner an der Seite, damit man langfristig mehr erreichen kann. Der Arri Media Genre Pitch hat sich mittlerweile zu einem bekannten Pitch entwickelt, wir erhalten knapp 130 Einreichungen aller Genre-couleur. Und speziell der Pitch zeigt immer wieder, dass das fehlende Genre im Deutschen Film nicht zwangsläufig damit zusammenhängt, dass Stoffe und Ideen fehlen. Die Autorenschaft ist quicklebendig, wild und hat unglaublich gute und vielseitige Ideen. Es scheint also vorrangig an anderen Stellen zu mangeln …
Veranstaltet wird die Genrenale ja durch Filmemacher, die sich außerhalb des Systems sehen: „Mitreißende und emotionale Unterhaltungsfilme“, die sie selbst eins fürs Kino entflammt hatten, seien in Deutschland kaum zu finden. Schuld an der Einfallslosigkeit seien Sender und Förderer. Da müsste Ihnen doch angesichts der aktuellen Diskussionen um Inhalt und Qualität doch das Herz aufgehen?
Diskussionen über Inhalte und Qualitäten werden schon länger geführt, die Frage ist halt, wer sie führt. Wir haben ein anderes Verständnis und Hoffnungen an diese Themen und wünschen uns natürlich mehr Mut, mehr Risiko und auch etwas mehr Chuzpe. Das Problem ist aber weiterhin, dass der deutsche Film und das Bewusstsein des deutschen Films stark von der Unterscheidung zwischen Anspruch und Unterhaltung geprägt wird und beides anscheinend weiterhin nur bedingt zusammengeht. Es muss ein Umdenken in den Köpfen stattfinden, dass Unterhaltungsfilme auch anspruchsvoll sein können, Genre nicht nur auf Horror reduziert werden darf und nur, weil man sich einmal im Fantastischen und nicht am Realismus bedient, ein Film nicht sofort den Stempel des Abartigen bekommen sollte.
Über-dramatisieren Sie das nicht etwas?
Es fängt ja schon im Kleinen an. Lesen Sie doch einfach mal die Kritiken zu Herrn Kreuzpaintners „Der Fall Collini“. Da wird sich teilweise schon über die reine Machart und Inszenierung beschwert, weil der Herr Regisseur etwas breiter und größer inszeniert und auf der größeren Klaviatur des Filmemachens spielt als für den deutschen Film sonst üblich. Ein Problem, dass auch Bully Herbig bei seinem großartigen „Ballon“ teilweise entschieden entgegenschlug. Ich denke, dass da schon ein grundsätzliches Problem herrscht.
Es würden nur die immergleichen Genres und Themen gefördert, klagen Sie. Im aktuellen Genrenale-Programm wirkt die Vielfalt aber auch ein wenig reduziert: Science-Fiction, Horror, Thriller, Mystery, die sich letztlich auf eines einigen: Action, zum Teil mit drastischem Kunstbluteinsatz. Gibt’s nicht noch andere Genres?
Es ist eine unzulässige Verkürzung, Genre in seiner krassen Vielfalt am Ende auf Action mit Kunstblut zu reduzieren. Es ist gleichzeitig ein treffendes Beispiel, gegen welche kulturell und gesellschaftlich tief eingeschriebenen Vorurteile und Abwehrmechanismen hierzulande alle ankämpfen müssen, die Genrestoffe in die Welt bringen wollen. Das sind alles bildungsbürgerliche Ideale, die da verteidigt werden sollen, um die seit Jahrhunderten eisern aufrecht erhaltene Trennung von „Kunst“ und „Kommerz“, von „Anspruch“ und „Unterhaltung“, von „Relevantem“ und „Trivialem“ immer und immer wieder zu bestätigen.
Aus unserer Perspektive erwarten wir in deutschen Redaktionen und Fördereinrichtungen zuerst immer, dass, egal wie divers und unterschiedlich, wie unterhaltsam oder anspruchsvoll vorgestellte Genrestoffe auch sein mögen, sie mit größerer Wahrscheinlichkeit einfach als „Action mit Kunstblut“ und damit trivial verstanden und aussortiert werden. Um so toller ist es dann, auf Redakteurinnen oder Förderrefferenten zu treffen, die sich für Genrestoffe stark machen und verstehen, dass Science-Fiction, Horror oder Fantasy die Grundlage für eine globale Kommunikation sind, weil die Formate international verstanden werden und begeistern.
Das Programm der Genrenale konnte aber jedes Jahr durch eine breite Diversität überzeugen, die soweit geht, dass sich Hardcore-Genrefans bei uns fast schon langweilen, weil es denen zu unblutig ist und zu wenig Splatter gibt. Wir sind mit der Genrenale aber mit der Mission angetreten, den Beweis anzutreten, dass Genrefilme aus Deutschland qualitativ auf ihrem Level funktionieren können und wir deshalb natürlich auch nach den herausragenden Werken suchen. Und wir möchten eben nicht, dass der Begriff „Genrefilm“ auf das Genre „Horror“ reduziert wird, nur weil es im Bewusstsein natürlich ein sehr effizientes und gerne produziertes Genre darstellt.
Auf uns kommen Zuschauer zu, die erfreut darüber waren, dass es so wenig Horror bei uns gibt, sondern jeder Kurzfilmblock als breites Potpourri des Genrekinos gefeiert wird und wir somit jedes Mal aufs Neue versuchen, die möglichen Genrearten und die Facetten des Deutschen Kinos aufzuzeigen und zu erweitern.
Die wären?
Dieses Jahr stechen, sehr zu unserer Freude, besonders die Regisseur*innen hervor, der uns mit ihren Filmen regelrecht weggeblasen haben. Da finden sich mit „F for Freaks“ eine mitreißende und sehr harte Dystopie, mit „Endzeit“ ein überzeugender Zombie-Film, der einen großartigen Twist aufweist und schon auf eine Graphic Novel einer Autorin zurück geht, und mit „Pan“ ein hervorragender Mystery-Thriller. Und wir zeigen als erste in Deutschland den erfolgreichsten luxemburgischen Film aller Zeiten, „Superchamp Returns“, der im vergangenen Herbst alle Besucherrekorde gebrochen hat und auf das erfolgreichste Comic in Luxemburg zurückgeht. Nun macht uns also auch das kleine Luxemburg noch an dieser Front etwas vor. Das finde ich sehr vielsagend für den Deutschen Film.
Ich sehe immer noch eine Vorliebe für bestimmte Genres …
Es stimmt natürlich, dass auch wir von der Genrenale nur einen Ausschnitt von unterrepräsentierten Erzähl- und Ästhetik-Formen präsentieren. Eben das, wofür unser Herz am stärksten brennt. Das heißt aber nicht, dass Genrefilme die einzigen Ausdrucksformen sind, die dem deutschen Film und der deutschen Serie fehlen. Wir stellen uns jederzeit an die Seite von anderen Filmemacher-Bewegungen, die sich für Vielfalt in der deutschen Medienlandschaft stark machen. Der radikale Independent-Film braucht genauso viel mehr Sichtbarkeit und Möglichkeiten. Auch Filmemacherinnen haben es immer noch schwerer, sich in diesem System durchzusetzen. Es gibt noch viele Leerstellen im aktuellen System. Wir können mit der Genrenale aber auch nur unseren Teil beitragen und leisten.
Wie sehen Sie denn die Zukunft des Kinos? Und die des Streaming? Und wo Ihre Filme?
Die Genrenale begleitet uns nun schon seit über sechs Jahren. Bisher leider weiterhin auf dem leidenschaftlichen Level, auf dem sie 2013 spontan entstanden ist. Hauptsächlich arbeiten wir für die Genrenale am Wochenende und nachts, wenn unsere Familien schlafen. Und natürlich hinterfragen wir das Ganze oft genug, wenn wir bei schönstem Wetter am Schreibtisch sitzen und ein Festival an den Start bringen, während die Familie draußen im See badet. Dass am Ende für uns als Organisatoren finanziell nicht wirklich viel übrig bleibt, brauche ich sicherlich nicht zu erwähnen. Wir finanzieren uns weiterhin ausschließlich durch Ticketverkäufe und einige Sponsoringgelder, die wohlgemerkt in den letzten Ausgaben auch mehr und mehr zurück gegangen sind und uns (und auch etliche andere Festivals da draußen) vor große Herausforderungen stellen. Wir sind dankbar über all unsere Partner, die uns mit ihren Mitteln unterstützen, zur Seite stehen und jedes Jahr somit auch motivieren, die Flinte nicht in Korn zu werfen.
Aber auch wir werden älter und kommen mehr und mehr an unsere Grenzen, sodass wir uns ernsthaft die Frage stellen müssen, wie lange wir dies noch auf diesem Level weiterbetreiben können und was eine möglich Zukunft wäre. Wir sehen die Genrenale als eine Investition in das Medium Kino und zelebrieren ja eben dieses Gefühl, gemeinsam mit Gleichgesinnten in einem großen dunklen Saal zu sitzen, um dort die Filme zu genießen, die uns begeistern. Deswegen sollte unsere Zukunft eher im Bereich des Community-Buildings und der gemeinsamen Attraktion liegen, statt das jeder alleine vor seinem Fernseher oder Laptop sitzt und unsere Filme streamt. Wobei ich auch nicht ausschließen möchte, dass dies ein spannender Weg wäre, um die Genrenale um eine Vertriebsstruktur zu erweitern, die das Thema weiter in die Welt hinaus bringt.
Ich sehe meine persönliche Zukunft nach der Genrenale 6 daher mehr in der strategischen Ausrichtung der gesamten Mission und weniger in der Festivalorganisation. Im besten Falle findet sich für die Genrenale 7 eine Person mit derselben Leidenschaft und etwas „larger-than-life“-Attitüde, die mich bisher angetrieben haben, die die Festivalorganisation übernimmt, eigene Ideen und Ansätze mit einbringt und die Genrenale so mitformt. Ich sehe mich mehr und mehr in der Position, gezielt darüber nachzudenken, wie man die Genrenale langfristig auf solide Beine stellen kann: Wie kann man die Filmemacher*innen, die die Genrenale erst zu dem machen, was sie ist, mehr in den Vordergrund rücken? Welche Tools kann man ihnen an die Hand geben, um die Qualiät und das Bewusstsein des deutschen Genrefilms mehr und mehr zu steigern und langfristig einen Film in die Welt zu bringen, der das Fass zum Überlaufen bringt?
Ich sehe die Genrenale an vielen Stellen als möglichen Katalysator, aber diese Dinge werden ohne die notwendige finanzielle Ausstattung von öffentlichen Mitteln, Förderungen, klugen Partnerschaften oder sonstigen Quellen nicht funktionieren. Und somit geht es in meiner zukünftigen Arbeit nun darum, mehr Lobbyarbeit für den Deutschen Genrefilm und die Genrenale zu machen.
Die Genrenale 6 läuft vom 2. bis 5. Mai im „UCI Colosseum Berlin“ (Schönhauser Allee 123).