Bildungsauftrag: Homosexualität im Fernsehen
Kommen wir am Anfang gleich zur Pointe: „Stell dir vor, du bist ein lesbischer oder bisexueller Charakter in einer Serie. Die Wahrscheinlichkeit, dass du überlebst, beträgt gerade mal 60 Prozent“, rechnet der Verein Mädchenmannschaft in seiner Podcast-Reihe „Bury your gaze!“ vor. 2016 war für diese Frauen sogar das Jahr mit der höchsten Sterberate seit der Erfindung des Fernsehens. Doch auch für homosexuelle Männer gilt: Sie sterben auf dem Bildschirm häufiger als andere.
„Homosexualität im Fernsehen“ war das Thema beim Jour Fixe der Deutschen Akademie für Fernsehen (DAFF) Ende September in München, moderiert von Felix Fichtner, Produzent und Autor, und Lara Höltkemeier, Redakteurin der ARD-Soap „Sturm der Liebe“ und Vorstandsmitglied der Akademie.
Noch in der Vorstellungsrunde hob Lara Höltkemeier hervor, es sei eigentlich empörend, dass man sich im Jahr 2019 immer noch mit diesem Thema befassen müsse. Doch während sich immer neue Gruppen und Organisationen wie Queer Media Society gründeten, um den Homosexuellen im Fernsehen ein Forum zu bieten, gebe es gleichzeitig in Teilen der Gesellschaft eine Rückwärtsentwicklung, die Schwulsein ablehne und diskriminiere.
Dabei hat sich schon viel getan, seit 1987 die „Lindenstraße“ deutsche Fernsehgeschichte geschrieben hatte: Damals knutschte der Charakter Carsten Flöter mit seinem damaligen Freund im biederen Vorabendprogramm. Drei Jahre später folgte eine heiße Liebesnacht, die säckeweise Beschwerden beim WDR und Morddrohungen gegen die Schauspieler einbrachte. Die Szene kam später ins Bonner „Haus der Geschichte“.
Fichtner erinnerte sich in der folgenden Diskussion an einen seiner ersten Filme vor 20 Jahren: Der Täter ein Staatsanwalt, negativ gezeichnet – und homosexuell. Die Regisseurin Christine Hartmann berichtete dagegen von einem ihrer neuesten Filme: Das Opfer war ein schwuler Polizist, sein Umfeld und die beruflichen Probleme seien ernsthaft, vielschichtig und ohne Diskriminierung behandelt worden.
Alles in Ordnung also? Bei weitem nicht, zeigte die folgende Diskussion unter den mehr als 20 Teilnehmern, die sich nicht allein um Inhalte drehte, sondern um eine knifflige Frage der vielen Schauspieler*innen an die wenigen Agent*innen, Caster*innen, Regisseur*innen, Redaktereu*innen und Produzent*innen: Sollten, könnten, müssten sich homosexuelle Schauspieler*innen outen oder nicht?
Die Meinungen waren geteilt: Wieso?sollten sie – heterosexuelle Schauspieler*innen tun das doch auch nicht. Andererseits habe doch gerade das Fernsehen (und hier gerade die leichte Unterhaltung) einen großen Einfluss darauf, was Zuschauer*innen denken und akzeptieren – Beispiel Lindenstraße. Höltkemeier warnte da mehrmals vor dem Presserecht: Wer einmal Einblick ins Privatleben gebe, habe kaum Möglichkeiten sich vor weiteren Blicken zu schützen.
Die Angst herrscht aber nicht nur vor dem Publikum, sondern auch vor denen, die vorab entscheiden, allen voran die Fernsehredaktionen. Weniger, weil dort die Homophobie besonders verbreitet wäre, vielmehr, weil die glauben könnten, ihr Publikum zu verprellen. Deshalb rate er seinen Klienten, sich ein Outing genau zu überlegen, sagte ein Schauspielagent: Weil es sie womöglich im Laufe ihrer Karriere behindern oder festlegen würde.
Der britische Schauspieler Rupert Everett etwa hatte sich 1989 als homosexuell geoutet, es dauerte acht Jahre, bis er seine Karriere wiederbeleben konnte – als schwuler Sidekick in Die Hochzeit meines besten Freundes. Ellen DeGeneres hatte sich 1997 als lesbisch erklärt – die Einschaltquoten ihrer Sitcom Ellen sanken, im Jahr darauf wurde sie abgesetzt. Trotz fünf erfolgreicher Staffeln mit 109 Episoden stand sie vor dem wirtschaftlichen Ruin. Auch ihre damalige Freundin Anne Heche erlebte den Karriereknick. Und doch ist auch Homosexualität nicht gleich Homosexualität: Der schwule beste Freund der Heldin gehört längst zur Stammbesetzung Romantischer Komödien – Frauen, die Frauen lieben, haben es schwerer.
Seitdem hat die Welt sich weitergedreht, Serien wie „L Word“ haben die normale lesbische Liebe in mehr als 30 Ländern gezeigt, noch ehe das Streaming Grenzen überwand. Doch im wahren Leben geht es offenbar noch nicht so rosig oder wenigstens vorurteilsärmer zu, wie ein Einwurf in der Diskussion zeigte: Ob wohl ein lesbisches Outing schwieriger und seltener als ein schwules Outing sei? Zumindest sei es doch auffällig, dass seltener Frauen als Männer ihre Homosexualität öffentlich machten.
Das spiegele sich auch auf den Bildschirmen, kam ein Einwurf aus dem Publikum: Lesbische Frauen würden viel seltener als schwule Männer gezeigt. Gefühlt stimmten dem die meisten zu. Doch warum das so ist, konnte auch niemand erklären.
Das Wort „normal“ fiel an dem Abend übrigens selten, und wenn, waren die Anführungszeichen deutlich zu hören. Auch wenn Heterosexualität als „Norm“ gilt, ist sie dies doch lediglich für einen Teil der Gesellschaft, wenn auch den weitaus größeren. Zur Normalität gehört jedoch alles.
Damit konzentrierte sich die Diskussion wieder auf Inhalte: Wie wird Homosexualität in Fernsehfilmen und -serien behandelt? Und: Können heterosexuelle Autor*innen überhaupt eine homosexuelle Liebe erzählen? Klar, erklärten mehrere Teilnehmer*innen, auch mit persönlichen Beispielen. Es gehe darum, Homosexualität einfach so, als normale menschliche Eigenschaft zu erzählen – und nicht als herausgestellten Problemfall, der Thema eines Films sei.
Womöglich ist das Publikum da doch schon weiter, als manche Redakteur*innen fürchten. Die Daily-Serie „Sturm der Liebe“ erzählte eine schwule Liebe mit anschließender Hochzeit über viele Folgen; die Erfahrungen mit den Zuschauern waren sehr positiv, erzählten die Macher: Die schwule Liebe sei durch alle Zuschauerschichten gut angenommen worden, es hätte sich sogar eine eigene Fanbase für diesen Erzählstrang entwickelt.
Gerade ein reines Unterhaltungsformat wie eine tägliche Soap sei ideal, Homosexualität als „Normalität“ zu zeigen. Zudem habe Sturm der Liebe neben dem „klassischen“ weiblichen Publikum über 50 inzwischen eine große Gruppe junger Zuschauer, die das er die Mediatheken regelmäßig ansehe.
Ein Drang zu mehr Gendervielfalt wurde von allen Panel-Mitgliedern festgestellt: Homosexualität sei in Geschichten inzwischen „normaler“ geworden und vom Publikum akzeptiert. Was die Sorgen und die Vorbehalten in einigen Redaktionen, sobald schwule oder lesbische Personen in Filmstoffen vorkommen, umso unverständlicher macht.
Doch was nützt die ganze Vielfalt, wenn doch nur die veralteten und konservativen Rollenmuster durchgespielt würden? Dann geben sich am Ende der Romantik halt zwei Bräute das Ja-Wort und streiten später genauso um Abwasch und Fernbedienung. Die Macher von „Sturm der Liebe“ stimmten dem teilweise zu, hoben aber hervor, dass es sich dabei doch nur um die klassischen Traum- und Wunschvorstellungen handele, die das Publikum zu allen Zeiten und mit allen Genderpräferenzen gerne sehe. Trotzdem ertönte die Forderung, nicht bloß Etiketten auszutauschen, sondern in Zukunft auch andere Modelle als nur die klassische Paarbeziehung zu erzählen.
Denn eine Gefahr wurde auch gesehen: Dass Gender-Diversität auch zurzeit „in Mode“ sei. Darum sei es wichtig, das Erreichte auch zu erhalten. Mehr denn je gehe es darum, glaubwürdige und vielschichtige Personen und Geschichten zu erzählen, egal welche Gender-Präferenzen sie haben. Wichtig sei, dass die Zuschauer*innen mit ihren Gefühlen „andocken“ könnten. Zugleich habe das Fernsehen auch die Aufgabe, etwas über die „moderne“, vielgestaltige und vielschichtige Gesellschaft zu erzählen – gerade in Unterhaltungsformaten mit ihrer größeren Wirkung. Und nicht nur auf die reale Gender-Diversität, sondern auch in allen anderen gesellschaftlichen Fragen. Bildungsauftrag eben.
Diversität beschränkt sich nicht allein auf sexuelle Orientierung. Auch Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderungen, Weltanschauung und mehr sind Facetten der kulturellen Vielfalt. Allerdings liegen speziell für die Film- und Fernsehbranche noch keine verlässlichen Zahlen vor. Crew United ist darum Mitinitiator einer ersten branchenweiten Studie nach wissenschaftlichen Kriterien. Die Umfrage dazu soll möglichst noch in diesem Jahr erfolgen, so dass im Idealfall zur Berlinale 2020 erste Ergebnisse präsentiert werden können. Mehr dazu erfahren Sie demnächst hier.
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