Ganz so einfach ist es nicht...

2010 gewann zum ersten Mal eine Frau den »Oscar« für die beste Regie – es war die 82. Verleihung. Kathryn Bigelow (hier bei den Dreharbeiten zu Blue Steel) war zu der Zeit mit Filmen wie Gefähliche Brandung, Strange Days oder Blue Steel schon längst eine feste Größe im Action-Film. Ihr Kriegsdrama Tödliches Kommando – The Hurt Locker wurde 2010 mit sechs »Oscars« ausgezeichnet. Ihr folgendes Werk Zero Dark Thirty war in fünf Kategorien nominiert.

Talent und Fleiß allein sind nicht genug. Dass die Filmbranche so wenige Regisseurinnen hat, liegt an Strukturen und Vorurteilen. Sieben Mythen und die Fakten.

Text Skadi Loist und Peter Hartig

50 Prozent. Nicht weniger fordert die Initiative Pro Quote Film für die deutsche Produktionslandschaft. Frauen kommen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Fördermitteln zu kurz, verdienen weniger als Männer in den entsprechenden Positionen, sind in Gremien und Führungsfunktionen schwächer vertreten. Die Folge: Das Bild von der Welt, das Film und Fernsehen vermitteln, wird immer noch zum größten Teil von Männern gezeichnet – die andere Hälfte der Welt kommt kaum zu Wort. »Die Welt in Filmen hinkt der Realität hinterher«, meint Pro Quote Film dazu: »In fiktionalen Rollen arbeiten nur 20 Prozent der Frauen, davon nur 1 Prozent als Managerinnen, Politikerinnen oder Wissenschaftlerinnen.«
Zwar wird seit der Gründung der Initiative vor vier Jahren rege über eine Quote diskutiert, der große Wandel steht aber noch aus, wie zuletzt der (inzwischen fünfte) Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie zeigte, der auf den RegieTagen im November vorgestellt wurde. Alles andere wäre auch überraschend gewesen. Denn der Diversitätsbericht untersuchte die Produktionen des vorangegangenen Jahres, die bereits gelaufen oder gesendet waren. Die meisten befanden sich also schon in Arbeit, ehe sich zum Beispiel die ARD-Produktionstochter Degeto auf eine freiwillige Regie-Quote von 20 Prozent selbst verpflichtete. Ob dieser reduzierte Anspruch tatsächlich umgesetzt wurde, wird also erst der nächste Diversitätsbericht zeigen.
Doch eine Quote wird von vielen abgelehnt: Allein durch Talent und Fleiß beweise sich, wer auf den Regiestuhl passt. Also seien die Chancen doch gleich, und eine Frau mehr oder weniger selbst schuld, wenn sie nicht das Zeug dazu hat, argumentieren die Gegner der Quote.
Etliche Studien in mehreren Ländern widersprechen dem: Strukturen und Geschlechtervorurteile der Branche machen es auch den fleißigsten Talenten schwerer, wenn die in einem weiblichen Körper stecken. Deutsche Regisseure haben zurzeit eine Männerquote von 85 Prozent, Filmfördermittel streichen sie sogar zu 90 Prozent ein.
»Above the Line« wird die Luft für dünn – in fast allen Sparten. Das Problem ist global, selbst Amerika hat es nicht besser: Erst 2010 erhielt mit Kathryn Bigelow für The Hurt Locker erstmals eine Frau den »Oscar« für die beste Regie – es war die 82. Verleihung. Weitere acht Jahre dauerte es, bis Rachel Morrison als erste Kamerafrau überhaupt in ihrer Kategorie mit Mudbound für einen »Oscar« nominiert wurde.

Den Vorurteilen und Mythen ist damit kaum beizukommen. Die Medienwissenschaftlerin Skadi Loist hat darum den sieben gängigsten dieser Argumente, wie es zur Benachteiligung von Frauen und Minoritäten in der Filmbranche komme, die Ergebnisse der vielen Studien gegenübergestellt. Wir listen sie hier in Kurzform auf. Loists Artikel Gendered Media Industries. Argumente für eine geschlechtergerechte und diverse Filmindustrie ist mit allen Quellenangaben im Oktober in Navigationen – Zeitschrift für Medien und Kulturwissenschaften erschienen.

Mythos 1: Die Medienbranche ist geschlechterneutral. Allein Qualität entscheidet darüber, wer sich durchsetzt.

Viele Entscheidungen in der Filmbranche werden subjektiv gefällt – von der Unterstützung von Filmideen bis zu Kooperationspartnerschaften. Für die FFA-Studie Gender und Film von 2017 hatten viele Filmschaffende ›Bauchgefühl‹, eigenes inhaltliches Interesse und Vertrauen zu den Akteuren als entscheidend angegeben.

Stereotype Zuschreibungen werden weiter verstärkt, wenn Entscheidungsgremien homogen besetzt sind. Viele Gremien und Redaktionen setzen sich aus weißen, älteren Männern aus der Mittelschicht zusammen. Je höher die Hierarchie, desto höher ist die Männerquote.

Filme, die von Männern realisiert werden, haben größeren kommerziellen Erfolg. Filme, die von Frauen realisiert werden, sind bei Kritik und Jurys angesehener.

Filme von Regisseurinnen sind häufiger auf Filmfestivals zu sehen, haben einen längeren Festivallauf und gewinnen häufiger Preise. Die Studie Wer dreht deutsche Kinofilme? zeigt, dass 58 Prozent der deutschen Kinoproduktionen von 2009 bis 2013 mit weiblicher und 46 Prozent mit männlicher Regie Preise gewannen.

Allerdings: Mehrheitlich männlich besetzte Jurys vergeben eher Preise an Projekte mit männlicher Leitung und mit männlichem Blickwinkel.

Auf den meisten Filmfestivals (besonders in prestigeträchtigen Sektionen der sogenannten A-Festivals) sind Regisseurinnen deutlich unterrepräsentiert.

Mythos 2: Es gibt nicht genug (gute) Frauen in der Branche.

Fehlende Chancen und die deutlich schlechtere Bezahlung führen fast logischerweise dazu, dass Frauen ihre erlernten Berufe verlassen und in andere (branchennahe) Positionen ausweichen.

In Deutschland sind durchschnittlich 40 Prozent der Filmhochschul-Alumni Frauen. In Studiengängen wie Regie, Montage, Produktion und Drehbuch ist knapp die Hälfte der Studierenden weiblich. Szenografie studieren überwiegend Frauen, Ton und Sounddesign und Kinematografie überwiegend Männer.

Debüt- und Nachwuchsfilme zeigen noch eine gute Rate an Filmen von Frauen. Das ändert sich ab dem zweiten oder dritten Film – und das ist entscheidend dafür, wer in der Branche dauerhaft Fuß fasst. Sowohl bei den erfolgreichsten US-amerikanischen Filmen einer Dekade (2007-2017) als auch in der französischen Produktionslandschaft (2006-2016) sinkt der Anteil von Regisseurinnen gegenüber männlichen Kollegen, die mehrere Projekte in diesem Zeitraum realisieren konnten, rapide.

Budgets von Filmen mit weiblicher Regie sind in der Regel geringer, zeigt die Studie Cut out of the Picture des britischen Regieverbands Directors UK.

Das »Gender Pay Gap« beträgt in der deutschen Filmbranche durchschnittlich 25 Prozent. Bei der Regie liegt der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern sogar bei 88 Prozent. Für Österreich zeigte sich, dass bei 34 Prozent weiblich besetzten Stabsstellen im Filmbereich nur 29 Prozent der Honorare ausgeschüttet wurden. Bei Fernsehproduktionen waren die Unterschiede noch größer.

Mythos 3: Filme von Frauen sind nicht so erfolgreich.

Filme von Frauen haben gegenüber Filmen mit männlicher Regie durchschnittlich geringere Besucherzahlen und spielen somit weniger Geld ein.

Die durchschnittliche Förderung von Filmprojekten mit weiblicher Regie ist in Europa in allen Ländern geringer als für die von männlichen. In Deutschland erhalten Frauen für ihre Projekte durchschnittlich ein Drittel weniger Förderung als Männer.

Regisseurinnen steht ein geringeres Budget zur Verfügung. Sie bekommen nur etwas mehr als die Hälfte der Mittel je Produktion. Filme mit sehr hohen Budgets werden fast ausschließlich von männlichen Regisseuren gemacht.

In der europäischen Studie Where Are the Women Directors? wurde ein Fragebogen zu entsprechenden genderstereotypen Vorurteilen ausgewertet. Fast ein Drittel der 900 Befragten sieht einen negativen Effekt für öffentliche Förderung, über die Hälfte für private Finanzierung, wenn die Regie mit einer Frau besetzt ist.

Das geringere Gesamtbudget führt zu kleineren Werbeetats, folglich weniger Publikum.

Verleiher vertreiben Filme von Regisseurinnen mit geringeren Kopienzahlen. Im Independent-Bereich werden solche Produktionen meist von kleineren Verleihern gekauft und klein gestartet.

Zwischen 2013 und 2015 stammten nur 15 Prozent der weltweit gestarteten neuen Filme von Frauen. An der Gesamtzahl aller Kinoaufführungen machte ihr Anteil sogar nur noch 3 Prozent aus.

Auch die Filmkritik wird von Männern dominiert. Männliche Kritiker schreiben seltener über Filme von Frauen und bewerten diese dann oft schlechter als ihre Kolleginnen.

Mythos 4: Frauen können sich nicht durchsetzen.

Die Studie Gender und Film der FFA hat herausgearbeitet, dass bestimmte Berufe wie Regie und Produktion eher als »männlich« gelten. Frauen werden (auch trotz erfolgreicher früherer Produktionen) stärker als Risiko gesehen.

Das gilt auch für Männer, die Minderheiten angehören. Bei Frauen werden die Vorurteile dadurch sogar noch verstärkt.

Zusätzlich verlieren die Betroffenen weitere Zeit und Energie, weil sie sich ständig bewähren und konstant Strategien entwickeln mussen, wie sie mit dem Bias umgehen.

Der Weinstein-Skandal und die aktuelle Vernetzung von Feministinnen in der Filmbranche zeigen, dass die patriarchalen Machthierarchien universell sind. Filmemacherinnen sehen sich (mit kulturellen Variationen) von Deutschland bis Süd-Korea den gleichen Problemen gegenüber.

»Dreharbeiten sind Krieg« lautet eine Spruchweisheit der Branche. Im Zuge der Diskussion um Quoten und Machtmissbrauch wird auch dieses Credo allmählich in Frage gestellt, zunehmend äußern sich Regisseurinnen und Regisseure zu Wort, die Kommunikation und Offenheit am Set schätzen und nicht der alten Idee folgen wollen, dass Regisseurinnen ihre Arbeitsweise ›männlicher‹ machen mussen, um zu bestehen.

Mythos 5: Frauen netzwerken nicht.

In der FFA-Studie wurden bestehende Seilschaften und intransparente Entscheidungskriterien als stärkste Barrieren genannt.

In Where Are All the Women Directors? wurden auf europäischer Ebene fehlende Netzwerke als die niedrigste Hürde für Frauen eingestuft. Als schlimmer galten (in dieser Reihenfolge) der kompetitive Wettbewerb um Fördermittel, das Fehlen von Vorbildern und die Betreuung für Familienangehörige.

Frauen in »Above-the-line«-Positionen holen weitere Frauen in andere kreative Schlüsselpositionen. Laut FFA-Studie kooperieren Produzentinnen doppelt so oft mit einer Regisseurin, mehr als doppelt so oft mit einer Autorin und auch deutlich häufiger mit Szenografinnen. Regisseurinnen arbeiten öfter mit Drehbuchautorinnen und Kamerafrauen zusammen. Auch Studien in Österreich und Großbritannien stellen einen generellen Anstieg von Frauen in anderen Stabstellen fest, wenn eine Frau Regie führt. Zugleich haben Studien in allen drei Ländern herausgefunden, dass bei Produktionen, in denen mehr Frauen kreative Leitungspositionen besetzen, auch mehr weibliche Protagonisten vorkommen.

Wem nützen die alten Strukturen? Männern! Für die australische Filmbranche wurde herausgefunden, dass drei von vier männlichen Produzenten in einem Zeitraum von zehn Jahren mit keiner oder nur einer einzigen Frau in einer leitenden kreativen Position zusammengearbeitet hat. Ein Vergleich der Daten mit den Filmindustrien in Deutschland und Schweden zeigte, dass hier jeweils sehr ähnliche Genderverteilungen vorhanden sind.

Mythos 6: Frauen wollen keine Genre-Filme machen.

Prestigeträchtige Krimiformate wie Tatort oder Polizeiruf 110 werden in Deutschland vornehmlich von Männern gedreht. Die TV-Krimis zur Hauptsendezeit entstehen in der ARD zu 14 Prozent und im ZDF zu 0 Prozent unter weiblicher Regie.

Der Anteil von Regisseurinnen ist in Vorabendserien, die in der Regel über geringere Budgets und weniger Renommee verfügen, etwas höher. Ähnlich verhält es sich bei Dokumentar- und Kurzfilmen. Hier ist der Anteil von weiblichen Filmschaffenden deutlich höher als im Langspielfilmbereich.

Filme mit weiblicher Regie unterscheiden sich in Inhalten und Sichtweisen: Häufiger stehen weibliche Figuren im Zentrum, die Geschichte wird aus deren Sicht erzählt und dreht sich um Romantik und Beziehungen. Das besagt die Studie Female Directors in European Films der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle und folgert daraus: Regisseurinnen werden Filme mit einem weiblichen Zielpublikum anvertraut, anscheinend werde ihnen nicht die Chance gegeben, andere Filme zu inszenieren.

In Großbritannien werden vor allem Dokumentationen, Musikfilme, Romantische Komödien, Biografien und Familienfilme von weiblichen Regisseuren inszeniert. Das weibliche Publikum hingegen bevorzugt die Genres Komödie, Drama, Thriller, Romantik, Familenfilm und Action. Der Bericht für den britischen Regieverband Directors UK schließt daraus, dass Regisseurinnen unverhältnismäßig oft davon abgehalten würden, die Genres zu verfilmen, die sie interessierten.

Ähnlich zeigt sich das bei populären US-amerikanischen Genre-Produktionen: Frauen verfilmen dort vor allem Drama und Comedy. Verschwindend gering sind ihre Chancen, in einem anderen Genre wie Action (1:60), Sciece-Fiction/Fantasy (1:44), Thriller (1:37) oder Horror (1:30) zu inszenieren.

Mythos 7: Frauen machen andere Filme.

Das Geschlecht der Regisseure hat keinen Einfluss auf die Entscheidung, einen Film zu sehen, gaben die Befragten in der europäischen Studie Where Are All the Women Directors? an. Drei Viertel von ihnen waren allerdings der Meinung, dass sich daraus ein Unterschied für die Umsetzung eines Themas ergibt.

Nach aktuellen Erhebungen ist nur ein Drittel aller Filmrollen in Hollywood weiblich. Gleiches gilt für die Protagonistinnen im deutschen fiktionalen Fernsehen und im Kinderfernsehen.

Mehr weibliche Kreative hinter der Kamera führen zu diverseren Geschichten, mit einer größeren Bandbreite an Figuren und mit stärkerer Figurentiefe – auch für männliche Charaktere. Das haben zwei Masterarbeiten an der Universität Rostock und Untersuchungen des Österreichischen Filminstituts dargelegt.

Das Publikum schätzt komplexe Figuren. Als eines der hervorstechenden Merkmale dänischer Fernsehserien nannten deutsche Zuschauer die Frauenfiguren: Sie dürfen unter anderem über 40 sein, alleinerziehend und neben ihrem Kommissarinnenjob ein Privatleben haben. Diese Komplexität gilt übrigens genauso fur alle anderen Figuren.

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