Über dem Tellerrand

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Lisa Jopt, Schauspielerin und Vorsitzende des ensemble-netzwerks e.V. - (c) Foto: Julia Nimke Photography

Engagiert Euch! Das sagt sich so leicht … und ist es eigentlich auch. Lisa Jopt ist Vorsitzende des Ensemble-Netzwerks, das sich vor drei Jahren gründete. In ihrer Impulsrede zur Diskussion Film but Fair erzählte sie, wie die Schauspieler an deutschen Theatern das gemacht haben.

Text Lisa Jopt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage jetzt einfach mal Kolleginnen und Kollegen, denn so fühle ich es. Obschon ich vom Theater komme, tun wir, die wir alle hier heute aus den unterschiedlichsten Abteilungen beim »Fair Film Award« sind, das Gleiche: Wir arbeiten für die Darstellenden Künste. Ob Theater, Film oder Fernsehen – wir sind mit unseren vielen unterschiedlichen Berufen und Departements eine absolut wichtige und tragende Säule unserer freien, demokratischen Gesellschaft und Bedeutungsträger unserer kulturellen Vielschichtigkeit.
Aber warum stehe ausgerechnet ich heute hier? Sie kennen mich nicht aus dem Fernsehen. Ich bin keine prominente Persönlichkeit, die sich medienwirksam für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzten könnte. Ich bin auch keine Politikerin, die Entscheidungsgewalt hätte.
Nein, ich bin bloß eine Schauspielerin, die hauptsächlich am Theater beschäftigt ist und die seit sieben Jahren meist peinlichst unterbezahlt an öffentlich geförderten Theatern spielt. Am Schauspiel Essen, am Oldenburgischen Staatstheater oder eben jetzt am Schauspielhaus Bochum.
Und als ich ans Theater kam und mein großer Traum, Schauspielerin zu werden, sich endlich erfüllte, habe ich früh erkennen müssen, dass mein Traumberuf und die Arbeitsrealität unverschämt weit auseinanderliegen. Wie wohl die meisten hier, denn sonst würde es den »Fair Film Award« wohl nicht geben. Vielleicht kommt Ihnen folgende Aussage bekannt vor, selbst, wenn die meisten hier freischaffend sind: Es wird zu viel produziert. In zu kurzer Zeit. Mit zu wenig Leuten. Und zu wenig Geld. Das ist ein massives Problem an vielen Theatern, aber der Frust darüber kanalisiert sich eher in der Kantine oder der Kneipe. Viel Gemekker und Beschwerde von tollen, gestanden Künstler/innen über »die da oben«.
Und je länger man diesem Negativ-Narrativ ausgesetzt ist, dieser sich selbst wiederholenden Hilflosigkeitsbekundung, desto mehr hat man den Eindruck, man könne tatsächlich nichts verändern. Denn wenn die Kolleg/innen, die schon so viel mehr Erfahrung haben als ich, die tolle Schauspieler/innen sind, das nicht können, dann geht es wohl auch wirklich nicht. »So ist das halt am Theater.«

Eine Resignation hatte sich breit gemacht, die sich mit einem Rückzug ins Private, Einzelgängertum oder in zu vielen Feierabendbieren zeigte. Eine traditionelle Erzählung, die angeblich zur Künstler/innen-DNA gehört, sollte nun angeblich auch meine Berufsrealität sein. Meine Lebensperspektive bestimmen. Wir nennen das heute übrigens Theaterfolklore.

Jetzt fragt man sich, warum man es unter solchen Umständen so lange am Theater aushält? Weil wir alle durch unser kurzzeitiges, intensives projektbasiertes Arbeiten ein ebenso kurzzeitiges und intensives Familiengefühl bekommen. Und wir wollen in dieser Familie nicht nur vorkommen, sondern auch einen sicheren Platz haben und etwas, was wir einmal errungenen haben, behalten.
Denn es ist ja leider immer wieder so schnell vorbei. Und so hat sich eine allgemeingültige Währung zwischen allen dagewesenen und zukünftigen Projekt-Familien entwickelt, die in ein Netzwerk mit einem alternativen Entlohungssystem münden. Diese Währung entschädigt für fast alles, ist ziemlich belastbar, und man kriegt uns damit nahezu immer entschädigt. In dem Buch Wir Kreative. von unserer Moderatorin Lisa Basten (cinearte 390) kann man mehr dazu lesen. Unsere Währung besteht aus der Hoffnung und Vernetzung. Entdeckt zu werden, sich Prestige zu erarbeiten, dass gut über einen geredet wird, oder dass es einfach weitergehen möge irgendwie, der normalen Hoffnung auf Erfolg, auf Verknüpfung mit erfolgreichen Menschen, weiterempfohlen zu werden, oder einfach keinen künstlerischen Liebesentzug zu bekommen und in der Gunst von jemandem zu stehen oder zu bestehen. Oder einfach eine Daseinsberechtigung zu haben und keine Angst zu haben, diese verlieren zu müssen.
Machen haben besondere Aktien in dieser Währung, wir haben sie natürlich alle, aber es gibt eben auch welche, die das richtig beherrschen, vielleicht kennen Sie das? Die lassen gerne wichtige Namen fallen, Namedropping, und, das ist das Beste: wenn in Abwesenheit prominenter Menschen nur noch deren Vorname benutzt wird. Bei uns in der Branche wäre das der Frank (Castorf). Oder der Armin (Petras) oder der Johann (Simons).

Wir geben uns unseren Arbeitsbedingungen aber nicht nur wegen der Furcht vor künstlerischem Liebesentzug hin, sondern auch, weil wir wirklich große Freude an Herausforderungen haben – wir lieben unsre Berufe über alles. Wir stehen mit unserer Liebe und Leidenschaft dem Gefühl der entfremdeten Lohnarbeit gegenüber. Wir haben es uns selber ausgesucht, sind dankbar, dass wir überhaupt als das arbeiten dürfen und wussten »angeblich« vorher, worauf wir uns einlassen. Sprich: Wir sind selber schuld.
Ich bin vor dreieinhalb Jahren mit einem neuen künstlerischen Team ans Oldenburgische Staatstheater gekommen. Und weil alle entweder von der Schauspielschule oder von anderen Theatern zusammenkamen, habe ich dem Ensemble ein Frage gestellt, die zuvor noch nie! nie! (das muss man sich mal vorstellen), einem Ensemble gestellt wurde: Was brauchen wir eigentlich, um künstlerisch arbeiten zu können?
Darauf wusste erstmals keiner eine Antwort. Ich schlug daraufhin vor, eine in unserem Bereich heilige Kuh schlachten zu lassen, nämlich die Samstagsproben abzuschaffen.
Sie müssen dazu wissen: Wir proben montags bis freitags von 10 bis 14 und von 18 bis 22 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr, und an den Wochenenden hat man oft Vorstellungen. Wir erfahren meist erst einen Tag vorher, ob man wirklich dran ist oder frei hat. Das macht die Planung des Privatlebens sehr schwierig, man kann sich unseren Vertrag wie eine Theater-Flatrate vorstellen – all inclusive und nahezu immer disponierbar.
Es passierte damals locker, dass man länger als zehn Tage keinen freien Tag hat. Das ist übrigens illegal, aber, und jetzt kommen wir zum springenden Punkt: das wussten zu dem Zeitpunkt nur die wenigsten. Mit ihrem guten Recht kannte sich kaum einer aus. Gewerkschaft hielten viele für einen zahnlosen Tiger, wenn sie denn überhaupt wussten, dass es eine Gewerkschaft gibt. Auch mit Personalräten wusste man nicht viel anzufangen. Die Initiative Artbutfair kannte man höchstens vom Hörensagen. Und überhaupt herrschte die Meinung vor, man muss dankbar sein, dass man ein Engagement hat.

Den Instrumenten der Interessenvertretung haftet leider, leider bis heute der Impetus der entfremdeten Lohnarbeit an. Das Gewand, in dem manche Gewerkschaften oder manche Verbände herkommen, ist immer wieder staubig und oll, es zieht Kreative nicht an, es stößt sie ab. Und es wirft auch schon mal ein negatives Licht auf die, die sich engagieren, weil sie ihren Beruf lieben und nicht, weil sie erfolglos sind.
Aber zurück nach Oldenburg. Eh wir uns versahen, hatten wir durch konstruktive Gespräche mit der Leitung die sagenumwobenen Samstagsproben auf ein Minimum reduziert. Und weil in Oldenburg plötzlich so viele Kleinigkeiten, die in unserem Alltag echte Großigkeiten sind, verbessern konnten, haben meine Kollegin Johanna Lücke und ich das Ensemble-Netzwerk gegründet. Denn wir wollten wissen, wie es an anderen Häusern so zugeht. Wir haben uns also aus einer positiven Erfahrung heraus gegründet, nicht aus Frust! Eine Flut von Mails überschwemmte uns: »Endlich macht mal einer was!« – »Ich hatte Trä- nen in den Augen …« – »Auf so was warte ich schon seit 20 Jahren.«

Mittlerweile sind wir ein eingetragener, gemeinnütziger Verein mit mehreren hundert Mitgliedern durch alle Abteilungen. Aus »So ist das halt am Theater« wurde »Lass mal fragen, ob wir das anders machen können.« Denn man spürt deutlich: Wir sind eine neue Generation. Die meisten von uns sind mehr oder weniger behütet in liebevollen Familien oder Patchwork-Familien groß geworden. Unsere Eltern haben keinen Krieg erlebt. Wir sind nicht die Generation, deren Erziehungsbild von Gehorsam geprägt wurde. Wir wissen, dass wir durchs Internet alle Informationen bekommen können, die wir brauchen, wir interessieren uns für Partizipation, flache Hierarchien, Gerechtigkeit und Transparenz.
Uns wurde immer gesagt: Wenn ihr per Tarifvertrag eine höhere Gage haben wollt, dann müssen die Theater im Osten schließen, und das wollt ihr ja wohl nicht. Durch unsere Arbeit haben wir es aber geschafft, dass an drei Theatern die Anfängergage von 1.850 auf 2.300 Euro brutto erhöht wurde – also um 450 Euro! In ein paar Tagen kommt die nächste Pressemitteilung raus, denn wir wissen, dass ein Haus auf 2.400 erhöhen wird. Wir als Ensemble-Netzwerk haben dafür das Fundament gelegt, aber die Theaterleitungen haben es durchgesetzt! An sehr vielen Häusern wird mittlerweile so vorausschauend geplant, dass an den Samstagen nicht mehr geprobt werden muss. Da freuen sich die Familien und die etlichen Fernbeziehungen drüber. Und entgegen der Prophezeiungen der Kenner unserer Branche sind die Häuser nicht zusammengebrochen.

Wie haben wir das geschafft? Und jetzt kommen wir zu der Antwort, warum ich hier heute stehen darf: Wir bitten um Hilfe. Wir klagen niemanden an, sondern wir informieren mit den Mitteln, die wir haben. Und das macht Spaß! Wir stellen niemanden in die Ecke, nicht unsere Intendanten, nicht unsere kaufmännischen Direktoren … naja, am Anfang schon unsere Gewerkschaft, das möchte ich mal zugeben. Wir haben uns in das komplexe Geflecht aus zusammenhängenden Strukturen eingearbeitet und herausgefunden, wo wir ansetzen müssen. Die Gewerkschaften unterstützen und ihnen richtig einheizen, die Arbeitgeberseite informieren, charmant beschämen und mit den Leuten zusammenhalten, die dort Reformer sind.
Daher hat sich auch niemand verraten gefühlt, wenn ich der Presse erzählt habe, dass mein Theater mir damals, einer diplomierten Schauspielerin an einem öffentlich geförderten Theater, 2.210 Euro brutto, 1.380 netto bei einer erlaubten Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zahlt. Textlernen in den vier Stunden Freizeit. Im sechsten Berufsjahr! Mit der Qualifikation, die wir haben, nämlich einem Hochschulabschluss, müssten wir eigentlich laut Tariftabelle des öffentlichen Dienstes bei zirka 2.500 brutto liegen.
Vielleicht kennen Sie die großartige Rede von dem ehemaligen Kameramann Stefan Nowak über seine Arbeitsrealität als Freischaffender? Neben seiner charmanten und bildlichen Darstellung beschreibt er, dass die Honorare in der Branche seit 20 Jahren nicht gestiegen sind und sich deswegen die Honorarforderungen der Auftragnehmer immer weiter senken. Tendenz: es geht weiter nach unten.
Wir haben sodann bei unserer ersten bundesweiten Ensemble-Versammlung die Fotoaktionen »Nassen Bühnenkünstler*innen glaubt man« gemacht. Wir haben mit der Dramaturgischen Gesellschaft und dem Bund der Szenorafen gemeinsam die Aktion »40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten« ins Leben gerufen. Denn die sind für das Geld verantwortlich, und die sollten wissen, wie wir arbeiten und zu welchen Konditionen. Und was ist bei diesen Gesprä- chen passiert? Die Abgeordneten waren dankbar bis beschämt, dass wir ihnen über unsere Bühnenrealität berichtet haben, denn das wussten sie nicht. Wir haben ihnen Nachhilfe gegeben.
Wir legen viel Wert darauf, dass wir mit unserer Lobbyarbeit Menschen unterhalten und irgendwie eine Art von Kunst passiert. Dabei benutzen wir die uns zur Verfügung stehenden Mittel. Also Wasser, Schlamm, Bademäntel, Tüll, Blut, Glitzer. Denn das ist es, was wir gelernt haben: den Finger in die Wunde zu legen in einer ästhetischen Form. Und wir sind noch lange nicht am Ende mit unseren Ideen.

Kreativ werden wir auch sein müssen, denn wir haben alle noch viel vor. Sei es die angemessene Vergütung für alle, die Beseitigung des Gender Pay Gaps, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Zusammenhalt untereinander bei strukturellem Machtmissbrauch oder auch sexuellen Übergriffen, das Wiederspiegeln einer multikulturellen und multisexuellen Gesellschaft in der Besetzungspolitik oder den Erhalt der Rundfunkgebühren.
Am 4. März wird in der Schweiz per Volksentscheid über die Abschaffung der Billag, der öffentlichen Rundfunkgebühr, abgestimmt. Es wird die AfD hier in Deutschland ein müdes Lächeln kosten, diese Sau auch bei uns durchs Dorf zu jagen. Denn sie fordern in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der Rundfunkgebühr. Was das für die inhaltliche Ausrichtung bedeutet, wenn Investoren das Maß der Dinge werden, können sie sich vorstellen.
Wir müssen uns jetzt der Öffentlichkeit zeigen. Jetzt, wo #metoo sowohl Fragen nach sexuellen Übergriffen, aber auch dem Umgang von Macht und Willkür stellt. Jetzt, wo der »Deutsche Fernsehpreis« barbusige Tänzerinnen im Bananenrock auftreten lässt. Wo eine hauptsächlich männliche Jury, hauptsächlich Männern Preise verleiht. Jetzt, wo aus Pro Quote Regie Pro Quote Film wurde – herzlichen Glückwunsch! Jetzt, wo der Verband der Drehbuchautoren dabei ist, sich Anerkennung zu verschaffen. Jetzt, jetzt, jetzt – es gibt tausend Gründe!
Daher lade ich Sie hiermit alle ein, am 6. Mai an der bundesweit ersten Parade der Darstellenden Künste rund um das Schauspielhaus Bochum teilzunehmen. Gehen Sie auf die Straße und zeigen Sie, dass wir eine unverzichtbare Säule unserer freien, demokratischen Gesellschaft sind, aber auch, dass wir dafür Anerkennung, Respekt und Fairness brauchen. Und zwar jetzt!
Und Fairness, das möchte ich abschließend betonen, zeugt nicht von weichgespültem Kunstinteresse, es zeugt von großem Bewusstsein und Intelligenz. Daher sind für mich alle Nominierten bereits schon jetzt die absoluten Gewinner.

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