Alle gucken hin, doch keiner schaut zu – warum die Quote Quatsch ist

Auch Kunst macht Quote: Besucher im Louvre, die „Mona Lisa“ betrachtend | Foto © Frank Cullmann

„Blickpunkt Film“ hat im neuen Heft einen Artikel über eine geplante Verfeinerung der Quotenmessung veröffentlicht, teilt mir ein Kollege mit. Wäre das nicht einen Beitrag wert? Weil erstens doch zur Zeit die Quote mal wieder heftig diskutiert wird und zweitens nun endlich auch das Fernsehgucken über andere Geräte wie Smartphone, Tablet und Computer berücksichtigt werde …

Nö, finde ich nicht. Und zwar nicht, weil die Fernsehforscher der deutschen Sender darüber ja schon seit mindestens sechs Jahren nachdenken und man in den USA da schon vor Monaten ein ganzes Stück weiter gekommen ist, sondern weil ich Quoten generell für Quatsch halte. Und wer jetzt noch weiterlesen mag, dem erkläre ich auch gerne, warum.

Es geht mir nicht um das übliche Scheinargument von Qualität versus Quote. Ich glaube nicht, dass ein Film nur deshalb gut ist, weil ihn keiner sehen will, oder umgekehrt: Nur weil ein Film Erfolg hat, muss er ja nicht schlecht sein. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Kein Mensch wird ernsthaft behaupten wollen, dass der beste Hamburger der Welt in den Schnellrestaurants mit dem gelben M gebraten werden, nur weil er dort milliardenweise verzehrt wird. Aber er hat dort offensichtlich das bessere Marketing.

Darum verstehe ich auch die Nöte eines Programmplaners oder Filmverleihers, der sich den Unwägbarkeiten des Besuchererfolgs aussetzt und hofft, sein Risiko zu senken, wenn er sich auf ein paar Zahlen stützen kann. Oft geht das gut, mitunter aber auch nicht, und das liegt daran, dass die Begeisterung der Zuschauer zwar immer ein Risiko darstellt, vor allem aber unwägbar ist. Ein Risiko lässt sich einigermaßen berechnen, Unwägbarkeiten nicht. Die Entscheidungstheorie kennt das als Ellsberg-Paradoxon und behilft sich darum, wenn man ins Ungewisse planen muss, mit einer Reihe von Kriterien, deren Wahrscheinlichkeit sich irgendwie berechnen lässt. Blockbuster etwa werden aus bewährten wahrscheinlichen Erfolgsfaktoren zusammengesetzt – von Thema und Genre bis zur Besetzung. Sicher ist der Erfolg aber auch damit nicht automatisch, selbst wenn man weiß, dass deren Publikum eher unter 30 ist, während sich überdurchschnittlich viele Großstädter und Singles einen Woody-Allen-Film ansehen.

Beim Fernsehen mag die Quote gar noch eine wichtigere Rolle spielen. Sie misst zwar nur ein Ergebnis, das bereits eingetroffen ist, bietet aber wenigstens für Serien, Reihen, vielleicht sogar für Sendeplätze einen Anhaltspunkt. Es gehört dennoch eine Portion Optimismus dazu, dieses Ergebnis als Prognose für einen anderen Film zu benutzen – es sei denn, der erzählt keine allzu andere Geschichte oder hat die immer selbe beliebte Hauptdarstellerin.

Die Klagen über solche Programmeinfalt gehören zu jeder anständigen Quotendiskussion. Aber vielleicht will es der durchschnittliche Zuschauer auch nicht anders. Aber vielleicht denken auch nur Programmplaner so, und dem durchschnittlichen Zuschauer würde auch ganz anderes gefallen, wenn man ihn nur ließe, meint zum Beispiel der Regisseur Hans Weingartner.

Man könnte auch die Beispiele von gefeierten Fernsehserien und Kinofilmen anführen, die schwach starteten oder in anderen Ländern nicht an ihren Erfolg anknüpfen konnten. Doch all das kann man auch getrost beiseite lassen. Weil Marktforscher und Unternehmer zur Risikominimierung zwar die Quote brauchen mögen, Kreative sie aber meiden sollten. Denn „Kunst“ (im weitestmöglichen Sinne des Wortes) soll zuallererst nur eines sein: anders!

Womit ich nicht bedenkenschwerem Sperrgut das Wort reden will, das mir das Leben noch dunkler macht. Auch Unterhaltung ist nur unterhaltend, wenn sie frisch ist, überrascht, überwältigt, mitreißt. Und das kann selten Kram, der nach dem immergleichen Strickmuster kreativer Sicherheitsfanatiker zusammengestöpselt wird und sich mit der Quote von der Strömung treiben lässt, immer flussabwärts.

Wohin das führt, zeigt uns zum Beispiel der Louvre in Paris – und das gleich zweimal: Als vor gut 25 Jahren der Architekt Ieoh Ming Pei eine Glaspyramide als Eingang in den Hof des alten Kunstmuseums setzte, spottete die Welt und nur wenige fanden es schön. Heute ist sie eines der Wahrzeichen der Stadt. Und drinnen im Museum hängt Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, eines der berühmtesten Gemälde der Welt, Inspiration für Lieder und Filme, kurz: so verehrt, dass man gar nicht mal zu diskutieren wagt, ob man das Bild tatsächlich so toll findet. Der Louvre jedenfalls verdankt ihm den größten Teil eines Besucherandrangs, der sich kaum mehr bewältigen lässt: 80 Prozent kommen nur, um sich die „Mona Lisa“ anzuschauen, wusste die DPA im April 2009. Eine Traumquote!

Und die bedeutet auch, dass sich alle um das kleine Porträt drängen und die ganze übrige Kunst nicht mehr sehen. Keiner guckt nach rechts oder linksund etliche nicht mal mehr nach vorne. Dabeisein ist alles.

Ähnliches kann man im Prado in Madrid erleben, wenn auch nicht ganz so extrem. Dabei hat Diego Velàzquez noch viel Tolleres gemalt als seine Hoffräulein, Las Meninas. Gleich nebenan zu sehen, wenn man nur hinschaut.

Aber so funktioniert der Mensch, ob’s um Kultur geht oder anderes: Die Mehrheit folgt einer Meinung und bildet sie damit. Dass sie aber nicht immer recht hat, wissen wir nicht erst, seit uns Herrn Dobelli das Denken erklärt und damit selbst ein gutes Beispiel für die Sogwirkung der Schwarmbegeisterung geliefert hat. Weil ich einige der Sachen, die der ehemalige Manager da abgeschrieben hat, inzwischen selber gelesen habe, geht’s mir ähnlich wie vielen anderen Lesern, doch ich verstehe auch den Erfolg – schnell, nicht zu schwer und mit hübschen Bildern. So funktionieren Blockbuster. Wenn es zum Selberdenken anregt, ist das auch ganz gut so. So funktioniert Kultur.

Bloß möchte ich nicht im Museum eines Tages nur noch die Bilder vorgesetzt bekommen, die möglichst viele Leute anziehen (die dann noch nicht mal richtig hingucken). Und wer jetzt meint, ich soll mal nicht übertreiben, weil es ja so schlimm nicht kommen wird, der staune über diese Zahl: Etwa 25.000 Opern gibt es, nur etwa 100 davon werden regelmäßig gespielt. Schlecht sind sie deshalb nicht – nur halt die immergleichen.

 

2 Kommentare
  1. hardbonemac sagte:

    Und fast 100% der Menschen atmen ein und dan..wieder aus.

    Was für eine verdammich gute Quote..aber auch

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