Irgendwas mit Medien
Es rumort an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München, berichtete vorige Woche die „Abendzeitung“. Die älteste Filmschule der alten Bundesrepublik hat zwar im vorigen Herbst einen imposanten und teuren Neubau bezogen, doch die Studenten sind offenbar unzufrieden damit, wie das Gebäude gefüllt wird. Das hatten sie zwar schon im April geäußert und es wird schon länger eifrig diskutiert, aber wir freuen uns natürlich, wenn auch sich auch außerhalb der Fachwelt mal jemand damit beschäftigt. Und immerhin hat man dem Thema eine ganze Seite im Kulturteil eingeräumt, obwohl es für eine Boulevardzeitung doch eher exotisch ist, und die „Abendzeitung“ (wie viele andere) auf ihren Filmseiten im Zweifelsfall auch lieber Tratsch aus Übersee wiedergibt als über einen deutschen Filmschaffenden zu berichten, solange der nicht in Hollywood auf dem Roten Teppich steht.
Adrian Prechtl, Film- und Kulturredakteur bei der „Abendzeitung“ trägt in seinem Artikel auch etliche Fakten zusammen, leider vermischen sich dabei mehrere Sichtweisen und Diskussionen, innere, äußere und allgemeine, während die grundlegende Frage nicht gestellt wird – obwohl er seinen Kommentar genau an diesem Punkt beginnt: Da investiert man 100 Millionen Euro in ein neues Unterrichtsgebäude, hat aber zu wenig Geld für die Lehre selbst. Die Frage liegt auf der Hand, wird aber eben nicht gestellt, weil alles andere ja schon aufregend genug ist. Weshalb man, um zur eigentlichen Frage zu kommen, das Ganze erst mal sortieren und die Diskussionsfäden auseinander dröseln sollte. Denn ja, die HFF hat Probleme, aber manche sind nicht so dramatisch, wie es dargestellt wird, mancher Vorwurf geht an der Sache vorbei, und einiges ist richtig schlimm.
Das ist zunächst einmal die Sicht von außen: Die HFF war einst „beste Filmhochschule in Deutschland – vielleicht sogar in Europa“, meint Constantin-Chef Martin Moszkowicz, sei inzwischen aber von anderen Ausbildungsstätten im Land überholt worden. Das sind gleich zwei Behauptungen, mit denen eine größtmögliche Fallhöhe konstruiert wird, was als Argument natürlich beeindruckt, aber ziemlich dünn ist, wie das „vielleicht“ andeutet: Tolle Hochschulen hatten und haben auch andere Länder in Europa“, etwa die Fémis in Paris, die Famu in Prag, die Hochschule in Lodz – und nicht zuletzt die HFF in Potsdam (heute „Konrad Wolf“) – was auch den ersten Superlativ der „besten Filmhochschule in Deutschland“ zur Diskussion stellt. Sollte damit aber nur die alte Bundesrepublik gemeint sein, ist die einstige Größe wohl eher die eines Scheinriesen, denn da gab es ja lange nur die eine Filmhochschule – jedenfalls, was den Spielfilm angeht (die schon 1966, ein Jahr früher, gegründete DFFB, konzentrierte sich vornehmlich auf den Dokumentarfilm, das Ulmer Institut für Filmgestaltung verlagerte sich nach der Schließung der Hochschule für Gestaltung 1968 von der praktischen Ausbildung auf theoretische Themen) und jedenfalls zu der Zeit, aus der die „Abendzeitung“ die berühmten Namen von HFF-Absolventen anführt, um die vermeintliche frühere Pracht zu belegen: Bernd Eichinger, Wim Wenders, Roland Emmerich, Doris Dörrie, Uli Edel und all die anderen hatten gar keine andere Wahl im Land. Wenn München heute nicht mehr das Zentrum der Ausbildung ist, liegt das einfach auch daran, dass inzwischen mehrere öffentliche Hochschulen der Filmkunst verschrieben haben, dazu etliche weitere Ausbildungsstätten entsprechende Studiengänge anbieten.
Und dann sind es inzwischen auch schon bald vier Jahrzehnte, dass die Größen ihren Abschluss machten. Den vermeintlichen Niedergang der HFF hätte man also schon vor 30 Jahren feststellen können. Oder vor 20. Oder 10. Oder man könnte einfach jüngere Absolventen aufzählen, die auch schöne und erfolgreiche Filme machen. Was die „Abendzeitung“ auch tut, aber trotzdem bei ihrem Argument bleibt.
Weiterer Beleg für den Niedergang, in der gedruckten Ausgabe zu lesen, aber nicht in der Online-Version: Selbst renommierte Preise gingen nicht mehr nach München. Stimmt schon: der letzte „Oscar“ für einen HFF-Absolventen ist auch schon wieder fünf Jahre her, aber sonst stellen sich die Münchner Studenten auch nicht ungeschickter an als die anderen, wie ein schneller Klick auf die Website zeigt.
Wie gut oder schlecht die HFF im Vergleich ist, kann man daraus nicht lesen. Dafür bräuchte es schon ein richtiges Ranking. Das hatte es tatsächlich auch schon mal gegeben: 2006 hatte der „Focus“, der sich von jeher für den faktenreichen und hastigen Überblick einsetzt, bundesweit die gestalterischen Studiengänge deutscher Hochschulen untersuchen lassen. Auf Platz eins der Hitparade landete die Filmakademie Baden-Württemberg mit 78 von 100 möglichen Punkten, gefolgt von der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), der Internationalen Filmschule Köln (IFS) und der Kölner Kunsthochschule für Medien mit jeweils 76 Punkten. Die HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam erhielt 67 Punkte. Von den staatlichen Filmhochschulen landete lediglich die HFF München im „Mittelfeld” ohne Punktangabe. Die Hamburger Mediaschool, in der das Filmstudium der Universität aufging, ist in der Rangliste gar nicht zu finden. Dem Ranking des Focus und des Art Directors Clubs wurden später schwere methodische Fehler vorgeworfen, ist in der Wikipedia zu lesen, die sich da auf Peter C. Slanskys Überblick der deutschen Filmhochschulen beruft, der allerdings selbst Professor an der HFF ist.
Fragwürdig ist das Ranking dennoch, denn die nötige Fachkompetenz suchte der „Focus“ nicht direkt in der Filmbranche, sondern erarbeitete Methodik und Vorgehen mit dem Art Directors Club für Deutschland (ADC). Der ist zwar in kreativen Dingen äußert bewandert, hat seine professionellen Berührungspunkte mit der Bewegtbildbranche lediglich im Werbefilm, wo die Filmakademie gut aufgestellt ist. Was der ADC schon drei Jahre zuvor mit einem eigenen Preis festgestellt hatte.
Untersucht wurden zum Beispiel Image der Hochschule, Betreuungssituation der Studierenden, die Zahl gewonnener Preise und die technische Ausstattung. Für letzteres verließ man sich auf die Eigenangabe der Hochschulen. Unter den 18 Preisen, die als bewertungsrelevant angesehen wurden, fand sich kein einziger der gängigen Nachwuchspreise der Filmwelt (es sei denn, mit dem „Bayerischen Nachwuchspreis“ wären die Nachwuchspreise beim „Bayerischen Filmpreis“ und mit dem „Kodak-Nachwuchspreis“ der „Eastman Förderpreis“ gemeint). Nicht einmal der „Studenten-Oscar“ spielte eine Rolle. Den hatten München und Hamburg beide zweimal gewonnen– öfter als die anderen Hochschulen.
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Mehr anfangen kann man da mit Kritik aus der Branche selbst, in der „Abendzeitung“ unter anderem vorgetragen von Martin Moszkowicz und Christian Becker, dem Chef der Produktionsfirma Rat Pack, die wiederum eine Tochter von Moszkowicz’ Constantin ist: die Ausbildung laufe an der Wirklichkeit vorbei. Die HFF produziere Autorenfilmer, der Markt brauche aber Teamplayer. Und Genrefilme statt Sozialdramen.
Damit liegen sie sicherlich nicht falsch. Mit dem jungen deutschen Film, „dem ganzen Abiturs-Quatsch, der hier gedreht wird“, hat ja auch ein ganz anderer Probleme: Klaus Lemke, der immer mehr aussieht wie Keith Richards, aber zum Glück weiter redet wie Klaus Lemke. Denn was er im Klartext über (übrigens alle) Filmhochschulen zu sagen hat, muss einem nicht gefallen, kann man aber in der ständigen Schulterklopferei öffentlicher Filmfunktionäre vielleicht auch mal ganz gut brauchen: „Es geht immer um Riesenbedeutung. Irgendwelche 28jährigen machen sich Gedanken über Liebe, Tod und Ehe, und haben nichts erlebt außer die Filmhochschule. Und auf der Filmhochschule haben sie nur gelernt, wie man eine Kamera bewegt. Es geht aber darum, wie man das Publikum bewegt.“ (Wer’s komplett hören mag: hier ab Minute 16:08).
Trotzdem: Es ist nicht die Aufgabe einer Hochschule, die aktuellen Bedürfnisse eines Marktes zu bedienen, sondern ihren Studenten grundlegendes Wissen und Handwerk zu vermitteln, mit dem sie das später selber tun können, wenn sie wollen. Wenn Geschichtsstudenten die Getreidepreise im Augsburg der Frührenaissance diskutieren, statt zu lernene, wie man knackige Bildunterschriften für „Geo Epoche“ formuliert, oder angehende Mediziner ihren 23. Frosch lebendig sezieren (tun sie doch noch, oder?), statt endlich den Krebs zu besiegen, sagt ja auch keiner was. Und wenn Nachwuchsfilmemacher sich bis zum Abschluss lieber an wichtigen Dramen um einbeinige Alleinerziehende in Plattenbautensiedlungen kurz vor der Uckermark versuchen und eher Luis Buñuel als Michael Bay hinterhereifern wollen, ist das auch in Ordnung. Der Markt regelt die Träume noch früh genug. Auch Wim Wenders hatte mit Publikumswirkung wenig im Sinn, Dominik Graf haftet nicht gerade der Ruf des großen Teamplayers an, und bei Doris Dörrie bin ich immer noch auf den ersten Genrefilm gespannt. Kann ja alles noch kommen – auch Christian Beckers Rat Pack hat trotz seines HFF-Abschlusses reihenweise Genre-Erfolge zu verzeichnen.
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Was nicht heißt, die HFF hätte keine Probleme – das Gegenteil zeigen die Klagen aus der Hochschule selbst, die einen merkwürdigen Kontrast zum teuren Prestigebau bilden. Rund 38,5 Millionen Euro soll allein der Neubau laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gekostet haben,von 100 Millionen Euro, die das Bundesland insgesamt investierte, schreibt die „Abendzeitung“. Doch schon vor drei Jahren, als der Umzug schon fest im Terminkalender stand, hatten die Studenten erstmals protestiert, weil der Aufbaustudiengang Szenenbild abgewickelt werden sollte. „Budgetgrenzen“ nannte die Vizepräsidentin der HFF Michaela Krützen, damals in „cinearte“ 191 als Grund. Die Filmschule wollte mit dem Umzug auch ihr Lehrangebot neu strukturieren, Drehbuch und Kamera sollten eigenständige Abteilungen werden und endlich entsprechend ausgestattet werden. „Letztlich mussten wir uns entscheiden”, meinte Krützen. München verzichtete aufs Szenenbild und setzt seine Schwerpunkte nun auf Produktion, Regie, Drehbuch und Kamera – wie die anderen deutschen Hochschulen auch. Szenenbildner werden inzwischen nur noch in Babelsberg und Ludwigsburg ausgebildet.
Doch wozu der Umzug? „Wir kommen in einen schmucken Neubau, wissen aber nicht, ob wir noch in der Lage sind, Filme zu machen”, brachte es damals schon ein Dozent auf den Punkt. Nun erstreckt sich nun die neue HFF imposant mitten im Münchner Museumsareal und ist selbst mehr Museum als Hochschule. Das fängt mit Kleinigkeiten an: Weil der Architekt Urheberrechte an seinem Kunstwerk hat und strenge Brandschutzbedingungen gelten, durften zuerst keine Plakate und Flugblätter im Foyer aufgehängt werden, mit denen die Studenten auf ihre aktuellen Projekte aufmerksam machen könnten. Der Empfang von Mobiltelefonen sei im Gebäude stark eingeschränkt, klagt ein Student. Inzwischen sollen brandschutzgerechte Pinwände montiert werden.
Gravierender wird es bei der technischen Ausstattung, die erweitert und auf den neuesten Stand gebracht wurde. Neue Suiten wurden für die Postproduktion eingerichtet, doch für die Ausbildung muss sich eine Mitarbeiterin erstmal selber im Color Grading weiterbilden. Statt der zwei Studios am alten Standort gibt es nun vier – aber weiterhin nur einen Studiotechniker, der dafür zuständig ist. Zwar wurde eine neue Stelle für die Technik in den Seminarräumen geschaffen, die auch im Studio aushelfen soll, doch das sei „ein Tropfen auf den heißen Stein”, kommentiert man das im Umfeld der Hochschule und vermutet, es sei schlichtweg versäumt worden, die nötigen Stellen zu beantragen. Der gesamte Mittelbau des Lehrkörpers sei „chronisch unterbesetzt”. Dass viele der Stellen ohnehin befristet sind, schaffe „prekäre Arbeitsverhältnisse”. Die Folge: „Wir haben ein technisch aufgeblasenes Monstrum, das nicht richtig benutzt werden kann.”
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Wozu also das Ganze? Sicherlich muss man das Bauprojekt vor dem Hintergrund des Wettstreits zwischen den deutschen Medienstandorten sehen. Jahrzehntelang war München beim Film die unangefochtene erste Adresse. Zu lange hatte man sich auf den Vorsprung verlassen – inzwischen haben Nordrhein-Westfalen und Berlin-Brandenburg größere Fördertöpfe, internationale Großproduktionen werden mit bundesstaatlicher Hilfe nach Babelsberg gelockt, Berlin gilt als das kreative Zentrum der jungen Filmszene.
Wenn Bayerns Filmförderung jetzt sechs Millionen Euro mehr bekommen soll, um in den nächsten beiden Jahren mit einem Sonderprogramm den Standort „noch attraktiver für internationale Filmkoproduktionen zu machen“, spricht das für sich.
Aus Sicht der Politik macht sich auch ein teurer Neubau gut, wenn man sich als Medienstandort beweisen will – auch wenn das völlig an den praktischen Bedürfnissen vorbeigeht. Dass monumentale Utopien mehr faszinieren als kleine bewährte Schritte ist ja nicht nur beim Film so.
Vielleicht wäre es für die HFF ja besser gewesen, im abgenutzten Fabrikgebäude zu bleiben und die 38,5 Millionen stattdessen direkt in die Ausbildung zu stecken.
@ Clau: Zugegeben, das ist unsauber formuliert, im Sinne der Argumentation aber trotzdem nicht falsch. Ich habe es geändert.
Man darf übrigens bei all den Zahlen für die Kosten des Neubaus nicht vergessen, dass ein Grossteil des Gebäudes dem unterirdischen Ägyptischen Museum (öffnet 2013/14) und einer Tiefgarage, in der die umliegenden Parteien viele Plätze nutzen werden, zugerechnet werden.
Der Artikel beschreibt ganz gut, wie es so momentan aussieht.
Mir fehlt auch mindestens 1 weiterer Studiotechniker und ein Haustechniker denke ich, da die Seminarräume zwar gut ausgestattet sind, aber teilweise immernoch nicht alle Geräte benutztbar sind.
Ob man nun die 38 mio. besser direkt in die Ausbildung gesteckt hätte, halte ich für nicht unbedingt haltbar. Es hat sich schon vieles verbessert und man hat auch schon viele Möglichkeiten die man so in der alten HFF nicht hatte und letztendlich ist das auch ne langfristige Investion gewesen, da dass Gebäude nun auch diverse Jahrzente genutzt werden wird.
Sie schreiben, es hätte lange Zeit nur eine Hochschule in der „alten Bundesrepublik” gegeben. Das Institut für Filmgestaltung in Ulm wurde 1961, die DFFB (Berlin West) 1966, die Filmakademie Ludwigsburg immerhin 1991 gegründet.
Toller Artikel! Vielen Dank! Endlich mal etwas differenzierter, fundierter und besser recherchiert als die Artikel der Abendzeitung.
Insbesonders interessant und richtig ist der Punkt, dass großartige Technik auch großartige Techniker braucht um sie angemessen ausnutzen zu können.
Ich weiß, dass es viele Studenten an der HFF gibt, die ums Verrecken Genrefilme machen wollen, ja müssen. Die Frage (abgesehen von den Ideen) nach der Umsetzbarkeit steht einigen bestimmt im Weg, kann ich mir vorstellen.
Nur ein Punkt der mir zu kurz kommt: Was machen die anderen Hochschulen denn anders? Die HFF München gibt dem Zweitjahresfilm alles in allem so viel Geld, wie die DFFB für den Abschlussfilm gibt. Im Wettbewerbsranking können wir uns laut Artikel auch auf Augenhöhe begegnen, für manche Seminare wird die HFF an anderen Hochschulen beneidet.
Daher: Was genau ist das was wir falsch und die anderen richtig machen? Oder rückt die HFF am Ende nur wegen des hübschen Neubaus in den Fokus der Misstände?