Klassenkampf im Auenland: Wie Peter Jackson und sein Hobbit Neuseeland in Aufruhr versetzten
Vorige Woche wurde die PR-Maschine in Gang geschmissen: Jippieh! „Der kleine Hobbit“ wird verfilmt! Für Filmfreunde natürlich keine ganz so neue Nachricht. Die Vorgeschichte vom „Herrn der Ringe“ war ja schon im Gespräch, als die Fantasy-Trilogie selbst noch tüchtig Kasse machte, und auch wir haben wiederholt von Plänen, Rückschlägen und neuen Plänen in „cinearte“ berichtet. Jetzt ist es aber offiziell, weil erstens in Neuseeland die erste Klappe geschlagen wurde und zweitens die ersten offiziellen „Filmfotos“ in alle Welt verschickt wurden. Das sind zwar keine richtigen Produktionsbilder, sondern nur ein paar hübsch fotografierte Aufnahmen von schwerbewaffneten Zwergen im Fotostudio, doch die wurden trotzdem begeistert aufgenommen und bevölkerten in kürzester Zeit webseitenweise das Internet. Zum Beispiel hier oder hier, gleich neben den Neuigkeiten wie „Hugh Hefner: So heiß sind seine Häschen“ und „Amy Winehouse: Sie hatte ihren Tod vorausgeahnt“. Na und? dachte ich bei der zweiten Meldung. Das tue ich auch! Abgesehen davon, dass die ganze Nachricht aus der wirren Anekdote eines „ehemaligen Mitbewohners“ besteht, der sich offenbar auch dann nicht blöd vorkommt, wenn er mit knallroter Sonnenbrille auf einer Beerdigung herumsteht. Aber so sieht sie wohl auch aus, die Informationsgesellschaft im grenzenlosen Internet – Hauptsache, die Sonnenbrille knallt richtig. Da kann „Der Hobbit“ doch locker mithalten, schließlich wird „kaum ein Film seit Jahren so sehnsüchtig erwartet.“
Wer’s ein wenig genauer wissen will, muss trotzdem woanders hinblicken. Vergnüglich sind auch Peter Jacksons eigene Video-Blogs über die Dreharbeiten, in denen er auf Youtube durchs Auenland stapft und hinter die Kulissen führt. Jedenfalls die, die er uns sehen lassen will. Zum Glück ist das Internet grenzenlos, wenigstens für diejenigen, die genügend Englisch können.
Damit nun kein falscher Eindruck entsteht: Das finde ich alles ganz toll, weil ich „Den Herrn der Ringe“ unzählige Male gesehen, dann die Bücher gelesen habe, danach die Filme immer noch klasse finde und mich freue, dass es nun irgendwie weitergeht, und sei es mit einem Prequel als Zweiteiler. Selbst, wenn wir darauf noch bis Weihnachten nächstes Jahr warten müssen.
Ehe uns bis dahin aber die Vorfreude völlig übermannt und wir uns verzaubern lassen von Gute-Laune-Videos mit glücklichen Filmschaffenden an schönen Sets, die sich alle liebhaben und schwärmen, was für ein tolles Erlebnis das war, als gäbe es einen Ersten Preis für DVD-Bonus-Material: Ganz so märchenhaft ist die Entstehungsgeschichte des „Hobbit“ nicht. Der Blick, den wir in cinearte 226 hinter die Kulissen warfen, zeigte, dass es Filmschaffende nicht nur in Deutschland schwer haben können, sondern auch am fast genauen anderen Ende der Welt.
Dort befindet sich bekanntlich die legendäre Welt von Mittelerde, seit Peter Jackson es fertiggebracht hatte, dort „Der Herr der Ringe“ zu verfilmen. Quasi im Alleingang hatte er damit seine Heimat Neuseeland, bis dahin allenfalls berühmt für Landschaft, Schafe und Kiwis, zum Filmstandort gemacht. Dass auch die Fortsetzung, also die Vorgeschichte, hier entstehen sollte, stand eigentlich außer Frage. Beziehungsweise war es nur noch eine Frage der Produktionsbedingungen, also wie viel sich das Land die Standortwerbung kosten lassen wolle. Darum war allerdings lange gefeilscht worden, gegen Ende vergaß Jackson alle Heimatliebe und drohte, einfach woanders zu drehen, Osteuropa oder so, wenn er das nicht zu seinen Bedingungen tun dürfte. Knackpunkt war vor allem die Forderung der Gewerkschaft Media, Entertainment and Arts Alliance (MEAA) nach einem einheitlichen Vertrag für alle Mitwirkenden, denn da gibt es ziemlich unterschiedliche Regelungen zu Arbeitsbedingungen und Bezahlung, wie Jackson selbst einräumt.
Denn am Set endet offenbar der neuseeländische Filmtraum: „Die Leute werden praktisch gezwungen, Bedingungen zu akzeptieren, die kein Schauspieler in irgendeinem anderen englischsprachigen Land ertragen muss“ sagt etwa der Schauspieler Roy Billing, der seine Heimat schon vor 20 Jahren verließ, um in Australien zu arbeiten, wo es Tarifverträge gibt. Sein Landsmann Jon Woolf, der als Key Grip an den Miniaturen für alle drei Teile vom ,Herrn der Ringe‘ mitwirkte, hatte zuvor 24 Jahre in Hollywood gearbeitet. Dort sei er bei jeder Produktion angestellt gewesen – „das ist die übliche Praxis in den USA.“ Aber beim „Herrn der Ringe“ gab es gar nichts zu verhandeln: „Ich bekam praktisch die Pistole auf die Brust gesetzt, wurde angeschrieen, dass ich unterschreiben müsse. Ich hatte eine Familie zu ernähren, also unterschrieb ich.“
Diese Position wurde von anderen Organisationen im Ausland unterstützt. Schauspielergewerkschaften in Kanada, Großbritannien und den USA, wie die einflussreiche Screen Actors Guild, riefen ihre Mitglieder auf, nicht am „Hobbit“ mitzuwirken. Die Branchenzeitschrift „Hollywood Reporter“ beschrieb Neuseeland als „wunden Punkt“ der Schauspielgewerkschaften in der englischsprachigen Welt.
Das zeigt sich auch so: Die MEAA ist eine australische Organisation, hat aber in Ermangelung landeseigener Alternativen einen neuseeländischen Zweig. Woraufhin Jackson wieder zum Patrioten wurde und gegen den „Einfluss einer zerstörerischen Organisation“ wetterte, „die niemals die Interessen der Neuseeländer voranstellen wird“ und angetreten sei, „das große Herz herauszureißen, das in unseren Filmen schlägt.“ Tausende Neuseeländer folgten im vorigen Jahr dem Ruf, und demonstrierten, als Hobbits, Orks oder Gandalfs verkleidet, auf Straßen und Plätzen des Landes für Mittelerde – was voriges Jahr nicht nur hier sogar noch als Video zu sehen war, ehe die Informationsfreiheit des Internets mal wieder ihre Grenzen fand. Sogar Filmschaffende protestierten gegen die australische Einmischung. Neuseelands Premierminister John Key machte den Kampf um den Filmstandort zur Chefsache. Das Parlament verabschiedete im Oktober ein Notgesetz, das an den üblichen Ausschüssen vorbei die Realisierung der beiden Hobbit-Filme sicherstellen soll. Neben diesem „Hobbit-Gesetz“ sollte auch das Arbeitsrecht den Bedürfnissen der Produktion angepasst werden. Am Ende ließ man sich den Filmtraum mehr als 58 Millionen Euro kosten, die als Steuererleichterungen, Marketingzuschüsse und sonstiges an Warner Brothers gezahlt werden.
Wer keine Fremdsprachen mag, hat auch im Informationszeitalter seine Probleme. Denn auf deutschsprachigen Seiten musste man sich schon tief ins Netz klicken, um über all das zu lesen und blieb dennoch ziemlich an der Oberfläche aus zusammengedengelten Agenturmeldungen, die das eigentliche Problem der Arbeitsbedingungen souverän streiften und dann ignorierten. Lediglich „Die Welt“ interessierte sich für eine nachhaltige Berichterstattung, auch wenn ihr gelegentlich Perspektive und Fokus verrutschten.
Das sieht jetzt ganz anders aus. Fotos von Zwergen sind halt größere Nachrichten als die Probleme von Filmschaffenden.
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