Neue Spielregeln für die Branche 

 

Für alles mögliche gibt’s Quoten bei Fernsehen und Förderung. Warum eigentlich nicht auch für Frauen im Beruf, fragen sich Catherine Lieser (links) und Cornelia Köhler: „Denn ohne Quote geht es nicht.“ | Fotos © Catherine Lieser

Vor 50 Jahren wurde das Businessnetzwerk für Women in Film and Television (WIFT) in Los Angeles gegründet. Die internationale Dach-Organisation umfasst inzwischen 20.000 Frauen weltweit – seit 2005 auch in Deutschland. Auf den Hofer Filmtagen sammelte WIFT Germany Impulse für eine bessere Stoffentwicklung und Besetzung. Catherine Lieser und Cornelia Köhler erklären, warum die Branche neue Spielregeln braucht.

Was ist die Entstehungsgeschichte von WIFT?
Cornelia Köhler: WIFT Germany wurde 2005 gegründet. Die Gründungsmitglieder waren unter anderem Alexandra Georgi, Edith Forster, Rochelle Grayson, Henriette Wollmann und Jana Filmer. In den letzten Jahren ist WIFT Germany zu einem Verein mit über 350 Mitgliedern gewachsen. WIFT ist in den 1970er-Jahren in den USA entstanden. Eine Redakteurin des „Hollywood Reporter“ ist auf die Idee gekommen, die Frauen in der Branche zu einem Netzwerk zu verbinden. 1973 wurde das erste WIFT-Chapter in Los Angeles gegründet. Die Dach-Organisation „Women in Film and Television International“ umfasst mittlerweile über 20.000 Frauen weltweit und hat im Sommer 2022 ihren 25. Geburtstag bei einer großen internationalen Konferenz in Nigeria gefeiert. WIFT Germany hat dort ein Online-Netzwerk-Event organisiert. Catherine und ich haben das mit Frauen aus der ganzen Welt vorbereitet und durchgeführt – da geht einem schon das Herz auf, wenn sich so viele großartige Frauen treffen.

Wann ist Euch zum ersten Mal bewusst geworden, dass Frauen nicht die gleichen Vorzüge in der Branche genießen wie Männer?
Cornelia Köhler: Tatsächlich bei der Serie „Der große Bellheim“, die Anfang der 1990er-Jahre im Fernsehen lief. Leslie Malton hat in der Serie eine Bankerin gespielt. Ihre Figur war sehr negativ angelegt. Und eine Freundin sagte damals: „Das ist doch schrecklich, dass eine Figur, die so lebt, wie wir leben, nämlich unabhängig, erfolgreich und selbstständig, so negativ dargestellt wird.“
Catherine Lieser: Bei mir gab es kein prägnantes Ereignis. Dass Frauen von Männern marginalisiert werden, ist kein medienspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das ich von früh an wahrgenommen habe. Ich habe jedoch eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, dass ich diesen Status quo in Frage stellen und dagegenwirken kann.

Wie seid Ihr dazu gekommen, Euch konkret zu engagieren? Gab es Vorbilder?
Cornelia Köhler: Jana Filmer, WIFT-Germany-Gründerin, Vorstandsmitglied von 2007 bis 2018 und Juristin, hat mich zu einer WIFT-Veranstaltung mitgenommen. Seitdem habe ich mich engagiert, und zwei Jahre später bin ich in den ehrenamtlichen Vorstand gewählt worden. An WIFT Germany schätze ich sehr, dass sich bei uns Frauen aus allen Bereichen der Medienbranche engagieren. Wenn ich da mal Fragen oder ein konkretes Anliegen habe, kann ich auf unser WIFT-Netzwerk zurückgreifen.
Catherine Lieser: Ich habe an der Filmhochschule in München studiert, als ich von dem Netzwerk erfuhr und Mitglied wurde. Im Anschluss daran zog ich nach Frankfurt und wurde zunächst Repräsentantin. Ich gestaltete auf eigene Initiative den Frankfurter Standort. Kurz danach kam ich dann in den Vorstand. Für mich ist WIFT nicht nur eine Möglichkeit, mein Netzwerk zu erweitern, sondern auch eine Plattform, um neue Herausforderungen anzunehmen, wie zum Beispiel ein Panel vor einem Publikum von 300 Leuten zu moderieren.
Cornelia Köhler: Ich habe Catherine übrigens in Frankfurt kennengelernt und kann mich noch gut an ihre Eröffnungsrede des ersten WIFT-Treffens in Frankfurt erinnern, in der sie gesagt hat, sie möchte Veranstaltungen ins Leben rufen, aus denen jede etwas für sich, ihre Arbeit und ihr Leben mitnehmen kann.

Mögt Ihr zu der Entstehung eures Impulspapiers (siehe unten) etwas sagen? Welche Punkte waren Euch wichtig?
Catherine Lieser: Das Impulspapier geht auf einen Think Tank zurück, für den wir, die Götz-George-Stiftung und der Bundesverband Schauspiel in Zusammenarbeit mit den internationalen Hofer Filmtagen im vorigen Jahr Entscheidungsträger*innen der Branche an einen Tisch gebracht haben. Mit dabei waren WDR, ZDF, RTL, Hessen Film, Regisseur*innen, Autor*innen, Casting-Direktor*innen und Schauspieler*innen. Gemeinsam haben wir über die Darstellung von Frauen ab 50 in Kino, Fernsehen und Streaming gesprochen. Das Impulspapier kann als Checkliste verstanden werden, um inhaltliche Entscheidungen während der Stoffentwicklung und der Besetzung neutral zu hinterfragen. Motivation für mich war die 2017 erschienene Studie „Audiovisuelle Diversität?“ der Malisa-Stiftung. Sie zeigt auf, dass Frauen und ihre Geschichten weniger Sichtbarkeit in Kino und Fernsehen erhalten. Die Studie hat mich in meiner persönlichen Wahrnehmung bestätigt, dass die mediale Darstellung von Frauen einseitig ist: jung, schlank, attraktiv, eindimensional und sich dem Mann unterordnend. Hinzu kommt, dass verhältnismäßig deutlich weniger Rollen für Schauspielerinnen ab 50 oder 60 geschrieben werden. Sie gelten als unattraktiv. Eine solche Darstellung von Frauen hat einen negativen Einfluss darauf, wie wir als Gesellschaft auf Frauen blicken.

Seid Ihr für eine Quote und wie würdet Ihr diese realisieren wollen?
Cornelia Köhler: Ja, denn ohne Quote geht es nicht. Sowohl vor als auch hinter der Kamera. Das Argument, es gäbe nicht genug Frauen, kann leicht entkräftet werden: In vielen Filmstudiengängen (unter anderem Drehbuch, Regie, Produktion, Montage) gibt es 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer. In den Blick genommen werden müssen die Gewerke, in denen es bislang noch nicht so viele Frauen gibt – weder an den Hochschulen noch am Set (zum Beispiel Filmton). Doch da lassen sich sicher Lösungen finden.
Ein anderes Argument gegen die Quote lautet immer noch, dass die Qualität unter der Quote leiden würde. Dabei wird vergessen, dass die Quote in ganz vielen Bereichen bereits eine große Rolle spielt. Eine Fernseh-Redakteurin aus Mecklenburg-Vorpommern hat erzählt, dass es in ihrer Arbeit ständig darum gehe, Quoten zu erfüllen, um alle Teile des Bundeslandes gleichermaßen im TV zu repräsentieren. Ich gehe davon aus, dass das in anderen Bundesländern ähnlich läuft, nicht nur in den TV-Nachrichten, sondern auch in der Politik. Es spricht also nichts gegen eine Frauenquote von 50 Prozent in den Medien.
Catherine Lieser: Ich bin auch für eine Quote, denn die Erfahrung zeigt, dass es neue Spielregeln braucht, damit wir angelernte und destruktive Verhaltensweisen ändern können. Solche Regeln für die freie Wirtschaft gut zu implementieren, ist eine große Aufgabe. Für alle Bereiche, die mit öffentlichen Steuergeldern finanziert werden, wie zum Beispiel die Filmförderungen, sollte die Einführung der Quote jedoch zügig möglich sein, zur Not auch in Etappen, da diese ja zu 50 Prozent von Frauen mitgetragen werden.

Was sind die größten Hürden für die Quote?
Cornelia
Köhler: In der Film- und TV-Branche dominieren immer noch sehr männlich geprägte Strukturen und auch häufig die Haltung: „Das haben wir immer schon so gemacht.“
Catherine Lieser: Es gibt noch nicht genügend Entscheidungsträger*innen, die bereit sind, die Quote einzuführen. Unsere Gesellschaft ist noch immer sehr stark männlich dominiert. Mein Eindruck ist, dass Männer nicht bereit sind, den Kuchen neu zu verteilen. Die Serienstudie von Belinde Ruth Stieve zeigt, dass je nach Gewerk Männer Anteile von bis zu 90 Prozent haben.

Wird den Zuschauer*innen zu wenig zugetrautund wenn: warum?
Cornelia Köhler:
WIFT Germany hat vor einigen Wochen ein Online-Panel zum Thema „The Woman King und die Signalwirkung auf den deutschen Film“ organisiert. Dort haben Schwarze Schauspielerinnen, Autorinnen und Produzentinnen über ihre Erfahrungen mit dem deutschen TV gesprochen und berichtet, dass sie auch 2022 noch immer von Redakteur*innen hören, dass es den Zuschauer*innen nicht vermittelbar sei, dass eine Anwältin oder Ärztin von einer schwarzen Schauspielerin gespielt wird. Das hat mich schon sehr erschüttert. Ich hatte gehofft, dass das deutsche Fernsehen da schon weiter ist.

Frauenrollen über 50 nehmen nochmals eine besondere Rolle ein: Sie sind nicht nur unterrepräsentiert, sondern werden auch eher zu ihrem Nachteil dargestellt. Mögt Ihr hier mal kurz schildern, wo Ihr die größten Probleme seht?
Cornelia Köhler: Die „Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität“ von Elizabeth Prommer und ihrem Team aus dem Jahr 2021 zeigt deutlich, dass es im fiktionalen Fernsehen für Schauspielerinnen ab 30 schwieriger wird: Auf gut 45 Prozent Schauspielerinnen kommen durchschnittlich 55 Prozent Schauspieler, ab 60 Jahren wird die Diskrepanz noch deutlicher: Auf 29 Prozent Frauen kommen 71 Prozent Männer. Das liegt an nicht vorhandenen Rollen für Frauen. Es muss also bereits in der Drehbuchentwicklung darauf geachtet werden, Rollen für Frauen zu kreieren.

Wie seht Ihr Deutschland im internationalen Vergleich: Sind andere Länder hier schon weiter?
Cornelia
Köhler: Schweden ist sicher weiter als Deutschland. Anna Serner, die ehemalige Leiterin des schwedischen Filminstituts, hat sich sehr für Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt.
Catherine Lieser: Professor Susanne Eichner von der Filmuniversität Potsdam hatte während ihrer Lehrtätigkeit an einer Universität in Dänemark an einem internationalen Forschungsprojekt mitgewirkt, welches den Erfolg von dänischen Fernsehserien untersuchte. Zentrale Fragestellung war: „Warum gefallen Ihnen dänische Serien?“ Kurz zusammengefasst war die Antwort der weltweit befragten Personen, dass diese Serien starke und ambivalente Hauptfiguren haben und es um weibliche Themen geht.

Wie stellt Ihr euch die Film- und Streaminglandschaft im Jahr 2030 vor?
Cornelia Köhler: Als wir uns auf das Gespräch vorbereitet haben, haben wir entschieden, dass Catherine optimistisch und ich realistisch antworte.
Catherine Lieser: Der klare Wunsch ist 50/50.
Cornelia Köhler: Bis 2030 sind es ja nur noch sieben Jahre. Hoffentlich haben wir bis dahin 40 Prozent Regisseurinnen, 40 Prozent Drehbuchautorinnen, 30 Prozent Kamerafrauen. 50/50 sehe ich tatsächlich nicht. 

 

Zur Person:
Cornelia Köhler arbeitet seit 2000 in der Medienbranche und – zunächst als Producerin der Sitcoms „Das Amt“ und „Bernds Hexe“, später in der Stoffentwicklung für Constantin Entertainment. Seit 2007 ist sie selbstständige Autorin und Regisseurin einer DVD-Reihe zur deutschen Literaturgeschichte, seit 2019 Autorin und Redakteurin eines Medienmagazins. Als Librettistin hat sie zusammen mit der Komponistin Camille van Lunen zwei Jugendopern und ein Oratorium geschrieben. Sie ist seit 2010 im Vorstand von WIFT Germany.
Catherine Lieser studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Sie ist Geschäftsführerin der Berufsvereinigung Filmton (BVFT) und freie Fotografin tätig. In ihrer aktuellen Porträtreihe „Not Conceptual. Life“, beschäftigt sie sich mit den Themen Selbstbestimmung, Empathie und Eigenverantwortung, indem sie Künstler*innen porträtiert, die sich jenseits stereotyper und normativer Rollenbilder bewegen.

 

Impulspapier für Stoffentwicklung und Besetzung

Medien bilden die Gesellschaft nicht nur ab, sie sind meinungsbildend und beeinflussen nachweislich die Lebensrealität von Zuschauer*innen. Die folgenden Impulse gehen aus den Gesprächsrunden des Think Tanks „Und bitte! Mehr Schauspielerinnen ab 50 in Kino, Streaming und Fernsehen“ hervor, den WIFT und die Götz-George-Stiftung in Kooperation mit dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) während der Hofer Filmtage veranstalteten. Entscheidungsträger*innen der Branche berichteten über ihre Erfahrungen und gaben Anstöße, die sich zur Nachahmung und Weiterentwicklung eignen. Insbesondere hätten sich Checklisten nachweislich bewährt. Eine Auswahl:

# Müssen alle als Männerrollen konzipierten Figuren zwingend Männer sein? Bekommt der Stoff vielleicht einen neuen und spannenden Twist, wenn diese Rollen weiblich geschrieben werden?
# Müssen Frauen über 50 überwiegend als Mütter, Omas oder betrogene Ehefrauen erzählt werden?
# Wie werden weibliche Figuren erzählt: Haben sie einen Namen, einen Beruf.
# Welche Haltung und Werte vermitteln sie?
# Wird die Attraktivität einer weiblichen Figur über äußere Merkmale erzählt oder über Charaktereigenschaften?
# Kommen in dem Drehbuch genauso viele Männer wie Frauen vor?
# Begegnen sich Männer und Frauen auf Augenhöhe?
# Ist der Dialoganteil der weiblichen und männlichen Figuren angemessen verteilt beziehungsweise ausgeglichen?
# Wie divers werden Frauen erzählt (Herkunft, Religion, Sexualität)?
# Können männlich angelegte Rollen auch von Schauspielerinnen gespielt werden?
# Müssen Schauspielerinnen dem normierten Schönheitsideal entsprechen, um als attraktiv zu gelten?
# Wie vielfältig ist das physische Erscheinungsbild der besetzten Schauspielerinnen?
# Entspricht das Alter der Schauspielerinnen dem Alter der Figuren?
# Wie gelingt es, Schauspielerinnen zu besetzen, die lange nicht mehr engagiert wurden?
# Wie divers werden Schauspielerinnen besetzt (Herkunft, Religion, Sexualität)?

Dieses Interview erschien im Dezember 2022 im „CN-Magazin“ von casting-network. Nachdruck der gekürzten Fassung mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Ausarbeitung: Carla Schmitt.

 

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