Nicht zurückgespult

Alle sorgen sich ums Kino. Unterdessen schließen fast unbemerkt die letzten Videotheken im Land. Schade eigentlich – nie gab’s so viel Filmkultur in einem Raum. Szenenfoto aus „Jersey Girl“. | Foto © TFM Distribution

 

Vor 40 Jahren erlebte die Filmwelt eine Revolution: Videotheken schoben sich zwischen Kino und Fernsehen in die Auswertungskette und bescherten dem Publikum ungeahnte Freiheiten. Nur wenige haben den Aufstieg der Streamer überlebt. Besuche bei den letzten Exemplaren einer bedrohten Spezies.

Vor gar nicht allzu langer Zeit schossen allerorten die Videotheken aus dem Boden. Schon 1983 gab es in Deutschland davon mehr als Kinos. Mindestens 4.850, für manche sogar bis zu 6.000 solcher Verleihstellen gab es, rund 3.500 waren im Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland (IVD) zu dessen besten Zeiten organisiert. In kürzester Zeit hatte die Videokassette zum Ausleihen das Mediengefüge gründlich verändert. Zwischen Kino und Fernsehen etablierten sich die Videotheken in der Auswertungskette. Der Grund für den Erfolg war nicht weniger revolutionär: Erstmals konnte das Publikum selber entscheiden, was es wann sehen wollte – zumindest in der Theorie. Und mit dem Nachfolgemedium DVD kamen Sprachversionen und Making-ofs kamen noch weitere Möglichkeiten hinzu.

Internet und Streamingdienste machten dem Zauber ein Ende. Ab 2010 war der Niedergang offensichtlich, nur noch 50 Videotheken sind heute übriggeblieben. Für Deutschlandfunk Kultur besuchte Jörg Taszman einen der letzten Läden in Deutschland und schaute nach, wie sich die Video-Dinosaurier im Streamingzeitalter schlagen.  

In Dortmund wird Ende des Jahres die letzte Videothek der Stadt schließen, berichtet „Ruhr 24“. Und in Berlin hat im Juli die letzte große Videotheken-Kette dichtgemacht. Für den RBB begab sich Oliver Noffke auf einen Abschiedsrundgang durch eine ferne Epoche, als „nicht zurückgespult“ extra kostete: „Eine ostdeutsche Kleinstadt Mitte der Neunziger. Die alten Lichtspielhäuser sind dicht, das nächste ,Cinestar’ oder ,Cinemaxx’ ist zu weit entfernt, um nach der Schule noch mit dem Bus dorthin zu kutschen. Also mit Papas Mitgliedsausweis in die Videothek. Damals, als nicht zurückgespulte Kassetten abzugeben, noch 50 Pfennig Gebühr gekostet hat. Damals, als der Video-Release oft noch ein Jahr oder länger nach dem Kinostart stattfand. Damals, als es umso nerviger war, tagelang vergebens auf ein Exemplar von ,Jurassic Park’ zu hoffen. Immer vergriffen. Damals, als Lichtgestalten des Indyfilms wie Quentin Tarantino oder Kevin Smith ihre Karrieren als Videotheken-Nerds begannen. Dieser Ort war die Schlechtwetterbeschäftigung meiner Kumpels und mir. Wir wussten, wann welcher Blockbuster in die Regale kam. Schließlich stand das schon Wochen vorher in der ,TV Movie’ (die mit dem Moviestar) oder der ,Cinema’ oder – ja, muss leider auch genannt werden – der ,Bravo’. Wir wussten, welche Mitarbeiter ein Fass aufmachten, wenn wir uns hinter den Ab-18-Vorhang schlichen. Und wer ein Auge zudrückte, so lange der Chef nicht da war.“ 

Nach dem Aussterben der Videotheken hatte Maik Haubrich vor zwei Jahren fürs Popkultur-Magazin „Kurt“ einen Experten befragt: Der Filmwissenschaftler Tobias Haupt bezeichnet es als eine Art „Self-fulfilling prophecy“. Vorhersagen allerdings sind bekanntlich schwierig: „Er verweist unter anderem auf Plattenläden, die auch heute noch Bestand hätten.“  

Wie es gehen könnte, soll die Kölner „Traumathek“ zeigen. 1994 als Programmvideothek gegründet: Weniger Mainstream, mehr Filmkunst aus der ganzen Welt. Auch hier hätten die Streamer verändert, erklärt Florian Prasser: „Der Fokus bei Streamingdiensten sei ein anderer, sie seien mehr eine Art Fernsehsender mit eigenem Angebot, während die Traumathek den Anspruch habe, eine kuratierte Sammlung mit historischem Fokus zu bieten. ,Wie es sich im Moment scheint, ist das der Weg, in den der DVD- und Blu-ray-Markt einbiegt’, sagt Prasser, ,dass es sich mehr an ein interessiertes Laien- oder Experten-Sammler-Publikum richtet’. Trotzdem geht die Entwicklung der Branche nicht an den Programmvideotheken vorbei. Auch die ,Traumathek’ habe Zeiten, in denen weniger ausgeliehen wird. ,Wir fahren jetzt im Grunde genommen dreigleisig: Der Verleih, der Café-Bereich, das Ladenkino’ […] Gibt es also noch Hoffnung für die letzten verbliebenen Videotheken in Deutschland? Ist die Nachfrage für die Nische groß genug? Prasser sieht es eher nüchtern: ,Es ist am Ende eine Frage, wie sehr die Leute filmkulturell interessiert sind. Weil das, was solche Läden zu bieten haben, findet man sonst tatsächlich nirgendwo.’“ 

Auch im Kino haben die Videotheken ihre Spuren hinterlassen. Die Website „Films in Films“ [auf Englisch] hat nicht nur Beispiele gesammelt, sondern auch die Titel auf den Regalen entziffert.