Gedanken in der Pandemie 127: Wahlomat, Scholzomat und der Kanzlersimulator

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In wenigen Wochen werden die Sitze im Bundestag neu besetzt. Zeit, sich Gedanken zu machen. | Foto © Deutscher Bundestag

Allmählich müssen wir uns überlegen, welche Stimme bei der kommenden Wahl das kleinste Übel bedeutet – Gedanken in der Pandemie, Folge 127.

„Es ist wirklich schwer einzusehen, wie Menschen, die der Gewohnheit, sich selbst zu regieren, vollständig entsagt haben, imstande sein könnten, diejenigen gut auszuwählen, die sie regieren sollen.“
Alexis De Tocqueville, „Über die Demokratie in Amerika“; 1840

„Ich glaube, ich würde die Freiheit in allen Zeiten geliebt haben; in der Zeit aber, in der wir leben, fühle ich mich geneigt, sie anzubeten.“
Alexis De Tocqueville, „Über die Demokratie in Amerika“; 1840

Kaum zu glauben, aber wahr: Heute in vier Wochen, also nur drei weitere Pandemie-Gedanken später, wissen wir, wer die Bundestagswahl gewonnen hat, und vermutlich wissen wir dann auch, wer der neue Bundeskanzler wird. Oder die Kanzlerin, klar: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Nicht nur, weil auch die Pandemie Politik voll und ganz im Schatten des Wahlkampfes steht und man ziemlich jede Maßnahme auch daraufhin abklopfen kann welcher Partei sie nutzt, wollen wir uns auch in diesem Pandemie-Blog ein bisschen mit dem deutschen Wahlkampf beschäftigen.

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Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen unter Euch Lesern, die gestern sogar RTL geguckt haben. Ich habe das nicht und RTL versemmelte heute seinen Vorteil, als erstes eine Kandidaten-Runde zu hosten,  indem es ziemlich schwer bis unmöglich ist, eine Aufzeichnung der Runde im Nachhinein im Netz aufzufinden. Außer bei Youtube gibt nur kleine Häppchen-Ausschnitte. 

Ganz ehrlich gesagt war das ja auch gar nicht, wie es jetzt dargestellt wird, die erste Dreier-Runde der Kanzlerkandidaten – btw hab‘ ich ein neues Wort gelernt: „Triell“. Tatsächlich hat die ARD in den letzten Wochen bereits mehrere Kanzlerkandidaten-Runden veranstaltet zu Themen wie der deutschen Außenpolitik. Oder der Europapolitik. Weil außer Tina von Hassel auch noch ein wirklicher Experte, nämlich Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger bundesdeutscher Diplomat  Moderator war, war das Ganze unbedingt ein Gewinn. Wer also von Baerbock, Laschet, Scholz nicht genug kriegt, der kann vorläufig mal hier auf Youtube ein bisschen gucken  Und zuhören.

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Jeder kann Kanzler, oder?  Nur Baerbock, Laschet, Scholz nicht. Wenn wir bloß selber regieren könnten. Wo wir schon nicht Bundestrainer werden dürfen. 

Wer wirklich glaubt zu wissen, wie einfach alles ist, dem empfehle ich einmal – in manchen Bundesländern sind ja noch zwei Wochen Urlaub – den Kanzlersimulator.

Das Ganze gibt es wirklich! Es ist zwar ein Projekt von „Planet Schule“, hilft aber dabei, auch Erwachsenen wieder ein bisschen Demut vor der Politik beizubringen. Die Aufgabe: „Realisiere als Kanzler Deine eigenen Wahlversprechen und entscheide selbst, mit wem du regierst.“ Da geht es schon los: Werden auch Baerbock Laschet Scholz selbst entscheiden können? Für den Wahlsieg kann man dort nicht nur Sachpunkte, sondern auch Sympathiepunkte sammeln. Und wetten dass: manchmal gehen Sachpunkte auf Kosten der Sympathiepunkte und umgekehrt – fragt mal Markus Söder.

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„Baerbock Laschet Scholz“ nenne ich jetzt immer so, nur der Einfachheit halber, nicht aus Sympathiereihenfolge, sondern alphabetisch. Damit auch das gesagt ist.

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Diese Woche geht er wieder online, am 2. September: Der Wahl-o-mat der „Bundeszentrale für politische Bildung“. 

Wahlomaten sind kein Spiel, und sie sind nicht ganz ernst. Darum macht es Spaß sich mit ihnen zu beschäftigen, es ist aber auch ein intellektuelles Vergnügen und nicht in jedem Fall richtig bequem. Jedenfalls ging es mir so. Ganze drei Stunden lang habe ich mich neulich bereits mit Wahlomaten beschäftigt. Der für die kommende Wahl war nicht nicht online, aber es gibt ja immer noch die für die Europawahl 2019, für die Landtagswahlen dieses Frühjahrs. Und es gibt diverse Alternativen. Wenn man viele benutzt sind sie schon ganz gute Indikatoren für das eigene politische Unbewusste. Manches hat mich zwar gar nicht gewundert, aber insgesamt war ich doch überrascht.

Es kennzeichnet übrigens die augenblickliche Situation in Deutschland, das ist diese ganzen Wahl-Checks und Ratgeber gibt, aber keinen Freiheits-Wahlcheck, keinen Bürgerrechts-Wahlcheck, keinen Digitalisierungs-Wahlcheck, keinen Schul- und Kinder-Wahlcheck. Sondern es sind – sorry to say – die „first world problems“, die Probleme der Kirchen- und Sozialverbände. Und, ok, die Probleme der Klimafragen, bei denen man im Einzelnen genauer hinschauen muss. 

Wir können uns die Frage stellen: Wären wir denn für eine Diktatur, wenn sie nur für das Richtige ist? Wären wir für eine Einschränkung der Freiheit, wenn sie nur das Gute bewirkt?

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Also: An ein paar Grundsätze habe ich mich dabei gehalten. Antworten wurden nie gewichtet. Und ich habe schnell, knackig und instinktiv geantwortet. 

Der Politnavi hilft dabei die eigene Position in der existierenden Parteienlandschaft zu bestimmen. Nachteil: Kleinere Parteien kommen hier bislang nicht vor. Und manche Einordnung der bestehenden Parteien sind das meiner Sicht fragwürdig. 

Der „Voteswiper“ ist interessant. Der Sozialomat beschränkt sich auf Soziale Fragen, der Klimawahlcheck kennt auch nur ein Thema. 

Viele aufschlussreicher fand ich dann die Wahlomaten zu den verschiedenen Kommunalwahlen der letzten zwei Jahre. Zum Beispiel Bonn, oder Kiel. Erstaunlich gut. Hier findet man sehr konkrete Antworten auf sehr konkrete Fragen und hier kann man auch kleinere Parteien wie die Piraten und wollt miteinander vergleichen.

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Ich will hier nicht hinterm Berg halten, was da bei mir herauskommt. Zumal ich aus der Post von vielen von euch weiß, dass Eure Ansichten über den politischen Standpunkt dieser Pandemiegedanken sehr divers sind. Manche halten mich für einen Neoliberalen, oder einen klaren FDP-Anhänger, andere für einen Erzkonservativen, sogar Querdenker, andere wieder für einen Linken oder Linksradikalen und bis auf die CDU wurde mir hier jede Parteizugehörigkeit schon angedichtet.

Ganz falsch liegen alle nicht, denn die CDU ist tatsächlich die Partei, die bei mir in allen Wahlchecks konstant ganz unten liegt. Ich habe mit der einfach nichts am Hut und hab sie noch nie gewählt! Was daran erschreckend ist: die AfD, dort wo ich sie nicht vorher ausgeschlossen habe, liegt konstant besser als die Union. Tut mir wirklich selber sehr leid!!! Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe. 

Ich selbst hätte erwartet, dass die FDP bei mir besser abschneidet. Tatsächlich liegt sie deutlich vor AfD und Union, aber deutlich hinter allen anderen Parteien.

Die im Parlament vertretenen Parteien, mit denen ich weit mehr Schnittmengen habe, werden in den meisten Wahlomaten von der SPD angeführt, in manchen auch von der Linken, eigentlich nie von den Grünen, die an dritter oder vierter Position liegen – klar vor der FDP, aber doch hinter SPD und Linke. Die zwei bis drei Parteien, die allerdings immer deutlich vor allen im Parlament vertretenen Parteien liegen, sind manchmal die „Freien Wähler“ oder „Humanistische Union“ und mit sehr deutlichem Vorsprung die „Piratenpartei“ und vor allen anderen noch mal mit klarem Vorsprung vor den Piraten Volt. Diese  kleine sozialliberale Partei,  die man vielleicht als eine Kombination aus SPD und Piratenpartei definieren kann, die jung ist, sehr digitalisierungsfreundlich, europafreundlich und grenzfeindlich,  diese Partei konnte in der letzten Zeit einige bemerkenswerte Erfolge einfahren: Bei dem Landtagswahlen in NRW und in Hessen gewannen sie viele Stimmen und sitzt jetzt sogar in manchen Koalition etwa in Städten wie Köln oder Darmstadt.

Bei der letzten Europawahl gewannen sie genug, um mit einem Sitz im Europäischen Parlament vertreten zu sein. Ich glaube tatsächlich, dass diese Partei Zukunft hat, weil sie Defizite von SPD, Grünen und Linken  und sogar FDP ausgleicht und Stärken dieser vier veränderungsbereiten Parteien verbindet.

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Alles was ich hier schreibe, heißt übrigens tatsächlich keineswegs, dass ich das auch wählen werde. Da ich  in anderen Zusammenhängen immer für Transparenz plädiere und finde, dass Worte und Taten zusammenfallen sollten, werde ich auch bei mir selber (wie hier heute) transparent sein, und sagen, was ich wähle und was meiner Meinung nach gewählt werden soll. Aber nicht diese Woche, sondern erst in einer nächsten. Und natürlich mit guten Begründungen.

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Hat das alles überhaupt Sinn? Entscheiden Wahlen noch irgendetwas? Ist es wichtig, wer regiert. Schon vor Jahren schrieb Isolde Charim über „postdemokratische Simulation.“ Gemeint war damit nicht der Kanzlersimulator, sondern die Müdigkeit der Demokraten, der Eindruck, dass die Parteien sich kaum unterscheiden, Alternativen nicht zu Wahl stehen, und „das System“ aus der Macht von Büroktratie und Ökonomie sowieso stärker ist, als der Wählerwille. 

Widerlegen kann man solche Thesen nur, wenn man wählt, und sich etwas traut. Also vielleicht nicht CDU, Grüne, SPD (wieder alphabetsch), sondern eben FDP, Linke oder Volt, Piraten, Humanisten, Frie Wähler oder so etwas. 

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Eine Frage an das ZDF: Warum treten im ZDF eigentlich fortwährend Redakteure der Springer-Verlage auf? Nur weil sie unionsnahe sind? Oder weil sie die Grünen kritisieren? Solche Leute findet man bei anderen Verlagen auch. Und warum müssen es immer die beiden doch durchaus begrenzten, und uninteressanten Robin Alexander und Dagmar Rosenfeld sein? Letzte Woche an gleich zwei aufeinanderfolgenden Tagen erlebte man es wieder: Warum nicht mal einer von der „Taz“ oder Heribert Prantl oder Jakob Augstein? Zu regierungskritisch? Zu unionsfern? Das wollen wir nicht glauben.

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Ach ja: Und wer wird eigentlich jetzt am Ende Bundeskanzler? Armin Laschet natürlich. Wetten das? Bei Angela Merkel hat es auch keiner geglaubt, bis es am Ende zu spät war. 

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