Gedanken in der Pandemie 113: Die Impfung von St. Domingo

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Ein bisschen suspekt sei der „Talk im Hangar 7“ ja, weil er vom krawalligen Red-Bull-Fernsehsender „Servus TV“ gemacht wird. Aber auch interessant, weil hier mal ganz anders über Corona debattiert wird. Krawalliger irgendwie. | Foto © Servus TV

Tod im Hangar 7, der geklonte Eiffelturm, die Pyramiden von Taj Mahal, Maos Filmstar-Frau und andere wahre Fake News – Gedanken in der Pandemie 113. 

„… you need to react quickly. You need to go after the virus. You need to stop the chains of transmission. You need to engage with communities very deeply. Community acceptance is hugely important. You need to be coordinated. You need to be coherent. You need to look at the other sectoral impacts, the schools and security and economic. […] Be fast. Have no regrets. You must be the first mover. The virus will always get you if you don’t move quickly. And you need to be prepared. And I say this, one of the great things in emergency response and anyone who’s involved in emergency response will know this: If you need to be right before you move, you will never win. Perfection is the enemy of the good when it comes to emergency management. Speed trumps perfection. And the problem in society we have at the moment is everyone is afraid of making a mistake. Everyone is afraid of the consequence of error, but the greatest error is not to move, the greatest error is to be paralyzed by the fear of failure.“
Michael J. Ryan, WHO Health Emergencies Programme, Executive Director, 13. März 2020 

„Das Pendel schwingt seit längerem in Richtung Schuld und Strafe. Während man früher alles zuließ, will man heute, als ob man es bereute, alles bestrafen.“
Pascal Bruckner, französischer Philosoph

„Denn die Blicke voll Verachtung, die der Fremde von seinem Bette aus auf sie geworfen hatte, waren ihr empfindlich, wie Messerstiche, durchs Herz gegangen; es mischte sich ein Gefühl heißer Bitterkeit in ihre Liebe zu ihm, und sie frohlockte bei dem Gedanken, in dieser zu seiner Rettung angeordneten Unternehmung zu sterben.“
Heinrich von Kleist, „Die Verlobung in St. Domingo“

 

Zu den unsympathischsten Charaktereigenschaften der Menschen gehört ihre Neigung zur Nabelschau, also der persönliche Narzissmus.

Die Tatsache, dass es bei bestimmten Menschen immer nur um sie selber und die eigene kleine, überaus begrenzte Filterblase gehen muss. Man kann das im Augenblick in der deutschen Politik ganz gut beobachten. Weitere Erklärungen sind hierfür, glaube ich, jetzt nicht nötig.

Corona ist klarerweise auch ein Narzissmus-Treiber. Und kein kleiner. Denn Narzissmus ist ja genau genommen sowieso gar nichts anderes als ein psychischer Lockdown. Eine Art Homeoffice der eigenen Eitelkeit. Diese sitzt dann da zu Hause mit sich rum, blubbert und gärt und entwickelt überschüssige Energie, die irgendwie raus muss. In diesem psychischen Lockdown sind gerade viele Menschen. Die einen tollen sich dann auf Facebook herum, die anderen schreiben Corona-Blogs. Denn um das auch klarzumachen: Es ist natürlich überaus eitel, immer nur über die Eitelkeit anderer zu sprechen, und dabei dann so zu tun, als sei man selber von dem Laster absolut unberührt. Zugleich lauert hier schon die nächste Eitelkeitsfalle. Denn es kann ja durchaus selbst eitel sein, von der eigenen Eitelkeit zu schreiben. Also lassen wir auch das mal besser. 

Eigentlich ist das Interessante ja auch vor allem, was man gegen Eitelkeit, die eigene und die der anderen, denn so alles tun kann?

Zur deutschen Corona-Eitelkeit gehört es, dass wir uns viel zu viel mit uns selbst beschäftigen. Zuerst ging es vor allem darum, was wir toll gemacht haben und besser als andere und warum mir wieder mal Weltmeister sind. Jetzt halt Corona-Weltmeister. Danach ging es dann darum, was alles bei uns beim Corona-Management schlecht läuft und sowieso was grundsätzlich schlecht läuft. Auch das ist eine Form von Eitelkeit: Der destruktive Stolz im sich selbst fertigmachen.

Darum gebe ich mir große Mühe, in diesem „Gedanken in der Pandemie“ möglichst oft von Gegenden Regionen und Kulturen dieser Welt zu erzählen, die außerhalb Deutschlands liegen.

Zumindest ein bisschen. Wie Mallorca. 

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Die 7-Tage-Inzidenz auf Mallorca ist seit zwei Monaten stabil geblieben, zwischen 25 und 30. Auch über Ostern. Weder haben es die deutschen Urlauber und vielgescholtenen Mallorca-Urlauber dort eingeschleppt, noch haben die Deutschen dann mit nach Hause gebracht. 

All die Panik ob der Mallorca-Flüge war völlig überflüssig. All die moraltriefenden, ressentimentgeladenen Berichte über die bösen und achso egozentrischen Mallorca-Urlauber und die schlimmen Folgen ihrer unbedachten Taten waren nichts als verlorene Lebenszeit für alle von euch, die sich das angeschaut haben.

Karl Lauterbach hat wieder einmal nicht recht gehabt, als er vor drei Wochen bei „Maybrit Illner“ behauptete,  Zahlen gingen dort gerade nach oben die und als er dann auch noch mehrfach gesagt hat, dass die Spanier mit ihren Zahlen tricksen und lügen würden –  „Da wird auch noch getrickst, ich glaube da kein Wort. Und ich glaube auch den Fallzahlen nicht.“- , so als handle es sich um eine Bananenrepublik.

Lauterbach müsse sich entschuldigen, forderte eine merkwürdige Allianz aus Grünen und „Bild“-Zeitung. 

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Außerhalb Deutschlands liegt auch Österreich. Dort gibt es eine wöchentliche Talkshow namens „Talk im Hangar 7“, die mir einerseits ein bisschen suspekt ist, weil sie von dem knalligen und krawalligen Red-Bull-Fernsehsender „Servus TV“ gemacht wird; sie ist aber andererseits hochinteressant, weil hier nicht nur inhaltlich auch komplett anders über Corona debattiert wird. Streitlustig vor allem. Die Gäste-Zusammenstellung ist immer so, dass sich die Leute gerade nicht einig sind, während es ja bei Markus Lanz, Anne Will und sogar bei Maybrit Illner immer irgendwie darum geht, dass am Schluss der Konsens unserer Gesellschaft herauskommt, jedenfalls das, was die Moderatoren dafür halten. 

Warum es sich aber in jedem Fall lohnt, in diese Talkshow regelmäßig reinzuhören – das kann man in der Kurzfassung auf Youtube, in der Komplettfassung in der Mediathek des Senders –, das ist die Tatsache, dass dort immer deutsche Gäste zu Gast sind und zwar solche Gäste, die nie oder sehr sehr selten bei den üblichen Verdächtigen des öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen sitzen. Also zum Beispiel so ehrenwerte und bekannte deutsche Journalisten wie Heribert Prantl von der „Süddeutschen“, oder Franziska Augstein ebenfalls von der „Süddeutschen Zeitung“, oder Ulrike Herrmann von der „Taz“. oder die Politikwissenschaftlerin und Sachbuchautoren Ulrike Guerot. Sie alle stehen links von der Mitte,  sie alle stehen fest auf dem Boden des Grundgesetzes, sie alle haben aber auch gemeinsam, dass sie die Corona Politik der Bundesregierung kritisieren. Und deswegen – anders kann ich es mir nicht erklären – werden diese Publizisten in die genannten Talkshow systematisch nicht eingeladen. Jedenfalls so gut wie nie. Einzige Ausnahme: Heribert Prantl, der vor ein paar Wochen einmal bei Lanz saß. Während ein Karl Lauterbach wie jeder von uns weiß, mindestens einmal pro Woche in mindestens einer ZDF-Talkshow herum sitzt, und längst zu einer Art Schatten-Gesundheitsminister geworden ist, einer der in manchen Kreisen größere Autorität genießt, als Jens Spahn, der immerhin formell noch der Gesundheitsminister ist. In dessen Fall verstehe ich allerdings den Autoritätsverlust. 

Aber dieses Ungleichgewicht – die Überpräsenz von Lauterbach, Melanie Brinkmann und einigen Virenmodellierern; die Unterrepräsentation von Prantl, den Augstein-Geschwistern, Guerot und sowieso allen Juristen und allen Sozialwissenschaftlern – ist der Grund für die Aggressionen gegen zum Beispiel Lauterbach. 

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Wo beginnt der Eitelkeit, und wo hört sie auf? Diese Frage könnte man nicht nur bei Karl Lauterbach stellen, sondern um Beispiel auch bei Tschiang Tsching. Wisst ihr noch wer das war oder habt ihr es überhaupt je gewusst? Tschiang Tsching war  eine Schauspielerin eine Filmschauspielerin, sogar eine leidlich berühmte mit einer Handvoll Filme die sie in den 30er Jahren in China gedreht hatte, in Shanghai. Shanghai war seinerzeit das Hollywood Ostasiens. 

Außerdem war Tschiang Tsching die vierte und letzte Ehefrau von Mao Tse-Tung. 

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Ihre Lebensgeschichte, vor allem ihre Rolle während der Kulturrevolution in China in den 60er Jahren bietet einen Erzählstrang der großartigen sechsteiligen Serie von Adam Curtis: „Can’t get you out of my head“. Ich hatte neulich schon darauf hingewiesen, möchte es aber hier noch mal tun, weil wir ja in den vergangenen Monaten auch immer wieder über China gesprochen haben – darüber, ob China Dinge in der Pandemie richtiger macht als Europa, und ob das nur so gehen kann, weil China ein autoritärer Staat ist. Und darüber, ob China vielleicht überhaupt eine Gefahr oder eine Bedrohung ist für den Westen, für seine Freiheit und Demokratie.

Es gibt eine gewisse Kritik an China, die halte ich für übertrieben. Andererseits kann ich manchen China-Freunden auch nicht recht über den Weg trauen. Da gibt es ziemlich suspekte Gestalten, und andere, deren Position einfach unklar ist; etwa jenen ehemaligen Titanic-Redakteur Christian Y. Schmidt, der vermutlich glaubt, seine Position seit ziemlich weit links von der Mitte. Der war zugleich schon im frühesten Stadium der Corona-Pandemie China und den chinesischen Weg (also die total Abschottung der Bürger von Wuhan zum Beispiel) zum Vorbild der Pandemie-Bekämpfung erklärt hat: Am Ende wird es wieder China sein, der die Welt rettet. zitiert Schmidt die Hongkonger „South China Morning Post“: „Feng sagte, das Ziel sei es, bis Ende nächsten Jahres 5 Milliarden Dosen gegen Covid-19 zu produzieren. Die Zahl ist etwa das Zehnfache ihrer Gesamt-Impfstoffproduktion vor dem Beginn der Pandemie – 2019 hat die chinesische Arzneimittelregulierungsbehörde 528 Millionen Dosen von Inlandsimpfstoffen unterschrieben. ,China baut 18 Produktionslinien, und jede große Produktionslinie ist wie der Aufbau einer neuen chinesischen National Biotec-Gruppe,’ sagte Feng und verwies auf den dominanten Spieler der nationalen Impfstoffherstellung.“

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Eine großartige Geschichte ist die vom geklonten Eiffelturm. Sie war dieser Tage auf einem gleichnamigen Film auf Arte zu sehen, der in der Mediathek steht. Es geht hier unter anderem um ein ganzes Stadtviertel von Shanghai, indem Teil Europas so exakt nachgebaut worden dass es sich fast um authentische Kopien handelt. Auch ein Eiffelturm gibt es erst allerdings nur ein Drittel so hoch wie das Original. In dem Arte-Dokumentarfilm geht es letztlich aber auch um ein sonstiges Doppelleben berühmter Bauwerke fast immer in Orten der Dritten Welt. So steht Paris in China, der Vatikan an der Elfenbeinküste, Londoner Vorstädte in Kapstadt ebenso wie holländische Windmühlen und die Pyramiden von Gizeh ziemlich nah am Taj Mahal dieser Film ist nicht nur spannend und lustig und absurd für europäische Augen, sondern beweist auch die Welt ist noch viel merkwürdiger als sonst in der Regel bewusst ist. 

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Heinrich von Kleist hat in seiner Novelle „Die Verlobung in St Domingo“ von Kolonien und Revolution von Rassen und Rassismus, von Widerstand und Freiheit, vor allem aber von ihrer gegenseitigen Durchdringung und Vermischung erzählt. Wie alle Texte von Kleist ist auch diese Novelle ein Stoff der Revolution wie des napoleonischen Zeitalters. Wenn man das liest, sollte man sich vor voreiligen Schlüssen hüten. Die Tatsache, dass die schwarzen Sklaven hier „Neger“ heißen, markiert nicht Rassismus sondern eine Fremdheit. Bevor man glaubt, dass es Kleist hier einseitig mit den weißen Kolonisatoren halte, sollte man sich klarmachen, dass eine Liebesgeschichte erzählt wird, die Hautfarben-Schranken überschreitet, dass der weiße Held ein Revolutionär ist, der die Französische Revolution empathisch begleitet hatte, und das – und dies ist das Entscheidende – Preußen und mit ihm der preußische Patriot  und Offizier Heinrich von Kleist sich zum Zeitpunkt der Niederschrift 1811 unter französischer Besatzung befanden. Die ganze Novelle ist unter anderem ein Anti napoleonisches Opposition Signal. Dies ist der Text eines Partisanen der gegen sein Zeitalter anschreibt, und für die Verdammten der Erde. 

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Die Geschichte des revolutionären Aufstands von Haiti ist die Geschichte eines der wenigen geglückten anti-kolonialen Aufstände. es lohnt sich, sich auch mit dieser bei uns fast komplett unbekannten Geschichte, die seinerzeit vor über 200 Jahren weltweit Sensationen machte, gerade unter den europäischen gebildeten Ständen, zu beschäftigen.

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Im Weltspiegel gab es am Sonntag einen Bericht über Haiti. Was macht eigentlich ein derart armes und in vieler Hinsicht zurückgebliebenes Land, und ein gescheiterter Staat wie Haiti in der Pandemie?

Es geht darin um eine Organisation namens „Child care Haiti“. Ihre großartige Arbeit hat nichts speziell mit Corona zu tun, sie kümmert sich ganz allgemein und die kostenlose Behandlung von Krankheiten. Es ist uns ja allen hoffentlich war alle Aufregung und  Corona klar, dass viele Krankheiten in vielen Teilen der Welt  weitaus schlimmer wüten als Corona.

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