Kino in Zeiten von Corona 9

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„Zatoichi, der blinde Samurai“ trifft „Léon, den Profi“: Neo-noir kämpft sich der „Man from Beirut“ durch Berlin. Diese Woche lief der deutsche Thriller in den Autokinos an. Nicht in Berlin – dort gibt es noch keins. | Foto © Filmwelt

Die Streams der Woche – und ein Start im Autokino. Von Elisabeth Nagy

Nichts Genaues weiß man nicht. Wann öffnen die Kinos? Wo öffnen die Kinos? In Hessen gibt es schon Spielbetrieb, berichteten wir in der Brancheninfo am Mittwoch. In Italien soll ab 15. Juni und in Österreich am 1. Juli die Kinos öffnen, habe ich im Newsticker von programmkino.de gelesen. Während eine Flut an Startmeldungen per E-Mail auf mich einprasselt, lese ich zumindest für die Autokinos nur Positives. Davon gibt es immer mehr und mehr und – und was macht man ohne Auto und ohne Autokino? Da gäbe es doch Freiluftkinos, die doch in der Regel, in normalen Zeiten, im Mai an den Start gehen. In Berlin gibt es drei davon. Die Betreiber, die Piffl Medien, haben ein Konzept vorgelegt und warten auf ein Go. Nur ein Viertel an Publikum könnte kommen, aber was in Kaufhäusern und Geschäften funktioniert, sollte doch an einem Ort, an dem man sich wahrlich nur zielgerichtet von A nach B bewegt, ohne weiteres machen lassen. 

Aber noch mal zu den Autokinos. Der Verleih Filmwelt bringt jetzt sogar einen Titel exklusiv für die Autokinos raus. Wobei „exklusiv“ nicht ausschließt, dass Kinos, die in manchen Bundesländern schon wieder dürfen, den Film nicht auch mieten könnten.

Momo ist ein Auftragskiller, einer, der die losen Enden wegräumt. Bei seinem letzten Job wird er plötzlich weich. Ein Mädchen, 9 Jahre alt, Halbwaise, ist einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Als Momo beschließt, sie am Leben zu lassen, zeigt er Schwäche. Und andere stürzen sich flugs auf ihn, um den Schlamassel zu beseitigen. Der Clou: Momo ist blind. Die Hauptrolle spielt Kida Khodr Ramadan, als Produzent ist er auch dabei. Die Einflüsse kommen von Luc Besson und Takeshi Kitano. Der Regisseur Christoph Gampl, sein Koautor Boris Naujocks und die Kamerafrau Eeva Fleig setzen auf Atmosphäre. Berlin wirkt leer, kalt und unnahbar.

Ursprünglich wollte das Filmteam ihren „Man from Beirut“, der zuerst auf dem Festival in Tallin im November gespielt wurde, auf dem Festival Achtung Berlin vorstellen, immerhin wurde in Berlin gedreht, Berlin spielt gewissermaßen mit eine Hauptrolle. Das Festival fand nun nicht statt. Mit Herz und Empathie, was den einen oder anderen Mord nicht ausschließt, möchte „Man from Beirut“ sein Publikum erobern. Ab 20. Mai läuft der deutsche Thriller mit starken Neo-Noir-Einschüben im Drive-in-Autokino Köln-Porz an und Essen, Stuttgart, Frankfurt und Wuppertal folgen. Nur Berlin muss sich gedulden. Es gibt zur Zeit noch keinen Abspielort – in Neukölln ist eins in Planung.

Apropos Achtung Berlin. Die Festivalcrew hofft auf eine Verschiebung in den September. Zurzeit setzt man auf eine Retrospektive: „15 Jahre Achtung Berlin“. Mit dem Verleih UCM beziehungsweise dem Label Darling Berlin stellt man eine Auswahl an Festivalfilmen auf einem YouTube-Kanal zur Verfügung. Dazu gehören sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme, lange, kurze und mittellange Filme. Jeden Abend um 18 Uhr kommt ein Titel hinzu. Dazu gehört „Kaptn Oskar“ von Tom Lass (2013) oder die Dokumentation „Berlinized“ von Lucian Busse (2011). Das Programm ist kostenfrei, eine Übersicht gibt es hier.

Am heutigen Freitag heißt die „Filmperle“ „Liebe mich!“. Regie führte Philipp Eichholtz, zur Besetzung gehören Lilli Meinhardt, Christian Ehrich, Maggy Domschke, Peter Trabner, Davide Brizzi, Eva Bay und Axel Ranisch. Sarah, wild und ungestüm, wacht neben ihrem besten Freund auf. Schnell ist klar, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben. Sarah macht trotzdem eine Szene. Sie will alles und sofort und nur das, was ihr Spaß macht. Dabei ist sie unberechenbar. Lilli Meinhardt zeichnet sie mit einer Furore, deren Wirkung man nicht abschütteln kann. 

Philipp Eichholtz hatte sechs Drehbuchseiten und rund zehn Drehtage. Keine Förderung, stattdessen Oma. Er orientierte sich an Axel Ranischs „Sehr gute Filme-Manifest“. Gute Filme entstehen aus Leidenschaft, mit einem kleinen beweglichen Filmteam, in einem Rausch. Sarah fällt Entscheidungen, die laut ihrem Vater hirnrissig sind. In Folge hat sie keine feste Bleibe, keine Orientierung, keinen Plan. Ganz viel beruht auf Improvisation, dem man das kaum anmerkt. Sarah ist ein Kind der Großstadt, sie driftet dahin und will doch dazu gehören und geliebt werden. Eichholtz beweist eine große Hingabe an alle Figuren, lässt ihnen Ecken und Kanten, will nichts zurechtbiegen, und fängt dabei mit einem Budget von 4.000 Euro sowohl die Liebe als auch ein Lebensgefühl glaubhaft ein.

Eine Weile wird die Lage noch so sein, wie sie gerade ist. Vermutlich. Grandfilm führt sein „kinosolidarisches“ Programm „Grandfilm & Friends“ auf ihrem On-Demand-Kanal fort. Vorerst steht das Programm bis Anfang Juli. Dafür ist man mit dem Wiener Filmverleih Filmgarten eine Kooperation eingegangen. Der zweite Film der Reihe, „António Um Dois Três“ (Antonio 1, 2,3) ist eine portugiesisch-brasilianische Koproduktion, die unter anderem auf dem Filmfest Hamburg gezeigt worden war. Der brasilianische Regisseur Leonardo Mouramateus hat sich für sein Regiedebüt die Novelle „Weiße Nächte“ von Fjodor Dostojewski ausgesucht. Die Bühne ist hier allerdings Lissabon. Ein junger Mann, António, wird von dem Vater vor die Tür gesetzt. Damit aus dem Träumer doch mal was wird. Nun will er zu einer Freundin und lernt nebenbei eine junge Frau kennen und so weiter. Mouramateus erzählt den Handlungsstrang gleich dreimal, jeweils etwas anders. Er trifft dabei ein Lebensgefühl, bringt uns die Figuren jedoch nicht jeweils näher. Im Gegenteil.

Der Salzgeber Club geht diese Woche das Thema Geschichtsaufarbeitung an. Seine Premiere hatte „Bones of Contention“ 2017 im Panorama der Berlinale. Spanien gilt heute als „Mekka“ der LGBTQ-Community. Doch Spanien hat die Untaten, die das Franco-Regime den Menschen von nicht heteronormierter Orientierung angetan hat, noch nicht aufgearbeitet. Mit einer Amnestie wurden die Opfer aus dem Blickfeld genommen und die Täter gingen straffrei aus. Das Franco-Regime produzierte Massen an Massengräbern. Eines der ersten Opfer war der Dichter Federico García Lorca. Bis heute weiß man nicht, wo er verscharrt worden ist. Sein Verschwinden steht für das von Tausenden. Und auch nach dem Bürgerkrieg dauerten die Repressalien an. Die US-Amerikanerin Andrea Weiss (Co-Regisseurin mit Wieland Speck von Die Erika und Klaus Mann-Story), Historikerin von Beruf, lebte eine Zeit lang in Barcelona. Sie visualisiert die Zeit der Franco-Ära nicht nur mit Archivmaterial, sondern mit Texten von García Lorca selbst und fügt dann Interviews mit Zeitzeugen der jüngeren Vergangenheit hinzu.

Noch mal Berlinale, nur aktueller. Im Verleih von Arsenal Distribution gibt es noch eine Woche lang ein Porträt über die Pianistin Margarita Fernández zu sehen. Die Dokumentation lief dieses Jahr im Forum-Programm. Edgardo Cozarinsky, der lange Jahre in Frankreich gelebt und gearbeitet hatte bevor er nach Buenos Aires zurückkehrte, pflegt seit über 40 Jahren eine Freundschaft mit Fernández, die selbst schon über 90 ist. Mit dem Gespür für die Verzögerung, in der Erwartung eines Tons, eines Handgriffes, sehen wir zuerst nur die Tasten eines Klaviers und die Hände, die über diesen Tasten hinwegstreichen, ohne sie zu berühren. Es ist kein Zögern, beilebe nicht. Ähnlich behutsam vermittelt Cozarinsky dem Publikum die Vita und die Passionen der Musikerin, die die Musik von Brahms liebt oder die Figur, die Greta Garbo in „Königin Christina“ gespielt hatte.

Und sonst so? Da gibt es noch das Känguru. Dort, wo die Kinos schon wieder spielen, spielt man auch das Känguru, meldete am Mittwoch die Presseagentur und fügte hinzu: „Am 2. Juli, pünktlich zum Beginn der Sommerferien in den ersten Bundesländern, starten deutschlandweit in allen Kinos ganz neu: „Die Känaguru-Chroniken Reloaded“ mit einer Einstellung in 3D!“ Das nenne ich optimistisch.