Gedanken in der Pandemie 77: „My Name is Angela Merkel, and I want you to panic!“
35 ist das neue 50 und Weiteres aus dem ganz normalen Wahnsinn der Pandemiebekämpfung: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 77.
„Auf den Notfall rekurriert man, um schnellstmöglich zur Normalität zurückzukehren, auf den Ausnahmefall rekurriert man hingegen, um die Regel zu brechen und eine neue Ordnung durchzusetzen.“
Carl Schmitt (1888-1985), Staatsrechtler und politischer Philosoph
Eigentlich wäre hier unbedingt der Blick ins Ausland nötig und auch das statistische Untersuchen der verschiedenen Wellen und Bögen und Kurven, ob sie nun exponenziell sind oder nicht. Dafür ist in diesem Blog leider im Augenblick keine Zeit und auch kein Raum. Das wird sich ändern, aber erst in ein ein paar Wochen.
Genauso, wie es hier mehr Vielstimmigkeit geben müsste. Im Augenblick fährt auch dieser Blog nur „auf Sicht“. Ich versuche, wichtiger Kritik und differenzierten Stimmen Raum zu geben; es bleibt aber kein Raum, um Themen zu vertiefen oder deutlicher auf Kunst und Kultur einzugehen, auf den Medienbetrieb, oder auch deutlich zu machen, dass in Deutschland immer noch „das Glas halbvoll“ ist, oder dreiviertelvoll, wenn es um Corona-Bekämpfung geht.
Es ist wichtig das zu sagen, denn ich selbst bin mit diesem Zustand unzufrieden. Die „Gedanken in de Pandemie“ sollen kein Corona-Meckerblog sein, ein Raum für Vielfalt sehr wohl. In diesen Wochen heißt das trotzdem: Keine Kür, nur Pflicht.
Einstweilen freue wir uns um so mehr auf Feedback unserer Leser und darauf, dass ihr uns auch Eure Interessen, Wünsche oder Nöte mitteilt, und schreibt, wozu ihr hier gern mehr lesen möchtet.
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Corona ist offensichtlich ein Virus, dass auch die Gehirne angreift. Wahrscheinlich auch meines, aber allemal den Verstand der Politiker. Das zeigt die offene Panik der Akteure und das allgemeine Durcheinander der sogenannten „Maßnahmen“, die auch von den meisten für mindestens bedeutungslos gehalten werden.
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35 statt 50 – die Politik richtet jeden Tag neues Chaos an. Was seit Monaten galt, nämlich die Grenze von 50 Infektion pro 100.000 Einwohner, soll nun plötzlich nicht mehr gelten. Ab 35 sollen schon Beschränkungen greifen. Längst erleben wir einen de facto Lockdown der Gesellschaft, jedenfalls des privaten Teils des gesellschaftlichen Lebens.
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„Gottseidank gibt es die Gerichte“ – mehr als einmal pro Tag habe ich in dieser Woche von sehr verschiedenen Leuten diesen Satz gehört.
Das stimmt schon. Aber ich kann mich darüber nicht freuen, und würde eher formulieren: Leider ist es nötig, dass es Gerichte gibt, um wenigstens die größten Exzesse der Regierenden und Bürokraten der Exekutive wieder geradezubiegen.
Allein gestern wurden in drei Bundesländern die Beherbergungsverbote kassiert. Weitere werden folgen. Und ist es nicht schlimm, wie hier die Bundesregierung sehenden Auges gegen die Wand fährt, und den entstehenden Schaden für die Achtung vor Politik und Institutionen willentlich in Kauf nimmt: Vielleicht schien das Beherbergungsverbot kurz mal eine gute Idee zu sein. Aber schon vorige Woche war klar, dass nichts draus wird, weil es zu viele Nachteile hat. Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland führte darob das absurde Szenario auf, dass das Beherbergungsverbot in NRW „galt“, aber „nicht umgesetzt“ wurde.
Auch laut Robert-Koch-Institut ist das Beherbergungsverbot nicht nur unnütz zur Eindämmung des Coronavirus. Es kann sogar kontraproduktiv wirken, weil benötigte Testkapazitäten aufgebraucht werden. Testlabore kommen aufgrund der steigenden Nachfrage jetzt bereits an ihre Grenzen.
Es ist nicht zuletzt unsozial. In der Praxis bedeutet es, dass sich Reiche gegen viel Geld testen lassen können; dass Labore und Pharmaindustrie sich eine goldene Nase verdienen; dass sozial schwache und arme Familien keinen Urlaub machen können.
Es führt uns zu weiteren grundsätzlichen Problemen der ganzen aktuellen Corona-Politik.
Das Verdachtstesten und die Verdachtsquarantäne. Das schadet nicht nur der Gesundheitspolitik, weil Testkapazitäten fehlen, wo sie wirklich gebraucht werden. Ein Epidemologe empfiehlt, besser nur Menschen mit Symptomen zu testen.
Vor allem bedeutet diese Verdachtspolitik tiefgreifende Grundrechtsbeschränkungen, die mindestens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen.
Im Zweifel für den Angeklagten ist der Grundsatz des Rechts. Im Zweifel gegen den Gesunden ist der Grundsatz unserer Gesundheitspolitik.
Brave New World!
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Auch die Berliner Sperrstunde ist vorläufig schon wieder Geschichte: An diesem Freitag hob das Berliner Verwaltungsgericht die Sperrstunde auf – formal für elf Wirte, de facto für alle. Ob das Ganze als Bundesgesetz wieder durchsetzbar ist, bleibt noch offen. Das Hauptargument der Juristen liegt in der Verhältnismäßigkeit, der Freiheit der Bürger und der Gewerbefreiheit der Wirte.
Das Gericht sieht die vom Rot-Rot-Grünen Senat vermutete „Gefahr alkoholbedingter ,Enthemmung’“ nach 23 Uhr nicht gegeben.
Man kann viel gegen diese Verbotspolitik sagen. Das wichtigste Argument: wenn eiige sich daneben benehmen, kann man nicht alle bestrafen.
Es wird ja auch kein Autoverkehr nach 20 Uhr verboten, obwohl es jede Woche betrunkene Autofahrer gibt – die Dunkelziffern nicht eingerechnet. Aber geschrottete Autos steigen ja auch da Bruttosozialprodukt.
Gastwirten könne nicht pauschal unterstellt werden, dass sie die Vorgaben nicht einhielten. „Allein die bessere Kontrollmöglichkeit einer Sperrstunde könne daher hier nicht zur Rechtfertigung der Maßnahme herangezogen werden.“
Weil das Infektionsumfeld Gaststätte eine untergeordnete Bedeutung habe, sei die Sperrstunde zudem ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit.
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Das Robert-Koch-Institut beobachtet Corona-Häufungen bei Feiern im Familien- und Freundeskreis, in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und in Verbindung mit religiösen Veranstaltungen.
Vielleicht sollte man Gottesdienste verbieten? Zumal da schon am Vormittag Alkohol ausgeschenkt wird.
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Andere tolle Ideen: Die Verlängerung der Winterferien. Man könnte dafür ja die Sommerferien kürzen. Tolle Idee. Wurde schnell wieder kassiert, weil sie weder mit Elternverbänden, noch Schulen und Kultusministerien abgesprochen war.
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„Zügel anziehen“; „einfach ausschalten“ – diese Sprache enthüllt die Gesinnung vieler Politiker. Und es sind nicht weniger Frauen als Männer, die so reden; das muss man in unserer neuerdings so gender-bewussten Gesellschaft dann auch dazu sagen.
Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sagte jetzt: „Wir müssen das Nachtleben einfach ausschalten.“ Eine Diktion, die entlarvend für das Denken und für die Zielrichtung der gegenwärtigen sogenannten „Gesundheitspolitik“ ist.
Nicht erst, seit wir letzte Woche „Deutschland 89“ gesehen haben, erinnern wir uns, bei „ausschalten“ in diesem Zusammenhang an die Diktion der Auftragskiller: Ein Zielobjekt wird ausgeschaltet. Vielleicht könnte sich die Dame, die schon den Bau eines zumindest bislang vollkommen sinnlosen zweistellige Steuer-Millionen kostenden Behelfskrankenhauses auf dem Berliner Messegelände zu verantworten hat, einmal um eine etwas genauere Sprache bemühen. Es darf nämlich gerade nicht darum gehen, das Nachtleben „auszuschalten“, sondern darum, es unter schwierigen Bedingungen zu retten und zu erhalten.
Das Nachtleben ist nämlich nicht nur etwas für viele „Feierwütige“ (klingt wie „Tollwut“) „Jugendliche“ (also nicht ernstzunehmen) aus „Problembezirken“ (so reden linksliberale Politiker, wenn sie nicht „Ausländer“ und „Asoziale“ sagen, aber den kleinen Rassisten im braven Bürger triggern wollen).
Es betrifft sehr viele Lokalbesitzer, Bar-Wirte, Restaurant-Gastronomen, Späti-Betreiber, und vor allem die ganzen Köche, Kellner, Aushilfsjobber mit eh schon erhöhtem Ansteckungsrisiko und die entsprechenden Lebensmittel- und Getränkelieferanten. Nicht viele davon werden zumindest einstweilen noch SPD gewählt haben. Beim nächsten Mal vielleicht dann doch besser die Linken oder die Grünen oder die FDP, jedenfalls Parteien, die sich ein bisschen mehr für die Freiheit der Einzelnen einsetzen.
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Sind Frauen eigentlich die härteren Corona-BekämpferI*_nnen? [sic!] Allemal tun sich außer der Sozialdemokratin Kalayci auch ihre Parteigenossin Manuela Schwesig mit der restriktivsten Corona-Politik hervor, ebenso aber die CDU-Gesundheitspolitikerin Karin Maag – und natürlich die Kanzlerin.
Immerhin Ministerpräsidentin Malu Dreyer, ebenfalls SPD, zeigt mehr Toleranz und praktische Weisheit – in Rheinland-Pfalz wurde das Beherbergungsdings als erstes aufgehoben.
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Für Markus Söder möchte ich einfach einen Facebook-Freund zitieren: „Dieser Mensch nervt nur noch. Ständig plappert er alarmierend hinter seiner Maske herum von irgendwelcher Katastrophe und hat sein Bundesland diesbezüglich am wenigsten im Griff.“
Vergleichsweise wohltuend gelassen ist allein Gesundheitsminister Jens Spahn. Im DLF-Interview sagt er: „Wir können der Spielverderber für das Virus sein. […] Wir entscheiden heute, ob Weihnachten in gewohnter Art stattfinden kann.“
Da hat er recht. Klar wissen wir alle, dass Weihnachten nicht in gewohnter Art stattfinden kann. Aber es geht um Selbstverantwortung und um ein Ende der Gängelung der Bürger; die ja im Übrigen mehrheitlich sehr besonnen sind, und auch unsinnige Auflagen einhalten.
„Ich finde es zuerst einmal wichtig zu sehen: 90 Prozent der Deutschen sagen, sie halten sich an die Regeln. Und viele tun das ja auch im Alltag. Aber wir haben einige wenige, zu viele wenige, die das nicht tun […] da braucht es nicht nur neue Regeln – da braucht es vor allem auch das Durchsetzen von Regeln, zum Teil dann auch mit empfindlichen Strafen, etwa, wenn Großveranstaltungen ohne umgesetztes Hygienekonzept stattfinden.“
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Warum werden zum Beispiel die Fahrscheinkontrolleure bei den eh öffentlich durchsubventionierten Öffentlichen Verkehrsbetrieben nicht zu Maskenkontrolleuren? Wir alle kennen die Fahrten mit einem oder zweien, die keine Maske tragen. In sechs Monaten in der BVG bin ich achtmal auf Fahrkarte kontrolliert worden, habe aber nur eine einzige Maskenermahnung erlebt. Die BVG-Frau war von besorgten Bürgern herbeigerufen worden.
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Immer wieder ist dieser Tage die Rede von der Gefahr eines „Kontrollverlusts“. Fine for me – die Frage aber stellt sich dann auch: Was muss hier eigentlich kontrolliert werden? Die Bürger oder das Virus? Nach meinem Eindruck konzentriert sich die Politik in Deutschland viel zu stark auf die Kontrolle der Bürger und die Einschränkung ihrer Freiheit und nicht auf die Kontrolle des Virus und die Einschränkung der Virusfreiheit.
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Wie es jenseits der großen Corona-Solidaritäts-Bemühung im Zeichen des Schutzes von „Schwachen“ seit Jahren um die pädiatrische Versorgung bestellt ist, zeigt ein Münchner Beispiel: Das „Fallpauschalen“-System wirkt sich in vielen Bereichen des Gesundheitssystems zu Lasten von chronisch Kranken und Schwachen aus.
Dazu hier ein Text.
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Nimmt man dieses komplett atonale Platzkonzert der Corona-Politik, entsteht leider der Eindruck eines politischen Systems, das zu kollabieren beginnt.
Das kann niemanden glücklich machen.