Gedanken in der Pandemie 74: Das Ziel ist Verunsicherung

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Manche denken bei den Maßnahmen gegen die Pandemie gleich an „1984“. | Foto © Archiv

Neues aus der „Man-weiß-ja-nie“-Gesellschaft: Maskenzwang, Bayern-Malus, Verbotslust und Lustverbot- Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 74.

„Das große Problem wird zunehmend in der Verfügung über die Informationen liegen, die von Automaten zu speichern sein werden, damit die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Die Verfügung über die Information fällt immer mehr in die Zuständigkeit von Experten aller Art. … Es zeichnet sich eine Politik ab, in der der Wunsch nach Gerechtigkeit und der nach Unbekannten gleichermaßen respektiert sein werden.“
Jean-Francois Lyotard, „Das postmoderne Wissen“

 

Geht es euch, liebe Leser, eigentlich auch so: Dass man durch Corona wieder ein bisschen zur Zeichensprache zurückkehrt? Genau gesagt durch die Masken. Man verliert durch sie nämlich einen großen Teil seiner Ausdrucksfähigkeit; man muss in Gesprächen stärker mit den Händen sprechen, muss Emotionen, die man allein mit Augen nicht transportieren kann, sondern wozu man seinen Mund und die Grimassen und das Lachen braucht, genauso wie das Zusammenspiel zwischen Augen und Mund, man muss alles dies ersetzen durch Gesten. Es sind die Gesten der Präraffaeliten, Gesten der Kunst des Mittelalters: Zusammengefaltete Hände, oder die Hände zur Faust geballt, oder eine Hand auf dem Herzen, zusammen mit einer Verbeugung, wie sonst nur bei Japanern. Oder die offen gezeigte Hand. Eben vor allem die Hand.
Ob wir durch Corona auch zum Stummfilm zurückkehren? Das wäre mal was.

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Die Maßnahmen, die man mit dem Ziel der Pandemie-Eindämmung begründet, ziehen gerade wieder an, und das werden sie in Zukunft weiterhin.
Den Anfang macht mal wieder Bayern. Maskenzwang in der Münchner Altstadt – was soll das denn, bitte?

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Markus Söder hat die schlechtesten Zahlen und die größte Klappe. Vielleicht hängt beides ja doch miteinander zusammen. Die Einführung eines Maskenzwangs auf allen öffentlichen Plätzen, also auch draußen auf den Straßen, ist jedenfalls absurd. Sie ist sachlich durch nichts gerechtfertigt. Die Aussagen der Virologen widersprechen ihr schon mal, weil es draußen so gut wie keine Ansteckungsgefahr gibt. Und die praktischen Beispiele widersprechen ihr auch. Etwa Spanien, wo ich mich gerade aufhalte, und mich zur Überraschung nicht weniger besorgter Bekannter (und zum Verdruß mancher, die es mir wünschen) immer noch nicht infiziert habe: Dort gibt es den Maskenzwang seit vielen Monaten. Die Zahlen sind trotzdem höher als in Deutschland. Sollte uns das vielleicht zu denken geben?
Könnte es sein, dass Maskenzwang und Corona-Ansteckungs-Zahlen schlicht und einfach gar nichts miteinander zu tun haben?
Wenn dem so sein sollte, warum wird es also trotzdem gemacht? Es geht um eine Disziplinierung der Bevölkerung. Es geht auch darum, sie durch immer neue Maßnahmen zu beschäftigen und gewissermaßen am Laufen zu halten. Dies ist klassische Prinzip der Disruption, das spätestens vor vier Jahren durch Donald Trump berühmt wurde – aber bis heute von unseren Öffentlichkeiten, also von uns allen, noch immer nicht richtig begriffen wurde. Wäre es anders, würde sich niemand mit den vollkommen unwichtigen täglichen Ausschüttungen des US-Präsidenten beschäftigen, und Trump wäre längst aus den Nachrichten verschwunden – was mindestens unserer geistigen Hygiene gut täte.
So aber lassen wir uns beschäftigen und durch Beschäftigung einwickeln und ablenken. Genau das ist beabsichtigt.
Disruption ist ein Managementprinzip, dem es darum geht, zu stören und durch Störung zu führen. Es geht darum, die Mitarbeiter eines Unternehmens (beziehungsweise in der Politik die Bürger), daran zu hindern, in irgendeinen Trott zu verfallen, sich an irgendetwas zu gewöhnen, sich sicher zu fühlen. Man könnte auch sagen: Das Ziel ist Verunsicherung. Wenn es um Sachen von Corona geht, glauben die Mächtigen, davon zu profitieren, dass die Bürger sich nicht sicher fühlen.

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Es wird so weitergehen. Wir werden es erleben, dass zum Beispiel Restaurants wieder früher schliessen müssen. Dass es Verbote von öffentlichen Feiern und Zusammenkünften gibt, dass Alkoholverkauf und Konsum eingeschränkt werden. Dass Fußballspiele ohne Zuschauer stattfinden. Das Kulturveranstaltungen geschlossen bleiben. Gefährlich ist offenbar immer nur das, was Vergnügen bereitet. Dass Arbeitsplätze und Büros und Fabriken früher geschlossen werden, habe ich noch nirgendwo gehört.

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Die sicherste Form, Infektionen auszuschliessen, ist, alles komplett zu schließen. Dann aber auch Schulen und Arbeitsplätze. Passiert aber nicht. Aber es heißt doch: Jedes Leben zählt?

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Wenn wirklich jedes Leben zählen würde, müsste man das Rauchen verbieten – das ist tödlicher als Corona. Die Menschen, die sich in Sozialen Medien daran delektieren, immer neue Einschränkungen zu fordern, und die andere, freiheitlicher Gesonnene, pauschal als „Covidioten“ diffamieren, sollten alle Einschränkungen zunächst einmal auf sich selber anwenden.
Warum haben alle eine so große Lust daran, anderen Vorschriften zu machen? Beispiel Kulturveranstaltungen: Da muss keiner hin. Warum also muss es verboten werden? Wer möchte, darf einfach zuhause bleiben, Selbstisolation praktizieren, aber nicht andere zur Isolation zwingen, die das nicht machen möchten – man nennt es auch Selbstverantwortung.

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Vorsicht ist geboten bei allen Feinden des Glücks und des Genusses, bei den Feinden des Glücksstrebens und des Genussstrebens. Weil sie das so nicht sagen möchten, reden diese Feinde gern von „Hedonismus“. Ein altgriechisches Wort für Lust, Vergnügen und Glück. Die alten Griechen wären nie auf den Gedanken gekommen, daran etwas schlecht zu finden. Sie debattierten nur über den Preis. Also darüber, ob Glück einen gewissen Schmerz und Opfer wert sei, oder ob man sich eher um Schmerzvermeidung bemühen sollte.
In der Neuzeit dann stand Hedonismus unter Verdacht, nicht nur bei Puritaners. „Dir geht’s zu gut“, sagt man schon kleinen Kindern. Welch absurde Feststellung.
Hedonismus-Kritik ist bei allen politischen Richtungen beliebt, auch bei der Linken, auch in den Jahren der Befreiung von uraltem Muff und alten Zöpfen. Es gab zwar Spaßfraktionen, aber die waren immer in der Minderheit gegenüber den Asketen, die gerne „Opfer“ einforderten beim langen Marsch ins Himmelreich.
Lieber als ein bisschen Genuß im Hier und Jetzt hielt man Vorträge gegen „Konsumrausch“ (am besten direkt nach dem Kurzplädoyer für Haschisch- und LSD-Freigabe) und kritisierte das „falsche Glück“.
Nicht, dass es sowas nicht geben würde – aber die sensibleren und wachsameren unter den Linken misstrauten diesem Argumentationsmuster schon früh: Adorno in Seitenbemerkungen, Herbert Marcuse ganz offen in seinem Text „Zur Kritik des Hedonismus“. Gegen all die heute wieder beliebten Entsagungsübungen, die Glück und Genuß als „falsches Bewußtsein“ abtun wollen, hält Marcuse erst einmal das Prinzip entgegen, dass das Glück nicht vertagt werden kann, und dass Glück einen materialistischen, sinnlichen Kern hat, der nicht im Reich der Vorstellung aufgehoben werden kann: „Mit dem Prinzip des Hedonismus ist die Forderung nach der Freiheit des Individuums […] in den Bereich der materiellen Lebensverhältnisse vorgetrieben. […] ein sonst verfemtes Stück menschlicher Befreiung. […] Die rigoristische Moral versündigt sich gegen die karge Gestalt, in der Humanität überdauert hat; ihr gegenüber ist jeder Hedonismus im Recht.“
Das gilt auch für Corona-Verhältnisse.

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Die neue Tyrannei maschiert unter der Flagge der Sanftheit und flötet die Parole der „Achtsamkeit“. „Achtsamkeit“ heißt der Kern der neuesten Ideologie; längst gibt es eine ganze Achtsamkeitsindustrie, und Achtsamkeitslobbys. Das verlogene „Jedes Leben zählt“ bedient genau die Gefühlslandschaft dieser Gruppen.
Es sind Totschlagparolen, mit denen offene Debatte und Streit vermieden werden soll. „Man soll/kann/darf doch so etwas nicht aufrechnen“ heißt es, wenn erklärt wird, wo es keine Übersterblichkeit gibt, wenn Verkehrstote den Corinatoten gegenüber gestellt werden, Kosten der Pandemiebekämpfung den möglicherweise geretteten Leben. Warum soll/kann/darf doch so etwas nicht aufrechnen? Weil dann herauskäme, was unter den Teppich gekehrt werden soll. Man soll so etwas nicht aufrechnen, sagen immer die Verteidiger der Förderung klassischer Kultur, wenn man den pro Vorstellung und Sitz mit 400 Euro öffentlicher Gelder finanzierten Opernhäusern vorrrechnet, dass öffentliche Kinos pro Jahr die Hälfte eines einzigen Vorstellungsabend bekommen.
Würde man aufrechnen, müsste umverteilt werden.
Das Argument klingt wie früher in der Volksschule der Lehrerinnenspruch: „Der Klügere gibt nach.“ Aber schon das Kind denkt den einen Schritt weiter: Wenn das stimmt, dann bekommt der Dümmere ja recht.

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Traurig, dass gerade die schlechten Eigenschaften einer Kultur – Spießigkeit, Konformismus, Passivität, Staatsgehorsam – unter den besonderen Umständen von Corona plötzlichen gute Eigenschaften wenden. Hoffentlich bleibt dies eine Ausnahme.

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Ist es nicht richtig, dass wir regierungsskeptisch sind? Muss man die Skepsis gegenüber der Regierung jetzt verdammen, bloß weil sie teilweise auch in die falsche Richtung losgeht? Oder hat nur das brave Bürgertum und vor allem das angepasste Kleinbürgertum auf seine Gelegenheit gewartet, um eine Variante des früheren Spruchs „Dann geh doch nach drüben!“ zu rufen?

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