Gedanken in der Pandemie 60: Wie flirtet man per Zoom?

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Gar keine Frage: Es ist nicht lustig ist, in Deutschland Polizist zu sein. Im Kino aber schon ein bisschen – wir erinnern uns an „Knocking on Heaven’s Door“. | Foto © Buena Vista

Freunde und Helfer, zurück ins Office Office: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 60.  

„Angesehen werden heißt, sich als unbekanntes Objekt unerkennbarer Beurteilungen erfassen …“
Jean-Paul Sartre

 

Erstmals Zoomkonferenz als Host. 30 bis 40 Menschen schauen einen an, aber man kann nicht zurückschauen. Man kann sie auch nicht anschauen. Man wird angeschaut und kann nicht zurückblicken. 

Dabei wusste schon Jean-Paul Sartre, dass der Blick das entscheidende Medium des Menschlichen ist. In seinem Kapitel „Reflexion sur le regard“ in seinem Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ hat der französische Existenzphilosoph eingehend beschrieben, wie wir uns den Anderen mittels des Blicks unterwerfen oder von ihm unterworfen werden.

Sich nicht ansehen zu können, ist unmenschlich. Man kann nicht mehr durch Blicke und damit verbundene kleine Gesten kommunizieren. Wie kann man eigentlich flirten per Zoom?

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Deutsche Wirtschaftspolitik 2020: Die Lufthansa hat etwa 35.000 Beschäftigte und macht 16 Milliarden Euro Umsatz. Sie bekommt 9 Milliarden Staatshilfe. Die Veranstaltungsbranche hat 3.000.000 Beschäftigte, macht 210 Milliarden Umsatz und bekommt 1 Milliarde Staatshilfe. 

Die Staatshilfe für Kultur aus dem Etat der allerdings nur teilzuständigen BKM wird um 150 Millionen erhöht. 

Die Umfragewerte der amtierenden Bundesregierungen liegen immer noch höher denn je vor dem Corona-Lockdown.

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Zur „Taz“, die manchmal Quatsch schreibt und zu Seehofer, der oft Quatsch macht, möchte ich mich auch heute nicht äußern. 

Höchstens eine Bemerkung und ein Hinweis sind nötig: Es bestärkt mich nicht in meinem, nun ja: Rechtsgefühl, dass man so tut, als müssten Polizisten in Deutschland mehr Angst vor Aggressionen und Beleidigungen haben als Normalbürger, insbesondere, wenn sie nicht-weißer Hautfarbe sind. Und Markus Lanz, den ich vergleichsweise sehr schätze, der aber offensichtlich auch dringend Sommerurlaub braucht, gibt seit drei Wochen den Polizistenversteher und bekommt mehrfach Schnappatmung, weil SPD-Chefin Saskia Esken den Rassismus deutscher Polizei mit dem der amerikanischen verglichen (nicht gleichgesetzt) hat. 

Lanz musste aber erst durch seinen Sender darauf hingewiesen werden, dass er über Rassismus vielleicht nicht nur mit weißen Deutschen reden sollte. 

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Es ist gar keine Frage, dass es nicht lustig ist, in Deutschland Polizist zu sein. In meiner Anfangszeit als Journalist bin ich ein paarmal mit der Polizei bei irgendwelchen Terminen mitgelaufen, zum Beispiel auf einem Volksfest oder auch bei Verkehrs- und Alkoholkontrollen nachts auf der Autobahn. Was diese Menschen da tagtäglich von sogenannten „anständigen Bürgern“ zu hören bekommen, geht auf keine Kuhhaut. Und man versteht, wenn die Aggressionen wachsen. Man versteht aber nicht, dass sie diese an an den Schwächsten der Gesellschaft auslassen. 

Man sollte in diesen Zusammenhang vielleicht noch einmal daran erinnern, dass Polizisten gegenüber normalen Bürgern weit größere Rechte, weit größere Rechtssicherheit und viel Vertrauensvorschuss vor Gerichten genießen. Und dass Polizisten eine Waffe tragen – was alleine schon für Respekt sorgt und ihnen Sicherheit gibt. Und dass Polizisten nach wie vor (was eigentlich ein Skandal für sich ist) kein Namensschild tragen müssen; dass sie also gar nicht persönlich identifizierbar sind. Sie tragen eine fünfstellige Nummer, die man, wenn es gut läuft, auch erkennen kann. Die man sich allerdings auch merken muss, und das ist bekanntermaßen im Eifer des Gefechts nicht so einfach. Es gibt dafür gute Gründe, andererseits gibt es auch gute Gründe für den Wunsch, dass sie eindeutig identifizierbar sind. 

Und ich habe wenig Verständnis dafür, dass sich der bestimmt nicht sonderlich gute Berliner Bürgermeister Michael Müller wie ein Schuljunge vom Klassenlehrer bei „Markus Lanz“ verhören lassen muss, weil er in Berlin ein Antirassismus-Gesetz verabschiedet hat, dass es erleichtert, die Polizei zu verklagen. 

Lanz redet mit ihm so, als würde er damit die Polizisten zum Abschuss freigeben. 

Noch schlimmer „Stern“-„Journalist“ Hajo Schumacher, der sich zum Satz versteigt: „Zwei Kumpels im Görli sind schnell gefunden, die den Zeugen machen, oder von der Antifa.“ Keiner geht dazwischen bei dieser Gleichsetzung von Antifaschisten mit Drogenhändlern. 

Vor allem aber erklärt Schumacher niemand, dass auch zwei Polizeikameraden schnell gefunden sind, die erklären: „Das war Notwehr mit dem Knüppel.“

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Und dazu passt dann wie die, nun ja: Faust aufs Auge, die Nachricht, dass einige der mit viel konservativer Empörung durch die Medien gejazzten Fotos verletzter Polizisten nicht das Geringste mit Stuttgart zu tu haben, auch nicht mit Deutschland, sondern aus Australien stammen, um die Wut über diese Ereignisse anzufachen.

Dies ergeben Recherchen des „Correctiv-Faktencheck“. Dies ist ein gemeinnütziges, unabhängiges und vielfach ausgezeichnetes Recherchezentrum. Die investigativen Journalisten recherchieren langfristig zu Missständen in der Gesellschaft, wie dem Cum-Ex-Steuerraub oder illegaler Parteifinanzierung.

Eine eigene Faktencheck-Redaktion überprüft irreführende Behauptungen und Gerüchte in den sozialen Medien. 

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Neulich haben wir auf der Autofahrt diskutiert, warum man eigentlich Polizist wird? Es gibt viele Erklärungen und keine eindeutige klare. Denn es gibt ebenso sehr nette großzügige entgegenkommende Polizisten, wie es ziemlich schlechte gibt. Aber ich glaube schon, dass überwiegend ein Personen-Typus zur Polizei geht, der Sicherheit und im Zweifelsfall die Macht des Staates hinter sich wissen will. Und teilweise auch jener Typus, der es genießt, selber Macht zu haben. Ich glaube nicht, dass genauso viele Menschen deswegen Polizist werden, weil sie anderen Menschen helfen möchten, wie sie aus dem gleichen Grund Ärzte werden möchten. Aber ich freue mich schon auf eure Leserpost, die mich in dieser Hinsicht korrigiert.

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Letzte Woche, als ich glücklicherweise in Frankreich sehr gute Fleischgerichte gegessen habe, ging es in den deutschen Medien um den sogenannten „Fleischskandal“, der ja mehr ein Corona-Hygieneskandal ist, aber sofort von Vegetarismus- und Antifleisch-Lobbyisten im eigenen Sinn instrumentalisert wurde. 

Der sehr legitime Wunsch nach einer Verbesserung der Tierhaltung und nach einer wohl noch wichtigeren Verbesserung der Fremdarbeiter-Haltung (um es mal realistisch zu formulieren) , nach einer Verbesserung der gesamten Produktions- und Schlachtverhältnisse im Bereich Fleisch überkreuzt und vermischt sich mit der vollkommen illegitimen Moralisierung des Fleischkonsums. Ich möchte nicht jeden Tag von irgendwelchen Ministern und Politikern, die sonst nicht in die Schlagzeilen kommen, hören, dass ich weniger Fleisch essen soll. Überhaupt möchte ich weniger „sollen“ in der Politik. Die Politiker sollen das machen, was sie für richtig halten, und dann kann man sie dafür belohnen, indem man sie wieder wählt, oder bestrafen, indem man die Konkurrenz wählt. Aber bitte Schluss mit dem Paternalismus, mit Gut-Böse-Verhaltenskodex, Schluss mit den Benimmregeln aus dem Kindergarten.

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Die zweite Welle kommt bestimmt. Wie hoch und kräftig sie ist, und was das überhaupt heißt, darüber gehen die Ansichten weit auseinander. Deutschland sei für eine eventuelle zweite Welle gut gerüstet ist, glaubt zumindest der baden-württembergische Ministerpräsident, Winfried Kretschmann. 

Im Gespräch mit der „Zeit“ sagte er, das deutsche Gesundheitssystem habe inzwischen die Stabilität, um direkt auf eine zweite Welle zu reagieren. „Wir haben die Kenntnisse, wir haben die Organisationsstrukturen, wenn Infektionsketten auftauchen, sofort die zu lokalisieren, zu testen, zu isolieren, also das sogenannte ‚Containment’.“

Kretschmann glaubt, dass in Unternehmen Home-Office auch nach Corona Bestand haben sollte: „Es ist ja eigentlich ein sehr gutes Instrument, das man jetzt sehr viel flexibler wird einsetzen können, wenn die Krise vorbei ist. Wenn man es also nicht mehr muss und eigentlich erfahren hat, was man damit machen kann. Das ist doch, glaube ich, eine gute Aussicht.“

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Nur gut 17 Prozent aller Männer verlegten während des Lockdown ihre Arbeit ins Home Office, so die aktuellen Zahlen. Dafür arbeiteten 28 Prozent der Frauen nun von zuhause – dies wird zum Teil damit erklärt, dass Frauen häufiger in der Verwaltung arbeiten, ihre Arbeit also leichter von Zuhause erledigen können.

Brauchen wir nun ein Recht auf Home Office, wie es die SPD fordert? Nein: Wichtiger wäre ein Recht auf Office Office. 

Denn Unternehmer und Arbeitgeber haben ein Interesse daran, dass die Kollegen einzeln zuhause sitzen, nicht kollektiv in der Firma oder Fabrik. Zuhause am Rechner arbeitet man effizienter, ohne „Reibungsverluste“ durch Gespräche und Abstimmungen, durch „Besprechungen“. 

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Der grüne Ministerpräsident sieht in der Corona-Krise und dem dadurch angeblich ausgelösten „Digitalisierungsschub“ wenig überraschenderweise Chancen für das Klima: „In der Digitalisierung liegt die unglaubliche Chance, die Produktlinien grüner zu machen.“ Man müsse „an die Wettbewerbsfähigkeit von morgen denken.“ Und so was ist Grüner! Man könne die Klimakrise nicht einfach so „wegimpfen“: „Jeder weiß, was uns da bevorsteht“. 

Mag sein. Aber jeder weiß auch, dass der Gemeinplatz von der Krise als Chance genau so ideologisch ist, wie umgekehrt Corona als Krise zu ideologisieren. 

Die Krise, das ist der Zustand der Zustand der Politik und ihres Publikums, die man früher mal „Wähler“ oder „Bürger“ nannte. Wären sie das, würden sie politisch handeln. 

Das kann ich nicht erkennen. Mag aber sein, dass sich die Politik derart verändert, dass „politisch handeln“ etwas anderes heißt. 

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Vor dem Virus sind nicht alle gleich. Eine erste Corona-Studie der Universität Bielefeld und des Sozio-oekonomischem Panel (SOEP) des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin zeigt: Rund 20 Prozent der Erwerbstätigen leiden infolge der Corona-Pandemie unter Einkommenseinbußen. Der Studie zufolge arbeiten vor allem Menschen mit höheren Einkommen und besserer Bildung im Homeoffice. 

Empirisch kann dort auch eine Zunahme der Ungleichheit der Geschlechter durch Corona nicht belegt werden. 

Was allerdings von Corona ebenso wie durch alles gendergerechte Sprechen unberührt ungleich bleibt, ist die Lohnlücke von über 20 Prozent (bei gleicher Arbeit gegenüber Männern) und eine Rentenlücke von über 50 Prozent. 

Das sind die realen Probleme der Gleichstellung von Mann und Frau. 

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Brasilien hat die zweitmeisten Corona-Fälle und -Toten der Welt. Mexiko überschritt im Juni die Marke von 1000 Toten an einem Tag, in Peru verdoppelt sich die Zahl der Opfer alle drei Wochen, und Chile hat inzwischen mehr Infektionen pro Kopf als die USA. Lateinamerika ist längst das Zentrum der Pandemie geworden – und der Höhepunkt der Krise noch immer nicht erreicht.

Eine Oase in diesem Zentrum ist anscheinend Uruguay. Kaum ein Land, schreibt „Der Spiegel“ heute, bewältigt die Corona-Krise so erfolgreich wie Uruguay. Die Regierung verzichtet auf die striktesten Maßnahmen – und vertraut den Bürgern. „Libertad responsable“, verantwortliche Freiheit lautet die Strategie. Die Schweiz Lateinamerikas klingt irgendwie nach Schweden. 

Obwohl jeder siebte Bürger in Uruguay 65 Jahre oder älter ist, sind dort nur 26 Menschen sind bisher an dem Virus gestorben. Insgesamt gibt es 907 offiziell bestätigte Fälle, 818 davon genesen. Die Weltbank lobt Uruguays Anstrengungen. 

Aber warum ist Uruguay mit seinen knapp 3,5 Millionen Einwohnern so erfolgreich? Verglichen mit anderen Ländern in der Region hat Uruguay eine Reihe von Vorteilen: Uruguay hat nur eine größere Stadt: Montevideo hat in etwa so viele Einwohner wie München. Es gibt nur ein kleines Busnetz. In Uruguay sind nur 23 Prozent der Arbeiter „informell“ als Tagelöhner beschäftigt – der niedrigste Wert der Region. Während es woanders massive Einschnitte ins Gesundheitssystem gibt, ist die Versorgung in Uruguay kostenfrei und relativ gut. Das Land hat den ältesten Sozialstaat Lateinamerikas. 

Präsident Luis Lacalle Pou, ein Mitte-Rechts-Politiker reagierte Mitte März mit Ausrufung des Notstands, und machte die Grenzen dicht. Schnell wurde ein System zur Kontaktverfolgung implementiert. Die Regierung schloss Einkaufszentren und zwischendurch Schulen. Jetzt sind sie wieder auf. Die Bürger wurden angehalten, Masken zu tragen, Abstand zu halten und – wo möglich – von zu Hause aus zu arbeiten. Anders als etwa in Peru wurde jedoch keine Ausgangssperre verhängt.

Die Bevölkerung hält sich an die Vorgaben: Rentner tragen Masken beim Sport. Inzwischen sind die meisten Geschäfte wieder geöffnet. 

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Am Siebenschläfer schreibt DPA, „liegt die Trefferquote bei 50 Prozent“. Die DPA-Mitteilung ist von einer grotesken Dummheit. Jeder weiß, dass 50 Prozent gar keine Trefferquote ist, sondern ein Ausdruck für totale Unsicherheit. Entweder es kommt so oder es kommt nicht so. 

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Rückfahrt aus Frankreich. Ich hasse Autofahren. Verschwendete Stunden. Ausnahmsweise war es mal nötig, nach Jahren wieder. 

Was zurück auf deutschen Autobahnen auffällt: Die klassischen Limousinen der alten Bundesrepublik, die einst das Verkehrsbild bestimmt haben, Mercedes und BMW vor allem, Viersitzer, S-Klasse und so weiter, sie sind verschwunden. Alle Autos sehen gleich aus, egal ob Skoda, Hyundai oder BMW, alle sind ein bisschen zu klein, ein bisschen zu knuffig, ähneln dem, was früher im Autoscooter auf dem Rummelplatz ein Kinderspass war. Knubbelautos. Und viel zu schnell für ihre Leichtigkeit. 

Beim Einfahren in Berlin steht über der Schaubühne: „Die Vernunft ist tot.“

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