Cinema Moralia – Folge 223: Die fehlende Lust im deutschen Kino(plakat)

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Cooles Plakat. Aber so richtig Lust aufs Kino macht es nicht. Schade. | Foto © Entertainment One

Und was machen die Franzosen anders? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 223. Folge.

Gerade in Hamburg. Hier ein längeres Gespräch mit einem Kino-Vorführer. Wir kommen auf Plakate. Er mag Berlin Alex­an­der­platz. Dafür, warum der Film aber unter den Erwar­tungen mancher bleibt, hat er eine inter­es­sante Erklärung: Die Plakate in Deutsch­land seien oft sehr schlecht. So auch hier.

Das verstehe er nicht, »warum die vom Verleih so ein Plakat machen. Das ist gar kein Plakat. Das sieht ganz gut aus, ist aber nur stylisch. Es macht auf nichts Lust. Und ich verstehe nicht, warum da kein Schau­spieler drauf ist. Die Jella Haase ist doch so bekannt.«

Ähnliches bei Undine, der schon länger im Kino läuft: »Da ist kein Schau­spieler zu sehen. Die Gesichter sind abgewandt, die Farben trübe. Wer soll da reingehen und warum?« Das Plakat ist so Wannabe und um die Ecke gedacht, wie der ganze Film.

Beim Plakat für den Doku­men­tar­film Wim Wenders, Desperado fällt mir dann selber auf, wie dilet­tan­tisch es gemacht ist: Den Mann auf dem Bild erkennt man nur als Wim Wenders vor 40 Jahren, wenn man eh weiß, dass er es wohl sein muss. Und den in roter Pseudo-Hand­schrift-Schrift gehal­tenen Schriftzug kann man nur mit Mühe als »Wim Wenders« iden­ti­fi­zieren. Ob die Cannes-Palme auf dem Plakat etwas hilft?

Er meint nur: »Viele denken halt, das ist der neue Film von Wim Wenders.«

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Der Schau­spieler Volker Bruch initiiert die Initia­tive »Los für Lesbos«. Mit deren Erlösen sollen Orga­ni­sa­tionen unter­stützt werden, die sich für die Rechte und Würde von Flücht­lingen an den euro­päi­schen Außen­grenzen einsetzen. Insgesamt haben sich bis dato 24 Künstler ange­schlossen. Bei der Initia­tive spenden die Künstler persön­liche Gegen­s­tände aus ihrer Karriere, die dann verlost werden.

»Die Situation im Flücht­lings­lager Moria auf Lesbos beschäf­tigt mich gerade sehr«, so Bruch. »Das Lager platzt aus allen Nähten, es fehlt praktisch an allem. An Essen, an Kleidung, an medi­zi­ni­scher Versor­gung, an trockenen Schlaf­plätzen, an sanitären Einrich­tungen, an Sicher­heit, an Schul­bil­dung für die vielen Kinder. Eigent­lich müsste dieses Lager sofort evakuiert werden, aber das passiert einfach nicht. Im Gegenteil, inzwi­schen sind die Schutz­su­chenden seit Monaten einge­sperrt und dürfen das Camp nicht mehr verlassen. Also, was kann ich als Schau­spieler tun? Ich kann Aufmerk­sam­keit gene­rieren – und ich kann Geld spenden, damit sich die Situation vor Ort verbes­sert. Und um das zu kombi­nieren, haben wir uns die Aktion ‚Los für Lesbos‘ ausge­dacht.«

Neben Bruch, Herbert Gröne­meyer und Liv Lisa Fries nehmen auch Heike Makatsch, Jürgen Vogel, Lars Eidinger, Karoline Herfurth, Jella Haase, Jannis Niewöhner, Emilia Schüle, AnnenMay­Kan­te­reit, der 1. FC Union Berlin und viele andere teil.
Jeder gespen­dete Euro entspricht einem Los, das zwischen 23. Juli (12.00 Uhr) und 21. August (12.00 Uhr) unter www.losfu­er­lesbos.com erworben werden kann.

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Die Kinos nach dem Neustart sind ausver­kauft und trotzdem zu zwei Dritteln leer. Mau sind die Zahlen, auch wenn es im Sommer die Kinos eh schwer­haben. Und die Abstands­re­geln erlauben nur eine Maxi­mal­aus­las­tung von 20 bis 30 Prozent.

Auch das Open Air darf nur 30 Prozent verkaufen. Draußen! Noch halten die Verleiher Publi­kums­filme zurück. Vor allem die US-Block­buster werden in den Herbst verschoben. Nolans Tenet schon zum dritten Mal, jetzt auf den 26. August.
Gerade hat Cineplex-Geschäfts­führer Kim Ludolf Koch den Constantin-Chef Martin Mosz­ko­wicz aufge­for­dert, nicht auch noch deutsche Produk­tionen mit Publi­kums­po­ten­tial auszu­bremsen. »Lassen Sie Kaiser­schmarrn­drama auf dem August-Termin, bringen Sie Ostwind möglichst zeitnah und lassen Sie Contra auf dem 3. Oktober oder ziehen ihn sogar nach vorne,« schreibt er in einem Offenen Brief.

In Frank­reich bekommen Verleiher Geld dafür, Filme jetzt zu starten. In Deutschl­sand sind die Förderer zu dumm, um auf solche Gedanken zu kommen.
Und die Verleiher zu geldgeil, und zu wenig kinoaffin.

Es kommt alles zusammen.

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Immer wieder verweist man in Diskus­sionen über Film in Deutsch­land auf das Beispiel Frank­reich. Da sei alles besser, heißt es.
Stimmt das überhaupt? Mir scheint es so. In Frank­reich ist Kino – auch Jahr­zehnte nach der legen­dären Nouvelle Vague – die »siebte Kunst«. Ernst­ge­nommen als natio­nales Kulturgut, von manchen quasi heilig­ge­spro­chen.
Tatsäch­lich ist – ganz konkret – die Praxis des Kino­be­suchs und das Erlebnis für die fran­zö­si­schen Kino­gänger komplett anders: Zunächst einmal gibt es kein Popcorn (das haben die Deutschen aus Amerika über­nommen). Überhaupt wird im Kino nicht viel gegessen. Die Kinos sind insgesamt weniger komfor­tabel, oft alte Gebäude mit altem Mobiliar – das kann man charmant finden, oder überholt.

Jeden­falls gibt es trotzdem in Frank­reich viel mehr Zuschauer. Das liegt zum einen an den nied­ri­geren Preisen. Und daran – das ist der größte Unter­schied –, dass es ganz selbst­ver­ständ­lich und seit Jahr­zehnten in den fran­zö­si­schen Kinos ein Abon­ne­ment-System gibt, ähnlich wie bei uns im Theater oder in der Oper.
Schließ­lich laufen viel mehr Filme in Origi­nal­ver­sionen mit Unter­titel – die Achtung vor der Stimme der Schau­spieler und der ursprüng­li­chen Tonmi­schung der Regis­seure ist dort deutlich größer.

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Auch die fran­zö­si­sche Film­för­de­rung funk­tio­niert ganz anders. Zum einen gibt es ganz einfach viel mehr Geld. Doppelt so viel wie in Deutsch­land. Kino sei eben Kunst und müsse gefördert werden.
Überdies ist die Macht des Fern­se­hens zwar nicht gleich Null, aber extrem einge­schränkt. An zwei Tagen in der Woche ist es den Sendern einfach verboten, Kinofilme auszu­strahlen – um den Kino­be­such zu fördern

Jetzt in Corona-Zeiten gibt es viele konkrete Hilfs­maß­nahmen, um den Kino­be­such zu fördern und der Film­branche Einnahmen zu sichern: Extra­prä­mien im Fall schneller Re-Starts von Filmen, die Aufhebung von Auswer­tungs­ein­schrän­kungen, Produk­ti­ons­för­de­rungen.

Seit jeher hilft auch die berühmte »exception cultu­relle« Frank­reichs: Quoten für fran­zö­si­sche und euro­päi­sche Filme.

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Somit ist die öffent­liche Rolle, die das Kino in Frank­reich spielt, komplett anders. Kino wird grund­sätz­lich anders wahr­ge­nommen: In der Öffent­lich­keit, in Talk-Shows, bei poli­ti­schen Debatten sind Filme­ma­cher und Filmstars wie zum Beispiel Catherine Deneuve oder Juliette Binoche gefragte Gesprächs­partner, und sie werden intel­lek­tuell für voll genommen – in Deutsch­land ist derglei­chen unvor­stellbar.

Das berührt auch die Film­kritik: Während Film­kritik in Deutsch­land oft an Gastro-Kritik erinnert – schmeckt der Film? lohnt er das Geld? –, ist sie in Frank­reich eindeutig Kunst­kritik. Film steht in einer Reihe mit bildender Kunst, Theater und Literatur.

Schließ­lich ist der fran­zö­si­sche Kino­be­griff inter­na­tional, nicht national: Zum Beispiel lebt Michael Haneke in Paris und spricht Fran­zö­sisch – er wird quasi adoptiert.
Das fran­zö­si­sche Kino ist ein Welt­ent­wurf!

(to be continued)

 

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind auf artechock in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurzkri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.

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