Stellungnahme zu zwei tagesspiegel-Artikeln über die deutsche Agenturenlandschaft
Hintergrund: Im Rahmen der Berlinale erschienen im tagesspiegel zwei Artikel über die deutsche Agenturenlandschaft „Nur wer reingelassen wird, ist drin“? und „Das Gesetz des Marktes?“. Dazu ergab sich eine größere Debatte in Fachkreisen. Sibylle Flöter, neue Vorstandsvorsitzende vom Verband der Agenturen (VdA), resümiert.
Ich weiß nicht, ob man dem Artikel „Nur wer reingelassen wird, ist drin“ nicht zu viel Bedeutung beimisst, wenn man seine Inhalte noch weiter verbreitet. Es war ein leider nachlässig recherchierter, inhaltlich fehlerhafter, reißerisch geschriebener Text, der zudem in einer gewollten Tendenz zugespitzt formuliert war. Aufgrund seiner an der Oberfläche bleibenden Argumentation sollte er jedoch – wie ich finde – auch nicht all- zu ernst genommen werden. Nun darf man sicher nicht die Erwartung haben, dass am Tag der Eröffnung der Berlinale, eine tagesaktuelle Zeitung eine grundlegende ausgewogene Abhandlung über die Vielfalt der deutschen Agenturenlandschaft veröffentlicht. Während der Berlinale kommt sich Berlin immer ein bisschen wie Hollywood vor und da schwebte dem Autor wahrscheinlich vor, von Glamour und Macht zu schreiben.
Der Artikel erwähnte den Berlinale Empfang, den 6 Mitgliedsagenturen gemeinsam unter dem Begriff „FULL HOUSE“ (weil es ursprünglich nur 5 waren) veranstalten. Es stimmt, was Lutz Schmökel als einer der Agenten in diesem Artikel sagt: „Das Event ist mittlerweile als eine der zentralen Veranstaltungen etabliert und wird von sehr vielen interessanten Leuten besucht“. Und warum ist das so?
Weil diese Agenturen unter ihren Klienten zahlreiche Hauptrollenspieler der Oberliga haben. Alles gefragte, gut beschäftigte Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Drehbuchautoren, an denen Redakteure und Produzenten ein gesteigertes Interesse haben. Weil ihre Klienten wichtig sind, werden diese Agenturen auch wichtig genommen.
Aber die Behauptung des Autors, dass, wer zu diesem Empfang nicht eingeladen ist, nicht zu denen gehört, die in Deutschland Fernsehen und Film prägen, ist absurd und schnell als maßlose Übertreibung zu entlarven, denn man kann mindestens genauso viel Schauspielerprominenz aufzählen, die sich von anderen Agenturen vertreten lässt. Das im Untertitel kurz angedeutete Thema: „Die Fernsehsender besetzen nur die ohnehin prominenten Namen“ wurde im Weiteren gar nicht inhaltlich ausgeführt.
Viele Kollegen empörten sich über die Behauptung, dass die sog. FULL HOUSE Agenturen mit ihren Klienten im deutschen Fernsehen und Film tonangebend seien.
Wie ist das zu verstehen?
Ich habe lange darüber nachgedacht und kann es mir nur so erklären:
Stellen wir uns eine kleine bis mittlere Agentur vor, die vielleicht nur ein oder zwei Hauptrollenspieler in der Klientele hat und dazu vielleicht ein oder zwei junge Talente, die sie aufgebaut hat und die gerade ihre ersten Erfolge verzeichnen können. Und man muss die Begehrlichkeiten kennen, die in Schauspielerherzen und -seelen schlummern. Wenn in der Presse steht, dass man nur „rein“ kommt, wenn man in diesen Agenturen Klient ist, dann will doch jeder Schauspieler von diesen Agenturen vertreten sein, egal wie gut er bisher mit seinem Agenten ausgekommen ist. Und da, bei Schauspielern schnell der Gedanke aufkommt, vielleicht verbessert sich für mich alles, wenn ich die Agentur wechsle, stellt so eine unbedachte Pressebehauptung eine latente Gefahr für manche Agenturen dar. Das erklärt vielleicht, warum ein eigentlich unbedeutender Pressebeitrag so stark wahrgenommen und so wütend kommentiert wurde.
Und es zeigt natürlich auch, wie abhängig der Agent in seinem beruflichen Erfolg von seinen Klienten ist. Ein Agent mit 35 prominenten Namen auf der Klientenliste ist nicht automatisch der bessere Agent gegenüber jemanden, der nur wenige oder keine Prominenz vertritt. Aber durch seine Klienten wird er stärker wahrgenommen, hat Zugang zu anderen Hierarchiestufen im Besetzungsprozess und kann stärker Einfluss nehmen.
Und deswegen ist der Weggang eines prominenten Schauspielers nicht nur ein finanzieller sondern auch ein Bedeutungsverlust. für eine Agentur. Und das Schlimme ist, so eine Trennung kann jederzeit erfolgen, selbst wenn man alles richtig gemacht hat. Das sind die Gesetze des Marktes, mit denen ich im zweiten Tagesspiegelartikel zitiert werde.
Aber auch das gehört zum Beruf und das muss ein Agent aushalten können, persönlich und geschäftlich. Es gibt Kollegen, die fordern, dass Agenten den Schauspieler auf eine gewisse Zeit vertraglich an sich binden können müssen. Aber in dieser Hinsicht, finde ich, hat der Gesetzgeber richtig entschieden, dass Freiheit für beide Seiten dringend erforderlich ist und eine Trennung jederzeit möglich sein muss.
Und wie wirken die Gesetze des Marktes im Fernsehen, wo wir angeblich immer die gleichen Gesichter sehen?
Ganz stimmt es ja nicht, sonst wären die Fernsehformate in ihren Besetzungen längst überaltert. Es gibt ja auch für „Stars“ immer wieder Nachwuchs.
Sich aus der Masse herauszuheben und bis zur Spitze durchzudringen ist jedoch immer schwieriger geworden, seitdem weniger Formate gedreht werden. Der Wegfall vieler Serienformate erschwert es zum einen, den Einstieg zu finden und dann auch mit längerfristigen Serien einem breiten Publikum bekannt zu werden. Die Reduzierung von Fernsehspielen verringert die Möglichkeiten, sich in formattragenden Rollen zu profilieren.
Und so nehmen wir durch die Besetzungen im Fernsehen die Schauspieler nicht mehr als eine breit aufgestellte, langsam ansteigende Pyramide wahr sondern eher wie den Eiffelturm, mit einer breiten Basis, aber sehr schnell schmal werdend und mit einer dünnen Spitze. Und hat es jemand geschafft, sich aus der breiten Basis durch eine funktionierende Rolle bis knapp unter die Spitze zu katapultieren, dann setzt ein Automatismus ein, für den die Redaktionen verantwortlich gemacht werden können: plötzlich wollen alle, dass dieser Hoffnungsträger die Hauptrolle in ihrem Projekt spielt, selbst wenn es vom Stoff her eigentlich nicht passt.
Ein schönes Beispiel dafür, wie es laufen kann, ist Matthias Brandt. Bis 2002 kannte ihn nur das Publikum großer Schauspielhäuser. Auch Oliver Storz kannte ihn nicht, als er seinen Mehrteiler „Im Schatten der Macht“ besetzte. Nur als er ihn kennen gelernt hatte und in der Rolle von Günter Guillaume besetzen wollte, die in diesem großen Ensemblefilm nicht einmal die Hauptrolle war, musste er ihn bei den Redaktionen der finanzierenden Sendern mit seiner ganzen Autorität als gestandener, renommierter Regisseur durchdrücken, weil alle meinten, „den kennt doch keiner.“ Hier zeigt sich, dass mit Blick auf die Quote, nach bekannten Namen zu besetzen, nur ausgehebelt werden kann, wenn der Regisseur sehr stark ist oder die Redaktion mutig. Ab 2003, als der Film herauskam, kannte man dann Matthias Brandt und war begeistert von seiner Darstellungskraft. Er drehte in den folgenden Jahren häufig, viel und groß. 2010 wurde er Kommissar im bayerischen Polizeiruf und gehört seither zu den gefragtesten Schauspielern Deutschlands. Nun will ich gar nicht abstreiten, dass es unter den vielen noch nicht fürs Fernsehen entdeckten Schauspielern auch solche gibt, die rein vom schauspielerischen Können mit Matthias Brandt gleich ziehen könnten. Aber wenn ich als Regisseur, Redakteur oder Produzent Matthias Brandt haben kann, warum soll ich dann noch nach anderen suchen? Es spricht doch nichts gegen ihn. Wenn bei uns jedoch mehr produziert würde, käme auch ein Matthias Brandt oder Devid Striesow oder Lars Eidinger, um einige Namen mehr zu nennen, an seine Kapazitätsgrenzen und man müsste sich nach mehr Schauspielern ihres Kalibers in der noch unentdeckten Menge umsehen.
Das nehme ich gerne wahr, danke. Bin gespannt, zu sehen was es kann.
Haben Sie schon mal statistisch erhoben, wie hoch der Anteil an Besetzungen, die mit Hilfe der cast-box getätigt werden, im Vergleich zum Gesamtvolumen der Besetzungen ist? Wie diese Produktionen finanziell ausgestattet sind, bzw. welche Gagen gezahlt werden? Und welche Trefferquote Bewerbungen von SchauspielerInnen hier haben?
Was halten Sie davon, wenn Sie mal anrufen?
0221-94 65 56 20
Dann geben wir Ihnen gerne einen Einblick in die cast-box. Einfach nach Catha oder Tina fragen.
Ansinnen ist es hier, die prof. Besetzungsszenerie zu öffnen, sprich transparenter für Schauspieler/Agenten zu machen.
Liebe Frau Thiele,
die Job-Börse bei Crew United bietet SchauspielerInnen KEINE Möglichkeit, an Produktionen des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks zu partizipieren. Dort werden zu 99% Besetzungen für NoNo Budget Kurzfilme, Bewerbungsfilme für Filmschulen und für unbezahlte Studentenfilme oder Musikvideos gesucht.
Cast-Box kenne ich nicht, ich bin bereits Premium Mitglied bei CrewUnited/schauspielervideos.de. Sollte man nicht beide zusammenlegen?
Mein Ansatz geht im übrigen über die Angebote einzelner Plattformen hinaus und zielt auf eine Veränderung der ökonomischen und strategischen Situation der SchauspielerInnen und RegisseurInnen in der Gesamtproduktion des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks.
Mit freundlichem Gruß,
HJ. Berchtold
Warum kann nicht eine Plattform wie Crew United ein Tool* aufsetzen, mit dem SchauspielerInnen sich für solche Rollen bewerben können? Gerade auch die, die nicht in Agenturen vertreten sind (ebenso RegisseurInnen und ggf. weitere Filmberufe).
*Dies macht casting-network mit der cast-box und crew united hat auch eine Job-Börse!
casting-network & crew united Team
Sehr geehrte Frau Flöter,
liebe Kollegen,
um einmal das Anliegen der beiden Tagesspiegel Artikel aufzugreifen (und nicht deren journalistische Qualität): Was spricht eigentlich gegen einen für die Produktionen des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks verbindlichen, ja nennen wir es fairen „Besetzungsalgorithmus“? Vielleicht nicht für die beliebtesten Zugpferde, aber zumindest für die Nebenrollen!
Was wem gegenüber verbindlich und fair ist, würde in einem Verfahren bestimmt werden, bei dem sowohl die Interessen der ZuschauerInnen und der Redaktionen, als auch die der RegisseurInnen und professionellen SchauspielerInnen gleichermaßen berücksichtigt würden.
Hier wird das Geld aller Beitragszahler ausgegeben, warum soll es nicht auch der Breite der Filmschaffenden zugute kommen?
Warum kann nicht eine Plattform wie Crew United ein Tool aufsetzen, mit dem SchauspielerInnen sich für solche Rollen bewerben können? Gerade auch die, die nicht in Agenturen vertreten sind (ebenso RegisseurInnen und ggf. weitere Filmberufe).
Gerade weil hier soviele Marktparameter, persönliche Interessen und weitere Variablen zusammenlaufen, bilden sich schnell (un-)veränderliche Machtstrukturen, die immer nur Wenigen nutzen.
Ein Besetzungsalgorithmus wäre ein richtiger Weg zu mehr Fairness!
Es ist klar, dass es nicht leicht wäre, so ein Instrument aufzubauen und gegen lange bestehende Pfründe und konzentrierte Marktmächte zu etablieren, einige haben Sie ja benannt. Es ist jedoch eine Zeit gekommen, wo diese Entwicklung tatsächlich obsolet geworden ist. Sie ist nicht mehr zeitgemäß, auch das zeigen die beiden Tagesspiegel Artikel. Durch das Instrument eines Algorithmus könnte sie sinnvoll reguliert werden.
Mit vielen Grüßen,
Hans Jörg Berchtold